Der Nutzen des Bergfriedes

Felixx

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Wofür der Bergfried (neben Statussymbol/Tresor/Gefängnis/Ausguck usw.) maßgeblich gedacht war ist bekannt: Als letzte Rückzugsmöglichkeit im ungünstig verlaufenden Verteidigungsfall.
Was mich aber sehr interessieren würde, sind Erfolgsgeschichten dergestalt, dass sich dieses aufwändige Bauwerk richtig gelohnt hat. Ich weiß, dass dies wohl des öfteren der Fall war, auch wenn ich leider keine Berichte im Detail kenne. Dem entgegen stehen die zahlreichen Begebenheiten, wo ein hartnäckiger Widerstand gegen Belagerer dazu führte, dass diese nach der endgültigen Einnahme oder Kapitulation umso ungnädiger/grausamer reagierten. Meine schwer zu beantwortende Frage zielt auf eine mutmaßliche Gesamtbilanz des Bergfriedes, einschließlich der Abschreckungsfunktion ab. Mussten vermutlich mehr Menschen in Folge der Nutzung eines Bergfriedes sterben (die bei frühzeitiger Kapitulation mit dem Leben davon gekommen wären) oder könnten die Bergfriede mehr Menschenleben gerettet haben?
Wie seht Ihr das?
 
Ich glaube nicht dass ein Bergfried die Aggression des Belagerers verstärkte. Er ermöglichte aber auf jeden Fall eine effiziente Verteidigung. Ein Bogen- oder Armbrustschütze konnte aufgrund der Höhe und der Übersicht viele viele Angreifer treffen, und dies bei minimalem Risiko und hoher Treffsicherheit. Schau Dir einmal die Türme von Burg Münzenberg an: welche Restenergie hat ein nach oben geschossener Pfeil? Selbst ein geübter Schütze der Belagerer kann nicht zielsicher treffen, ist aber jederzeit für den Schützen im Turm mit hoher kinetischer Energie, geringster Flugbahnabweichung des Geschosses erreichbar.
Die alleinige Verteidigung einer Burg vom Wehrgang aus ist aufwendiger und wesentlich verlustreicher.
Die Frage wäre eher: welche Burgen wurden erfolgreich verteidigt, und warum?
 
Ich glaube, dass die eine Frage die andere bedingt. Die Frage von Felix, ob bei Eroberung des letzten Rückzugsraums nach dessen verbissener Verteidigung mit den Überlebenden Verteidigern kurzer Prozess gemacht wurde, wohingegen bei rechtzeitiger Aufgabe die körperliche Unversehrtheit einigermaßen garantiert war, halte ich zwar für "wissenschaftlich"* nicht beantwortbar, gewissermaßen eine Schätzfrage, aber nicht unberechtigt.

*Letztendlich kennen wir ja hinreichend historische Fälle von Verrat des Siegers über den Verlierer und umgekehrt, da können wir die Anabasis von Xenophon lesen, wo die griechischen Söldner für Kyros plötzlich führerlos sind, weil sie zwar die Schlacht gewonnen haben, aber Kyros gefallen ist und die griechischen Anführer von den Persern zu einem Friedensmal geladen, bereits betrunken massakriert wurden, über die Römer, welche die Lusitanier, die freiwillig ihre Waffen abgegeben hatten, auf freiem Feld erschlugen.
Natürlich war es - Spung ins MA - maximal unchristlich, jemandem freies Geleit zuzusichern, um ihn dann zu massakrieren. Aber wer will das ausschließen?
Die Frage dürfte aber v.a. aufgrund der Quellenlage unbeantwortbar sein. Zum einen gibt es nicht zu jeder Burgeroberung eine Quelle (von etwaigen archäologischen Quellen mal abgesehen), zum anderen steht das, was die Quellen behaupten und das, was tatsächlich geschah, manchmal im Widerspruch. So gibt es Fälle, wo der König gegen einen seiner renitenten Fürsten ins Felde zog, dessen Burgen belagerte und diese (als Teil des Friedensvertrages) schleifen ließ. Im nächsten Jahr ist derselbe König bei demselben Fürsten plötzlich in derselben Burg zu Gast. Kann nicht stimmen. Was ist tatsächlich passiert? Der König hat mit dem reuig an seinen Platz in der Hierarchie zurückgekehrten Fürsten die Schleifung der Burg X als Sühne ausgemacht, tatsächlich wurde aber nur als symbolische Handlung ein Turm oder eine Mauer eingerissen, wohingegen der Rest der Burg intakt blieb und somit ein Wiederaufbau schnell vonstatten gehen konnte.
 
Ich vermute mal, dass die Frage in Richtung "mittelalterliche Kriegsführung" geht, da der Bergfried ja i.A. eine besondere Funktion in mittelalterlichen Burgen hat.

Hierzu muss man wissen, dass die Bekämpfung einer Festung/einer Burg im Mittelalter mit überwältigender Mehrheit aus Belagerungen bestand, bei denen es verhältnismäßig wenig Kampf gab. Die Vorstellung von anstürmenden Heerscharen mit Katapulten, Sturmleitern usw. ist nicht ganz akkurat. Das gab es zwar auch, aber eher selten. Es war wesentlich einfacher und auch für die Angreifer schonender, die gegnerische Festung zu belagern und auszuhungern. Ebenso war es einfacher für die Belagerten, sich hinter dicken Mauern zu verschanzen und darauf zu hoffen, dass der Winter kommt bevor die eigenen Vorräte ausgehen. Der Herbst beendete meistens die Kampfhandlungen, da die Masse der Heere im Mittelalter aus "Ausgehobenen" bestand, die dann zurück zu den heimischen Feldern für die Ernte mussten. Wie gesagt gab es natürlich auch Ausnahmen.

Das "Erstürmen von Burgen" kam eigentlich erst mit der Einführung von Kanonen ab etwa dem 15. Jahrhundert auf. Der hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich im 14./15. Jahrhundert ist da eigentlich ganz gut als Beispiel geeignet. Am Anfang dieses Krieges waren Belagerungen noch "Standard", am Ende hat man gegnerische Festungen einfach zusammengeschossen und dann erstürmt. Ähnlich beim Sturm der Osmanen auf Konstantinopel 1453 - die hohen Mauern, die vorher rund 1000 Jahre lang fast jeden aufgehalten hatten, wurden von osmanischen Bombarden einfach zusammengeschossen und die Stadt dann durch die Breschen erstürmt.

In einem Belagerungsfall im Mittelalter hätte ein Bergfried also nicht soooo viel Einfluss gehabt, im "Kanonenzustand" später dann auch nicht mehr. Man müsste also gezielt nach Schlachten suchen, bei denen mittelalterliche Festungen eben nicht belagert, sondern richtig gestürmt wurden.
 
So könnte man „Bergfried“ auch verstehen...

Wenn ich was über Bergfried höre/lese denke ich da oft auch an die Märchenburg in Kriebstein/Mittelsachsen.

Als 1415 der Ritter Dietrich von Staubitz diese Burg einnahm, belagerte daraufhin der Markgraf Friedrich der Streitbare diese Burg.

Das hielten vor allem die Frauen der Burg nicht lange aus. Die Gemahlin des Ritters Dietrich von Staubitz bat den Markgrafen mit dem Kostbarsten was sie – die Frauen – tragen können, die Burg verlassen zu dürfen.
Der Markgraf sagte ja. Er dachte da wohl an die Geschmeide der Damen.

Und war überrascht als er die Frauen kommen sah.

Ist zwar eine Sage, aber ich denke mal so unpassend ist sie zu diesem interessanten Thema nicht.

Was erblickten da seine Augen ->

https://www.burg-kriebstein.eu/file...ebstein-Gemaelde-Sage-von-der-treuen-Frau.jpg
 
Das gab es schon alles, Burgen erstürmen und so. Du hast natürlich recht, dass viele Burgen durch Belagerung fielen. Aber man hat schon aktiv versucht, Burgen gegen Erstürmungen zu schützen: Sand ins Tor, unten angeschrägte Mauern, damit der Angreifer nicht im Schutz des Toten Winkels ausharren konnte. Und die Gegenseite war auch aktiv: Man erstürmte Burgen ja nicht nur obertägig, sondern auch untertägig. Mittels Tunneln wurden Mauern zum Einsturz gebracht (so fiel z.B. Krak de Chevaliers) oder man versuchte, an das Brunnenwasser einer Burg heranzukommen, legte da einen Tierkadaver hinein, dann musste die Burg von den Besatzern aufgegeben werden.
 
Wofür der Bergfried (neben Statussymbol / Tresor / Gefängnis / Ausguck usw.) maßgeblich gedacht war ist bekannt: Als letzte Rückzugsmöglichkeit im ungünstig verlaufenden Verteidigungsfall.

Das grundlegende Verständnis von Burgen bzw. Festungen ist m.E. nicht ganz zutreffend. Ihre primäre Funktion lag in der "Machtprojektion" nach Innen und nach Außen. Als Verwaltungssitz und Repressionsinstanz gegenüber der eigenen Bevölkerung. Und als politischer Ausdruck des Machtanspruchs nach Außen und erst dann auch als Instrument der Kriegsführung. Und da sowohl im offensiven wie im militärischen Sinne.

Die Errichtung von Burgen war extrem kostenintensiv und in der Zeit der Mangelwirtschaft mußte sich ein Herrscher die Frage stellen, ob er Burgen bat, Schiffe herstellt oder eine Armee unterhält. Und da waren für die Machtprojetion u.a. Kosten-Nutzenaspekten die Burgen /Motten etc. am günstigen ( vgl. Brauer).

Ansonsten gab es keine Regel und von der Regel auch viele Ausnahmen. Die meisten - viele - "uneinnehmbaren" Burgen sind, wenn sie denn gefallen sind, durch Verrat besiegt worden. Oder durch eine Kombination aus vielen Elementen, wie beispielsweise das "uneinnehmbare" Chateau Gaillard.

Château Gaillard – Wikipedia

Brauer, Jurgen; van Tuyll, Hubert P. (2008): Castles, battles, & bombs. How economics explains military history. Chicago: University of Chicago Press.
 
Das gab es schon alles, Burgen erstürmen und so. Du hast natürlich recht, dass viele Burgen durch Belagerung fielen. Aber man hat schon aktiv versucht, Burgen gegen Erstürmungen zu schützen: Sand ins Tor, unten angeschrägte Mauern, damit der Angreifer nicht im Schutz des Toten Winkels ausharren konnte. Und die Gegenseite war auch aktiv: Man erstürmte Burgen ja nicht nur obertägig, sondern auch untertägig. Mittels Tunneln wurden Mauern zum Einsturz gebracht (so fiel z.B. Krak de Chevaliers) oder man versuchte, an das Brunnenwasser einer Burg heranzukommen, legte da einen Tierkadaver hinein, dann musste die Burg von den Besatzern aufgegeben werden.

Sicher, man hat die Burgen und Festungen so gut gegen Erstürmung geschützt, wie man konnte. Das war es dann ja auch, was dazu führte, dass die Belagerung zum Standard wurde - Defensive war wesentlich mächtiger als Offensive und oft fehlten dem Angreifer die Mittel, um eine Burg zu erstürmen.

Das Minieren, was du korrekt nennst, erforderte ja gewisse Fähigkeiten. Ingenieure, die derartige Tunnel graben konnten, hatte aber nicht jeder. Mit Kriegslisten, wie z.B. dem Vergiften des Brunnens, oder auch dem "Schmieren" von Burginsassen, die irgendwelche Tore nachts öffneten, konnte man auch etwas erreichen. War aber auch eher die Ausnahme, als die Regel.

Wenn der ursprüngliche Fragensteller @Felixx daher eine Schlacht suchen möchte, in der der Bergfried als letzte Verteidigungslinie zum Einsatz kam, müsste er die Schlachten untersuchen, bei denen recht große Heere von recht reichen Feldherren zum Einsatz kamen; dort dürfte man eher die Fähigkeiten besessen haben, eine Burg im Sturm zu nehmen.
 
So könnte man „Bergfried“ auch verstehen...

Wenn ich was über Bergfried höre/lese denke ich da oft auch an die Märchenburg in Kriebstein/Mittelsachsen.

Als 1415 der Ritter Dietrich von Staubitz diese Burg einnahm, belagerte daraufhin der Markgraf Friedrich der Streitbare diese Burg.

Das hielten vor allem die Frauen der Burg nicht lange aus. Die Gemahlin des Ritters Dietrich von Staubitz bat den Markgrafen mit dem Kostbarsten was sie – die Frauen – tragen können, die Burg verlassen zu dürfen.
Der Markgraf sagte ja. Er dachte da wohl an die Geschmeide der Damen.

Und war überrascht als er die Frauen kommen sah.

Ist zwar eine Sage, aber ich denke mal so unpassend ist sie zu diesem interessanten Thema nicht.

Was erblickten da seine Augen ->

https://www.burg-kriebstein.eu/file...ebstein-Gemaelde-Sage-von-der-treuen-Frau.jpg

Dann hat entweder die Frau von Staubitz oder der Erfinder der Geschichte die zwischen 1150 und 1220 entstandene Kölner Königschronik gekannt:

https://www.dmgh.de/mgh_ss_17/index.htm#page/758/mode/1up

A. D. 1140, rex urbem Welponis ducis Baioariorum, Winesberg dictam, obsedit et in deditionem accepit, matronis ac ceteris feminis ibi repertis hac regali liberalitate licentia concessa, ut quaeqe humeris valerent deportarent. Quae tam fidei maritorum quam sospitati ceterorum consulentes, obmissa suppellectili descendebant viros humeris portantes. Duci vero Friderico ne talia fierent contradicente, rex favens subdolositati feminarum dixit, regium verbum non decere immutare.


"Im Jahre des Herrn 1140 belagerte der König eine Feste des Herzogs Welf von Bayern namens Winesberg (Weinsberg) und nahm ihre Kapitulation an. Er gestattete in königlichem Großmut den Ehefrauen und übrigen Frauen, die sich dort aufhielten, dass sie mitnehmen dürften, was sie auf den Schultern tragen könnten. Diese waren ebenso auf die Treue zu ihren Ehemännern wie auf das Wohl der Übrigen bedacht, ließen den Hausrat liegen und trugen die Männer auf ihren Schultern herab. Als Herzog Friedrich widersprach, dass man solches nicht zulassen dürfe, sprach der König, dem die List der Frauen gefiel, es gezieme sich nicht, ein königliches Wort abzuändern."
 
Danke für diesen Hinweis.
Habe danach bei Wikipedia nachgesehen und da finde ich auch einen entsprechenden Artikel.
 
Dann hat entweder die Frau von Staubitz oder der Erfinder der Geschichte die zwischen 1150 und 1220 entstandene Kölner Königschronik gekannt:
Ich kenne die selbe Geschichte von der nordhessischen Weidelsburg - allerdings auch ins 15.Jahrhundert verortet. Wäre interessant, ob man sich in Sachsen und auf der Weidelsburg ausschließlich bei der Weinsbergsage bedient hat oder ob das ein Topos ist, der vielleicht noch öfter durch das Mittelalter geistert.
 
Ich kenne die selbe Geschichte von der nordhessischen Weidelsburg - allerdings auch ins 15.Jahrhundert verortet. Wäre interessant, ob man sich in Sachsen und auf der Weidelsburg ausschließlich bei der Weinsbergsage bedient hat oder ob das ein Topos ist, der vielleicht noch öfter durch das Mittelalter geistert.
Durch das Mittelalter wohl eher nicht. Erst im 16. Jahrhundert fand die Weinsbergsage weitere Verbreitung (siehe z. B. De vrouwen van Weinsberg dragen hun mannen op de rug de stad uit, Zacharias Dolendo, naar Jacob de Gheyn (II), na 1615 - voor ca. 1652 - Rijksmuseum ), und die Ableger dürften meiner Einschätzung nach erst in der Folge entstanden sein, eventuell erst im 18./19. Jahrhundert.
 
Aber diese Art von Geschichten gibt es doch immer wieder, wo ein Deal formuliert wird und am Ende kommt was agnz anderes dabei heraus, als die überlegene Seite dachte: Das finden wir doch schon bei Titus Livius über die Gründung Karthagos. Da hatte Dido doch etwas mit einer Ochsenhaut vereinbart und die dann so geschnitten, dass, diese ein Gebiet, groß genug für eine Stadt, umfasste.
 
Wofür der Bergfried (neben Statussymbol/Tresor/Gefängnis/Ausguck usw.) maßgeblich gedacht war ist bekannt: Als letzte Rückzugsmöglichkeit im ungünstig verlaufenden Verteidigungsfall.
Was mich aber sehr interessieren würde, sind Erfolgsgeschichten dergestalt, dass sich dieses aufwändige Bauwerk richtig gelohnt hat. Ich weiß, dass dies wohl des öfteren der Fall war, auch wenn ich leider keine Berichte im Detail kenne.
Es kann gut sein, dass es nicht allzu viele Beispiele gibt, obwohl der Bergfried seine Funktion erfüllte oder hätte erfüllen können. Man kann Sicherheitsvorkehrungen auch danach bewerten, welchen Schaden sie im Bedarfsfalle abwenden können, anstatt nach der Wahrscheinlichkeit des Bedarffalles zu fragen.

Stellen wir uns vor, wir würden in unserem Bergfried belagert. Die Mauern sind bereits genommen, der Feind hat bereits Zugang zu allen anderen Bereichen der Burg. Die Burg ist ihrer Funktion beraubt, die Herrschaft des Burgherrn über das Umland ist gebrochen, es geht jetzt nurmehr um unser Überleben.

Unter welchen Umständen sollten wir jetzt noch weiter ausharren?

1. Wenn wir davon ausgehen müssen, dass uns die Angreifer auf jeden Fall töten werden.

2. Wenn wir davon ausgehen können, dass uns bald Verbündete entsetzen werden.

3. Wenn die Angreifer in ihrem Bemühen, in die Burg einzudringen, ihre Kräfte und Vorräte erschöpft haben und ohnehin bald wieder abziehen müssen.

Belagerungen waren jedoch wohlgeplante Unternehmungen, langwierig, kostenintensiv und mit drohendem Prestigeverlust verbunden. Es dürfte nicht allzu viele Verläufe wie die oben skizzierten gegeben haben.

Ich würde annehmen, dass es unter den gegebenen Umständen für die Angreifer verlockend war, abermals zur Kapitulation aufzurufen, und für die Verteidiger, die Übergabe anzubieten.
Dem entgegen stehen die zahlreichen Begebenheiten, wo ein hartnäckiger Widerstand gegen Belagerer dazu führte, dass diese nach der endgültigen Einnahme oder Kapitulation umso ungnädiger/grausamer reagierten. […] Mussten vermutlich mehr Menschen in Folge der Nutzung eines Bergfriedes sterben (die bei frühzeitiger Kapitulation mit dem Leben davon gekommen wären) oder könnten die Bergfriede mehr Menschenleben gerettet haben?
Bis in die frühe Neuzeit gehorchten Belagerungen biblischen Gesetzen, siehe bspw. Josua 6,6-20.

Es galt als ausgemachte Sache, dass man mit einem Verteidiger, der das Angebot ausschlug, eine Stadt oder Festung ohne weitere Kämpfe zu übergeben, nach Belieben verfahren durfte. Die potentiellen Opfer rechneten damit und hielten es wohl für "normal".

Umgekehrt bestand durchaus eine Erwartungshaltung, dass die Belagerer einhielten, was sie den Verteidigern im Falle ihrer Kapitulation versprachen. Eine solche Abmachung zu brechen, galt zumindest bei Kämpfen zwischen Christen als überaus unehrenhaft.

Daraus entwickelte sich ein Gewohnheitskriegsrecht, das beide Seiten regelmäßig ernstnahmen, weil es einerseits die Chance der Eroberung ohne verlustreiche Kämpfe bot, und andererseits den Verteidigern eine Chance auf ihr Überleben, in die sie tatsächlich Vertrauen fassen konnten.

Mit anderen Worten, der Bergfried dürfte hier eher weniger eine Rolle gespielt haben als die generelle Praxis der Zeit, wie mit den Belagerten verfahren werden durfte.
 
Es war wesentlich einfacher und auch für die Angreifer schonender, die gegnerische Festung zu belagern und auszuhungern.

Das Problem dabei: Das dauert. Mittelalterliche Heere lange genug zusammen zu behalten, bis eine gute versorgte Festung die Waffen strecken musste, war schon nicht so einfach.

Zum Bergfried: Ohne das belegen zu können wage ich mal die These, dass da, neben praktischen Erwägungen, Tradition und Statusdenken eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Bei den frühmittelalterlichen, meist aus Holz gebauten Burgen spielte der zentrale Turm, oft auf einer künstlichen Erhebung angelegt, eine wesentlich größere Rolle, würd ich sagen, da der Rest der Wehranlagen aus einer Palisade, evtl mit Graben davor, bestand. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dieses Bauelement bei der Weiterentwicklung der Wehranlagen tradierte, praktische Bedeutung hin oder her; und dann natürlich Prestigefragen dazu kamen: "Mein Turm ist aber größer als deiner!"
 
Es gibt noch einen anderen Aspekt: ein mächtiger Bergfried war sichtbarer Ausdruck einer Kosten-Nutzen-Relation die der Angreifer zu erwägen hatte.
Die Belagerung einer Burg war eine wirtschaftlich riskante Angelegenheit. Der Bau einer soliden Hauptburg mit Bergfried auf solidem Fels bedeutete eine wirtschaftliche Abschreckung: ein lokaler Konkurrent konnte eine Burg aufgrund seiner begrenzten Ressourcen nicht belagern.
Die Erzbischöfe von Köln wiederum führten Belagerungen im Umkreis von 70 km aus. Das waren wirtschaftliche Großunternehmungen sowohl in der Vorhaltung von Arsenalen im Frieden als auch in der akuten Finanzierung der jeweiligen Belagerung.
 
"Der Bergfried: Der Turm, der bei den frühesten deutschen Herrenburgen so auffallend die Vorburg beherrschte, ist etwas ganz anderes als der Donjon der Normannen." (Schuchhardt, S. 224)

An der Burg Rauheneck macht Schuchhardt die Funktion des Bergfrieds deutlich. Er ist der zentrale massive Turm, der zusammen mit der Schildmauer den Zugang von der Vorburg in die Hauptburg schützt.

Die Historie des Bergfrieds ist dabei zentral und Schuchhardt führt den Bergfried auf den alten römisch-griechischen "Warttum" zurück. Um die Bezeichnung des "Bergfrieds" gab es wohl ausreichende Konflikte. Er führt den Namen auf den "berchfrit" bzw. "burchvrethe" zurück. Keine Ahnung, ob derartige Aussagen noch Geltung beanspruchen können.

In den frühen Burgen war der "Berfried" ein relativ isoliertes Bauwerk, teils auch aus Palisaden, der als "Wellenbrecher" bzw. "Beobachtungsposten" für die Burg fungierte.

Im Laufe der Zeit wurde der Bergfried zunehmend in die Burg integriert und wie bei Rauheneck der zentrale Turm, der zusammen mit der Schildmauer eine optimale Kombination aus Angriffsplattform und Verteidigung der Burg darstellte. In späteren Burgen "bewegte" er sich Richtung Zentrum der Burg und wird zunehmend in Zeiten der Gefahr zum letzten Refugium.

Bergfried – Wikipedia

Schildmauer – Wikipedia

In Bezug auf Rauheneck formuliert Schuchhardt prosaisch: "Dieser Bergfried reckt sich wie ein kampfbereiter Eisbrecher den Eindringlingen seine spitze harte Nase entgegen." (S. 226)

Burgruine Rauheneck – Wikipedia

Schuchhardt, Carl (1991): Die Burg im Wandel der Weltgeschichte. Unveränd. Nachdr. von 1931. Wiesbaden: AULA-Verl.
 
Interessant, thanepower. Wenn ich drüber nachdenke, kenn ich den Aufbau von der Burg Rabenstein im Fläming, wo der mächtigste (bzw einzige...) Turm auch den Toreingang flankiert. (Früher gab es davor wohl auch noch eine Vorburg, aber von der ist heute fast nichts mehr zu sehen.)

Burg Rabenstein (Fläming) – Wikipedia

Wobei Wiki das anders zu sehen scheint:

"Der Vorläufer des Bergfrieds ist der wehrhafte Wohnturm, der in seiner westeuropäischen, repräsentativen Ausprägung auch als Donjon bezeichnet wird."

Bergfried – Wikipedia

Zumindest im Falle Rabenstein war das mWn nie ein Wohnturm, was ja eine Funktion des Bergfrieds gewesen ist bzw sein soll. Aber um dass wirklich zu beurteilen, steck ich nicht genug drin.
 
Das Problem dabei: Das dauert. Mittelalterliche Heere lange genug zusammen zu behalten, bis eine gute versorgte Festung die Waffen strecken musste, war schon nicht so einfach.

Richtig. Deswegen musste der Feldzug auch vor dem Herbst abgeschlossen sein. Und wenn sich eine Festung ausreichend vor-versorgt hatte, hatte sie schon halb gewonnen.

Das Problem des Angreifers war einfach: Wie soll man mit nicht-ausgebildeten Heerhaufen mit simpler Bewaffnung (sprich: einem typischen mittelalterlichen Heer) eine Festung einnehmen? Das war kaum möglich. Meistens fehlten dem angreifenden Heer einfach die Fähigkeiten und die Vorteile lagen beim Verteidiger. Das änderte sich erst ab dem 15. Jahrhundert mit der Einführung der Feldartillerie.
 
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