Die Irminsäule

@el quijote

ups erst jetzt bemerkt :)

@riothamus

bei sowas ärgert mich immer wieder meine ungebildetheit in philologischen dingen...
.das irmin-herminones-irminsul problem taucht immer wieder auf, leider ist wiktionary ein porral bei dem viele laien mitschreiben und in dem es immerwieder massive fehler gibt.ich wünschte dazu bessere literatur zu haben, leider funde ich im web aber nur veraltete veröffentlichungen.
 
Zur h-Frage:
Das ist nicht ganz einfach. Pomponius, Plinius, und Tacitus darf man wohl zutrauen, dass sie korrekt zu schreiben wussten. Dennoch lebten sie in einer Zeit, wo das anlautende h- wohl bereits ein Anachronismus war. Jedenfalls fehlt es ganz häufig in den Grafitti von Pompei. Wir könnten es hier also auch mit einer Hyperkorrektur zu tun haben. Nicht, dass ich das vertreten würde, aber die Möglichkeit soll schon genannt sein.

Was ist eine Hyperkorrektur? Die Schriftlichkeit neigt zu retardierenden Mustern, also Sprachphänomene werden in der Schrift weniger schnell abgebildet, als in der gesprochenen Sprache. So können eine alte und eine neue Schreibweise in einem Text nebeneinander vorkommen. Also meinetwegen habitare und abitare.
Nun weiß jeder alte Lateiner, der eine halbwegs anständige Schreibausbildung erhalten hat, dass, auch wenn seine Frau ihn zuhause anschreit, wie man denn in einem solchen stabulum porcae leben könne (abitamus), dass es korrekt habitamus heißen müsse.
Nun hat derselbe Schreiber vielleicht gerade das Traktat eines Agrarschriftstellers zur Hand und die Aufgabe, dieses abzuschreiben. Nehmen wir jetzt mal der einfachehit halber an, ager und arare seien keine Allerweltswörter sondern dem alten Lateiner auch nur ganz selten untergekommen. Nun kann es passieren, dass er nach dem Muster abitare-habitare in seiner Abschrift hyperkorriert: *Hagricola *hagrum *harat.
 
Nun haben aber Tacitus und Plinius nicht Pompeii-Straßenslang gesprochen, sondern klassisches Latein, dass sich zwar schon etwas verändert hatte, aber nicht beim 'H'. Dies war ja geradezu Kennzeichen der Oberschicht, an dem man die Zugehörigkeit erkennen konnte. Über solche Fehler wurde gespottet. Plinius war zudem selbst in Germanien und zu den Quellen des Tacitus gehörten sehr sicher germanische Gesandte. Angesichts dessen, dass auch das Griechische zur Ausbildung gehörte, konnten sie zwischen unterschiedlichen Sprachen differenzieren. Daher ist die Hyperkorrektur von Berichten von Zenturionen und Kaufleuten aus der Unterschicht eher unwahrscheinlich, insbesondere, da die Statthalter selbst zu berichten pflegten. Es sei nur an Caesar erinnert.

Aufgrund der leicht unterschiedlich überlieferten Formen sind die Quellen hier auch nicht voneinander abhängig, was einen Fehler noch unwahrscheinlicher macht.
 
Nun haben aber Tacitus und Plinius nicht Pompeii-Straßenslang gesprochen, sondern klassisches Latein,
Sie haben es geschrieben. Genauso, wie wir nicht schreiben wie wir sprechen, müssen wir das auch bei Tacitus und Plinius unterstellen. Dass sie sicherlich ein gepflegteres Latein sprachen, als ein Bordellbesucher in Pompei, ist auch klar.

Wie gesagt, ich glaube an keine Hyperkorrektur bzgl. der Hermionen. Ich zeige bloß eine Möglichkeit auf.
 
Nein, sie haben es auch gesprochen. Es gibt dazu genügend Zeugnisse für die Oberschicht. Umstritten ist, ob sie es erst als Zweites lernten, was wegen der Aussprache eher zu bezweifeln ist. Es gibt mehrere Zeugnisse, dass man gerade daran die Herkunft erkannte. Und dazu muss man eine Aussprache schon als Kleinkind lernen. (Natürlich könnte man sich darüber streiten, wie die Entwicklung zeitlich verlief.)

Aber ja, als bedenkenswerte Möglichkeit lehne ich die Theorie nicht ab. Genau können wir es nicht wissen. Es erscheint mir nur sehr unwahrscheinlich.
 
Meinst du evtl. Catull? Das wäre nämlich genau umgekehrt, der macht sich über exaltierendes hyperkorrigierendes -h- lustig:
«Chommoda» dicebat, si quando «commoda» vellet
dicere, et «insidias» Arrius «hinsidias»,
et tum mirifice sperabat se esse locutum,
cum, quantum poterat, dixerat «hinsidias».
 
Das ist nicht relevant, da es nicht um ein Wort einer anderen Sprache geht. Das 'H' war in diesem Fall auch nicht problematisch in der Aussprache.

Was fällt mir an Beispielen ein? Aus der Spätantike natürlich Severin. Peter Heather müsste in Der Untergang des Römischen Weltreichs Beispiele zu verschiedenen Zeiten bringen. (Ich habe gerade nur meine Erinnerung zur Verfügung.)

Viele werden zu seiner Zeit kein besseres Latein als Tacitus geschrieben haben. Das kommt für mich noch hinzu. Oder gibt es Beispiele, dass er zu viele 'H's setzte?
 
Viele werden zu seiner Zeit kein besseres Latein als Tacitus geschrieben haben. [...] Oder gibt es Beispiele, dass er zu viele 'H's setzte?
Ich habe mich weder für das eine noch für das andere stark gemacht.

Die Frage ist aber, woher Pomponius, Plinius und Tacitus ihre Schreibweise von Hermionen hatten. Plinius war der einzige der drei, der jemals in Germanien war. Allerdings wissen wir auch, dass er Pomponius oder gemeinsame Quellen nutzte. (Angeblich soll er in der NH Pomponius als Autorität gerühmt haben, aber eine solche Stelle finde ich nirgends.) Von Tacitus hingegen wissen wir selber, dass er Plinius nutzte (Tac. ann. I, 69; XIII, 20; XV, 53; hist. III, 28) und vom jüngeren Plinius, dass Tacitus großes Interesse am älteren Plinius hatte (Plin. Min. epis. VI, 16; 20) So ließ er sich beispielsweise von Plinius (d.J.) den Vesuvausbruch und die Rolle des Onkels (P.d.Ä.) der auf Forschungs- und Rettungsmission nach Pompei eilte, schildern. Insofern könnte ein zu Herminones hyperkorrigiertes Erminones tatsächlich zu Pomponius und von diesem zu Plinius und von dort wiederum zu Tacitus gelangt sein.
 
Ich möchte noch ergänzen, dass, egal ob Hermiones, Ermiones oder was auch immer, das nur das ist, wie es die Römer verstanden und (unter Verpassung einer lateinischen Endung) in ihrer Schrift wiedergegeben haben. Wie es die Germanen tatsächlich gesprochen haben, ist noch einmal eine andere Frage. Möglicherweise war da schon nicht so eindeutig, ob ein h gesprochen wurde oder nicht. (Ich verweise nur auf unser "stummes" h, das trotzdem oft gesprochen wird.)
 
Allerdings ist Hermiones und Herminones überliefert, wodurch zumindest 2 unabhängige Quellen sicher sind. (Von den Hermunduren schweige ich mal.) Und stehen bei Tacitus nicht an verschiedenen Stellen beide Versionen? (Ich bin da gerade nicht sicher.)

Wenn es mit 'H' übernommen wurde, ist die Aussprache mit 'H' wahrscheinlicher, da es ja auch im Lateinischen eine Tendenz weg vom 'H' gab.

Darüber, dass das alles nicht sicher ist, können wir, denke ich Einigkeit erzielen. Ich selbst halte die Herminonen mit 'H' für wahrscheinlicher.

@Haerangil: Wie Du siehst lässt sich darüber auch dann noch diskutieren, wenn alle Seiten anerkennen, dass es nicht endgültig zu entscheiden ist.
 
Die Varianz Herminones - Hermi_ones erklärt sich am besten mit nicht mit kopierten Kürzungszeichen, also einem <-ī-> für <-in->.
 
@Riothamus

Ja ich sehs. Allerdings hilft uns das beim Irminsul-Thema auch nicht mehr weiter, die Herminones hab ich ja eher nebenbei genannt. Selbst WENN wie Grimm meinte das H nur eine zugefügte Aspiration war hilft uns ein etymologischer Zusammenhang der Herminones mit Irminsul/Jörmunr nicht weiter... ihr Name könnte selbst dann auch einfach nur "Grosses Volk" bedeutet haben, ohne dass es irgendeinen Gott namens Irmin der mit der Irminsul verehrt wurde gegeben haben muss.Die gleichnamige Figur auf in der fränkischen Völkertafel dient auch weniger als Beweis, es könnte sich um eine Neubildung nach dem Vorbild antiker Ethnographie gehandelt haben.

Ich wollte eigentlich wirklich nur auf den Zusammenhang "Grosse, volllkommene Säule" und "ColumNa Universalis" hinaus...
 
Rudolf von Fulda hat überhaupt als erster mit seiner "Translatio Alexandri" (ab 863 bis zu seinem Tode 865, vervollständigt von Meginhard) angelehnt an Tacitus eine verwertbare Stammesgeschichte der Sachen geschrieben. Vorher gab es keine heute noch existierenden Beschreibungen der Sachsen, abgesehen von Erwähnungen in fränkischen Quellen im Zusammenhang mit anderen Ereignissen. Dort wird aber nirgends etwas von sächsischen und anderen germanischen Heiligtümern in Form von Irminsäulen gesagt.
Hat Rudolf von Fulda etwa die Irminsul erfunden oder sich aus der Germania des Tacitus zusammengereimt?

Rudolfs Beschreibung erinnert sehr stark an die Beschreibung germanischer Heiligtümer bei Tacitus.

Tacitus: Übrigens finden sie es der Größe der Himmlischen nicht angemessen, die Götter in Tempelwände zu bannen oder sie irgendwie menschlichen Zügen ähnlich darzustellen. Haine und Waldtriften betrachten sie als heilig und bezeichnen mit dem Namen Gottheit jenes Geheimnisvolle Etwas, das sie einzig mit dem Auge der Andacht schauen.

Rudolf: Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Baumstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch ,columna universalis‘ [dtsch. All-Säule] bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.

Im Wortlaut durchaus unterschiedlich beschreiben beide Autoren doch durchaus ähnliches.

Natürlich könnte man jetzt anmerken, dass hier doch eine Kontinuität in einer germanischen Religion über ca. 700 Jahre bestehen könnte. Rudolf hat das ja auch genauso so gemeint, sonst hätte er ja nicht bei Tacitus an anderer Stelle im gleichen Werk direkt bei Tacitus abgeschrieben.

Dagegen spricht allerdings, dass sich die Germanen durchaus weiter entwickelt haben. Gerade für den angelsächsischen Raum gibt es historische Beschreibungen und archäologische Funde von Tempeln und Kulthallen. Das in der angelsächsische Kulthalle von Yeavering gefundene gigangtische Pfostenloch eines mutmaßliche Pfahlidols aus dem 6. oder 7. Jahrhundert wird heute oft mit Irminsul verglichen. Ein fundamentaler Unterschied ist jedoch, dass sich der angelsächsische Kultpfahl innerhalb der Halle befand.
 
Tacitus hat nur die sagenhaften autochtonen Hermiones erwähnt, die irgendwie von den Göttern Mannus und Tuisto abstammen.
In der sogenannten Fränkischen Völkertafel heißen sie bereits Irmiones und ihr Stammvater heiße Erminus. Der Autor der Fränkischen Völkertafel hat ca. 500 n. Chr. bei Tacitus abgeschrieben.
Rudolf von Fulda hat im 9. Jahrhundert bei Tacitus abgeschrieben, Irminsul erwähnt und erklärt, Irminsul sei sächsisch und bedeuete große Säule.

Aber es kommt noch besser:
Widukind von Corvey (10. Jahrhundert) erwähnt den sächsischen Kriegsgott Hirmin, und dieser sächsische Mars habe ursprünglich Hermes geheißen, weil die Sachsen doch von den Griechen abstammen. Neben dem Kriegsgott Hirmin wird noch der Gott Sol, der dem griechische Apollo entspreche, genannt. An gleicher Stelle erwähnt Widukind auch noch eine Nachbildung Säulen des Herkules, die zu diesem sächsisch-griechischen Kult gehöre. Zugetragen haben soll sich dieses heidnischen Spektakel nach dem legendären Sieg der Sachsen über das Thüringer Reich 531 n. Chr.
Und wenn man alles zusammenzählt hat man einen griechisch-sächsische Doppelgottheit Hirmin-Sol, der mit einer Nachbildung der Felsen von Gibraltar (= zwei Säulen des Herkules) verehrt wird.
Plötzlich sind die Säulen aus Stein oder Fels. Davon hat aber Tacitus wirklich gar nichts ahnen können.;)

Welche Version ist jetzt besser?:p
Tacitus: Die Hermionen stammen von irgendwem ab. Die Germanen haben keine Tempel und beten Bäume an.
Völkertafel: Die Irmionen stammen von Erminus ab.
Rudolf: Irminsul bedeutet große Säule. Die Sachsen haben keine Tempel und beten Holzsäulen an.
Widukind: Die Götter heißen Hermes und Sol, ihr Kultbild sieht aber aus wie die Säulen des Herkules.
 
Wir finden sie dennoch bereits im 8. Jhdt. in den annalistischen Quellen, welche die Eroberung Eresburgs erwähnen.
In den Annalen ist Ermensula aber noch keine Säule, sondern ein "Ort" (= locus).
Das Ermensula der Annalisten hat auch erstmal nichts mit einer Gottheit oder einem Abstammungsmythos zu tun.

Es gab mindestens ein seltsames, sächsisches Wort das durch mittelalterliche Kleriker als Ermensula, Irminsul oder eben Hirmin und Sol transkribiert wurde.

Erst Rudolf von Fulda überliefert eine sehr einfache etymologische Deutung von Irminsul als "columna universalis". Und schon wird aus dem Ort eine Säule.
Folgt man jedoch Widukind von Corvey, so würden die Sachsen das seltsame Wort "Hirmin" auch noch im 10. Jahrhundert (hodie) sprichwörtlich gebrauchen - ohne allerdings die Bedeutung zu kennen.
Seltame Worte mit der kryptischen Vorsilbe wie "irmindeot", "irmingot" oder "irminman" sind tatsächlich aus den altsächsischen und althochdeutschen Quellen bekannt. Welcher Gott oder Teufel mit irmingot im Hildebrandslied gemeint ist, ist völlig uneindeutig. Es scheint so eine Art sprichwörtliche Anrufung zu sein, bedeutet vielleicht schlicht "großer Gott" oder freier übersetzt "Oh Gott oh Gott" oder "Ach Gottchen". Vielleicht geht es das Wort irmindeot tatsächlich etymologisch auf das von Tacitus überlieferte Wort Hermiones zurück, das irgendeine Gruppe sagenhafter Abstammung bezeichnet.

Für das Hildebrandslied wird vermutet, dass es im 9. Jahrhundert im Kloster Fulda aufgeschrieben wurde. Die überlieferte Handschrift der Germania des Tacitus wurde vermutlich im 9. Jahrhundert geschrieben und im nahen Hersfeld entdeckt. Rudolf von Fulda wird die hessischen Klosterbibliotheken sicherlich besser gekannt haben als die reale Geografie Engerns oder die seinerzeit bereits untergegangene heidnische Religion der Sachsen.

Das Altsächsische Taufgelöbnis scheint mit eine glaubhaftere Quelle für die religiöse Vorstellungen der heidnischen Sachsen zu sein. Dort gibt es aber gar kein Ermensula, Hirmin Sol oder Irminsul, sondern nur Woden, Thunaer und Saxnot. Diese angebliche Säule wird aber auch erst bei Widukind zum Namen eines griechisch-sächsischen Gottes.

Ob die sagenhafte Säule aus Holz oder Stein war und ob die Sachsen von den Griechen oder den Hermionen abstammen, ist eine Phantasterei frühmittelalterlicher Mönche.
 
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In den Annalen ist Ermensula aber noch keine Säule, sondern ein "Ort" (= locus).
Das gilt nur für die Petauer Annalen. Wenn der Begriff Irminsûl näher erklärt wird, dann wird sie meist als fanum 'Heiligtum' bezeichnet.

Es gab mindestens ein seltsames, sächsisches Wort das durch mittelalterliche Kleriker als Ermensula, Irminsul oder eben Hirmin und Sol transkribiert wurde.
Wieso denn jetzt Sol? -sûl: Säule

Erst Rudolf von Fulda überliefert eine sehr einfache etymologische Deutung von Irminsul als "columna universalis". Und schon wird aus dem Ort eine Säule.
Siehe oben. Meist wird sie als fanum bezeichnet, unklar bleibt, ob dieses Heiligtum inner- oder außerhalb der Eresburg lag.
 
In den Annalen ist Ermensula aber noch keine Säule, sondern ein "Ort" (= locus).
Das Ermensula der Annalisten hat auch erstmal nichts mit einer Gottheit oder einem Abstammungsmythos zu tun.
Also in den Reichsannalen steht: "Et inde perrexit partibus Saxoniae prima vice, Eresburgum castrum coepit, ad Ermensul usque pervenit et ipsum fanum destruxit et aurum vel argentum, quod ibi repperit, abstulit. Et fuit siccitas magna, ita ut aqua deficeret in supradicto loco, ubi Ermensul stabat; ..." also: "gelangte bis zur Ermensul und zerstörte das Heiligtum selbst" und "am obengenannten Ort, wo die Ermensul stand".

Und in den Einhardsannalen: "... idolum, quod Irminsul a Saxonibus vocabatur, evertit", also: "zerstörte das Götzenbild, das von den Sachsen Irminsul genannt wurde".
 
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