Messiaserwartung: Wie viel Konkurrenz hatte Jesus?

Aleph

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Weiß man, wie groß in etwa die Zahl der Personen ist, die zu Lebzeiten Jesu Christi den Messiastitel oder die Gottessohnschaft für sich beansprucht haben? War das ein Ausnahmeereignis? Oder gab es da eine größere Gruppe von Anwärtern? Der common sense sagt mir zumindest, dass eine Nachfrage üblicherweise ein Angebot erzeugt.
 
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Johannes der Täufer könnte ein heißer Kandidat sein. Die Mandäer sehen in ihm den wahren Messias. In vielen christlichen Kirchen gilt er als Vorreiter von Jesus Christus. Im Koran ist er der drittletzte Prophet, der vorletzte ist Jesus und der letzte Mohammed.
Er ist außerhalb der Bibel durch Flavius Josephus quellenmäßig verbürgt.

Vielleicht könnte sich auch Simon Bar Kochba (wörtlich wohl Sohn des Sterns oder Lichts) bewerben.
 
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Und bei Flavius Josephus ist noch eine Reihe anderer verbürgt, teilweise eher in einem Nebensatz. Ob er Jesus erwähnte und die Stelle in christlicher Zeit nur verfälscht wurde oder ob sie komplett eine christliche Einfügung darstellt wird immer mal wieder diskutiert. Vielleicht ist die Frage hier in einem entsprechenden Thread schon mal behandelt worden, ohne dass ich mich jetzt daran erinnere.
 
Ein common sense würde hier eher dafür sprechen, dass die Nachfrage ein Angebot schafft.:devil:

Aber im Ernst:

Es dürfte reichlich gegeben haben, wenn man die Hinweise in den Quellen deutet. Messianismus (der kommende gesalbte König, charismatische Befreier, Führer der zwölf Stämme und des Widerstandes gegen römische Besatzungsmacht), Prophetentum, Endzeit- und Erlöservisionen jeder Art kann man hier wohl zusammenfassen.

Einen Überblick dazu gibt:
Horsley/Hanson: Bandits, Prophets, and Messiahs: Popular Movements at the Time of Jesus
https://books.google.ch/books?id=0m...=gbs_selected_pages&cad=2#v=onepage&q&f=false

Und speziell zum Messianismus als politischen und ideologischen background der Revolte 66:
Levine, Messianism in the latter days of the Second Temple. In: Messianism and Eschatology, S. 146.

Heranziehen lassen sich auch die zeitgenössischen Qumran-Quellen über die Messias-Erwartungen und über "falsche Propheten".
 
Der common sense sagt mir zumindest, dass eine Nachfrage üblicherweise ein Angebot erzeugt.
...die Fragestellung im Titel und das ökonomisch orientierte Zitat legen mir nahe zu vermuten, dass dieser Faden aus dem Geist von "Life of Brian" gespeist ist?... :D
Informative Literatur hat silesia aufgezählt.
 
Besten Dank für die Antworten, werde mich mal etwas einlesen.

Joa, einige Szenen aus "Brian" kamen mir bei der Frage auch in den Sinn, war allerdings nicht der Anlass für die Frage. :scheinheilig:
 
Die Publikation von Horsley/Hanson ist sehr zu empfehlen, und wird auch häufig in historischen Studien zu diesem Kontext zitiert.

Was war denn der Anlass, oder der Hintergrund der Frage?
 
Zwischen Jesus und Simon ben Kosiba liegen ja knapp 100 Jahre. Eine direktere Konkurrenz war meiner Auffassung nach der Täufer, der dann allerdings von den Evangelisten, meiner Meinung nach mit dem Ziel, die Anhänger des Täufers auf die Seite der Christen zu ziehen, als Cousin Jesu vereinnahmt und dessen letzter Prophet stilisiert wurde.

Mehr dazu hier: http://www.geschichtsforum.de/f30/die-rolle-des-t-ufers-44689/
 
Und bei Flavius Josephus ist noch eine Reihe anderer verbürgt, teilweise eher in einem Nebensatz.
Theudas und Judas der Galiläer werden erstaunlicherweise auch in der Apostelgeschichte 5, 36 -37vor.
Besonders hervorgehoben wird dort die Zahl der Anhänger und ihre Niederlage und die "Zerstreuung" ihrer Anhänger. So soll Theudas nach dieser Bibelstelle 400 Anhänger gehabt haben, die jedoch nach dem gewaltsamen Tod des Theudas schnell wieder zerstreut wurden.

Der quantative Unterschied zur Jesus-Bewegung ist jedenfalls gewaltig. Zu Lebzeiten hatte er angeblich nur 12 Jünger. Ein einziger Wanderprediger am Kreuz und ein Hand voll weitgehend friedlicher Jünger waren wahrscheinlich unter dem Aufmerksamkeitsradar der meisten Zeitgenossen.
 
Gemäß Lukas 10,1 wählte Jesus 72 "andere" Jünger aus und schickte sie vorübergehend auf Mission. ("Andere" als die 12 Apostel.) D. h. es müssen insgesamt noch mehr als diese 72+12 gewesen sein, sonst hätte Jesus nicht wählen können. Dazu kamen dann noch einige Frauen.
Die bekannten "12 Apostel" waren nur der innerste Zirkel.
 
Die 72 könnte allerdings auch durch ihre Bedeutung in den Text geraten sein. Das habe ich aber nicht mehr so genau im Kopf, aber da gab es irgendeinen Bezug zum AT, wie für alle Zahlen bis 150 (Psalme) oder bis 613 (Gesetz*). Für eine gewisse Bedeutung der Gruppe spricht aber auch, dass die Schriftgelehrten sich bemüßigt fühlten, Jesus zu testen. Nach der Bibel haben sie ihn anerkannt. Als was, ob als einen der ihren (von mir bevorzugt), als Lehrer oder Rabbi gar (ja früh, aber nicht zu früh) oder nur als - im Gegensatz zu Scharlatanen - auf dem Boden der jüdischen Lehre stehend, kann natürlich diskutiert werden. Es wurde geschrieben, dass die Stelle verfälscht ist, was im Umkehrschluss diese Überprüfung an sich bestätigen würde.

*Ich bin nicht ganz sicher wann eine Zählung eingeführt wurde, die berühmten 613 sind aber sowie eher symbolisch zu verstehen: Hier bei mir für diverse andere bezifferbare Zusammenhänge.
 
Die 72 könnte allerdings auch durch ihre Bedeutung in den Text geraten sein.
70 oder 72, da gibt es unterschiedliche Versionen. Zu beiden Zahlen lassen sich irgendwelche Parallelen finden.

Symbolträchtiger dürfte jedenfalls die Zahl der zwölf Apostel zu sein, die wahrscheinlich die zwölf Stämme Israels repräsentieren.
 
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Gemäß Lukas 10,1 wählte Jesus 72 "andere" Jünger aus und schickte sie vorübergehend auf Mission. ("Andere" als die 12 Apostel.)

Die Evangelien sind wohl primär nicht als (im heutigen Sinne) historische Doku oder historisch exakter Bericht über Jesu Wirken und Leben verfasst worden, wohl auch nicht als eigener Augenzeugenbericht, bei Lukas offenkundig. Und wie Rio schon anmerkte, sind solche 'geraden' Zahlen wie 72 meist auch tradierter symbolischer Bedeutung. 72 ist das Produkt aus 6x12...
In der Apg. 5, 36-37, 'ungefähr 400 Männer', eine offenkundige Schätzung.
 
Dass die Zahl 72 (oder 70) symbolische Bedeutung hat, erscheint mir plausibel. Ich vermute es allerdings eher anders herum als (anscheinend) Ihr: Nicht der Evangelist hat die Zahl wegen ihrer Symbolik nachträglich für einen in Wahrheit unbestimmt großen Haufen gewählt, sondern Jesus selbst hat, eben wegen der Symbolik, so viele Jünger ausgewählt, so wie wohl auch bei der 12er-Zahl der Apostel.
 
Nicht der Evangelist hat die Zahl wegen ihrer Symbolik nachträglich für einen in Wahrheit unbestimmt großen Haufen gewählt, sondern Jesus selbst hat, eben wegen der Symbolik, so viele Jünger ausgewählt, so wie wohl auch bei der 12er-Zahl der Apostel.

Letzteres ist Glaubenssache, wenngleich historisch ziemlich unwahrscheinlich....Wie schon bemerkt, sind die Evangelien samt Lukas keine im heutigen wie auch damaligen Sinne historisch exakt gemeinte Berichte.

Die Stuttgarter Erklärungsbibel (1992) notiert zur Zahl 72, dass jene Zahl nach dem griechischen Text von 1. Mose 10 die Anzahl aller Völker auf der Erde ist, im hebräischen Text sind es 70. Auch diese beiden Zahlenangaben meinen keine historisch sinnvolle und zutreffende 'Völkeranzahl'.

Der Kommentar der Neuen Jerusalemer Bibel zu Lukas 10, 1f.:
Die von Mt und Lk benützte Spruchsammlung enthielt eine Aussendungsrede parallel zu der von Mk 6, 8-11. Während Mt diese beiden Fassungen zu einer einzigen Rede zusammenfügte, 10, 7-16, hat Lk sie getrennt beibehalten. Die eine der zwei Reden richtet sich an die Zwölf, die Zahl für Israel, und die andere an 72(oder 70) Jünger, traditionelle Zahl für die Heidenvölker. Vgl. die beiden Brotvermehrungen, Mt 14, 13+.
 
Es wird massenhaft Propheten wie Jesus gegeben haben, der Unterschied zwischen den ganzen anderen (außer mit den Mandäern mit JOhannes dem Täufer) ist wahrscheinlich der, dass die Jesus-Bewegung nach seinem Tod erst richtig begann.

Jesus hatte mehr als 12 Jünger, vielleicht waren sowieso die meisten seiner Anhänger Frauen, die wenn sie nicht grade Maria Magdalena heißen, nur erwähnt werden, als Frauen die halfen.
 
Vergessen wir nicht, dass sich Jesus in der Schrift und damit auch mit ihrer Symbolik auskannte. Damit ist es nicht auszuschließen, dass er bewusst solche Zahlen benutzte. Hier ergibt sich dann allerdings die Frage, ob die Aussendung symbolisch war. (Es ist natürlich auch von Bedeutung für die Diskussion um Heidenchristen in der Apostelgeschichte. Und hier wird dann die Frage nach dem Ursprung der Zahl entscheidend: Von Jesus gewählt oder aus der Auseinandersetzung innerhalb der Christen in den Text übernommen.)
 
Vergessen wir nicht, dass sich Jesus in der Schrift und damit auch mit ihrer Symbolik auskannte.

Mit welcher 'Schrift' kannte er sich aus? Und wie weit ging seine Kenntnis?

Symbolik: Es gibt anscheinend viele Textzeugen mit der Überlieferung der Zahl 70 (nach der Anzahl der Völker im hebräischen Text von 1. Mose 10), die Mehrheit mit der Zahl 72, entsprechend der Anzahl der Völker im griechischen Text von 1. Mose 10. Wird zumindest in der Stuttgarter Erklärungsbibel (1992) notiert....;) Wohlgemerkt, wir sprechen hier schon nur von der Überlieferung dieser Lukas-Stelle.

Was hat nun Jesus angeblich nach der tradierten, ihm angeblich selbstverständlich bekannten Symbolik der Zahlen getan? 70 oder 72 Jünger ausgesendet?

Es wird damit zudem meiner eigenen kleinen Erfahrung mit wissenschaftlichen Kriterien zumindest so des Mainstreams der letzten Jahrzehnte kaum eine im heutigen Sinne kritisch-historisch gesicherte, exakte Anzahl ableitbar sein.

Zum Abschluß empfehle ich Beitrag 4 von Silesia...
 
Wie ich schon schrieb: Symbolische Benutzung der Zahl ist gut möglich. (Heißt: "Ich sende diese x Jünger aus.", aber es machen sich x+a auf den Weg.) Zur Problematik der genauen Anzahl, ob 70 oder 72, habe ich mich nicht geäußert. Ob es je nach Übersetzung angepasst wurde oder ein Zeichen für die bloße Einfügung durch Lukas ist, können wir nicht sagen. Letzteres als Möglichkeit habe ich ausdrücklich erwähnt. Es ist zur Interpretation auch nicht wichtig, ob 70 oder 72. Hätte man ihn gefragt, hätte er wohl unwillkürlich die Zahl genannt, die in der Thorarolle der Synagoge seiner Kindheit stand, wie wir es alle in ähnlichen Fällen mit aus der Kindheit gewohnten Informationen tun. (Ja, ich setze Hebräischkenntnisse voraus: s.u. Nazareth war ja gerade nicht für seine Graeculi bekannt.)

Eines der Dinge, die die Evangelien bezeugen, ist, dass er darin bewandert war die Schrift auszulegen. Entweder wir akzeptieren das grobe Bild, wo dem nichts entgegen steht, oder wir verwerfen die Evangelien als Quelle komplett. Etwas schwieriger ist es mit der Akzeptanz durch die Schriftgelehrten. Ich sehe es als wahrscheinlich an, dass jene Überprüfung nicht aus der Luft gegriffen ist. Wie dem auch sei, wird er den Genesistext in seinem Leben regelmäßig gehört haben, auch wenn er nur religiös interessiert war.

Klar, seit Jahrzehnten wird behauptet, es sei unklar, ob er Lesen konnte, was aber für religiöse Juden zumindest prinzipiell schon damals Pflicht war.
 
Wenn man nach der Bibel geht, konnte Jesus schon lesen. In Lukas 4,16-20 wird ausdrücklich erwähnt, dass er in der Synagoge aus dem Buch Jesaja vorlas.

Aber auch wenn man das als unzuverlässige Quelle verwirft und annehmen will, dass Jesus nicht lesen konnte: Als Synagogenbesucher sollte ihm die Tora trotzdem vertraut gewesen sein. (Auch heute kennen Menschen, die die Bibel nie selbst gelesen haben, aber regelmäßig die Kirche besuchen, dennoch zumindest die wichtigsten Stellen der Evangelien.) Wenn man Jesus jegliche Bildung in Sachen "Schrift" absprechen will, müsste man auch noch verwerfen, dass er die Synagoge besuchte.

Was würde dann noch bleiben? Wie sollte jemand, der keine Ahnung von der "Schrift" hat, überhaupt erfolgreich als Prediger auftreten und ernstgenommen werden können?
 
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