Scheiterte die "Ostpolitik" des HRR?

Unter Boleslaw Chrobry zum Beispiel entstand ja ein starkes polnisches Reich, wie konnte das geschehen? Hatten die Polen einfach Glück, oder war das Heilige Römische Reich zu zersplittert und mit internen Machtkämpfen beschäftigt?
Boleslaw Chrobry profitierte im Wesentlichen von der Schwäche seiner Nachbarn. Sowohl Böhmen (wobei er Böhmen selbst aber nur kurz kontrollieren konnte) als auch das Großfürstentum Kiew wurden zu seiner Zeit zeitweise von Thronstreitigkeiten heimgesucht und geschwächt. Außerdem schaffte er es, sich mit dem etwas schwärmerisch veranlagten Otto III. gut zu stellen, u. a. indem er das Christentum (römisch-lateinischer Provenienz) mitsamt der Verehrung des von Otto verehrten Märtyrers Adalbert aktiv förderte.
 
Boleslaw Chrobry profitierte im Wesentlichen von der Schwäche seiner Nachbarn. Sowohl Böhmen (wobei er Böhmen selbst aber nur kurz kontrollieren konnte) als auch das Großfürstentum Kiew wurden zu seiner Zeit zeitweise von Thronstreitigkeiten heimgesucht und geschwächt. Außerdem schaffte er es, sich mit dem etwas schwärmerisch veranlagten Otto III. gut zu stellen, u. a. indem er das Christentum (römisch-lateinischer Provenienz) mitsamt der Verehrung des von Otto verehrten Märtyrers Adalbert aktiv förderte.

Das ist interessant. Wie gelang es ihm denn sich mit Otto III. gut zu stellen? Er hatte ja ein Heer des Hrr geschlagen...wurde die Erinnerung daran wirklich so schnell getilgt? Ich mein bei Thietmar von Merseburgs Chronik kommt er auch nicht so gut weg...
 
Die treibende Kraft hinter der Ostpolitik des HRR war die Christianisierung, also das Papsttum, dessen Schutzmacht die deutschen Kaiser waren – Zitat (alle hervorhebungen von mir):

Bonifatius betrachtete das keltische Christentum als ungenügend und verlangte ihre Unterwerfung unter Rom. Keltische Geistliche, die nicht dem Papst unterstellt waren, bezeichnete er als falsche Propheten, Götzendiener und Ehebrecher (da sie als Geistliche verheiratet waren).
(...)
Die Sachsen wurden im 8. und 9. Jahrhundert durch Karl den Großen teilweise gewaltsam zum Christentum gebracht. Karl besiegte um 800 die Sachsen in Norddeutschland und erließ in der Capitulatio de partibus Saxoniae Vorschriften wie z. B.:
(...)
Die Ottonen wurden anschließend im 10. Jahrhundert eine starke Stütze des westeuropäischen Christentums. Der Nordosten Deutschlands kam erst im 10. Jahrhundert zum Christentum.


Böhmen wurde in erster Linie von Deutschland her missioniert. Im 10. Jahrhundert war Wenzel von Böhmen ein christlicher Herrscher, der von seinem heidnischen Bruder Boleslav I. ermordet wurde. Dessen Sohn, Boleslav II. förderte allerdings wieder aktiv das Christentum, gründete Klöster und baute Kirchen, und vervollständigte die nominelle Christianisierung Böhmens.

Die Völker des Baltikums, die Prußen, Letten und andere baltischen Stämme, sowie die Esten und Wenden wurden erst im 10. bis 13. Jahrhundert im Zuge der deutschen Ostsiedlung zwangschristianisiert, wobei das Großfürstentum Litauen nicht erobert werden konnte und sich erst Ende des 14. Jahrhunderts zum Christentum bekehrte.

Und warum das Ganze? Weil die katholische Kirche im Wettrennen mit der orthodoxen Kirche stand, die 988 die Kiewer Rus zum Christentum bekehrte – Zitat:

… und machte Kiew zur fürstlichen Residenz der Rus. 988 initiierte der Großfürst Wladimir I. den Übertritt der bis dahin heidnischen Rus zum orthodoxen Christentum byzantinischer Prägung. Dieser Akt war durch eine Massentaufe der Kiewer Bevölkerung im Dnepr und den Sturz der alten Götzen in den Fluss gekennzeichnet. Unter Wladimirs Sohn Jaroslaw dem Weisen wurde Kiew stark ausgebaut. Neben zahlreichen neuen Kirchen und Klöstern wurde die erste ostslawische Bibliothek gegründet. Die aktive Heiratspolitik und der Ausbau der Stadt machten sie in ganz Europa bekannt. Damit erreichte Kiew im 11. und 12. Jahrhundert den Höhepunkt seiner Entwicklung und wurde eine der größten Städte Europas.

Zwei Jahrzehnte davor ließ sich auch der polnische Fürst Mieszko I. – Zitat:

… am 14. April 966 taufen. Seit 962 hatte er die Stämme in der historischen Region Großpolens vereint und vermutlich nach Wegen der Stabilisierung seines Machtbereiches gesucht. Ausschlaggebend für den Schritt zur Konversion dürfte auch die zuvor vollzogene Heirat mit der böhmischen Prinzessin Dubrawka gewesen sein, einer getauften Christin.

Die hierarchische Struktur der christlichen Kirche ermöglichte Mieszko I. letztlich, seinen Einfluss in der Gesellschaft zu stärken. Die bisherige pagane slawische Religion konnte dies nicht leisten. Aber die Abkehr von den alten Göttern konnte auch Legitimationsprobleme mit sich bringen, da die Verbindung zu den Ahnen damit abgeschnitten wurde. Der Übertritt zum Christentum brachte Mieszko I. und seinen Nachfolgern auch die Gleichstellung mit anderen westlichen Herrschern und ermöglichte damit bessere staatliche Beziehungen.
(…)
Die durch Mieszko I. begonnene Christianisierung, durch seine Nachfolger fortgeführt, war erfolgreich: Bis zum 13. Jahrhundert war das römisch-katholische Christentum überall in Polen verbreitet und wurde zur dominierenden Religion des Landes. Norman Davies bewertet die Annahme des römisch-katholischen Christentums als „das bedeutendste Ereignis der polnischen Geschichte“


Der Frieden mit Mieszko I war aber nicht von Dauer, denn die Bevölkerung „Deutschlands“ wuchs von Anfangs 4 Millionen auf 12 Millionen, was die Binnenmigration, die bessere Landwirtschaft und die Erschließung der Almen nicht auffangen konnte – Zitat:

Unter den Ottonen und Saliern wurden Unterwerfungsfeldzüge jenseits der östlichen Reichsgrenzen geführt.
(…)
Die Christianisierung beschränkte sich auf massenhafte Zwangstaufen und die Errichtung von Missionsbistümern wie Oldenburg, Brandenburg oder Havelberg. Die Entwicklung eines Pfarrkirchensystems erfolgte erst mit der Ansiedlung deutscher Kolonisten ab der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts.
(…)
Ein erster Ansatz zur Besiedlung des Landes östlich der Saale findet sich in dem umstrittenen Aufruf zum Kampf gegen die Wenden (epistola pro auxilio adversos paganos slavos, 1108), der vermutlich aus dem Magdeburger Raum stammte und den Kreuzzug gegen die Heiden erstmals mit der Aussicht auf lohnende Landgewinne für Neusiedler verband. Allerdings blieb der Aufruf ohne erkennbare Wirkung; weder erfolgten Kriegszüge gegen die Wenden noch eine Besiedlung ihrer Gebiete. (...) Eine bedeutende Etappe war der militärisch nur bedingt erfolgreiche Wendenkreuzzug von 1147, ein Nebenunternehmen des Zweiten Kreuzzugs. Ihm folgte 1157 die Eroberung der Mark Brandenburg. Im 12. Jahrhundert wurde auch die Mark Meißen von Deutschen besiedelt. Ein weiteres Siedlungsgebiet entstand in Siebenbürgen. Vom ausgehenden 12. Jahrhundert an wurden in Pommern, der Mark Brandenburg, Schlesien, Böhmen, Mähren (...) und den östlichen Gebieten Österreichs Klöster und Städte angelegt. Im Baltikum wurde im beginnenden 13. Jahrhundert von den Deutschordensrittern ein eigener Ordensstaat gegründet.

(...)
Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert hatte die Bevölkerung in Deutschland von etwa vier auf 12 Millionen zugenommen.
(...)
Weitere Faktoren waren laut Robert Bartlett ein Überschuss an nicht erbberechtigtem Nachwuchs des Adels, dem nach dem Erfolg des Ersten Kreuzzugs die Chancen zum Erwerb neuer Ländereien nicht nur im Heiligen Land, sondern auch in den Peripherieregionen Europas deutlich vor Augen stand.

Das dürfte fürs erste reichen. ;)
 
Die treibende Kraft hinter der Ostpolitik des HRR war die Christianisierung, also das Papsttum, dessen Schutzmacht die deutschen Kaiser waren
Das klingt ja so, als wäre das HRR nur ein Handlanger des Papsttums gewesen. Komplizierter war es schon, da erstens die Könige und Fürsten des HRR auch eigene Interessen verfolgten und zweitens so manche Päpste vielmehr unter der Fuchtel weltlicher Herrscher standen. Außerdem hatten auch Slawenfürsten des Ostens selbst ein Interesse an der Christianisierung, u. a. weil die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft ihre Position gegenüber anderen christlichen Herrschern stärkte (z. B. indem sie und ihre Untertanen nicht mehr heidnisches Freiwild waren) und ihnen im Idealfall sogar eine - vom Papst und den christlichen Monarchenkollegen anerkannte - Rangerhöhung (z. B. Königswürde) einbrachte. Absoluten Schutz vor dem HRR bot ihnen die Christianisierung nach römischem Ritus freilich trotzdem nicht, was wiederum zeigt, dass das HRR nicht nur im Dienst des Papstes (aus dessen Sicht nach der Christianisierung keine expansive Ostpolitik mehr nötig gewesen wäre) agierte.

Ein Beispiel für die komplizierte Gemengelage bietet wiederum Boleslaw Chrobry: Die Errichtung des Erzbistums Gnesen brachte Polen die kirchenrechtliche Eigenständigkeit, vor allem auch vom HRR.
 
... heidnisches Freiwild ...
Bin froh, dass du das sagst, hätte ich das gesagt, wären wieder Kommentare gekommen wie: Typisch, für dich ist an allem das Christentum schuld …

Irgendwo habe ich diese Tage gelesen, dass im 13. und 14. Jahrhunderte ca. 50 Kreuzzüge gegen die heidnischen Prussen und Litauen geführt wurden. Sie wurden meistens vom Deutschen Orden organisiert und bisweilen als Reisen bezeichnet. Dabei waren sie Jagden auf Menschen, zu denen Ritter nicht nur aus HRR, sondern auch aus Frankreich und England anreisten. Es war alles erlaubt, aber eine Regel gab’s doch: Nur ein toter Heide ist ein guter Heide. Das war kein moralischer Ausrutscher der Zeit, wie man meinen könnte, es wiederholte sich Jahrhunderte später – in der Neuen Welt.
 
Es war alles erlaubt, aber eine Regel gab’s doch: Nur ein toter Heide ist ein guter Heide.
Tote Heiden lassen sich aber sehr schlecht als Sklaven verkaufen. Sklavenjagden waren im Mittelalter eine Motivation in nicht-christianisierte Gebiete Osteuropas einzufallen. Der "Handel" florierte; Regensburg und Prag hatten "blühende Sklavenmärkte". Sobald aber eine Region christianisiert war, entfiel diese Einkommensquelle. So weit ich weiß, durften Christen keine anderen Christen versklaven.
 
Tote Heiden lassen sich aber sehr schlecht als Sklaven verkaufen. Sklavenjagden waren im Mittelalter eine Motivation in nicht-christianisierte Gebiete Osteuropas einzufallen. Der "Handel" florierte; Regensburg und Prag hatten "blühende Sklavenmärkte". Sobald aber eine Region christianisiert war, entfiel diese Einkommensquelle. So weit ich weiß, durften Christen keine anderen Christen versklaven.

Man hört ja immer das Slawe angeblich der Ursprung des Wortes Sklave sei. Jedenfalls spülte der Sklavenhandel reichlich Geld in die Kassen Westeuropas. Hab glaub ich sogar mal gelesen das war somit das Einzige womit sie mithalten konnten mit dem Rest der Welt. In gewisser Maßen fust unser Wohlstand immer noch darauf.

Zu den Reisen der Deutschordensritter lässt sich sagen, dass durch die Opposition dagegen vielleicht sogar von den Polen-Litauern die erste Idee der Menschenrechte für Nichtchristen abgeleitet wurde. Hab ich mal aufgeschnappt, erst sehr verwundert. Auf Wikipedia steht leider nur (und natürlich wieder der fragwürdige Bezug auf den Kyros-Zylinder...) - "In Polen-Litauen wurden 1573 mit der Konföderation von Warschau nicht-katholischen Adligen und Bürgern gleiche Rechte zugebilligt wie Katholiken, was der Historiker Gottfried Schramm als „Meilenstein der Glaubensfreiheit“ bezeichnete.[18]"

Menschenrechte – Wikipedia

Tja, vielleicht haben deshalb die Deutschordensritter so einen schlechten Ruf. Wenn man selber solche Meilensteine schafft, auch mit den Juden, kann man natürlich irgendwie Stolz sein, oder nicht? Meine Nachfrage deswegen wurde ja leider abgewürgt und bei Reddit hatte ich auch kein Glück :eek:

Aber gut, hier ging es mir ja eher um die Zeit der Ottonen und Salier...
 
Zu den Reisen der Deutschordensritter lässt sich sagen, dass durch die Opposition dagegen vielleicht sogar von den Polen-Litauern die erste Idee der Menschenrechte für Nichtchristen abgeleitet wurde. (...) "In Polen-Litauen wurden 1573 mit der Konföderation von Warschau nicht-katholischen Adligen und Bürgern gleiche Rechte zugebilligt wie Katholiken,(...) "
Du redest von Nichtchristen; im wiki-artikel steht hingegen Nicht-Katholiken. Damit dürften in Polen-Litauen vor allem die nicht unerhebliche Anzahl der Christlich-Orthodoxen gemeint sein. 1573 gab es aber auch protestantische Glaubensrichtungen im Land und die moslemischen Lipka-Tataren.
Seit 1385 existierte eine Personalunion (Union von Krewo) zwischen Polen und Litauen, die nicht zu letzt da durch möglich wurde, dass der litauische Großfürst Jogaila sich taufen ließ. 1569 folgte mit der Lubliner Union die Realunion der beiden Staaten. Fast 200 Jahre nach Krewo (1573) dürfe es kaum noch "Heiden" in Polen und Litauen gegeben haben.
 
Sklavenjagden waren im Mittelalter eine Motivation in nicht-christianisierte Gebiete Osteuropas einzufallen. Der "Handel" florierte; Regensburg und Prag hatten "blühende Sklavenmärkte".
Mittelalter umfasst 1000 Jahre.

Obwohl es keinen Beweis gibt, dass im Regensburg Sklavenmärkte abgehalten wurden, kann man das nicht ausschließen – als Transit nach Spanien gab es das sicherlich. Für Italien (Venedig) lag die Route von Prag aus über die Ostalpen günstiger als über Brenner.

Aber wir sprechen hier nicht über das 9., 10. und 11. Jahrhundert, in denen Slawen selbst ihre Sklaven an die "fränkische" Händler brachten, sondern über das 13. bis 14. Jahrhundert, also nachdem es im Nahen Osten nicht mehr zu gewinnen gab.

Das kann man hier nachlesen – Zitat:

Das große Sklavengeschäft ging allmählich zu Ende. Um 1100 war der überwiegende Teil des slawischen Ostens christianisiert. Damit fielen diese Gebiete für die Sklavenjagd aus, das Angebot versiegte.

Nur Prussen und Litauen waren da noch nicht christianisiert, und gegen die organisierte der Deutsche Orden die sogenannten Reisen – über 100 Jahre lang.

Und dass sie da nicht auf Sklavenjagd gingen, bestätigte Heinrich von Treitschke, jedes Mitgefühls unverdächtig – er sprach in diesem Zusammenhang von Völkermord.
 
Du redest von Nichtchristen; im wiki-artikel steht hingegen Nicht-Katholiken. Damit dürften in Polen-Litauen vor allem die nicht unerhebliche Anzahl der Christlich-Orthodoxen gemeint sein. 1573 gab es aber auch protestantische Glaubensrichtungen im Land und die moslemischen Lipka-Tataren.
Seit 1385 existierte eine Personalunion (Union von Krewo) zwischen Polen und Litauen, die nicht zu letzt da durch möglich wurde, dass der litauische Großfürst Jogaila sich taufen ließ. 1569 folgte mit der Lubliner Union die Realunion der beiden Staaten. Fast 200 Jahre nach Krewo (1573) dürfe es kaum noch "Heiden" in Polen und Litauen gegeben haben.

Ja, ich hab doch geschrieben, das mit den Nichtchristen steht da leider nicht.

Und dass sie da nicht auf Sklavenjagd gingen, bestätigte Heinrich von Treitschke, jedes Mitgefühls unverdächtig – er sprach in diesem Zusammenhang von Völkermord.

Wer ist denn dieser Heinrich? Haben die Deutschordensritter wirklich Völkermord begangen oder waren es dieselben Überfälle die die Heiden auch in das christliche Polen unternahmen???
 
Danke für die Info, aber hat er recht, dass das Völkermord war?

Man müsste erst mal klären, ob er das wirklich so gesagt und wenn ja, was er genau gesagt hat.

Laut Wikipedia stellt er das Wirken des Deutschen Ordens in seinem Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 positiv dar.

Der Aufsatz ist online als PDF verfügbar:

Das deutsche ordensland Preussen (prussia.online)

Heinrich von Treitschke – Wikipedia

Ich habe den Aufsatz jetzt nicht gelesen (es sind über 90 Seiten), aber man kann in dem Text auch suchen. Das Wort Völkermord scheint darin nicht vorzukommen. Die Suche arbeitet teilweise nicht ganz korrekt, gerade bei Umlauten, aber wenn ich nach "mor" Suche, bekomme ich einige Treffer, aber Mord oder Völkermord ist nicht dabei. Treitschke kann aber natürlich auch woanders darüber geschrieben haben.

Edit:

Wikipedia schreibt übrigens auch noch folgendes über ihn:

"Objektivität in der Geschichtsschreibung lehnte Treitschke ab und galt in der späteren Wahrnehmung als Inbegriff des politisierenden Historikers (daher die Wortschöpfung Treitschke redivivus von Thomas Nipperdey).[2] Treitschke stellte seine historische Arbeit in den Dienst politischer Ziele. "
 
Zuletzt bearbeitet:
Und warum das Ganze? Weil die katholische Kirche im Wettrennen mit der orthodoxen Kirche stand, die 988 die Kiewer Rus zum Christentum bekehrte

Wohl kaum, sondern eher weil die beteiligten Akteure Interessen daran hatten, die solches Handeln nahelegten.

Das sie dabei Überschneidungen mit bestimmten Wünschen der Päpste hatten, nahmen sie sicher als legitimatorische Grundlage gerne auf, aber letztendlich zog es nimanden ins Baltikum nur weil jemand in Rom derartige Vorstellungen hatte.
Da bist du dann wieder im Modus die weltlichen Mächte als bloße Handlanger der Kirche darzustellen.

Das waren sie nicht, dass war nicht einmal der "Deutsche Orden", selbst der als formal dem Papst unterstellter christlicher Orden unternahm Schritte den Einfluss Roms auf die Dinge im Baltikum zu beschneiden, etwa dadurch, dass in den inkurporierten Bistümern im Prussenland die Besetzung der Domkapitel und Bischofstühle durch Angehörige des Ordens durchgesetzt und damit der römische Einfluss zurückgedrängt, derjenige der Ordenshierarchie gestärkt wurde.

Mittelalter umfasst 1000 Jahre.
Weswegen es im Übrigen sehr verwundert, dass du oben Ereignisse, die mehrere 100 Jahre auseinanderliegen und von völlig verschiedenen Personen aus völlig unterschiedlichen Beweggründen betrieben wurden künstlich zu einer "Ostpolitik" bzw. einer einheitlichen christlichen Expansionspolitik zusammenzufassen suchst, die in diesem Sinne schlicht konstruiert ist.

Die Eroberungs- und Missionierungsaktivitäten im Baltikum, die erst am Beginn des 13. Jahrhunderts losgingen mit einem angeblichen Wettrennen zwischen lateinischem und orthodoxem Christentum erklären zu wollen und mit einer Art Torschlusspanik, weil sich die Orthodoxie in der Kiewer Rus durchgesetzt hat, das grenzt schon an unfreiwillige Komik.

Zunächst einmal lag die Annahme des Christentums auf dem Gebiet der Rus da bereits über 200 Jahre zurück, zum anderen fand sie vor dem großen Schisma von 1056 und damit vor der letztendlichen Trennung von lateinischem und orthodoxem Christentum statt, so dass hier von einem "Wettrennen" keine Rede sein kann.

Mal abgesehen davon, dass sich das orthodoxe Christentum gerade im Norden, durch die Mongoleneinfälle und eine teilweise dominante Stellung der mongolischen Teilreiche in diesem Raum, in dem Augenblick, als die lateinisch-christliche Expansion in diesem Gebiet begann, in einer eher prekären Situation befand.

Und dass sie da nicht auf Sklavenjagd gingen, bestätigte Heinrich von Treitschke, jedes Mitgefühls unverdächtig

Jedes Mitgefühls unverdächtig, als protestantischer Vertreter nationaler Anliegen allerdings der Übertreibung und mangelnder Objektivität gegenüber dem katholischen Orden verdächtig und nicht unbedingt als Mittelalter-Historiker, sondern vorwiegend als Neuzeitler aufgefallen, was die Frage aufwirft, wie gut er sich mit den mittelalterlichen Verhältnissen tatsächlich auskannte.
 
Da bist du dann wieder im Modus die weltlichen Mächte als bloße Handlanger der Kirche darzustellen.
Und die Kirchenfürsten ihrerseits waren auch meist keine Theologen, sondern eben auch in erster Linie weltliche Herrscher, nur dass sie eben geweiht waren und ihre Herrschaft nicht an ihre - illegitimen - Kinder vererben konnten (aber es fanden sich auch dafür immer wieder Möglichkeiten, die Kinder mit Pfründen zu versorgen).
 
Und die Kirchenfürsten ihrerseits waren auch meist keine Theologen, sondern eben auch in erster Linie weltliche Herrscher

Was sich im Grunde bei sämtlichen der periodisch auftretenden Streitigkeiten zwischen Kaiser und Papst immer wieder darin manifestierte, dass diverse Reichsbischöfe und Prälaten innerhalb des HRR es immer wieder mit der Position des Kaisers gegen den Papst hielten und das nicht nur zur Zeit des "Salischen Reichskirchensystems".
 
Laut Wikipedia stellt er das Wirken des Deutschen Ordens in seinem Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 positiv dar.

Der Aufsatz ist online als PDF verfügbar:

Das deutsche ordensland Preussen (prussia.online)
Vielen Dank für den Link – Zitate daraus ab Seite 16:

Alle Hebel geistlicher Gewalt setze die Kurie in Bewegung, um dem orden von St. Marien die Eroberung des Heidenlandes für seine Schutzheilige zu sichern. Das Kreuz war gepredigt im Reiche. Wer teilnahm an der Kreuzfahrt (…) war jeder Buße ledig (…) Es war die Zeit, da das Papsttum den Höhepunkt seiner weltlichen Macht erreicht hatte, (…) Im Jahre 1231 setzt der von Salza gesendete Landmeister Hermann Balke mit seinem Kreuzheere und sieben Ordensbrüdern über die Weichsel, und nun beginnt ein Vorschreiten, sicher und stetig, nach festem Plane, einzig in dieser Zeit regelloser Kriegsführung.
(…)
Trotz dieser ruhelosen Kämpfe schien ums Jahr 1260 der Besitz Preußens gesichert.


Das heißt in nicht einmal 30 Jahren hat man das Land der Prussen erobert. Aber es kommt zum Aufstand – unmittelbarer Anlass dazu war: Ein Ordensvogt lädt auf Lenzenberg eine Schar preußischer Edlen zu sich ein und zündet die Burg über ihren Köpfen an –, so dass es weitere 20 Jahre dauert, bis der vorherige Zustand wieder halbwegs hergestellt ist.

Natürlich gab es Konsequenzen - weiter mit Zitat:

Das gesamte Recht der Preußen ist verwirkt durch die Empörung. (…) Der größte Teil des preußischen Adels wird in den Stand der Unfreien hinabgestoßen, die deutschen Bauern dagegen und die gebliebenen Preußen, auch die unfreien, mit reichen Vorrechten bedacht. (…) Es bedurfte neuer, stärkerer Einwanderung deutscher Bauern, die nun erst in ausgedehntem Maße begann. (…) Nicht minder herrisch stellte sich der Orden zu der Macht der Kirche. Als eine geistliche Genossenschaft gebot er nicht nur über jene Fülle von geistiger Kraft und politischer Erfahrung, welche die Kirche zur ersten Kulturmacht des Mittelalters erhob. Ihm blieb auch der aufreibende Kampf mit der Kirche erspart. (…) Schon zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts herrschte die Sprache des Eroberers, dem Deutschen war verboten, mit seinem Gesinde Preußisch zu reden. (…) Doch das undeutsche Volk wird den Quellen der Bildung fern gehalten. Unter tausend Bauern, klagt Balthasar Rüssow, kann kaum einer das Vaterunser hersagen. Die Kinder schreien, die Hunde verkriechen sich, wenn ein Deutscher die raucherfüllte Hütte des Esten betritt.
(…)
Denn nicht lediglich leere Schlaglust, das innerste Lebensgesetz des Militärstaats vielmehr trieben den Orden in die Litauerkriege. (…) Es war der Ehrgeiz jener Tage, dort im Osten mit dem Kriegsruhm der Eroberer des Heiligen Grabes zu wetteifern; der flandrische Ritter Gilbert de Lannoy (…) nennt die mecreans de Lettau zuweilen geradezu „Sarazenen“. (…) zogen aus allen Ländern Europas junge Degen herbei, auf der Kriegsreise in Litauen die goldenen Sporen sich zu verdienen. (…) Einmal weilten zwei Könige zugleich am Hofe des Hochmeisters (…) Kamen so namhaften Gäste, dann ward „zu Ehren dem von Österreich und auch der Maget tugendbleich, die Gottesmutter wird genannt“, sofort eine Heidenfahrt begonnen. (…) Einige Nächte lang ward „in der Wild“ geheert – „heid ein, busch ein, unverzagt, recht als der fuchs und hasen jagt“ – alle Habe zerstört nach dem einfachen Grundsatz, „was in tet we, das tet uns wol“, (…)


Diese Jagden gegen Heiden, nur noch Litauer waren Heiden, gingen so weiter bis zu dem Zeitpunkt, als sich auch Litauens Fürsten taufen ließen mit der Konsequenz, dass man nicht mehr gegen sie vorgehen konnte; der Papst verbot 1403 weitere "Kreuzfahrten" gegen Litauen. Zu gleicher Zeit erstarkte auch Polen wieder, und als beide zusammen – also Polen und Litauen – den Deutschen Orden bei Tannenberg im Jahr 1410 vernichtend geschlagen hatten, errichteten sie anschließend als polnisch-litauische Union ein Reich, das bis zum Schwarzen Meer reichte – das ist übrigens das Gebiet der heutigen Westukraine; da sieht man, dass auch solche, 600 Jahre zurückliegenden Ereignisse, noch heute Wirkung haben können.

Das von Völkermord habe ich von hier – Zitat aus dem Spiegel aus dem Jahr 1993:

Das Sienkiewicz-Buch hatte enormen Einfluß in Polen - es schuf in jeder Hinsicht das Gegenbild zur Ordens-Glorie auf deutscher Seite, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges der Historiker und großpreußische Propagandist Heinrich von Treitschke prägte. Er sah das Wirken des Ordens vornehmlich als »Siegeszug deutscher Gesittung«, obschon er den deutschen Herren, erstaunlich objektiv, »Völkermord« an heidnischen Slawenstämmen des Ostens vorwarf, aus dem dann freilich »ein Segen« geworden sei.

Die Formulierungen »Siegeszug deutscher Gesittung«, »Völkermord« und »ein Segen« sind in diesem Artikel Zitate, also muss sie Treitschke geäußert haben – wann und wo, das herauszufinden ist die Aufgabe eines Historikers, oder?
 
Er sah das Wirken des Ordens vornehmlich als »Siegeszug deutscher Gesittung«, obschon er den deutschen Herren, erstaunlich objektiv, »Völkermord« an heidnischen Slawenstämmen des Ostens vorwarf, aus dem dann freilich »ein Segen« geworden sei.
Oder der Spiegel hat da einiges missverstanden. Wer sollen denn die "heidnischen Slawenstämme" sein, an denen scheinbar ein "Völkermord" begangen wurde? Du zitierst oben Treitschke mit "Preußen", "Esten" und "Litauern" - von Slawen steht da nichts. Ich gehe davon aus, dass Treitschke wusste, dass der Deutsche Orden baltische Völker bekriegte.

Edit:
Ich habe Treitschkes "Völkermord-Zitat" bei wiki gefunden:
"Der Historiker Heinrich von Treitschke äußert sich in „Politik. Vorlesungen, 1897–1898“ zum Untergang der Prußen als Urbevölkerung Preußens und sagt:
„Es war ein Völkermord, das lässt sich nicht leugnen; aber nachdem die Vernichtung vollendet war, ist er ein Segen geworden. Was hätten die Preußen [gemeint sind die Prußen] in der Geschichte leisten können? Die Überlegenheit über die Preußen war so groß, daß es ein Glück für diese wie für die Wenden war, wenn sie germanisiert wurden.“"
Völkermord – Wikipedia
 
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