Diskussion um das Vorurteil "dunkles Mittelalter"

Als Alternative kann ich das Buch "Galileo Goes to Jail and Other Myths about Science and Religion" (Hrsg. Ronald L. Numbers, Harvard University Press 2009) empfehlen, in dem 25 Wissenschaftler (schwerpunktmäßig Wissenschaftshistoriker) Essays zu 25 Mythen beisteuern, allerdings thematisch eingeschränkt auf Mythen, die das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion betreffen. Einige der Mythen lauten:
- That the Rise of Christianity Was Responsible for the Demise of Ancient Science
- That the Medieval Christian Church Suppressed the Growth of Science
- That Medieval Christians Taught That the Earth Was Flat
- That Christianity Gave Birth to Modern Science*
- That the Theory of Organic Evolution Is Based on Circular Reasoning
- That “Intelligent Design” Represents a Scientific Challenge to Evolution

da auch keine Pathologie, also Aufschneiden der Leichen, gab, weil von der Kirche verboten.

Auch dieser Mythos wird in dem Buch behandelt: "Myth 5 - That the Medieval Church Prohibited Human Dissection" (Autorin: Katharine Park)
 
Auch dieser Mythos wird in dem Buch behandelt: "Myth 5 - That the Medieval Church Prohibited Human Dissection" (Autorin: Katharine Park)

Zitat aus einer Habilitationsschrift aus dem Jahr 2012 (Fettschreibung von mir):

Auch die schon seit dem 11. Jahrhundert üblich gewordene Zerteilung der Körper heiliger Personen zur Reliquiengewinnung (Angenendt 1997, S. 152ff) und die im Italien des 13. Jahrhunderts einsetzenden Autopsien zur Klärung der Todesursache (Park 1994) zeigen, dass die Leichenöffnung nicht generell unvorstellbar war.
(…)
Die traditionelle Medizingeschichte hat dies als heroisch dargestellt und sah Vesalius als jemanden, der sich für einen höheren Zweck über bestehende Tabus und Gesetze hinwegsetzte. Park (1994) vermutet allerdings, dass – zumindest in Italien – erst diese 'Beschaffungskriminalität' die allgemeinen Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber anatomischen Sektionen hervorbrachte.


Was generell vorstellbar oder nicht war, und was in dieser Hinsicht vermutet werden kann, das kann jeder Historiker und nicht nur deine Gewährsfrau Park entscheiden. Und die Vorbehalte der weitgehend des Lesens unkundigen Bevölkerung kann man gut von der Kanzel steuern.

Es ist bekannt, dass die Kirche den Feuertod für Ketzer forderte, damit von ihren Körpern nichts für das Weiterleben nach dem Tod bliebe. Der Grund dafür ist der Glaube an die leibliche Auferstehung der Toten. Aus dem gleichen Grund wurden von der katholischen Kirche die Feuerbestattungen bis zum Jahr 1963 bekämpft – z.B. in dem man den Leuten, die eingeäschert werden wollten, kirchliches Begräbnis und Bestattung auf dem Kirchenfriedhof verweigerte.

Zurück zum Papst Bonifatius VIII. and seinem „Anatomieverbot“ aus dem Jahr 1299. Heute wird gesagt, er hätte das nicht so geschrieben bzw. gemeint, aber Tatsache ist, dass der Papst Benedikt der XIV. – das ist der, der den Bann gegen Kopernikus aufhob – dies 400 Jahre später ausdrücklich richtigstellte; offensichtlich war man da der Meinung, es gäbe ein solches Verbot, sonst hätte es einer solchen Richtigstellung nicht bedurft.

Das ist so wie mit den unechten Paulusbriefen: Diese Briefe waren zwar nicht von Paulus, aber sie entfalteten die gleiche Wirkung als seine echten. Will sagen: Wichtig ist allein, was geglaubt wurde und wird, nicht was – von wem auch immer – geschrieben.
 
Zitat aus einer Habilitationsschrift aus dem Jahr 2012 (Fettschreibung von mir):

Auch die schon seit dem 11. Jahrhundert üblich gewordene Zerteilung der Körper heiliger Personen zur Reliquiengewinnung (Angenendt 1997, S. 152ff) und die im Italien des 13. Jahrhunderts einsetzenden Autopsien zur Klärung der Todesursache (Park 1994) zeigen, dass die Leichenöffnung nicht generell unvorstellbar war.
(…)
Die traditionelle Medizingeschichte hat dies als heroisch dargestellt und sah Vesalius als jemanden, der sich für einen höheren Zweck über bestehende Tabus und Gesetze hinwegsetzte. Park (1994) vermutet allerdings, dass – zumindest in Italien – erst diese 'Beschaffungskriminalität' die allgemeinen Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber anatomischen Sektionen hervorbrachte.
Einen Widerspruch zu Park lese ich hier nicht. Es bestanden (und bestehen heute noch!) Vorbehalte gegen das Aufschneiden von Leichen. Dazu bedarf es keiner Predigten. Ohne amtliche Anordnung (z. B. zwecks Verbrechensaufklärung) darf auch heute keine Obduktion gegen den Willen des Verstorbenen bzw. seiner Angehörigen vorgenommen werden
... dass das Zerschnippeln verstorbener Heiliger im fraglichen Zeitraum praktiziert wurde, wollte man vielleicht die leibliche Auferstehung der Heiligen verhindern?

Wichtig ist allein, was geglaubt wurde und wird, nicht was – von wem auch immer – geschrieben.
Ein passendes Credo für einem Anhänger moderner Mittelaltermythen. :) (Egal was in den Quellen steht, egal was Stand der Forschung ist: Die Mythen werden hartnäckig geglaubt, bei jeder Gelegenheit gepredigt und notfalls gegen jede Evidenz verteidigt.)
 
(Egal was in den Quellen steht, egal was Stand der Forschung ist: Die Mythen werden hartnäckig geglaubt, bei jeder Gelegenheit gepredigt und notfalls gegen jede Evidenz verteidigt.)
Du hast vergessen zu erwähnen, dass es auch neue Mythen gibt. Zum Beispiel diesen: Park (1994) vermutet allerdings …

Und es gibt nicht nur neue Mythen, sondern auch Leute, die sie verteidigen – dazu genügt schon, wenn jemand etwas vermutet.
 
Und die Vorbehalte der weitgehend des Lesens unkundigen Bevölkerung kann man gut von der Kanzel steuern.

Nicht unbedingt. Wenn das ohne weiteres steuerbar gewesen wäre, hätten wir heute wesentlich weniger überlieferte Klagen aus den Reihen des Klerus über das was dieser für Aberglauben hielt.

Vorbehalte der Kirche haben z.B. gegen die Neigung von Teilen der Bevölkerungen Leichen auszubuddeln und sie entsprechend zu bearbeiten um sich vor "Widergängern" u.ä. zu schützen herzlich wenig ausrichten können und das bis deutlich ins 18. jahrhundert hinein.

Es ist bekannt, dass die Kirche den Feuertod für Ketzer forderte, damit von ihren Körpern nichts für das Weiterleben nach dem Tod bliebe.

Dann wundert mich allerdings, dass diese Art zu töten in den Territorien in denen geistliche Fürsten neben der kirchlichen auch die weltliche hohe Gerichtsbarkeit inne hatten, nicht konsequent vollzogen wurde.

Zurück zum Papst Bonifatius VIII. and seinem „Anatomieverbot“ aus dem Jahr 1299. Heute wird gesagt, er hätte das nicht so geschrieben bzw. gemeint, aber Tatsache ist, dass der Papst Benedikt der XIV. – das ist der, der den Bann gegen Kopernikus aufhob – dies 400 Jahre später ausdrücklich richtigstellte; offensichtlich war man da der Meinung, es gäbe ein solches Verbot, sonst hätte es einer solchen Richtigstellung nicht bedurft.

Offensichtlich hat in den folgenden 400 Jahren mal irgendjemand behauptet, dass ein solches Verbot existierte.
Das es hierzu eine päpstlich Entscheidung gab beeweist leiglich, dass eine entsprechende, möglicherweis ziemlich abseitige Interpretation in diese Richtung vorgebracht wurde, nicht dass diese einer breiten Überzeugung entsprochen hätte und auch nicht, dass dem bereits Jahrhunderte früher so gewesen wäre.

Einer Klärung bedarf es dann, wenn eine mit Entscheidungskompetzen versehene Institution vor einer unklaren Situation steht, z.B. weil sich 2 Grundsätze nach denen sie handelt widersprechen oder zu widersprechen scheinen, dazu bedarf es keiner Massenbewegung, genau wie es in der modernen Rechtssprechung zur Schaffung eines Präzedenzfalls keiner Massenbewegung bedarf, da reicht bereits eine vollkommen abseitige, aber spezielle Fallkonstellation unter Umständen hin.

Das ist so wie mit den unechten Paulusbriefen: Diese Briefe waren zwar nicht von Paulus, aber sie entfalteten die gleiche Wirkung als seine echten. Will sagen: Wichtig ist allein, was geglaubt wurde und wird, nicht was – von wem auch immer – geschrieben.

Also zunächstmal hast du keinen überzeugenden Nachweis afür vorgebracht, was denn allgemein geglaubt wurde, denn allein der Umstand einer päpstlichen Stellungnahme ist kein Nachweis dafür.

Eine solche Stellungnahme kann genau so eine innere Reaktion auf eine sich im Klerus herausbildende Interpretaiton gewesen sein, wie eine Reaktion auf Bewegungen in der Bevölkerung und wird sich schon deswegen eher an den Klerus oder Teile davon gerichtet haben, weil der gemeinen Bevölkerung ein 400 Jahre alter Erlass namentlich eher weniger bekannt gewesen sein dürfte.

Und weiterhin ist natürlich von Bedeutung, was geschrieben wurde und demnach als Quelle verwertbar ist, zumindest ist es mal wesentlich verlässlicher als deine bloßen Spekulationen, was die Allgemeinheit wohl geglaubt haben wird.

:)
 
Und es gibt nicht nur neue Mythen, sondern auch Leute, die sie verteidigen – dazu genügt schon, wenn jemand etwas vermutet.

Ja, das hast Du oft genug unter Beweis gestellt, indem Du Vermutungen als Fakten verkauft hast. Vielleicht lege ich mal eine Liste von Schmarrn an, die Du uns schon aufgetischt hast.

Für die Beschaffungskriminalität gibt es einen frühen historisch verbürgten Fall: 1319 wurden in Bologna vier Studenten angeklagt, die nachts in einen Friedhof eingebrochen waren und ein Grab verwüstet hatten. Es stellte sich heraus, dass sie die Leiche in die Schule bzw. das Haus des Anatomen Alberto Zancari gebracht hatten, wo sie seziert wurde. Die Anklage lautete auf Grabschändung, der Anatom selber stand nicht unter Anklage. Das Urteil ist nicht überliefert, es wurde schon vermutet, dass die vier freigesprochen wurden (man kann natürlich auch im Gegenteil vermuten, dass sie im Sinne der Anklage verurteilt wurden). Und sicherlich darf man auch vermuten, dass dieser Prozess die Bologneser Anatomie in ein schlechtes Licht gerückt hat. Wenn man Fakten hat, kann man Vermutungen darüber anstellen, nur soll man Fakten und Vermutungen nicht verwechseln.

Die Behauptung, es hätten keine Sektionen stattgefunden, ist Schmarrn, und die Behauptung, die Kirche hätte das Aufschneiden von Leichen verboten (sei es grundsätzlich, sei es speziell zu medizinischen Zwecken), ist auch Schmarrn. (Und falls Du behaupten möchtest, Sektionen seien in der fraglichen Zeit ganz unvorstellbar gewesen, wäre diese Behauptung auch Schmarrn.)

Es ist bekannt, dass die Kirche den Feuertod für Ketzer forderte, damit von ihren Körpern nichts für das Weiterleben nach dem Tod bliebe. Der Grund dafür ist der Glaube an die leibliche Auferstehung der Toten.

Woher genau ist das "bekannt"? Wir hatten mal die Diskussion unter dem Thema "Hexenverbrennungen", da wurde eine ganz andere Begründung genannt: "da es besser sei, wenn der sterbende Körper dem irdischen Feuer anheim fällt als die unsterbliche Seele der Hölle." Meine Frage, wo genau das nachzulesen sei, blieb leider unbeantwortet.
Hexenverbrennungen

Hast Du diesmal eine Quelle für Deine Behauptung?
 
Also ich bin nicht so richtig von einem „Dunklen Mittelter“ zu überzeugen.

Habe zwar Maschinenbau/Baumaschinen studiert und danach Ökonomie, aber so viel wie ich noch aus den Vorlesungen zur Geschichte und auch Selbststudium weiß würde ich mal sagen, jede Epoche hat so seine „Dunkle Zeit", seine „Dämmrige Zeit“ und seine „Helle Zeit“, aber nicht hintereinander sondern immer nebeneinander.

Von einer dunklen, grusligen Zeit – Mittelalter – las ich vor langer Zeit als mir beim Selbststudium der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (9 Bände) ein Zitat vom Preußenkönig Friedrich II. – der Große - unterkam.

Friedrich sagte da wohl (sinngemäß), beim Studium des Mittelalters kommt man zu der Schlussfolgerung - alle Welt muss Verrückt gewesen sein -.

Da bin ich mit J. W. von Goethe „Azur“.
Und meine auch, was da Mephistopheles von sich gibt trifft es eher:

„...Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne und von der Erde jene höchste Lust...“. Goethe meint hier den Dr. Faust.

Und an andere Stelle dann:

„Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein Buch mit sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln...“ (Goethe konversiert hier mit seinem Famulus Wagner).

Also, wir hätten da die wohl doch recht fröhlichen Lieder eines Walthers von der Vogelweide (1170 – 1230 wahrscheinlich Würzburg).
Und wir hätten da den düsteren Monolog aus der Feder des Pumpgenie (1813-1883): „Hier sitz‘ ich zur Wacht...“ (Wachtgesang, 1 Akt, 2. Szene – Götterdämmerung.)
 
Nachtrag...
Und dann kommt mir auch noch in den Sinn, explizite ist das Mittelalter die >Spielwiese< vieler Märchenerfinder, Sagenaufschreiber, Legendenerzähler, Mystiker, Esoteriker u.a.
Vieles lässt sich ja auch gut zusätzlich in Bildern darstellen.
Das findet man zwar in allen Epochen, aber ich meine es tritt für das Mittelalter besonders sehr häufig auf.

Beispiele!?
Da kann man seitenweise Beispiele – nur Titel – schreiben.
 
Es ist bekannt, dass die Kirche den Feuertod für Ketzer forderte, damit von ihren Körpern nichts für das Weiterleben nach dem Tod bliebe. Der Grund dafür ist der Glaube an die leibliche Auferstehung der Toten.
Woher genau ist das "bekannt"?
Wenn du aus dem Absatz nicht nur die 2 zitierten Sätze lesen würdest, sondern auch den folgenden Satz
Aus dem gleichen Grund wurden von der katholischen Kirche die Feuerbestattungen bis zum Jahr 1963 bekämpft – z.B. in dem man den Leuten, die eingeäschert werden wollten, kirchliches Begräbnis und Bestattung auf dem Kirchenfriedhof verweigerte.
, dann würde dir das klar werden.

In der päpstlichen Bulle Summis desiderantes affectibus aus dem Jahr 1484 wurde die reale Existenz der Hexerei bestätigt. Das Besondere daran: Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Hexerei als unvereinbar mit der christlichen Lehre angesehen, die laut Canon Episcopi in den "nächtlichen ekstatischen Flüge von Frauen im Gefolge der heidnischen Göttin Diana ausdrücklich als Einbildung und Wahnvorstellung“ sah, d.h. als nicht wirklich vorhanden.

Diese Bulle änderte alles, denn plötzlich war es eine Ketzerei, die (teuflische) Hexerei zu leugnen; in dem Katechismus der katholischen Kirche steht es bis heute, dass wer an Gott glaube, auch an die Existenz des Teufels glauben müsse. Übrigens: Hauptautor des ersten Nachkonzilskatechismus war in den 1980er Jahren der Großinquisitor Ratzinger. :D
 
Teufelsglaube, @dekumatland, ist in unseren Zeiten schon etwas Absonderliches, oder? Dass das im Katechismus steht, ist typisch für diese Kirche, so nach dem Motto: Was gehen uns unsere Zeiten an, wir sind Kirche, und wenn in den Evangelien heißt, Jesus lebte 40 Tage in der Wüste „und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt. Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger.“(Lk 4), dann ist das nicht zu bezweifeln, sondern wörtlich zu nehmen.

Wobei es auch eine andere Interpretation gibt: Wenn man 40 Tage nichts isst, bekommt man Halluzinationen bzw. Wahnvorstellungen. Aber statt das zu berücksichtigen, wird weiter an dem festgehalten, was das IV. Laterankonzil im Jahr 1215 festgelegt hat – Zitat aus dem erwachsenen, noch immer gültigen Katechismus aus dem Jahr 1984:

Die kirchliche Lehre liegt auf der Linie des Schriftzeugnisses. Denn soll das den Menschen unfrei machende Böse nicht von einem bösen, von Gott unabhängigen Urprinzip stammen, was dem christlichen Glauben an Gott, den allmächtigen Vater, zutiefst widerspräche, dann kann es nur auf Geschöpfe zurückgehen, die von Gott gut geschaffen, aber - wie das IV. Laterankonzil (1215) sagt - durch eigene Entscheidung böse geworden sind (vgl. DS 800; NR 295). Nach kirchlicher Lehre gibt es also nicht nur das Böse, sondern auch den Bösen bzw. die Bösen. …
 
Teufelsglaube, @dekumatland, ist in unseren Zeiten schon etwas Absonderliches, oder?

Na ja, es ist halt ein Teil des christlichen Glaubens. Ohne den Teufel wäre ja auch die Sache mit der Erbsünde nicht möglich und es hätte keine Notwendigkeit für die ganze Sache mit dem Opfertod Jesu und der unbefleckten Empfängnis Mariä gegeben. Und ohne Teufel wird das Theodizee-Problem noch größer als ohnehin schon.
 
Teufelsglaube, @dekumatland, ist in unseren Zeiten schon etwas Absonderliches, oder?
betrachte es mal anders, so quasi kulturhistorisch: ohne diese Vorstellung und die Fähigkeit, sich in diese "Absonderlichkeit" hineinzufühlen, hätten wir große Verluste:
- cineastisch müssten wir auf "der Exorzist" verzichten, auf "Rosemaries Baby"
- was wäre die Opernbühne ohne "Freischütz"
- was bliebe auf der Theaterbühne vom Faust ohne Mephistofeles...
- was wäre die Musik ohne Mephistowalzer
- literarisch: müsste Settembrini auf sein hymnisches "o satana, o ribellione" verzichten (Zauberberg), Adrian Leverkühn und Nikolaj Stawrogin hätten keinen inspirierenden Gesprächspartner, dessen Memoiren dann kein Hauff geschrieben hätte

nur mal so als Anregung, dass die jahrhundertealte "Absonderlichkeit" auch anders anregend wirkte und wirkt, d.h. es gab und gibt mehr, als zornbebend darauf herum hacken

und freilich ist heute das sich gruseln, wenn auf der Leinwand Vampire Schulmädchen aussaugen, Zombies Pfadfinderinnen fressen, Aliens ganze Dörfer verspeisen etc nicht minder absonderlich
 
Wenn du aus dem Absatz nicht nur die 2 zitierten Sätze lesen würdest, sondern auch den folgenden Satz, dann würde dir das klar werden.
Das bezweifle ich, Dir ist doch selber nicht klar, was Du Dir da für einen Wirrwarr zusammenreimst.

Versuch doch mal zu erklären, ob die Vierzig Märtyrer von Sebaste von der Auferstehung ausgeschlossen sind, man soll ja ihre Leichen verbrannt und die Asche in einen Fluss geworfen haben.

Und erklär doch mal, ob die Passio SS. Perpetuae et Felicitatis aus katholischer Sicht häretisches Teufelswerk ist, da wird ja folgendes erzählt:

Mit Verwunderung und staunend setzten uns nun jene Engel, die uns getragen hatten, ab und wir durchschritten den Raum zu Fuß auf einem breiten Wege. Dort fanden wir den Jokundus, den Saturninus und den Artaxius, die in derselben Verfolgung lebendig verbrannt wurden, und den Quintus, der als Märtyrer im Kerker gestorben war

 
Na ja, es ist halt ein Teil des christlichen Glaubens.
Mir ist das schon klar, aber es wird doch langsam Zeit, sich von diesem Erbe zu verabschieden, die sich Menschen in vom Unwissen beherrschten Zeiten geschaffen haben, um leichter durchs Leben zu gehen. Wer heute noch meint, nicht er ist für seine Untat verantwortlich, sondern der vom Gott abgefallene Leibhaftige, der ihn, den Täter, dazu verführt hatte, der lebt immer noch im Mittelalter – und mit ihm die Kirche, die ihm das suggeriert.

betrachte es mal anders, so quasi kulturhistorisch: ohne diese Vorstellung und die Fähigkeit, sich in diese "Absonderlichkeit" hineinzufühlen, hätten wir große Verluste:
Nein, wenn es den Teufel nicht gäbe, hätten wir dann halt andere Kunstwerke; es werden auf unseren Bühnen immer noch Stücke aus dem alten Griechenland gespielt, d.h. aus einer Zeit, als man nicht mal ahnte, dass es mal ein Christentum mit einer Kirche geben würde, die behauptet, es gebe nicht nur „das Böse, sondern auch den Bösen bzw. die Bösen.“

Götter waren und sind allesamt Projektionen des Menschen, denen meistens alles erlaubt war, was Menschen verboten oder unmöglich erschien. Das ist beim christlichen Gott und seinem Geschöpf und Gegenspieler, dem Teufel, nicht anders. Es ist Zeit, sich von dieser Vorstellung zu verabschieden.

Versuch doch mal zu erklären, ob die Vierzig Märtyrer von Sebaste von der Auferstehung ausgeschlossen sind, man soll ja ihre Leichen verbrannt und die Asche in einen Fluss geworfen haben.
Die Frage ist nicht, was mit den Vierzig Märtyrern nach dem Tod geschehen ist, sondern warum die katholische Kirche bis zum II. Vatikanum die Feuerbestattung ablehnte – Zitat aus der Wikipedia:

Im Christentum wurde die Feuerbestattung jahrhundertelang abgelehnt. Der Grund ist im Glauben an die leibliche Auferstehung der Toten zu suchen, zu der sich das Christentum im Glaubensbekenntnis bekennt.

Der Glaube, dass eine Verbrennung, also eine Nichtbestattung einer Auferstehung entgegenstünde, sieht man auch bei manchen mittelalterlichen* Todesstrafarten – Zitat über das Rädern:

Da der Leib nach der Hinrichtung auf dem Rad verblieb und Tierfraß und Verfall überlassen wurde, hatte diese Form der Bestrafung, ähnlich der antiken Kreuzigung, eine sakrale Funktion über den Tod hinaus: Nach damaligem Glauben stand die unterbliebene Bestattung einer Auferstehung entgegen.[9]

* dieses, aus dem Mittelalter stammende Rädern wurde bis ins 19. Jahrhundert praktiziert – zuletzt in Preußen im Jahr 1841 durchgeführt.
 
Nein, wenn es den Teufel nicht gäbe, hätten wir dann halt andere Kunstwerke
Stopp @Dion da widersprichst du dir: die logische Konsequenz aus diesem Satz wäre, dass es den Teufel gibt - das ist sicher nicht in deinem Sinn ;)

Ansonsten: wir haben aber nun mal Bachs Matthäuspassion, die wir ohne Christentum und horribile dictu ohne Luther (Bach war kein Vatikaninski) nicht hätten - das ist schon irgendwie teuflisch ;)
... und Hagen hätte keinen Grund, Kriemhild eine Valandin zu schimpfen, in Meister und Margarita müsste Bulgakov die lustigsten Szenen auslassen ---- die Verluste wären nicht zu verschmerzen! (wollte ich sie alle aufzählen, wäre ich nächste Woche noch nicht fertig)

Aber ich schweife vom Thema "finsteres (?) Mittelalter" ab, Pardon.
 
Nein, wenn es den Teufel nicht gäbe, hätten wir dann halt andere Kunstwerke; es werden auf unseren Bühnen immer noch Stücke aus dem alten Griechenland gespielt, d.h. aus einer Zeit, als man nicht mal ahnte, dass es mal ein Christentum mit einer Kirche geben würde, die behauptet, es gebe nicht nur „das Böse, sondern auch den Bösen bzw. die Bösen.“
Auch ohne Christentum hätten wir wohl einen Gutteil der mittelalterlichen Literatur, wenn auch mit etwas anderen Akzentuierungen. Warum hätten mittelalterliche heidnische Dichter im deutschen Raum nur Stoffe aus dem antiken Griechenland verarbeiten sollen statt ein Nibelungenlied, eine Kudrun, einen Tristan etc. zu dichten, nur eben ohne christliche Einflüsse? (Übrigens verarbeiteten sie durchaus auch antike Stoffe: Auch im christlichen mittelalterlichen Europa entstanden Epen um den Trojanischen Krieg, die Argonauten oder Aeneas.)

Doch selbst wenn nur die Antike perpetuiert worden wäre: Ob wir dann wirklich andere Kunstwerke hätten, ist die Frage. In der antiken griechischen und römischen Literatur wurden immer und immer wieder dieselben Stoffe verwendet: In Epen und Tragödien wurden über etliche Jahrhunderte hinweg immer wieder eine überschaubare Zahl von Stoffen aus der griechischen Mythologie neu verarbeitet (historische Stoffe waren Ausnahmen), und auch in der Komödie wiederholten sich seit der attischen "Neuen Komödie" die Stoffe immer wieder mit geringen Variationen (liebestoller und/oder geiziger Greis, verschlagener Sklave, verliebter Jüngling etc.). Seneca behandelte in seinen Tragödien großteils dieselben Stoffe wie seine großen Kollegen aus Athen ein halbes Jahrtausend zuvor. Dichter der Spätantike schrieben großteils in denselben Versmaßen über dieselben Stoffe wie ihre Kollegen ein Jahrtausend zuvor. (Ein anschauliches Beispiel ist die sog. "Orphische Argonautika": Wegen seines altertümlichen Stils wurde dieses Epos eines unbekannten Verfassers lange Zeit für eines der frühesten Erzeugnisse der antiken Literatur gehalten und ins 7. Jhdt. v. Chr. datiert. Heute geht man davon aus, dass es archaisierend ist und aus der Spätantike stammt.)

Das Christentum und das "finstere" Mittelalter brachten frisches Blut in die europäische Literatur: neue Stoffe, neue Vers- und Strophenformen.
Und das Christentum mag man mögen oder nicht: Ein "Heliand", Dantes "Göttliche Komödie", Miltons "Verlorenes Paradies" oder Goethes "Faust" sind mir allemal lieber als das fünfzigste Argonautenepos oder die hundertste Medea-Tragödie.
 
wir haben aber nun mal Bachs Matthäuspassion, die wir ohne Christentum und horribile dictu ohne Luther (Bach war kein Vatikaninski) nicht hätten - das ist schon irgendwie teuflisch ;)
Bevor die Kirche die Ressourcen der Länder an sich gerissen, haben der Staat und die Privatleute die Künstler finanziert – danach fast ausschließlich die Kirche mit ihrer sakraler Kunst. Und jetzt feierst du diese Usurpation der Künste als gute und große Tat – wie verblendet bist du denn?

Am Ende meinst du gar, die Säkularisation mit ihren Enteignungen wäre gar nicht notwendig gewesen, sondern man hätte die Kirche weiter Vermögen anhäufen sollen, damit wir weiter Marien-, Jesus- und Heiligenbilder mit immer gleichen Geschichten dahinter bewunderten?

Was Stadtstaat und Privatleute künstlerisch auf die Beine stellen können, haben z.B. Florenz und Venedig bewiesen – weil sie sich zeitweise weitgehend von der Kirche emanzipieren konnten.
 
Bevor die Kirche die Ressourcen der Länder an sich gerissen, haben der Staat und die Privatleute die Künstler finanziert – danach fast ausschließlich die Kirche mit ihrer sakraler Kunst. Und jetzt feierst du diese Usurpation der Künste als gute und große Tat – wie verblendet bist du denn?
bei allen Heiligen :p @Dion : bist du gar von Uritophel, dem Dämon/Teufel des Zorns besessen?

guck doch noch mal, was/wen ich alles aufgezählt hatte und sag mir dann, wer davon bei der bösen Kirche in Lohn und Brot war ;):D und bevor du da was falsch machst, zitiere ich mich selber:
"der Exorzist" (...)"Rosemaries Baby" (...) "Freischütz" (...) Faust (...) Mephistowalzer(...) Zauberberg, Adrian Leverkühn (...) Nikolaj Stawrogin (...) Hauff
Bach (...) Hagen & Kriemhild (...) Bulgakov
kleine Hilfestellung: Blatty/Friedkin, Polanski, C. M. von Weber, Goethe, Liszt, Thomas Mann, Dostojevski, Wilhelm Hauff, J.S. Bach, anonym (Nibelungenlied), Mikhail Bulgakov

...tja, sooo verblendet bin ich halt mal :D:D:D:D
 
Zuletzt bearbeitet:
In der päpstlichen Bulle Summis desiderantes affectibus aus dem Jahr 1484 wurde die reale Existenz der Hexerei bestätigt. Das Besondere daran: Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Hexerei als unvereinbar mit der christlichen Lehre angesehen, die laut Canon Episcopi in den "nächtlichen ekstatischen Flüge von Frauen im Gefolge der heidnischen Göttin Diana ausdrücklich als Einbildung und Wahnvorstellung“ sah, d.h. als nicht wirklich vorhanden.

Diese Bulle änderte alles, denn plötzlich war es eine Ketzerei, die (teuflische) Hexerei zu leugnen

Weder wird in dieser Bulle das Leugnen der Hexerei für häretisch erklärt noch wird der Canon Episcopi außer Kraft gesetzt. (Den Hexenflug, den der Canon explizit zur Wahnvorstellung erklärt, dürften die päpstlichen Juristen wohlweislich außen vor gelassen haben.)


Die Frage ist nicht, was mit den Vierzig Märtyrern nach dem Tod geschehen ist
Ich verstehe schon, dass Du der Frage aus dem Weg gehen möchtest. Aber Du bist es, der die Sache mit dem christlichen Auferstehungsglauben in die Diskussion geworfen hast, und wenn Du Dich mit christlichen Auferstehungsvorstellungen beschäftigt hast, müsstest Du die Frage auch beantworten können: Verhindert das Verbrennen der Leiche nach christlichen Vorstellungen die Auferstehung?


Zu Deiner Frage:
warum die katholische Kirche bis zum II. Vatikanum die Feuerbestattung ablehnte – Zitat aus der Wikipedia:

Im Christentum wurde die Feuerbestattung jahrhundertelang abgelehnt. Der Grund ist im Glauben an die leibliche Auferstehung der Toten zu suchen, zu der sich das Christentum im Glaubensbekenntnis bekennt.
Diese Frage wird leider bei Wikipedia nicht seriös beantwortet, auch Belege fehlen (der verlinkte Artikel belegt allenfalls ein Missverständnis des Wiki-Autors). Belegt wird hingegen folgendes:
Die Kongregation der Inquisition untersagte unter Papst Leo XIII. am 19. Mai 1886 Katholiken die Feuerbestattung sowie die Zugehörigkeit zu Feuerbestattungsvereinen[21] und nannte die Feuerbestattung eine „barbarische Sitte“.[22]

Richtig ist ferner, dass nicht nur die katholische Kirche, sondern auch die evangelische Kirche die Feuerbestattung ablehnte. Es kann keine Rede davon sein, dass das mit der leiblichen Auferstehung der Toten begründet wurde (Beschluss der Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz vom 14. Juni 1898):

1. Die Feuerbestattung ist, obschon sie keinem Gebote Gottes und keinem Artikel des christlichen Glaubens an sich widerspricht und auch in den Bekenntnissen der evangelischen Kirchen nirgends verworfen wird, doch der an die heilige Schrift sich anschließenden, in der christlichen Kirche allgemein bestehenden uralten Sitte und den dieser entsprechenden Ordnungen zuwider.
2. Die evangelische Kirche hat gegenüber der auf die Einführung der Feuerbestattung gerichteten als Einzelbestrebung zu charakterisierenden Bewegung für die Bewahrung der im christlichen Volks- und Gemeindebewußtsein fest begründeten Sitte des Begräbnisses einzutreten.
3. Dementsprechend ist, nicht im Sinne christlicher Zuchtübung, sondern lediglich zum Schutz der christlichen Sitte und der geltenden Ordnung den Geistlichen die amtliche Beteiligung bei einer Feuerbestattung und allen mit dieser zusammenhängenden Feierlichkeiten nicht zu gestatten. Hierbei bleibt die Pflicht der Geistlichen bestehen, im engern Kreise der Leidtragenden den Trost des göttlichen Wortes und des Gebetes darzubieten.
4. Feierliche Beisetzungen von Urnen mit den Überresten der durch Feuer bestatteten Leichen sind auf kirchlichen Begräbnisstätten als deren Bestimmung widersprechend nicht zulässig.

Das preußische Feuerbestattungsrecht

Bezeichnenderweise stammen beide Verfügungen aus dem späten 19. Jahrhundert. Nun könnte man fragen, was das mit dem "dunklen Mittelalter" zu tun haben soll, aber ich glaube, diese Frage erübrigt sich. Wenn Du keine Belege vorweisen kannst, wird halt durch die Jahrhunderte gesprungen und irgendein anderes Fass aufgemacht.
 
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