Der Heilige Gral

Ich habe jetzt die restlichen paar Seiten von Mafés Thesis gelesen. Es geht weniger um den Gral, mehr um eine Analyse mittelalterlicher Literatur zur Artussage und kurz zum Rolandslied. Das Rolandslied in Nordspanien zu verorten, halte ich für verständlich. Bei der Artussage werden Parallelen bemüht, die ich so nicht nachvollziehen kann. Das liegt einerseits daran, dass Etymologien zu Lancelot, Gwenyfer, Camelot etc. herangezogen werden, die spanisch oder französisch Kenntnisse voraussetzen. Ich kann kein Spanisch und mein Französisch ist sehr schlecht. Andererseits wurde im Abstract erwähnt, dass die Arbeit sich bewusst als Förderer des lokalen Tourismus sieht. Außer in dieser Zusammenfassung wird dieser Anspruch nicht explizit erwähnt, aber es wirkt auf mich dadurch teilweise wie bemühtes Lokalmarketing.
 
Ich habe jetzt die restlichen paar Seiten von Mafés Thesis gelesen. Es geht weniger um den Gral, mehr um eine Analyse mittelalterlicher Literatur zur Artussage und kurz zum Rolandslied. [...]
Andererseits wurde im Abstract erwähnt, dass die Arbeit sich bewusst als Förderer des lokalen Tourismus sieht. Außer in dieser Zusammenfassung wird dieser Anspruch nicht explizit erwähnt, aber es wirkt auf mich dadurch teilweise wie bemühtes Lokalmarketing.

mein Eindruck war beim oberflächlichen Überfliegen des Textes ähnlich.

Im Übrigen auch eine Achatschale.

Hier noch aus dem Artikel zu diesem Heiligen Gral:


Mit Hilfe zweier Pergamentrollen aus Ägypten verfolgten die beiden spanischen Historiker Margarita Torres und José Miguel Ortega del Rio nun in dreijähriger Recherchearbeit die Geschichte des Kelchs zurück bis zur Jerusalemer Grabeskirche, die ihn zuvor sieben Jahrhunderte lang beherbergt haben soll.​


An vermeintlichen Heiligen Gralen besteht immerhin kein Mangel:D:

Laut den beiden Historikern gibt es alleine in Europa 200 Kelche und Becher, bei denen es sich um den Heiligen Gral handeln soll.​

Immerhin glauben die beiden Historiker den wahren Heiligen Gral identifiziert zu haben;).

Heiliger Gral: Touristen pilgern zu Kelch in Nordspanien

Chalice of Doña Urraca - Wikipedia
 
Der spanische Wikipedia-Artikel gibt auch einiges zur Rezeption des Buches von Torres/Ortega wieder. Nicht gerade positiv.

Ich kannte bisher nur ordentliches von Torres. War gerade mal auf dem Wikipedia-Artikel zu ihr, da wird an Literatur einiges angeben, was ich gelesen und z.T. im Schrank stehen habe, aber irgendwie scheint sie seit 2010 den Titeln nach zu urteilen eher Belletristik als Fachliteratur verfasst zu haben. Zuletzt wissenschaftlich publiziert scheint sie 2003 zu haben. Auf ihrer Website bei der Uni León konnte ich gar keine Schriftenverzeichnisse finden.
 
Außer in dieser Zusammenfassung wird dieser Anspruch nicht explizit erwähnt, aber es wirkt auf mich dadurch teilweise wie bemühtes Lokalmarketing.
Auch ich hatte diesen Eindruck. Wenn man versucht aus Guinevere < Jimena herauszulesen, weil Urraca aus dem Hause Jiménez gestammt haben soll und aus Lancelot < de Lara (eigentlich Gómez González), dann ist das sehr befremdlich. Und dann die Abbildung aus einer spätmittelalterlichen Handschrift, wo im Hintergrund einer Gralsszene eine ummauerte Stadt abgebildet ist und im Text steht dann „auch Jaca war ummauert“, dann fühle ich mich auf den Arm genommen.
 
In dem Beitrag im International Journal of Scientific Managment and Tourism steht:

Lorenzo, de origen hispano, así lo hizo, repartió todo, pero tuvo a bien guardar el Cáliz del Papa
que, según la tradición oral, había sido utilizado por Jesús.
Se lo dio a un soldado que con una pequeña comitiva partía para Huesca, su ciudad natal. Allí fue custodiado hasta que la conquista sarracena llevó al obispo de la ciudad a buscar cobijo en los Pirineos.
Prueba de este relato que hemos narrado es el capitel historiado de San Sixto que encontramos actualmente en el pórtico de entrada de la Catedral de Jaca. El mismo perteneció al
claustro viejo de la Catedral jaquesa realizado en el siglo XI, fechado entre los años 1044 y 1076.
Y que responde a un programa iconográfico que detalla el mandato del Papa Sixto II en una de las caras, la siguiente Lorenzo entregando a un soldado un objeto bendiciéndolo (el Santo Cáliz), la tercera es el apresamiento del diácono y la última cara del capitel su martirio.
Hier werden Fakten und Faktoide munter vermischt. Das Sixtus-Kapitell der Kathedrale von Jaca ist nicht weiter überraschend, da es eigentlich ein Laurentius-Kapitell ist und Laurentius nun mal als in Osca/Huesca gebürtig in Aragón gewissermaßen als Lokalheiliger verehrt wurde. In der historischen Überlieferung wird gesagt, dass Sixtus II. Laurentius beauftragte, seine Besitztümer an die Armen zu verteilen. Dem ist als Faktoid hinzugedichtet worden, Laurentius habe von Sixtus den Kelch bekommen und diesen dann nach Spanien geschickt. Nun sieht man auf dem Kapitell, dass Laurentius jemandem etwas gibt. Behauptung Mafé: Es sei der Kelch. Diese Behauptung wird dann wiederum als Beleg dafür verwendet, dass Laurentius den Kelch nach Spanien verschickt habe.
 
Wenn der Abendmahlskelch nicht schon beim Spülen gesondert beiseite gestellt wurde, gab es doch wohl 13 Trinkgefäße, also insgesamt wohl 24 gleiche oder 2x12 gleiche, wenn das damals schon so üblich war, von denen nur eines das gesuchte ist. Mehrere Grale sind also erst einmal nicht überraschend. Aber eine auch nur halbwegs sichere Zuschreibung treffen zu können, wäre schon extrem unwahrscheinlich.

Gegenstände zur Erinnerung wurden erst wichtig, als die Zeugen starben. Manchmal werden Hinweise dazu im Johannesevangelium gesehen. Ich denke eher an das Aussterben der ersten Schülergeneration der Zeitzeugen, da diese in Quellen und Tradition bis ca. 150 n. Chr. im Vordergrund stehen. Andere reden von noch späterer Zeit. Wir sprechen also je nach Datierungen von einer Zeit mindestens 60 bis 120 Jahren nach dem Abendmahl, als frühestens geschaut wurde, ob das Tafelgeschirr noch vorhanden war. In einer zwischendurch geplünderten Stadt oder im Besitz von Flüchtlingen.

Ausschließen kann es keiner, aber wahrscheinlicher ist, dass durch Auswahl eine Ikone erzeugt wurde und nicht das echte Ding gefunden, vielleicht auch mehrfach. Wohlgemerkt: Wenn das überhaupt gesucht wurde.

Hier dürfte auch der Grund liegen, dass die Gralslegenden um Joseph von Arimathäa entstanden. Als so ziemlich einziger bekannter Kandidat für den Gastgeber, dem der Gral mutmaßlich gehörte, konnte so in der Legende eine Kontinuität erzählt werden.

Nicht übersehen werden darf auch Folgendes: Bei den über 200 Gralskandidaten dürfte es nur wenige geben, die auf die fragliche Zeit zurückgehen können. Aber so oder so wäre eine Zusammenstellung mit Beschreibung und Geschichte aller 200 Kandidaten kultur- und kunstgeschichtlich interessant.

Randbemerkung:

Der Bretonische Sagenkreis in Spanien ist so ungewöhnlich nicht. Einige Briten gingen nicht in die Bretagne, sondern nach Galizien. Es ist lange her, aber ich habe mal gelesen, dass dadurch in spanischen Sagen britannische Motive eingeflossen seien. Ob das von dem Einfluss der mittelalterlichen 'Ritterkultur' zu trennen ist, kommt mit mir als Frage in den Sinn. Jedenfalls müssen wir feststellen, dass der Bretonische Sagenkreis ab einem gewissen Zeitpunkt europäisches Gemeingut war. Wenn da tatsächliche Bezüge sind und nicht nur viel Fantasie, ist das kaum überraschend und sagt wenig aus. Gralslegenden zu Joseph von Arimathäa gibt es auch schon seit der Antike.
 
In Spanien kann es weitergetragen worden sein, wie es bei Sagen so üblich ist.

Ich sehe jedenfalls keinen Grund, dass, wenn solche Bezüge sicher nachgewiesen würden, sie nur vom Vorhandensein des Grals abgeleitet werden können.
 
Wie gesagt, die Identifikation des Kelchs mit dem Abendmahlskelch ist, obwohl dieser seit dem 12. Jhdt. fassbar ist, erst später aufgekommen. Der „bretonische Sagenkreis“ hat damit nichts zu tun, die Argumentation von Oñate ist im Prinzip die: die Formel mit der in Rom die Eucharistie gefeiert wurde - ich zitiere aus dem Gedächtnis - cum hunc praeclaro calicem - weise daraufhin, dass in Rom mit dem die Messe zelebriert wurde. Das wird als Beleg dafür angeführt, dass der Kelch von Petrus bis Sixtus II. von Papst zu Past weitergegeben wurde. Dann wird spekuliert (dies aber als gesichert angegeben) dass Sixtus den Kelch an Laurentius übergab und dieser den Kelch nach Spanien schickte. Belege dafür: null.
Mafé erzählt genau diese Geschichte, mit Ausnahme der Bezugnahme auf den Text der Eucharistiefeier. Dass sie Oñate nicht zitiert, liegt womöglich darin, dass Oñate, der im nationalkatholischen Stil der Francozeit schrieb vielleicht bei einem auch wegen der Francozeit sehr antikatholischen Sentiment in der spanischen Mehrheitsbevölkerung (was ein wenig im Widerspruch zum ausufernden Prozessionswesen nicht nur während der Karwoche steht) und bei dem tourismuswirtschaftlichen Hintergrund ihrer Arbeit einfach inopportun ist.
 
Wenn der Abendmahlskelch nicht schon beim Spülen gesondert beiseite gestellt wurde, gab es doch wohl 13 Trinkgefäße, also insgesamt wohl 24 gleiche oder 2x12 gleiche, wenn das damals schon so üblich war, von denen nur eines das gesuchte ist. Mehrere Grale sind also erst einmal nicht überraschend. Aber eine auch nur halbwegs sichere Zuschreibung treffen zu können, wäre schon extrem unwahrscheinlich.
Wenn man annimmt, dass das christliche Abendmahl ein jüdischer Kiddusch-Segen war, sollte es dabei nur einen Kiddusch-Becher bzw. Gral gegeben haben.
 
Entschuldigt die zwei folgenden Selbstzitate:

- ich zitiere aus dem Gedächtnis - cum hunc praeclaro calicem -

Hier dann ein Text von mir von 2006 (man wird mir verzeihen, dass ich nach 17 Jahren den obigen Satz nicht perfekt im Kopf hatte:
Schäfer schrieb:
Obwohl die geschichtliche Echtheit des Grals für uns zweitrangig ist...
...gibt Schäfer einen kurzen historischen Überblick über den Weg des Grals von Judäa nach Spanien [S. 52 – 56]. [Kirchenhistorisch versiertere unter uns mögen sich damit auseinandersetzen, ich gebe nur wieder, was Schäfer auf Basis der spanischen Kirchenhistoriker Oñate und Navarrete schreibt.]

Also angeblich sei früher die Kommunion des Blutes nur durch den Papst zelebriert worden [damit habe ich schon Probleme, das zu glauben! Daher die Frage an die kirchenhistorisch gebildeten: ist das glaubwürdig?] und der lateinische Spruch
Accipiens et hunc praeclarum calicem in sanctas ac venerabiles manus suas…
Das Demontrativpronomen hunc, so Schäfer, sei nach Oñate deutlicher Hinweis darauf, dass es sich dabei um den echten Kelch gehandelt habe. Der Kelch sei von Petrus nach Rom gebracht worden und dort von Papst zu Papst weitergereicht worden bis zu Papst Sixtus II. (257/258) der in der Christenverfolgung des Kaiser Valerian (257 – 260) umgekommen sei.
 
Wann soll denn das Schäfer zufolge genau gewesen sein? Die Evangelien und die Paulusbriefe bezeugen ja recht deutlich, dass alle Jünger (und Jüngerinnen) Jesu am Leib und Blut teilhaben, etwa Joh 6, 56. Außerdem dürfte das Papstamt zu dieser Zeit nicht besonders bedeutend gewesen sein, und viele Kirchenhistoriker nehmen sogar eine kollektive Leitung der römischen Gemeinde durch Presbyter an, wie sie auch aus anderen Gegenden bezeugt ist.

Irenäus von Lyon schreibt um 180 in Adversus haereses, der Kelch, in dem Wein und Wasser gemischt und das Brot, das bereitet werde, nehme jeweils das Wort Gottes auf und werde so gemeinsam zur Eucharistie. Auch Justin scheibt um 150 oder 160 in seiner ersten Apologie, während des sonntäglichen Gottesdienstes werde Brot, Wein und Wasser herbeigebracht, und jeder der Anwesenden erhalte Anteil an den Gaben. Seit dem 4. Jh. sind dann so viele Schriften der Kirchenväter bekannt, dass man sicher von einer solchen Besonderheit wüsste.

Man müsste also annehmen, dass die römischen Bischöfe - eigentlich widerstrebt es mir ein wenig, sie schon zu dieser Zeit Päpste zu nennen - bereits im 2. oder 3. Jh. über ein so hohes Selbstbewusstsein verfügten, dass sie einen Teil dieser Eucharistie für sich reservierten. Außerdem hätten die Gläubigen Roms das auch akzeptieren müssen. Ohne einen klaren Beleg erscheint mir das sehr unwahrscheinlich.
 
In den ersten Gemeinden gab es verschiedene Organisationsformen, die jeweils irgendwo zwischen Jüdischer Gemeinde mit Ältesten und Griechischer mit Episkopos zu verorten sind. Dazu kamen Gemeinden mit Aposteln oder wichtigen Apostelschülern mit besonderer Stellung. Über Rom wissen wir nur, dass zumindest einmal ein einzelner Mann "die römische Gemeinde" vertrat und es zeitweise eine Apostelpräsenz gab. Laut Tradition auch noch einen Apostelschüler.

(Doch in Rom gab es wohl schnell unterschiedliche Gemeinden, schon aufgrund der Sprache. Es wird auch vermutet, dass sich ältere jüdische Gemeinden spalteten.)
 
Also angeblich sei früher die Kommunion des Blutes nur durch den Papst zelebriert worden [damit habe ich schon Probleme, das zu glauben! Daher die Frage an die kirchenhistorisch gebildeten: ist das glaubwürdig?] und der lateinische Spruch
Accipiens et hunc praeclarum calicem in sanctas ac venerabiles manus suas…
Das Demontrativpronomen hunc, so Schäfer, sei nach Oñate deutlicher Hinweis darauf, dass es sich dabei um den echten Kelch gehandelt habe.

So wie es dasteht, ist das vollkommener Quatsch.

Der lateinische Spruch wurde "früher" (bis in die 1960er Jahre) von jedem römisch-katholischen Priester bei jeder Messe gesprochen, egal welcher Kelch dabei jeweils benutzt wurde.

Hier sehen wir den Spruch z. B. in einem Sakramentar aus den 850er Jahren, das in Metz entstand und dort auch in Gebrauch war:

upload_2023-5-6_20-9-48.png


Sacramentarium, dit Sacramentaire de Drogon
 
So wie es dasteht, ist das vollkommener Quatsch.
Ich danke dir, die Behauptung kam mir nämlich immer Spanisch vor. @Eichelhäher, ihres Zeichens Lateinlehrerin, hatte die Interpretation damals bestätigt.
Das Rolandslied in Nordspanien zu verorten, halte ich für verständlich.
Was meinst du mit "in Spanien verorten", den Handlungsraum, der liegt beiderseits der Pyrenäen: Zaragoza, Roncesvalles, Hof KdGs, oder den Entstehungsort?
Nur falls du den Entstehungsort meinst: in Spanien war das Rolandslied (Rolando > Orlando) bekannt und ist vermutlich durch die Ehemänner Urracas und Teresas, der Töchter Alfonso VI., und ihr Gefolge zeitweilig popularisiert worden - bevor Urracas Alfonso I. heiratete, war sie ja bereits Witwe. In Spanien wurde Roland/Orlando aber bald zum Antispanier, weshalb man Bernardo el Carpio erfand, ein Ritter, der Roland auf dem Schlachtfeld besiegte. Offenbar hatten die französischen Ritter im Gefolge Heinrichs und Raimunds (beide von Burgund, Cousins, der eine Sohn eines Herzogs, der andere eines Grafen) die Kastilier und Leonesen mit Roland aufgezogen.
 
Was meinst du mit "in Spanien verorten"
Roncesvalles als wichtigster Ort des Rolandslieds liegt in Spanien, genauso wie Zaragoza. Aachen oder andere Orte im Frankenreich sind doch eher Nebenschauplätze. Die Dichtung selbst ist natürlich ursprünglich auf altfranzösisch abgefasst.
Edit: Und das unterscheidet eben das Rolandslied von der Artussage. Bei Artus muss man etwas konstruieren, wenn man es überhaupt irgendwie mit Nordspanien in Verbindung bringen will.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben