B ... wie Bäderarchitektur, Betonbunker: Borkum

dekumatland

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#4
in diesem Beitrag eine Karte zum Festungsausbau auf dem letzten Stand (1918 - danach Untersuchung der Festungsanlagen durch die Militärkommission)
1902 wurde die Insel zur Festung erklärt, es begannen Baumaßnahmen zur Infrastruktur (um größere Bauprojekte überhaupt durchführen zu können)
ab 1908 war die verzweigte Festungsbahn fertig gestellt, sodaß der Bau von modernen Stahlbeton-Festungsanlagen 1908-11 durchgeführt werden konnte. Die über die gesamte Insel strategisch verteilten Anlagen waren modernster Bauart: gesplittete Befestigungsgruppen mit Trennung von Infanterie- und Artilleriestellungen, teilweise auch Fahrpanzer-Anlagen.
1917-18 letzter Ausbau: Batterie Haardt als gesplittete Gruppenbefestigung.
Telefonnetz mit Verbindung zum Festland, dazu Beobachtungs/Überwachungseinrichtungen der Seewege um Borkum (Schutz des Hafens/Seewegs Emden)

Von allen deutschen Nordseeinseln war Borkum deutlich am massivsten & stärksten befestigt. Würde man das Gelände aller Befestigungsgruppen, Batterien, Nebenstände, Leitstände addieren, es wäre größer als die Fläche der heutigen "Stadt" Borkum (!) Und alle "Positions, Ouvrages, Groupes frortifies" waren per Bahn- und Telefonnetz miteinander verbunden.

Zwar litt der Bäderbetrieb zeitweise unter den Baumaßnahmen und unter den Rayonbestimmungen, aber trotzdem wurden die Festungsanlagen in den 20er Jahren, als der Badebetrieb wieder Fahrt aufnahm, als Sehenswürdigkeiten betrachtet. Entfestigt wurde in den 20ern auf Borkum nicht, aber ein Großteil der weitreichenden Artillerie musste entfernt werden (teils zu einer Sammelstelle in Kiel, teils zu einer anderen in Hamburg)
 
...die akribische Untersuchung der Borkumer Festungsanlagen durch die "interalliierte Militärkommission" (vertreten durch überwiegend französische Militärs) gestaltete sich teilweise problematisch: das Dossier "Place de Borkum" berichtet von einem unkooperativen Leutnant Burgkhardt auf Borkum, der u.a. versucht haben soll, die Kommission über die Stärke/Dicke mancher Stahlbetonhäuten zu täuschen und sich strikt weigerte, Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen... ein andermal ließ man die Kommission kilometerweit bei Kälte durch den Regen laufen, indem das abgesprochene abholen per Auto ausblieb... Das Dossier listet auch solche Vorkommnisse auf.

Das ist insofern erstaunlich, als von Anfang an feststand und auch kommuniziert war, dass Borkum nicht entfestigt werden muss.
 
Im vergangenen Winter stürzte ein Bunker aus den Dünen auf den Strand, im Nordosten der Insel. Die Lokalpresse hielt den Betonklotz für ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg.
Das erwies sich als nicht richtig, der Bunker konnte anhand der Detailpläne der interalliierten Militärkommission als Maschinengewehrbunker (Vorfeld/Flankierungsstreiche/Position der mitrailleuse) der Batterie Holzendorff ermittelt werden. Da hatte also ein über 100 Jahre altes Stückchen Festung unzerstört, nur leer geräumt und versandet, überdauert. Vermutlich ist er inzwischen ebenso wie ein vor rund 10 Jahren auf den Strand gestürzter Bunker aus dem Ersten Weltkrieg zertrümmert und abtransportiert.
Auf dem Gelände der Batterie Holzendorff fanden sich auch Gleisreste der Militärbahn - vermutlich sind diese wieder zugeweht, mit Sand überdeckt.

Vergleicht man die vorhandenen Pläne der Festung Borkum Stand 1908-18 (1920-27) und Stand 1938-45 (Atlantikwall), zeigen sich deutliche Übereinstimmungen: ein Großteil der nicht entfestigten kaiserzeitlichen Festung wurde von den Nazis weiter verwendet, teilweise verstärkt und umgebaut, nur relativ wenige zusätzliche Bauten wurden ergänzend hinzugefügt. Nur sehr wenige Teile der Festung von 1918 blieben in der Nazizeit ungenutzt wie z.B. die Batterie Haardt.

Die Entfestigung nach 1945 durch britisches Sprungkommandos war ziemlich gründlich - insofern ist erstaunlich, dass doch immer wieder ungesprengte Bunker/Festungsbauten aus dem Sand auftauchen.

Hier nochmal ein Übersichtsplan aus den 20er Jahren. Die Batterie Holzendorff ist das große, blau markierten Gelände im Nordosten der Insel:
Festung Borkum Plan.png

(der MG Stand ist sogar deutlich oben eingezeichnet)
 
Screenshot_20241009-193907.png

Links mit roter 23: der vor ca 10 oder mehr Jahren abgestürzte/freigespülte MG Stand
Rechts oben mit roter 22: der im letzten Winter abgestürzte/freigespülte MG Stand der Batterie Holzendorff

(der MG Stand der Batterie Haardt steckt noch fast komplett übersandet im Gelände, vermutlich unzerstört)
 
Stop! Ich muss mich korrigieren:
der abgestürzte MG Stand 22 auf den Karten gehört zur Dünenbatterie / "Batterie Düne"

Die Karten/Pläne musste ich so arg verkleinern, um sie hier hochladen zu dürfen, dass sie unleserlich geworden sind - ich habe gerade ins Dossier Place de Borkum geschaut: da sind die Pläne scharf und bestens leserlich. (Die Batterie Holzendorff ist auf dem Festungsplan lediglich eine Stellung für vier Geschütze ohne jegliche zusätzliche Bauten, rechts neben der Dünenbatterie)
Das blau
ausgemalte große Gelände bei MG Stand 22 ist die Dünenbatterie
 
Bildschirmfoto 2024-10-12 um 16.55.50.png

Hier ein 1909 in Stahlbeton errichtetes Festungswerk, der Stützpunkt "Kinderheim" - es handelt sich um einen typischen beschussfesten "Bunker" des seinerzeit modernsten Festungsbaus, vergleichbar mit den so genannten "I Räumen" und "I Stützpunkten" der Festung Mainz/Selztalstellung. Hier allerdings ohne Graben, stattdessen mit Drahtverhau umgeben.

Bildschirmfoto 2024-10-12 um 16.54.50.png
 
...durch Zufall gerade gelesen, dass man nach 1945 ganz gerne "Bunker" sprengte (was bekannt ist) und dass man auch "Bunker" sprengte, weil man sie für welche aus dem Zweiten Weltkrieg hielt, obwohl sie älter waren... nachlesbar hier: Die Reichsfestung Ulm 1914: Abschnitt Neu-Ulm (und man sieht ein paar Fotos, wie solche überwiegend in den Boden eingelassene Betonbauten ausschauten.
Was das mit Borkum zu tun hat? Auf Borkum wurden zahlreiche wilhelminische Stahlbeton"Bunker" gesprengt, weil sie 1933-45 teils weiter genutzt, teils verstärkt und weiter genutzt waren - und offenbar ist es möglich, die älteren mit den jüngeren zu verwechseln ;)
 

Sehr hübsch!
Man kann hier prima essen (!) und hat einen herrlichen Blick. Und obendrein schlemmt man hier auf einem Stück Borkumer Festungsgeschichte, wie man im Link nachsehen kann (sogar mit einem Plan!). Einzig ein kleiner Irrtum ist da vorhanden: es handelt sich beim heimliche-Liebe-Bunker nicht um den Neben- oder Leitstand, sondern um den MG-Stand (rote 33 auf dem Festungsplan 1918/27 UN Archiv Genf). Interessant freilich die Info, dass auf diesem später ein Flak Ringstand aufgesetzt wurde, welcher nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweilig zum "Storchennest" umfunktioniert/überbaut wurde.
Heute sind im Keller der heimlichen Liebe noch mindestens die Fundamente und Wände des MG Stands erhalten.
 
zum Aufbau der Festung Borkum:
- 1902 Festungsstatus
- 1908 Beginn der Fortifizierung
- 1914-18 weiterer massiver Ausbau bis kurz vor Kriegsende (zahlreiche Flak-Batterien)

Auf Borkum finden sich keine massiven Panzerforts, keine großen Artillerieforts (auch wenn der Name einer Bahnhaltestelle "Fort Lüderitz" das suggeriert), nicht einmal Festungsgräben (weder nasse noch trockene) mit Grabenstreichen finden sich; ebensowenig finden sich Traditoren-Batterien zum flankieren der Nachbarwerke:
Bildschirmfoto 2025-09-14 um 18.30.23.png

Diese "Abweichungen" von den üblichen fortifikatorischen Maßnahmen ab 1885 resultieren aus dem Gelände: die flache, nur an einer rückwärtigen Stelle mit größeren Schiffen erreichbare Insel, benötigt keine Grabenhindernisse wie ein Fort oder Zwischenwerk. Nordsee und Watt inklusive Gezeiten, Außensänden etc sind "Graben" genug ;) Trotzdem hat die Inselfestung für den unwahrscheinlichen Fall von Anlandungen feindlicher Truppen (z.B. im Schutz von Nebel/Schlechtwetter/Dunkelheit, was allerdings ein sehr riskantes Unterfangen gewesen wäre (Watt, Gezeiten usw)) rundum genügend "Graben-/Zwischenraumstreichen": es sind die rundum verteilten MG-Stände an den Stränden (siehe Plan)
Am ehesten den seinerzeit modernsten Festungsbauten wie "Fort auf der Muhl (Selztalstellung)" ähnelnd sind die 1908-11 gebauten "abri de combat" I-Stützpunkt Jägerheim, Kinderheim, Südbatterie (ausgestattet mit infanteristischer Nahverteidigung (betonierte Schützengräben vor den Geschützstellungen und vor den erschiedenen Bunkern) Ansonsten zeigt sich die Insel als durchgehend der aufgelösten/gesplitteten Bauweise der Befestigungsgruppen verpflichtet. (jede Batteriestellung war mit einer 10m breiten Stacheldrahtzone umgeben, einerseits für den unwahrscheinlichen Fall einer feindlichen Landung, andererseits um das ohnehin gesperrte Militärgelände abzuschotten)

Die Entwicklung von der zunehmend verstärkten Kette von Forts und Zwischenwerken hin zur gesplitteten Befestigungsgruppe kann man schön an den Strukturen der Gürtelfestung Köln ablesen. Die nachfolgenden Kartenausschnitte sind aus dem IMKK Dossier Demantelement de Cologne.
Bildschirmfoto 2025-11-20 um 19.14.14.png

(die Armierungswerke waren als Gerippestellung vorbereitet, sollten im Kriegsfall dann in relativ kurzer Zeit fertig gebaut werden)

hier ein Abschnitt der verstärkten Fortkette:
Bildschirmfoto 2025-11-20 um 19.14.34.png


und hier ein Abschnitt der älteren (1890-1900) verstärkten Fortkette mit vorgelagerter Befestigungsgruppe:
Bildschirmfoto 2025-11-20 um 19.15.02.png


Ganz offensichtlich realisiert Borkum das seinerzeit modernste und stärkste bzw widerstandsfähigste Festungskonzept, die aufgelöste Bauweise der Befestigungsgruppen.

hierzu noch ein Lexikontext, der bzgl. Borkum schon ein wenig veraltet war, Lexikon der Technik 1904/6
und darin speziell der Abschnitt über Befestigungsgruppen (nützlich auch die Abschnitte über Küstenbefestigungen, denn das zählte auch zu den Funktionen der Festung Borkum)
 
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