Landsleute

Naresuan

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Heute ist wieder einmal 1. August und Nationalfeiertag in der Schweiz.
Regelmäßig zu diesem Datum, versuche ich mich auf den neusten Forschungsstand zum Thema Bundesbrief zu bringen.
Der offizielle Standpunkt des Bundesrates (Stand 2020)
und ein erfrischend humorvoller Artikel im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums vom letzten Jahr
geben dazu Auskunft.

Ich bin mit diesen Gesamteinschätzungen völlig zufrieden, bleibe aber, wie so oft, im Detail hängen:

Einer der bedeutsameren Artikel im Bundesbrief lautet:
Communi etiam consilio et favore unanimi promisimus, statuimus ac ordinavimus, ut in vallibus prenotatis nullum iudicem, qui ipsum officium aliquo precio vel peccunia aliqualiter comparaverit vel qui noster incola vel conprovincialis non fuerit, aliquatenus accipiamus vel acceptamus.

deutsch:
Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landsmann ist, annehmen sollen.

Mich interessiert vor allem "noster incola vel conprovincialis". Handelt es sich hier eher um eine Wiederholung oder waren incola (Einwohner) und conprovincialis (Landsleute) um 1300 zwei verschiedene Dinge?

Es gab damals in den vom Bundesbrief beteiligten Tälern Höfe und Ländereien, welche auswärtigen Besitzern gehörten und die dort vermutlich sowohl einheimisches wie von auswärts mitgebrachtes Personal beschäftigten. Wer wurde als Einwohner bzw. Landsmann betrachtet?

Einen schönen 1. August allerseits!
 
Es gab damals in den vom Bundesbrief beteiligten Tälern Höfe und Ländereien, welche auswärtigen Besitzern gehörten und die dort vermutlich sowohl einheimisches wie von auswärts mitgebrachtes Personal beschäftigten. Wer wurde als Einwohner bzw. Landsmann betrachtet?
Vorsichtige Mutmaßung:

Könnte das eine Formulierung sein, die den Besonderheiten des Urkantons "Unterwalden" Rechnung trug?

In diesem bildeten sich ja im Spätmittelalter die Halbkantone "Obwalden" und "Nidwalden" heraus.
Mag es sein, dass die zunehmend separaten Entwicklungen in diesem Gebiet, die später auf die faktische Teilung des Kantons hinausliefen hier angesprochen sein könnten?
 
auch wenn es langweiliger ist,
Langweilig für uns! Die Urschweizer hatten wahrscheinlich viel zu tun, um die Ausnahmeregelung durchzusetzen und sie in der eh unübersichtlichen Gerichtsbarkeit ihrer Zeit unterzubringen, mit oder ohne Tautologie. :D
Könnte das eine Formulierung sein, die den Besonderheiten des Urkantons "Unterwalden" Rechnung trug?
Wer genau neben Uri und Schwyz noch mit "communitas hominum Intramontanorum Vallis Inferioris" (die Gemeinde der Leute der unteren Talschaft von Unterwalden) gemeint war und warum diese Einschränkung auf das untere Tal gemacht wurde, ist nicht abschließend geklärt. Allgemein wird angenommen, es sei Nidwalden gemeint, das Siegel ist jedoch jenes von Unterwalden.

Falls es darauf zurückzuführen ist, dass der Schreiber die Verhältnisse in den Waldstätten nicht genau kannte, dann müsste man davon ausgehen, dass er die Besonderheiten im Kanton Unterwalden auch sonst im Text nicht berücksichtigte. Falls aber das Gegenteil der Fall wäre, also der Schreiber die Umstände ganz genau kannte, dann wäre dein Einwand berechtigt, denn es könnte, aus einem besonderen Grund, Obwalden im Text namentlich ausgelassen und durch eines der beiden Wörter trotzdem mit eingeschlossen worden sein.
Um das zu beurteilen, kenne ich mich bei Winkelzügen in Dokumenten jener Zeit zu wenig aus.

Ich hätte mir noch eine Differenzierung zwischen untertänigen Einwohnern und freien Bauern vorstellen können, in dem Sinne, dass man explizit Erstere auch einbeziehen wollte, vermute aber auch eine Wiederholung, denn solche Briefe waren wohl nur für die Belange der Freien geschrieben und von Schreibern, die nicht jede Nuance der lateinischen Rechtsbegriffe kannten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Falls aber das Gegenteil der Fall wäre, also der Schreiber die Umstände ganz genau kannte, dann wäre dein Einwand berechtigt, denn es könnte, aus einem besonderen Grund, Obwalden im Text namentlich ausgelassen und durch einen der beiden Wörter trotzdem mit eingeschlossen worden sein.
Es war nur eine Fixe Idee, so gut kenne ich mich mit der Geschichte der Schweiz nicht aus.

Ich hatte zuerst auch an die später gängige Kategorie von der Eigenossenschaft zugehörigen Orten und dem dazugehörigen "Untertanenland" gedacht, hatte das dann aber wieder verworfen, weil ich überhaupt nicht weiß, ob es diese Konsturktion in der "Urschweiz" schon in irgendeiner Form gab, oder ob das erst später mit der Anschluss der größeren Ortschhaften mit einem größeren Territorium, im Besonderen Bern eine Rolle zu spielen begann.
Ich weiß im Bezug auf Unterwalden auch nicht, wie weit die Entwicklung, an deren Ende dann die beiden Halbkantone standen zurückgeht und ob die damals überhaupt schon fassbar war.
 
Ich hatte zuerst auch an die später gängige Kategorie von der Eigenossenschaft zugehörigen Orten und dem dazugehörigen "Untertanenland" gedacht, hatte das dann aber wieder verworfen, weil ich überhaupt nicht weiß, ob es diese Konsturktion in der "Urschweiz" schon in irgendeiner Form gab, oder ob das erst später mit der Anschluss der größeren Ortschhaften mit einem größeren Territorium, im Besonderen Bern eine Rolle zu spielen begann.
Mein "untertänige Einwohner" war ja auch der falsche Begriff für die Zeit um 1300. "Unfreie" wäre für die Zeit wohl passender, allenfalls noch "Eigenleute" oder im adligen und klösterlichen Umfeld "Dienstleute". In den Waldstätten waren vor allem die Klöster mit Grundbesitz stark vertreten und im Konflikt mit den freien, nicht adligen Grundbesitzern.
Inwieweit da eben z.B. Personal des Klosters Einsiedeln, heute gänzlich im Kanton Schwyz gelegen, als Einheimische betrachtet wurden oder der damalige* Reichsvogt in den Waldstätten, Werner von Homberg, Graf zu Rapperswil, kein Conprovincialis war, ist mir alles noch ein Rätsel.

Die Gründungszeit der Eidgenossenschaft wird hier nur wenige interessieren. Vielleicht kann aber allgemein noch mehr zur mittelalterlichen Sicht auf Begriffe wie "einheimisch" oder "auswärtig" gesagt werden.

*Nach neustem Forschungsstand wurde der Bundesbrief möglicherweise erst 1309 geschrieben und ins Jahr 1291 (Tod König Rudolfs) rückdatiert. 1309 tritt der Homberg jedoch bereits als Reichsvogt auf und das scheinbar einvernehmlich mit den freien Bauern.
 
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