Helvetiereinöde

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Gast

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Servus.
Schreibe grad an meiner Facharbeit und bräuchte ein paar Informationen über die Helvetiereinöde.
Danke
 
Ganz kurz: man vermutet, dass sich diese Einöde irgendwo im Bereich des Schwarzwalds und der Donauquellen befand. Von dort sollen die Helvetier dann erst ins Gebiet der heutigen Schweiz eingewandert sein. Erhärtet wird dieser Umstand durch archäologische Forschungen an den Oppida im Oberrheintal und durch die weitgehende Fundarmut in Süddeutschland während der frühen Kaiserzeit. Dazu gibt es einen Aufsatz in einem Sammelband, sobald es mir einfällt, wie der Autor hieß, werde ich das noch mal posten.
 
Es wäre glaub ich an der Zeit dieses Thema wieder mal aufzugreifen. Das schöne an den Kelten ist, dass wir über sie laufend neues lernen. So wie die letzten Herbst durch die Medien gegangenen Infos über Forschungsfortschritte zum Oppidum Heidengraben auf der Schwäbischen Alb. Das Ding war noch grösser als man eh schon gedacht hat und, es war im 1. Jh. vor Chr in Betrieb! Das Fragezeichen hinter dem von Ptolomäus kreierten Begriff "Helvetier-Einöde" wird immer grösser...
 
Es wäre glaub ich an der Zeit dieses Thema wieder mal aufzugreifen. Das schöne an den Kelten ist, dass wir über sie laufend neues lernen. So wie die letzten Herbst durch die Medien gegangenen Infos über Forschungsfortschritte zum Oppidum Heidengraben auf der Schwäbischen Alb. Das Ding war noch grösser als man eh schon gedacht hat und, es war im 1. Jh. vor Chr in Betrieb! Das Fragezeichen hinter dem von Ptolomäus kreierten Begriff "Helvetier-Einöde" wird immer grösser...
Viele Oppida, die im 1. Jh. v. Chr. in Betrieb waren, wurden eben in diesem Jahrhundert aufgegeben. Und entsprechende römische Städte wurden erst Jahrzehnte später bzw. im nächsten Jahrhundert gegründet.
Mit Belegen für eine kontinuierliche Besiedlung sieht es nach wie vor sehr mau aus:
https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiV6fmzrYPuAhWSk4sKHYj1BxAQFjAAegQIBRAC&url=https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/arch-inf/article/download/56943/48307/&usg=AOvVaw1JEmhl_Sz8Pag2K6J0qMBS
 
nun ja, die Aufgabe der Oppidae sagt natürlich nicht unbedingt was über einen Wegzug der umwohnenden Bevölkerung
Das Donnersbergoppidum z.B und etliche andere kleinere Ringwallanlagen in der Gegend wurden ebenfalls mit Ausnahme des Hunnenrings kurz vor Ankunft der Römer in dem dem Gebiet offensichtlich unzerstört aufgegeben. Trotzdem bestanden die umgebenden Siedlungen weiter und Caesar z.B. erwähnt ja Stämme wie die Treverer oder Aresaken in dem Gebiet Und diese Gruppen waren auch organisiert genug um den Römern selbst 70 n.Chr.noch Widerstand entgegenzusetzen wie die Sclacht bei Riol zeigte.
Trotz der Aufgabe der Oppidae blieb also die Bevölkerung vor Ort.
Nur die Strukturen hatten sich wohl geändert.
 
das ist schon klar. Was mich interessiert ist der Grund warum, obwohl die meisten Oppidae sowohl links- als auch rechtsrheinisch wohl relativ zeitgleich kurz vor Ankunft der Römer aufgegeben wurden, aus einer Gegend (Helvetiereinöde) massive Abwanderung festzustellen ist , aus anderen Gegenden (Eifel-Hunsrück-Pfalz) jedoch nicht.
Hinzu kommt, dass manche Gegenden wie der Odenwald(hercynischer Wald ???) offensichtlich damals schon immer Einöde und kaum besiedelt waren.
 
das ist schon klar. Was mich interessiert ist der Grund warum, obwohl die meisten Oppida sowohl links- als auch rechtsrheinisch wohl relativ zeitgleich kurz vor Ankunft der Römer aufgegeben wurden, aus einer Gegend (Helvetiereinöde) massive Abwanderung festzustellen ist , aus anderen Gegenden (Eifel-Hunsrück-Pfalz) jedoch nicht.
Hinzu kommt, dass manche Gegenden wie der Odenwald(hercynischer Wald ???) offensichtlich damals schon immer Einöde und kaum besiedelt waren.

Eigentlich geht man im Eifel-Hunsrück-Gebiet nicht von einer Aufgabe der oppida vor der Römerzeit, sondern mit der Römerzeit aus, die oppida wurden zugunsten von municipii und anderen Siedlungsformen aufgegeben, nachdem die Römer die Region erobert hatten. Bei einem oppidum hat man sogar nachgewiesen, dass darin kurzeitig eine römische Einheit stationiert war, also während das oppidum noch bewohnt wurde.
 
das ist nicht so ganz richtig.
Das Donnersbergoppidum z.B. und auch die umliegenden weiteren kleineren Oppidae wurden bereits vor 50 v.Chr. komplett aufgegeben , also bevor die Gegend unter direkte römische Herrschaft geriet. Auch wurden keine Spuren römischer Besatzungen in den Oppidae gefunden.
Auch Caesar erwähnt die Oppidae der Gegend im Bello Gallico nicht und der hätte sicher was drüber geschrieben, wenn sie noch in Gebrauch gewesen wären.
Die absolute Ausnahme, auf die Du dich sicher beziehst, war der Hunnenring bei Otzenhausen, der Spuren römischer Belagerung und Besatzung aufweist und in dessen Nähe das Marschlager Hermeskeil lag. Sehr wahrscheinlich war die Anlage aufgrund Lage und Art der Befestigung der Rückzugsort oder sogar der Sitz des treverischen Herrschers Indutiomarus, .

Wer von Saarbrücken oder Trier Richtung Kaiserslautern fährt sollte sich übrigens die Besichtigung des Hunnenrings nicht entgehen lassen -eine sehr eindrucksvolle Anlage
 
Was mich interessiert ist der Grund warum, obwohl die meisten Oppidae sowohl links- als auch rechtsrheinisch wohl relativ zeitgleich kurz vor Ankunft der Römer aufgegeben wurden, aus einer Gegend (Helvetiereinöde) massive Abwanderung festzustellen ist , aus anderen Gegenden (Eifel-Hunsrück-Pfalz) jedoch nicht.
da habe ich zwei Punkte dunkel in Erinnerung
  • einmal waren diese Oppida zunächst wichtige Handelsniederlassungen für den über Massalia organisierten griechischen Handelsverkehr die Rhone aufwärts in Richtung Rhein und dann ostwärts (Wein). Die Einfuhr der mediterannen Luxusgüter über diese Route kam aber bald nach dem Ende des 6. Jhs. zum Erliegen (Wegfall der wirtschaftlichen Grundlage). Stattdessen erblühte nach der späten Hallstattzeit in der Frühlaténe der "Direkttransport" über die Alpen
  • zum zweiten sind die Siedlungsräume durch den Zug von Kimbern, Teutonen und Ambronen Ende des 2. Jh. entlang der Donau in Richtung Frankreich (unter Einbeziehung keltischer Bevölkerung wie der Tiguriner) sowie der kurze Zeit später ebenso ziehenden Sueben (erste Hälfte des 1. Jh.) beeinträchtigt worden; so lässt sich eine zeitliche Korrelation mit der zweiten Manchinger Befestigung (105 v. Chr. +/- 6 Jahre) nicht von der Hand weisen.
Das führt dann zu den Berichten von Poseidonios und Ptolmäus, denen zufolge "in der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. keltische Stämme aus Süddeutschland und der Nordschweiz abgewandert sind. Zu diesen gehörten sicherlich die Helvetier, die ursprünglich in Südwestdeutschland ansässig gewesen sind und durch ihren Abzug die sprichwärtliche "Helvetische Einöde hinterlassen haben". ( Schußmann, Die Kelten in Bayern, S. 41)
 
Zuletzt bearbeitet:
das scheint mir beides ein durchaus schlüssiger Ansatz zu sein, wobei die Verschiebung der Handelsschwerpunkte wohl schon in der vorrömischen Zeit erfolgt sein könnte, wenn man die Funde etruskischer Handelsgüter wie der etruskischen Schnabelkannen betrachtet. Deren Produktionsort in Mittelitalien und deren Fundschwerpunkt nördlich der Alpen im Rhein/Main-Nahe/Mosel-Gebiet sowie Taunus und Hunsrück und deren Fehlen bzw nur durch Einzelfunde belegte Existenz im Bereich der "Einöde" legt diese Schlussfolgerung nahe. Der Durchzug der Kimbern, Teutonen und Ambronen könnte daher nur der coup de grace für die Donauoppidae gewesen sein nachdem durch allmähliche Umleitung der Handelsströme diese bereits ökonomisch ins Abseits geraten waren,
Möglicherweise hing das Erlöschen des Handels der Griechen mit den Kelten entlang der Donau auch mit dem Vordringen keltischer Stämme nach Mittelgriechenland (Delphi) in dieser Zeit zusammen, während die Rhone-Rhein-Route weiterhin intakt blieb.
 
Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt soll "Archäologie – das heißt die kritische Neubearbeitung von Fundplätzen und Funden des
1. Jahrhunderts v. Chr. – mit der Auswertung von Pollenprofilen zur Geschichte der Landnutzung" zusammenbringen. Ob dadurch Licht ins Dunkel kommt?



Alle Funde und Befunde sprechen dafür, dass sich das Ende der rechtsrheinischen Oppidakultur nicht als langsamer Niedergang vollzog, sondern rasch und radikal erfolgte. Der Zusammenbruch begann in Südwestdeutschland um 100 v. Chr. und führte dazu, dass in kürzester Zeit das Leben auf dem Lande wie in der Stadt erlosch: Repräsentative Gutshöfe wurden eingeäschert, blühende Dörfer verlassen, großzügig geplante Städte nicht weiter ausgebaut (Kirchzarten und Heidengraben, Baden-Württemberg). Bisher ist es allerdings ein Rätsel, warum und wohin die keltischen „Helvetier“ verschwunden sind, die laut Tacitus ursprünglich zwischen Rhein, Main und oberer Donau gelebt haben sollen. Hatte es eine Revolution gegeben? Brach eine Pandemie aus? Kam es zu Umweltkatastrophen? Sind die Kelten vor den aus dem Norden kommenden Kimbern geflohen, die zwischen 113 und 110 v. Chr. durch Süddeutschland gezogen sein sollen? Oder haben sie sich freiwillig deren Raubzügen angeschlossen und sind auf den germanischen Schlachtfeldern in Südfrankreich und Oberitalien gefallen? Wo auch immer sie geblieben sind, alles spricht dafür, dass sie die „Helvetiereinöde“ zurückließen, die schon in der Antike sprichwörtlich wurde.
 
Der Zusammenbruch begann in Südwestdeutschland um 100 v. Chr. und führte dazu, dass in kürzester Zeit das Leben auf dem Lande wie in der Stadt erlosch:

Und dieser Zusammenbruch gilt ebenso für die in Hessen gelegenen Oppida Heidetränke, Rimberg, Eisenköpfe, Hünstein, Heunstein und andere.
 
Irgendwo in diesem Forum habe ich, wenn ich mich recht erinnere, gelesen, dass Caesar aus politischen Gründen die Gallier pauschal links des Rheins und die Germanen rechts von ihm verortet habe: Er habe plausibel machen wollen, warum sich seine gallischen Eroberungen auf rechtsrheinische Gebiete beschränkten. Wenn aber die keltische Epoche Süddeutschlands zu Caesars Zeiten im Großen und Ganzen schon wieder vorbei war, dann entsprach seine Ethnografie eben doch den damaligen Tatsachen; wieder ein Beispiel dafür, dass die antiken Autoren nicht so häufig geflunkert haben, wie manche heute denken.
 
Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt soll "Archäologie – das heißt die kritische Neubearbeitung von Fundplätzen und Funden des
1. Jahrhunderts v. Chr. – mit der Auswertung von Pollenprofilen zur Geschichte der Landnutzung" zusammenbringen. Ob dadurch Licht ins Dunkel kommt?

Ein weiteres interessantes Zitat:

Hier hilft ein Blick nach Bayern weiter. Dort konnte aufgrund sorgfältiger Überprüfung archäologischer Altfunde die sogenannte
Südostbayerische Gruppe anhand ihrer typischen Keramik und Fibeln identifiziert werden.
Diese aus Nordwestthüringen eingewanderten Germanen haben sich kurzfristig, zwischen circa 80 und 40 v. Chr., in dem von den Kelten bereits
verlassenen Land entlang wichtiger Fernverkehrswege niedergelassen, bevorzugt in ehemaligen Gutshöfen, die vielleicht noch am Birkenbewuchs
kenntlich waren. Wie die Gräber der Einwanderer verraten, haben sie es zu einigem Wohlstand gebracht, bevor sie von heute auf morgen spurlos
wieder im Strom der Wanderungen dieser bewegten Zeit verschwanden.
 
Und dieser Zusammenbruch gilt ebenso für die in Hessen gelegenen Oppida Heidetränke, Rimberg, Eisenköpfe, Hünstein, Heunstein und andere.
Das Heidetränk-Oppidum und auch der Dünsberg (90 ha!) oder die Amöneburg sind in der geographischen Lage, Dominanz und Größe etwas ganz anderes als die genannten kleineren, im Marburger Hinterland gelegenen Ringwallanlagen. Sie waren ganz sicher politische Zentren mit überregionaler wirtschaftlicher Bedeutung, liegen an Fernhandelsstrecken und am Rande oder inmitten landwirtschaftlicher Günsträume und schon jahrtausende bestehender Siedlungskammern.

Ganz anders die Ringwallanlagen im Bergland. Sie sie sind oft sehr klein (3 -12 ha), eng benachbart, dennoch mit Spuren permanenter Besiedelung und vor allem der örtlichen Metallverarbeitung!
In der Ringwallanlage Rittershausen (LDK) wurde z.B. eine komplette Schmiedeanlage für Eisen ausgegraben, Buntmetallverarbeitung wurde an den Eisenköpfen nachgewiesen. Es gab noch viel mehr dieser Ringwallanlagen, die im LDK und im Siegerland (z.B. Hohenseelbachskopf/ Mahlscheid) durch den Basaltabbau schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert zerstört worden sind.

Man muss aber keine örtlichen kriegerischen Auseinandersetzungen oder lokale Epidemien als Ursache für den Niedergang dieser befestigten Anlagen bemühen:

Sie verdanken ihre Existenz ausschließlich dem latènezeitlichen Wirtschaftssystem mit überregionalen Handelsbeziehungen, das schon ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dann ab 50 v. Chr. endgültig zusammenbrach. Diese Metallproduktion war für einen Absatzmarkt in ganz Mittel- und Westeuropa, nutzte die Verkehrswege an Lahn, Rhein und Mosel. Das funktionierte nur mit Gewinnen aus überregionalem Handel.

Mit der römischen Dominanz im Mittelmeer, und später in Gallien, brach dieser gesamte Absatzmarkt zusammen, und damit die wirtschaftliche Grundlage.
 
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