Abitur - 5. PK - Vietnamkrieg

chiefkeef

Neues Mitglied
Hallo,
ich muss bald meine Leitfrage für die 5. PK in Geschichte zum Thema Vietnamkrieg – speziell zum My Lai-Massaker – abgeben. Meine bisherige Fragestellung lautet:
Was zeigt der Umgang mit dem My Lai-Massaker über den Unterschied zwischen Kriegsführung und Kriegsverbrechen?
Ich bin mir aber unsicher, ob sie kritisch und präzise genug ist. Vielleicht könnt ihr mir ja dabei helfen.
Viele Grüße
 
Ich verstehe deine Frage nicht wirklich. Kriegsführung und Kriegsverbrechen kann man doch gar nicht miteinander vergleichen. Selbstbild/Anspruch und Handlung (Kriegsverbrechen) kann man miteinander vergleichen. Ich empfehle als Lektüre Welzer, Täter. Das basiert im Wesentlichen auf Browning, Ordinary Men/Ganz normale Männer, also auf Verbrechen des WKII, spannt aber den Bogen über Vietnam (My Lai) nach Rwanda.
 
Ich verstehe deine Frage nicht wirklich. Kriegsführung und Kriegsverbrechen kann man doch gar nicht miteinander vergleichen. Selbstbild/Anspruch und Handlung (Kriegsverbrechen) kann man miteinander vergleichen. Ich empfehle als Lektüre Welzer, Täter. Das basiert im Wesentlichen auf Browning, Ordinary Men/Ganz normale Männer, also auf Verbrechen des WKII, spannt aber den Bogen über Vietnam (My Lai) nach Rwanda.
Welche Leitfrage würdest du denn empfehlen? Ich hatte noch den Ansatz von Erinnerungskulturen vergleichen.
 
Nur ein paar Gedanken dazu...

Ich bin überzeugt davon dass in My Lai (Dorf Sơn Mỹ, Kreis Sơn Tịnh, Provinz Quảng Ngãi/Mittel Vietnam) eines der größten Verbrechen/Massker an Zivilisten durch US-Militärs im 20. Jahrhundert stattfand.
Diesem Massaker fielen 500 Zivilisten, davon 117 Kinder und 180 Frauen am 16.März 1968 zum Opfer!

Ich zitiere mal den damaligen Chefermittler der US-Armee, Generalmajor Kenneth Hodson (27. Richter Generalanwalt der US-Armee):

Es war ein Massaker.
Es war eine Verletzung aller Regeln der Kriegsführung, wie ich sie nie in meinem Leben gesehen hatte. Es war kaltblütiger Mord“.
 
Welche Leitfrage würdest du denn empfehlen? Ich hatte noch den Ansatz von Erinnerungskulturen vergleichen.
Mit dem Begriff der Erinnerungskultur tue ich mir in diesem Zusammenhang schwer. Unzweifelhaft hat die US-Armee in Vietnam Kriegsverbrechen begangen, doch impliziert der Begriff der "Erinnerungskultur" in meinen Augen eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Die Untersuchung dieser Frage scheint mir für den angegebenen Rahmen zu anspruchsvoll.

Das gilt wohl auch für diesen Vorschlag:
Selbstbild/Anspruch und Handlung (Kriegsverbrechen) kann man miteinander vergleichen.
Das ist ein Thema für Militärsoziologen. Denn offenbar geht es bei der Fragestellung um ethische und nicht um kriminologische Aspekte. Kriegsverbrechen und Verbrechen im Krieg sind jedoch nicht dasselbe, obwohl sie beide als Kriegsverbrechen bestraft werden. Jeder Ausschnitt der Bevölkerung weist eine gewisse Kriminalitätsbelastung auf; je jünger, männlicher und ärmer, desto höher. Wenn man also 500.000 junge Männer als Wehrpflichtige einzieht und an einem Ort versammelt, ist ein gewisses Hintergrundrauschen an Straftaten schon mal unvermeidlich.

Man könnte sicherlich gewinnbringend die Frage untersuchen, wie My Lai die Politik der USA verändert hat. Hier lässt sich dann auch auf das Selbstbild der US-Gesellschaft ("wir sind die Guten") und die Wahrnehmung der USA durch die Weltöffentlichkeit eingehen.

Um es mal plakativ zu formulieren: Jeder politisch interessierte Westler kennt den Namen des Ortes My Lai; aber wer hat je von dem Massaker mit mindestens 2.800 Toten gehört, das Vietcong und Nordvietnamesen wenige Wochen zuvor in Hue verübt hatten? Ich will damit sagen, die innen- und außenpolitischen Folgen von My Lai waren keineswegs selbstverständlich.

Man kann sich sogar vorstellen, dass My Lai nicht zu einem derart großen Problem für die Kriegsanstrengungen der USA geworden wäre, wenn die Armee das Massaker gleich zugegeben und die Verantwortlichen konsequent bestraft hätte.
 
Was zeigt der Umgang mit dem My Lai-Massaker über den Unterschied zwischen Kriegsführung und Kriegsverbrechen?
Ich würde ad hoc sagen, dass Kriegsführung sich innerhalb bestimmter humanistischer(ja, wirklich!) Regeln bewegt.

Schließlich sind ja international Handlungsregeln vereinbart worden, die man im Kriegsfall nicht überschreiten soll.

Alles darüber hinaus wäre dann ein Kriegsverbrechen.


Als bekanntestes Beispiel für Regeln im Kriegsfall fällt mir da die "Genfer Konvention" ein.

Das Verhältnis von Kriegsführung und Kriegsverbrechen könnte man visualisieren.

So ungefähr meine ich das:
Unbenannt.jpg
 
Amerikanische Soldaten haben auf die Frage, warum sie Kleinkinder erschossen haben, geantwortet, diese hätten ihrerseits schießen können. Das ist natürlich absurd, zeugt aber von einer gewissen Vietcong-Hysterie, welche die Soldaten erfasst hatte.
 
Schließlich sind ja international Handlungsregeln vereinbart worden, die man im Kriegsfall nicht überschreiten soll.
Diese Regeln haben allerdings einige Haken, angefangen damit, dass das Kriegsvölkerrecht mehr oder weniger einen symetrischen Staatenkrieg, als den Normalfall eines Krieges annimmt, was auf die Realität nur bedingt zutrifft.

Auch bemisst sich nicht zwangsläufig am Ausmaß an Brutalität, was rechtlich betrachtet ein Kriegsverbrechen ist und was nicht.

Z.B. kann ein großangelegter Artilleriebeschuss oder ein Bombardement legitimer militärischer Ziele grundsätzlich legal sein, auch wenn Gefahr besteht, dass Zivilisten dabei zu schaden kommen, z.B. weil sich diese militärisch legitimen Ziele (z.B. Munitionsfabriken oder feindliche Einheiten) irgendwo in städtischem Gebiet befinden, so dass Gefahr besteht, dass Zivilisten von Querschlägern erwischt werden und dabei auch sonst reichlich Schaden angerichtet wird.

Demgegenüber stellt es aber sehr wohl ein Kriegsverbrechen dar, wenn z.B. ein nicht als Kriegsteilnehmer unmittelbar erkennbarer (sprich nicht uniformierter oder gekennzeichneter) Partisan/Guerilliakämpfer auf einen Soldaten der anderen Seite schießt obwohl Impact und faktische Auswirkungen deutlich geringer sind, als wenn z.B. ein von Regulären Truppen umkämpfter Straßenzug durch Artilleriebeschuss umgepflügt wird.

Ich würde ad hoc sagen, dass Kriegsführung sich innerhalb bestimmter humanistischer(ja, wirklich!) Regeln bewegt.
Wirf mal einen Blick in Clausewitz' "vom Kriege" und seine Gedanken über die Logik der Selbstmäßigung von Kriegsparteien in Anschauung der von ihnen verfolgten Zielsetzungen.

Es gibt durchaus Grund anzunehmen, dass Parteien in kriegerischen Auseinandersetzungen (jedenfalls Symetrischen) sich selbst bestimmte Grenzen auferlegen.
Ein Beispiel wäre etwa das weitgehende Unterbleiben des Einsatzes biologischer oder chemischer Kampfmittel im Zusammenhang mit regulären Kampfhandlungen im 2. Weltkrieg (obwohl solche Mittel seit dem vorherigen Krieg bekannt waren), im Besonderen im Westen.
Theoretisch hätten sowohl NS-Deutschland, als auch im Besonderen die Westmächte, die die Mittel dazu hatten den Krieg weiter eskalieren können, was die Dimension des Schreckens angeht, allerdings scheinen beide Parteien zu dem Schluss gekommen zu sein, dass das nicht in ihrem Interesse lag und deswegen darauf verzichtet zu haben.

Wenn solche Selbstmäßigungslogiken greifen, dann allerdings weniger aus humanistischen Beweggründen, als aus Gründen der rationalen Zweckmäßigkeit und Interessen der beteiligten Parteien.

Was zeigt der Umgang mit dem My Lai-Massaker über den Unterschied zwischen Kriegsführung und Kriegsverbrechen?
Wie von anderer Seite schon angesprochen, Kriegsführung und Kriegsverbrechen lassen sich nicht sinnvoll vergleichen.

Aber vielleicht könntest du einen Vergleich über den Umgang mit verschiedenen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg anstellen und herausarbeiten, ob sie zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Reaktionen geführt haben, die sich beobachten lassen?
 
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@DerNutzer

Das ist gewiss richtig, bildet aber nur einen Teil der Realität ab. Zunächst einmal haben Kombattanten das völkerrechtliche Privileg, einander straflos zu töten. Sie dürfen durchaus auch zivile Opfer verursachen, wenn die Kollateralschäden durch einen militärischen Vorteil aufgewogen werden. Umso größer der Vorteil, desto größer die akzeptablen Kollateralschäden. Verboten ist militärische Gewalt, die keinen militärischen Zweck hat: gezielte Angriffe auf Zivilisten, unnötige Zerstörungen und unnötiges Leid.

Kriegsverbrechen können—im Sinne der Kausalität, nicht des Rechts—durch Fahrlässigkeit geschehen, indem schlecht ausgebildete oder panische Soldaten das akzeptable Gewaltmaß überschreiten. Sie können durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen oder eine ideologisch extreme Regierungspolitik gefördert oder gar ausdrücklich angeordnet werden. Und es gibt ein gewisses Hintergrundrauschen an unnötigen Gewalttaten, die schlicht unvermeidlich sind.

@El Quijote

Wobei das natürlich auch Schutzbehauptungen gewesen sein können.

Man kann in puncto My Lai durchaus eine Art Systemfrage stellen; ich wollte nicht ausdrücken, dass es unmöglich wäre, nur, dass es den Rahmen des Abiturs sprengen dürfte. Denn der Weg nach My Lai hatte viele Stationen.

Die Masse der US-Soldaten waren Wehrpflichtige, und das in einem System, in dem Wehrgerechtigkeit nicht existierte. Umso ärmer man war und umso geringer das eigene Bildungsniveau, desto höher die Gefahr, nach Vietnam geschickt zu werden—in einen Krieg, der vielen Amerikanern unverständlich war, und den die jüngeren Generationen ablehnten.

Diese Männer kamen also schon mit Frust im Bauch in Vietnam an. Das schreibe ich nicht etwa, um ihre Gewaltbereitschaft zu rechtfertigen, sondern um auf deren latentes Vorhandensein hinzuweisen. Sie richtete sich z.B. auch gegen die eigenen Offiziere (sog. Fragging).

Dann muss man berücksichtigen, dass die amerikanische Unterschicht aufgrund des unterentwickelten Sozialstaats ein höheres Maß an Delinquenz aufweist. Statistisch gesehen war also ein gewisser Anteil an Männern unter den Wehrpflichtigen, die zur Straffälligkeit neigten.

Drittens kommen die Belastungen der irregulären Kriegsfürung hinzu, die @Shinigami bereits angesprochen hat. Gegen einen Feind kämpfen zu müssen, der nicht greifbar ist und nicht "mit offenem Visier" kämpft, erzeugt wiederum Frust und Paranoia. Roger Trinquier hat postuliert, dass ein solcher asymmetrischer Krieg ohne Missachtung des humanitären Völkerrechts gar nicht gewonnen werden kann, und die militärischen Erfolge der Franzosen zu Beginn des Algerienkrieges scheinen diese These zu bestätigen.

Außerdem wurde die Begehung von Kriegsverbrechen in Vietnam durch Pentagon und Weißes Haus mehr oder weniger achselzuckend begünstigt. Um in einem endlos scheinenden Krieg überhaupt irgendwelche Fortschritte vermelden zu können, wurde der Erfolg der Armee in "Body Counts" gemessen, was die Soldaten im Feld dazu verleitete, unabsichtlich oder sogar absichtlich getötete Zivilisten als Vietcong-Mitglieder auszugeben. Es bestand also eine Erwartungshaltung, Leichen vorweisen zu können.

Last but not least unterliegt das US-Militär seiner eigenen Gerichtsbarkeit, und das ist immer schon ein schlechter Kompromiss gewesen. Streng hierarchische Organisationen haben keine ausreichenden Selbstreinigungskräfte. Das gilt umso mehr, wenn die vorgesetzten Offiziere, die Straftaten zur Anklage bringen sollen, damit ihre eigenen Karriereaussichten beschädigen, da jeder Normenverstoß unweigerlich ihre Autorität als Disziplinarvorgesetzte beschädigt.

@Shinigami

Mal die Moral ganz und gar ausklammernd: Das humanitäre Völkerrecht zu achten, ist nicht nur moralisch richtig, es ist auch vernünftig.

Beispiel aus der Gegenwart: Ohne die Massaker in Butscha, Irpin und Mariupol hätte sich der ukrainische Kampfgeist vielleicht nie entzündet. Ohne die Massaker an ihren Kriegsgefangenen hätten die Ukrainer wahrscheinlich nie begonnen, bis zum letzten Mann Widerstand zu leisten.

Kein vernünftiger Soldat will die Entschlossenheit des Feindes stärken und sich das Leben unnötig schwer machen. Wozu die eigenen Erfolgs- und Überlebenschancen senken, wozu sich mehr Arbeit aufhalsen, immerhin ist Gefechtsdienst Knochenarbeit?

Ein Soldat, der dies dennoch tut, ist entweder hoffnungslos verroht, ideologisch verblendet, oder neigte bereits zur Gewalt, bevor er auch nur einen Fuß in das Kriegsgebiet gesetzt hatte.
 
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Mal die Moral ganz und gar ausklammernd: Das humanitäre Völkerrecht zu achten, ist nicht nur moralisch richtig, es ist auch vernünftig.
Das möchte ich auch gar nicht bestreiten.

Nur würde ich sagen lehrt uns die Geschichte, dass es immer wieder Parteien gibt, die situativ anderer Auffassung sind und die dann eher ihren Auffassungen folgen, als den vorliegenden Konventionen, bzw. die sich genau so lange an Konventionen halten und das von anderer Seite einfordern, wie sie der Meinung sind Vorteile davon zu haben.

Denken wir z.B. mal an historische Kriegsparteien, die z.B. die strikte Einhaltung der Priesenordnung im Rahmen des Seekrieges von der Gegenseite forderte und zeitgleich mit Q-Ships operierte.

Oder an eine gewisse andere Kriegspartei, die sich über eine Fernblockade als Mittel der Kriegsführung mit Unterbindung der Lebensmittelzufuhr beschwerte, weil diese Art der Kriegsführung ja unterschiedslos auch Zivilisten betreffe, die aber gleichzeitig, beim Einsatz von Gas an der Westfront oder der Bombardierung von Städten qua Zeppelin ganz vorne mit dabei war.

Da wird dann das Verhältnis der Kriegsparteien zum Völkerrecht als geschriebener Norm realiter gerne auch mal instrumentell.

Wohingegen aber selbst dann die Einsicht einer gewissen Selbstmäßigung wirksam bleiben kann und sei es nur um in den Augen der Weltöffentlichkeit nicht selbst wie der letzte Barbar darzustehen, keine Vergeltungsaktionen heraufbeschwören zu wollen, oder eine Schädigung der eigenen potentiellen Kriegsbeute vermeiden zu wollen.
 
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