Man wird das mit der Manöverkriegsführung der europäischen Heere im 18. Jahrhundert vergleichen können. Da wurde mit den relativ kleinen Heeren ja auch sehr viel taktiert und versucht dem Gegner seine Versorgungslinien zu nehmen und ihn zum Rückzug zu zwingen etc. ohne eigentlich große Schlachten schlagen zu müssen.
Es wäre spannend zu wissen, wie er z.B. den "French- and Indian War" aus der Perspektive der Briten betrachtet hätte.
Oder die Revolutions- und Napoléonischen Kriege, in denen GB über 20 Jahre lang Kriegspartei war und aus dieser Auseinandersetzung nicht etwa geschwächt hervorging, sondern als die führende unter den Europäischen Großmächten und nach dem niedergang der iberischen Kolonialreiche als der einzige tatsächlich global agierende Großmachtsakteur für immerhin ein halbes Jahrhundert.
Und dann bedeutet die Festlegung auf das Modell eines konventionellen Staatenkrieges natürlich an an dieser Stelle eine Verengung der Perspektive.
Lange andauernde Kriege sind ruinös für konventionell auftretende Landmächte, aber gerade weil sie das sind und weil die Konsten für sich lange hinziehende militärische Operationen solche Akteure ruinieren können, profitiert natürlich jeder Akteur davon (er sei staatlich oder nicht), der einen Guerillia-Krieg führt.
(Nord)Vietnam z.B. hätte sich in einem kurzen konventionellen Krieg gegen die Franzosen und später die Amerikaner niemals durchsetzen können, in einem langen Krieg, in dem die konventionell agierenden Großmachtsakteure in die Falle der "sunk costs" gerieten, ging das aber durchaus.
Ich würde behaupten, Seemächte, die zu Lande selbst nicht angreifbar sind und Akteure, die auf eine Guerillia-Taktik statt auf ein konventionelles Agieren setzen, unterfallen dieser Regel nicht.
Es kommt halt immer darauf an, wie sehr ein Staat gezwungen ist, in einem Krieg an seine demographische Substanz zu gehen, ob er die Kriegskosten einem besiegten Gegner aufbürden kann, welchen Preis das kostet.
Rom hat auch jahrelange Kriege geführt, und im 2. Punischen Krieg hat es verheerende Niederlagen eingesteckt, an denen wohl jedes andere antike Staatswesen zerbrochen wäre, und es hat einen hohen Blutzoll bezahlt, aber nach den Punischen Kriegen, den Makedonischen, den Kriegen gegen Antiochos und Mithridates hat Rom aber auch enorme Beute gemacht, die Römische Republik ist durch die Verwerfungen in ein Zeitalter von 100 Jahren Bürgerkrieg geraten und am Ende war es auch mit der Republik vorbei.
Die Kriege im 18. Jahrhundert, der Spanische Erbfolgekrieg, Österreichische Erbfolgekrieg (King George´s War) die Jakobitenkriege, der Siebenjährige Krieg das waren aber noch alles Kriege, die nicht extrem das demographische Gefüge GBs in Mitleidenschaft zogen. GB engagierte sich seit Marlboroughs Zeiten wieder stärker auf kontinentalen Kriegsschauplätzen, und da waren durchaus auch größere britische Verbände im Feld, dennoch basierte GBs Schlagkraft bei den Landstreitkräften auch stark auf deutschen, dänischen Söldnern, auch aus niederländischen Truppen, wo schon im Spanischen Erbfolgekrieg hessische Söldner stark vertreten waren, aus der Landgrafschaft, bei den Niederländern aber auch Soldaten aus Waldeck. In Nordamerika waren relativ wenige Truppen engagiert, selbst die meisten der großen Schlachten des Unabhängigkeitskrieges waren nach europäischen Maßstäben Scharmützel. In ganz Nordamerika lebten nicht mehr als 100-150.000 Franzosen, die Franzosen hatten die glücklichere Hand bei der Unterhandlung mit den Indianern. Die meisten Stämme schlossen sich den Franzosen an, die Briten hatten dagegen die Irokesen-Föderation auf ihrer Seite, und in den 13 Kolonien lebten bereits mehr als 2-2,5 Millionen Menschen. Der Franzosen und Indianerkrieg war eigentlich der Krieg, der Amerika geschaffen hat, und er wurde nicht zuletzt durch die Amerikaner entschieden.
Die großen Kriege des 18. Jahrhunderts waren durchaus globale Konflikte, der Siebenjährige Krieg war auch im Bewusstsein der einfachsten Zeitgenossen ein globaler Krieg. Ein Berliner Bäckermeister begann ein Kriegstagebuch, und er vermerkte nicht bloß die Schlachten und Ereignisse in Mitteleuropa, sondern auch die Einnahme von Manila und Havanna, die Ereignisse in Quebec.
Trotzdem waren die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts, Kriege, bei denen Zivilisten allenfalls an Inflation viel vom Krieg beeinträchtigt wurden, im Briefwechsel zwischen Lessing und Nikolai, wird der Große Krieg der gerade in Europa tobt kaum auch nur erwähnt, und in GB nahm das zivile Leben während des Spanischen Erbfolgekrieges seinen Lauf, Swift, Steed schrieben ihre Kolumnen, Swift zuweilen eine Satire, aber auch da könnte man, wenn man sich die britische Literatur des 18. Jahrhunderts ansieht, nicht vermuten, dass GB dabei jahrelang in globale Konflikte verstrickt war.
Sun Tzu geht ja nie en Detail auf die Kriegskunst ein. Er sagt nicht. Für Ermattungsstrategie gilt das und das, für Vernichtungsstrategie gilt dieses und jenes, er führt nicht aus, wie man denn nun genau den Gegner aushungert, er stellt kein Exerzierreglement, kein militärisches Handbuch, kein Rezept "so und genau so musst du es machen, wenn du es mit XY zu tun hast.
Das alles tut Sun Tzu nicht, was er schreibt, das sind im Grunde Aphorismen, er fasst bestimmte Grundannahmen und Maximen zusammen.
Da ist sicher sehr vieles, was absolut einleuchtend und nachvollziehbar klingt, da sind sicher auch sehr viele Passagen bei denen man Sun Tzu zustimmen möchte, und zweifellos sind da auch viele Passagen, die von einer zeitlosen Gültigkeit sind.
Sun Tzu ist aber kein Handbuch für das Dogma der Vernichtungsschlacht, keine Anleitung, keine Rezeptesammlung, nach deren Anleitung man einen militärischen Gegner kunstgerecht in die Pfanne hauen kann.
Die Lektüre von Sun Tzu, seine Maximen befähigen allenfalls dazu, einigermaßen zuverlässig voraussagen zu können, welche Armee vermutlich siegen wird: Die, die den besseren Anführer hat, die die Vorteile von "Himmel" und "Erde" von Topographie, Geographie, Klima, auf ihrer Seite hat, die Methodik und Disziplin besser perfektioniert hat.
Den Ausgang eines Konfliktes, eines Krieges vorhersagen zu können, dazu braucht es aber nicht unbedingt die Lektüre von Sun Tzu.