Stefan_Schaaf
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Ich möchte hier eine Übersicht darüber geben, wie es möglich war, eine sehr alte, sehr weit verbreitete und äußerst einflußreiche gesellschaftliche Institution zu ächten, und weitgehend abzuschaffen: die Sklaverei.
Über die meiste Zeit der Geschichte hinweg war Sklaverei nicht moralisch umstritten. Sie galt als natürliche Ordnung: Kriegsgefangene, Schuldner, Besiegte konnten versklavt werden. Selbst Philosophen wie Aristoteles hielten Sklaverei für„naturgegeben“. Auch in Afrika, bei indigenen Gesellschaften und in der islamischen Welt war sie fest etabliert. Diese Selbstverständlichkeit hatte zwei Grundlagen:
- menschliche Arbeitskraft war der wichtigste Produktionsfaktor.
- es gab keine allgemeine Vorstellung von universaler Gleichheit oder Menschenwürde.
Ein erster, wenn auch langsamer Bruch kam durch das Christentum, das zwar Sklaverei lange tolerierte, aber den Gedanken einführte, dass alle Menschen vor Gott gleichwertig seien. Daraus wuchs später - besonders in protestantischen Bewegungen - das moralische Argument gegen die Sklaverei. Dann, im 18. Jahrhundert, kamen mit der Aufklärung und der Empfindsamkeit zwei bedeutende (und im Falle der Aufklärung epochale) Strömungen auf, die Auffassung daß Mitgefühl und Mitleid moralische Autorität besitzen, breitete sich aus. Dies führte zu einem neuen moralischen Maßstab: Kein Mensch darf Mittel zum Zweck anderer sein. Dies war der eigentliche moralische Sprengsatz, der die Sklaverei ideologisch untergrub. Parallel dazu veränderte sich die Wirtschaft grundlegend. Die Industrialisierung machte Arbeit in Fabriken in vielen Bereichen effizienter als Arbeit mit Sklaven oder Leibeigenen. Freie, bezahlte Arbeitskräfte waren flexibler einsetzbar und wirtschaftlich oft sogar produktiver. Der sich immer stärker durchsetzende Kapitalismus ersetzte Zwangsarbeit zunehmend durch Lohnarbeit. Der erste große Durchbruch fand in Großbritannien statt:
1772: Ein englisches Gericht erklärte in einem berühmten Urteil (Somerset Case), dass Sklaverei auf englischem Boden unrechtmäßig sei.
1787: Gründung der „Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade“ - die erste große Menschenrechtsbewegung der Geschichte.
1807: Verbot des Sklavenhandels im gesamten Britischen Empire.
1833: Vollständige Abschaffung der Sklaverei im Empire.
Hier spielten protestantische Quäker, Evangelikale und frühe Menschenrechtler (Wilberforce u. a.) eine bedeutende Rolle. Großbritannien konnte diese Haltung später mit Hilfe seiner Seemacht weltweit durchsetzen, britische Kriegsschiffe fingen Sklavenschiffe auf allen Ozeanen ab.
Andere Länder folgten:
Frankreich: Abschaffung 1794 während der französischen Revolution, Wiedereinführung durch Napoleon 1802, endgültige Abschaffung 1848.
Lateinamerika: Nach den Unabhängigkeitskriegen schrittweise Abschaffung (meist bis 1850).
USA: Bürgerkrieg 1861–65, Abschaffung durch den 13. Verfassungszusatz (1865).
Brasilien: 1888 als letztes Land Amerikas.
Afrika / arabische Welt: formell erst im 20. Jahrhundert, teilweise sehr spät (Saudi-Arabien 1962, Mauretanien 1981).
Der entscheidende Wandel war nicht nur politisch, sondern semantisch und moralisch. Sklaverei wurde nicht länger als eine legitime soziale Ordnung verstanden, sondern als Verbrechen gegen die Menschheit. Diese Verschiebung beruhte auf neuen, universalen Begriffen, der„Menschheit“ als moralischer Einheit, der „Menschenrechte“ als angeborener Würde, und der „Freiheit“ als Grundwert, nicht als Privileg. Dies war die Geburt der modernen Moral- und Menschenrechtsordnung. Im 17.–18. Jahrhundert begannen besonders protestantische und pietistische Strömungen (Quäker und Methodisten), den Gedanken hervorzuheben, dass alle Menschen gleichermaßen Geschöpfe Gottes seien. Wichtige Elemente hierbei waren die Vorstellung der persönlichen Bekehrung, also der individuellen Verantwortung vor Gott, die Idee der Brüderlichkeit aller Gläubigen, sowie eine neue Betonung des Mitgefühls, die charakteristisch für die Frömmigkeit dieser Zeit war.
Zur gleichen Zeit wurde die Aufklärung immer wirkmächtiger und lieferte den philosophischen Unterbau: John Locke und später Immanuel Kant erklärten Freiheit zum Naturrecht, Rousseau formulierte die Idee, dass Herrschaft nur durch Zustimmung der Beherrschten legitim sei. Anknüpfend an diese Ideen erhoben die französische und amerikanische Revolution „Freiheit“ und „Gleichheit“ zu politischen Grundwerten. Diese Denker forderten zwar Bürgerrechte in Europa oder teilweise in Nord -amerika, und nicht sofort in kolonisierten Gebieten, aber ihre Ideen wirkten universalistisch: die Auffassung, daß „alle Menschen sind frei und gleich“ seien, schuf ein Argument, das sich langfristig nicht einschränken ließ. Der Satz aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung („Allmen are created equal“) wurde zum moralischen Sprengstoff gegen die eigene Institution der Sklaverei.
Zusätzlich begann sich die Welt im späten 18. Jahrhundert grundlegend ökonomisch zu verändern. Die Industrialisierung, beginnend in Großbritannien, machte Lohnarbeit, Maschinenkraft und Mobilität zunehmend effizienter als Zwangsarbeit. Die Kohle und -Eisenindustrie verdrängte die agrarische Wirtschaftslogik, auf der Sklaverei beruhte, und der Welthandel verlagerte sich von Rohstoffen auf Industrieprodukte. Zwangsarbeit passte in dieses System immer weniger hinein, Lohnarbeit, also freie Vertragsarbeit, wurde zur effizienteren, flexibleren Form der Arbeitsorganisation. Es könnte mit einigem Recht gesagt werden: der Kapitalismus überwand die Sklaverei sowie die Leibeigenschaft nicht aus reiner Moral, sondern weil freie Menschen, die gegen Lohn arbeiteten, flexibler und effizienter eingesetzt werden konnten.
Ökonomische Rationalität und moralisch-religiöse Bewegung verstärkten sich jedoch gegenseitig, und machten den Schritt weg von der Sklaverei letztendlich praktisch möglich. Alle vier Strömungen (religiöse Gewissensbewegung, philosophischer Universalismus, ökonomischer Wandel und politisch-mediale Öffentlichkeit) überlappten sich in etwa um 1800, es entstand ein historischer „Resonanzraum“, in dem sich eine moralische Idee plötzlich als handlungsfähig erwies. Vorherige Gesellschaften kannten Empathie, Gerechtigkeitsvorstellungen und auch Sklavenbefreiungen, aber sie waren partikulär, nicht universal. Der entscheidende Durchbruch kam, als zum ersten Mal in der Geschichte der Begriff des Menschen selbst universal gedacht wurde.
Meinen Ausführungen kann entnommen werden, daß die (weitgehende) Abschaffung der Sklaverei, und anderer Formen der organisierten, institutionalisierten Unfreiheit und Zwangsarbeit, alleine von Europa ausging. Es gab vorher in der Geschichte keine anderen grundsätzlichen, religiös-moralisch begründeten Bewegungen, die Sklaverei abzuschaffen. Was es gab, waren räumlich begrenzte Sklavenaufstände, die jedoch sämtlich früher oder später niedergeschlagen wurden, und sich nicht grundsätzlich gegen die Sklaverei als Institution richteten. Den aufständischen Sklaven ging es alleine um ihre eigene Freiheit. Als Beispiel mag der bekannte Sklavenaufstand der sog. Zandsch dienen:
de.wikipedia.org
Auch hier ging es den Aufständischen alleine um ihre eigene Freiheit, manche der (zunächst erfolgreichen) Aufständischen gingen sogar selbst zur Sklavenhaltung über.
Das macht die von Europa ausgehende grundsätzliche Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei so einzigartig. Leider wird diese epochale europäische Leistung gegenwärtig praktisch nicht gewürdigt. Im Gegenteil: betont wird von der sog. "antikolonialistischen Linken" alleine die Schuld der Europäer am atlantischen Dreieckshandel, ohne die weltweite Sklavenhaltung durch außereuropäische Gesellschaften in irgendeiner Weise zu thematisieren. Es kann jedoch gesagt werden, ohne in irgendeiner Weise zu übertreiben:
ohne die europäischen Bewegungen der Aufklärung und der industriellen Revolution würde die Sklaverei als weltweite Institution noch heute bestehen.
Wer anderes behauptet, möge darlegen, welche außereuropäischen grundlegenden Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei (und anderer Formen institutionalisierter Formen von Unfreiheit und Zwangsarbeit) es in der Geschichte gegeben hat.
Über die meiste Zeit der Geschichte hinweg war Sklaverei nicht moralisch umstritten. Sie galt als natürliche Ordnung: Kriegsgefangene, Schuldner, Besiegte konnten versklavt werden. Selbst Philosophen wie Aristoteles hielten Sklaverei für„naturgegeben“. Auch in Afrika, bei indigenen Gesellschaften und in der islamischen Welt war sie fest etabliert. Diese Selbstverständlichkeit hatte zwei Grundlagen:
- menschliche Arbeitskraft war der wichtigste Produktionsfaktor.
- es gab keine allgemeine Vorstellung von universaler Gleichheit oder Menschenwürde.
Ein erster, wenn auch langsamer Bruch kam durch das Christentum, das zwar Sklaverei lange tolerierte, aber den Gedanken einführte, dass alle Menschen vor Gott gleichwertig seien. Daraus wuchs später - besonders in protestantischen Bewegungen - das moralische Argument gegen die Sklaverei. Dann, im 18. Jahrhundert, kamen mit der Aufklärung und der Empfindsamkeit zwei bedeutende (und im Falle der Aufklärung epochale) Strömungen auf, die Auffassung daß Mitgefühl und Mitleid moralische Autorität besitzen, breitete sich aus. Dies führte zu einem neuen moralischen Maßstab: Kein Mensch darf Mittel zum Zweck anderer sein. Dies war der eigentliche moralische Sprengsatz, der die Sklaverei ideologisch untergrub. Parallel dazu veränderte sich die Wirtschaft grundlegend. Die Industrialisierung machte Arbeit in Fabriken in vielen Bereichen effizienter als Arbeit mit Sklaven oder Leibeigenen. Freie, bezahlte Arbeitskräfte waren flexibler einsetzbar und wirtschaftlich oft sogar produktiver. Der sich immer stärker durchsetzende Kapitalismus ersetzte Zwangsarbeit zunehmend durch Lohnarbeit. Der erste große Durchbruch fand in Großbritannien statt:
1772: Ein englisches Gericht erklärte in einem berühmten Urteil (Somerset Case), dass Sklaverei auf englischem Boden unrechtmäßig sei.
1787: Gründung der „Society for Effecting the Abolition of the Slave Trade“ - die erste große Menschenrechtsbewegung der Geschichte.
1807: Verbot des Sklavenhandels im gesamten Britischen Empire.
1833: Vollständige Abschaffung der Sklaverei im Empire.
Hier spielten protestantische Quäker, Evangelikale und frühe Menschenrechtler (Wilberforce u. a.) eine bedeutende Rolle. Großbritannien konnte diese Haltung später mit Hilfe seiner Seemacht weltweit durchsetzen, britische Kriegsschiffe fingen Sklavenschiffe auf allen Ozeanen ab.
Andere Länder folgten:
Frankreich: Abschaffung 1794 während der französischen Revolution, Wiedereinführung durch Napoleon 1802, endgültige Abschaffung 1848.
Lateinamerika: Nach den Unabhängigkeitskriegen schrittweise Abschaffung (meist bis 1850).
USA: Bürgerkrieg 1861–65, Abschaffung durch den 13. Verfassungszusatz (1865).
Brasilien: 1888 als letztes Land Amerikas.
Afrika / arabische Welt: formell erst im 20. Jahrhundert, teilweise sehr spät (Saudi-Arabien 1962, Mauretanien 1981).
Der entscheidende Wandel war nicht nur politisch, sondern semantisch und moralisch. Sklaverei wurde nicht länger als eine legitime soziale Ordnung verstanden, sondern als Verbrechen gegen die Menschheit. Diese Verschiebung beruhte auf neuen, universalen Begriffen, der„Menschheit“ als moralischer Einheit, der „Menschenrechte“ als angeborener Würde, und der „Freiheit“ als Grundwert, nicht als Privileg. Dies war die Geburt der modernen Moral- und Menschenrechtsordnung. Im 17.–18. Jahrhundert begannen besonders protestantische und pietistische Strömungen (Quäker und Methodisten), den Gedanken hervorzuheben, dass alle Menschen gleichermaßen Geschöpfe Gottes seien. Wichtige Elemente hierbei waren die Vorstellung der persönlichen Bekehrung, also der individuellen Verantwortung vor Gott, die Idee der Brüderlichkeit aller Gläubigen, sowie eine neue Betonung des Mitgefühls, die charakteristisch für die Frömmigkeit dieser Zeit war.
Zur gleichen Zeit wurde die Aufklärung immer wirkmächtiger und lieferte den philosophischen Unterbau: John Locke und später Immanuel Kant erklärten Freiheit zum Naturrecht, Rousseau formulierte die Idee, dass Herrschaft nur durch Zustimmung der Beherrschten legitim sei. Anknüpfend an diese Ideen erhoben die französische und amerikanische Revolution „Freiheit“ und „Gleichheit“ zu politischen Grundwerten. Diese Denker forderten zwar Bürgerrechte in Europa oder teilweise in Nord -amerika, und nicht sofort in kolonisierten Gebieten, aber ihre Ideen wirkten universalistisch: die Auffassung, daß „alle Menschen sind frei und gleich“ seien, schuf ein Argument, das sich langfristig nicht einschränken ließ. Der Satz aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung („Allmen are created equal“) wurde zum moralischen Sprengstoff gegen die eigene Institution der Sklaverei.
Zusätzlich begann sich die Welt im späten 18. Jahrhundert grundlegend ökonomisch zu verändern. Die Industrialisierung, beginnend in Großbritannien, machte Lohnarbeit, Maschinenkraft und Mobilität zunehmend effizienter als Zwangsarbeit. Die Kohle und -Eisenindustrie verdrängte die agrarische Wirtschaftslogik, auf der Sklaverei beruhte, und der Welthandel verlagerte sich von Rohstoffen auf Industrieprodukte. Zwangsarbeit passte in dieses System immer weniger hinein, Lohnarbeit, also freie Vertragsarbeit, wurde zur effizienteren, flexibleren Form der Arbeitsorganisation. Es könnte mit einigem Recht gesagt werden: der Kapitalismus überwand die Sklaverei sowie die Leibeigenschaft nicht aus reiner Moral, sondern weil freie Menschen, die gegen Lohn arbeiteten, flexibler und effizienter eingesetzt werden konnten.
Ökonomische Rationalität und moralisch-religiöse Bewegung verstärkten sich jedoch gegenseitig, und machten den Schritt weg von der Sklaverei letztendlich praktisch möglich. Alle vier Strömungen (religiöse Gewissensbewegung, philosophischer Universalismus, ökonomischer Wandel und politisch-mediale Öffentlichkeit) überlappten sich in etwa um 1800, es entstand ein historischer „Resonanzraum“, in dem sich eine moralische Idee plötzlich als handlungsfähig erwies. Vorherige Gesellschaften kannten Empathie, Gerechtigkeitsvorstellungen und auch Sklavenbefreiungen, aber sie waren partikulär, nicht universal. Der entscheidende Durchbruch kam, als zum ersten Mal in der Geschichte der Begriff des Menschen selbst universal gedacht wurde.
Meinen Ausführungen kann entnommen werden, daß die (weitgehende) Abschaffung der Sklaverei, und anderer Formen der organisierten, institutionalisierten Unfreiheit und Zwangsarbeit, alleine von Europa ausging. Es gab vorher in der Geschichte keine anderen grundsätzlichen, religiös-moralisch begründeten Bewegungen, die Sklaverei abzuschaffen. Was es gab, waren räumlich begrenzte Sklavenaufstände, die jedoch sämtlich früher oder später niedergeschlagen wurden, und sich nicht grundsätzlich gegen die Sklaverei als Institution richteten. Den aufständischen Sklaven ging es alleine um ihre eigene Freiheit. Als Beispiel mag der bekannte Sklavenaufstand der sog. Zandsch dienen:
Zandsch – Wikipedia
Auch hier ging es den Aufständischen alleine um ihre eigene Freiheit, manche der (zunächst erfolgreichen) Aufständischen gingen sogar selbst zur Sklavenhaltung über.
Das macht die von Europa ausgehende grundsätzliche Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei so einzigartig. Leider wird diese epochale europäische Leistung gegenwärtig praktisch nicht gewürdigt. Im Gegenteil: betont wird von der sog. "antikolonialistischen Linken" alleine die Schuld der Europäer am atlantischen Dreieckshandel, ohne die weltweite Sklavenhaltung durch außereuropäische Gesellschaften in irgendeiner Weise zu thematisieren. Es kann jedoch gesagt werden, ohne in irgendeiner Weise zu übertreiben:
ohne die europäischen Bewegungen der Aufklärung und der industriellen Revolution würde die Sklaverei als weltweite Institution noch heute bestehen.
Wer anderes behauptet, möge darlegen, welche außereuropäischen grundlegenden Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei (und anderer Formen institutionalisierter Formen von Unfreiheit und Zwangsarbeit) es in der Geschichte gegeben hat.
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