Kommt sicherlich auch drauf an, welche Bereiche man betrachten mag und ob man von den absoluten Produktionsleistungen oder denen pro Kopf ausgehen will.1870, also vor dem Krieg war die deutsche Wirtschaft schon an Frankreich vorbei gezogen, nur beim Bankenwesen nicht.
Letztendlich war die wirtschaftliche Leistung Frankreichs und Deutschlands jedenfalls in der unmittelbaren Zeit nach der Reichgründung noch einigermaßen nah bei einander, so dass man von deutscher Seite hier nicht klar im Vorteil gewesen wäre und somit Österreich sicherlich das Zünglein an der Waage häütte sein können, wäre es zur Konfrontation gekommen.
Es gibt ja zwei Ebenen, einmal das Verhältnis der annektierten Gebiete zu Deutschland und einmal das Verhältnis der annektierten Gebiete zu Frankreich und damit die Chance einen Ausgleich zu erzielen. Dieser Ausgleich hätte mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit bringen können, eine weniger fokussierte französische Politik und im Gegenzug weniger Bedarf an rein militärischen Investitionen wie z.B. die Festung Metz oder die Kanonenbahn.
Das ein Verzicht auf die Annexion und eine andere Lösung durchaus ein gewisses Maß diplomatischer und wirtschaftlicher Rendite hätte bringen können ist eine Sichtweise mit der ich persönlich durchaus konform gehe, Bismarck und Zeitgenossen aber wohl nicht, habe mir erlaubt dazu entsprechendes abzutippen (werde es auf Wunsch auch gerne per Scan liefern, sobald ich wieder ein brauchbares Gerät zur Hand habe):
Dokument Nr. 292:
Runderlaß an die Missionen: Gründe für die Fortführung des Krieges (urspr. Konzept Abeken)
W.6b, 493 f. Nr. 1801.
Reims, den 13. September 1870.
Durch die irrtümliche Auffassungen über unser Verhältnis zu Frankreich, welche uns auch von befreundeten Seiten zukommen, bin ich veranlaßt, mich in folgendem über die von den verbündeten deutschen Regierungen geteilten Ansichten seiner Majestät des Königs auszusprechen.
Wir hatten in dem Plebiszit und den darauf folgenden, scheinbar befriedigenden Zuständen in Frankreich die Bürgschaft des Friedens und den Ausdruck einer friedlichen Stimmung der französischen Nation zu sehen geglaubt. Die Ereignisse haben uns eines Besseren belehrt, wenigstens haben sie gezeigt, wie leicht die Stimmung der französischen Nation in ihr Gegenteil umschlägt.
a‘ Die der Einstimmigkeit nahe Mehrheit der Volksvertreter, des Senats und der Organe der öffentlichen Meinung in der Presse haben den Eroberungskrieg gegen uns so laut und nachdrücklich gefordert, daß der Mut zum Widerspuch den isolierten Freunden des Friedens fehlte, und daß der Kaiser Napoleon Seiner Majestät keine bewußte Unwahrheit gesagt haben dürfte, wenn er noch heut behauptet, daß der Stand der öffentlichen Meinung ihn zum Kriege gezwungen habe a‘‘.
Angesichts dieser Tatsache dürfen wir unsere Garantien nicht in französischen Stimmungen suchen. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß wir uns infolge des Krieges auf einen baldigen neuen Angriff von Frankreich und nicht auf einen dauerhaften Frieden gefaßt machen müssen, und daß ganz unabhängig von den Bedingungen, welche wir etwa an Frankreich stellen möchten. Es ist die Niederlage an sich, es ist unsere siegreiche Abwehr ihres frevelhaften Angriffs, welche die französische Nation uns nie verzeihen wird. Wenn wir jetzt ohne alle Gebietsabtretungen ohne jede Kontribution, ohne irgend welche Vorteile als den Ruhm unserer Waffen aus Frankreich abzögen, so würde doch derselbe Haß, dieselbe Rachsucht wegen der verletzten Eitelkeit und Herrschsucht in der französischen Nation zurückbleiben, und sie würde nur auf den Tag warten, wo sie hoffen dürfte, diese Gefühle mit Erfolg zur Tat zu machen. b‘ Es war nicht der Zweifel der Gerechtigkeit unserer Sache, nicht Besorgnis, daß wir nicht stark genug sein möchten, was uns im Jahre 1867 von dem uns schon damals nahe genug gelegenen Kriege abhielt, sondern die Scheu, gerade durch unsere Siege jene Leidenschaften aufzuregen und eine Ära gegenseitiger Erbitterung und immer erneuter Kriege heraufzubeschwören, während wir hofften, durch längere Dauer und aufmerksame Pflege der friedlichen Beziehungen beider Nationen eine feste Grundlage für eine Ära des Friedens und der Wohlfahrt beider zu gewinnen. Jetzt, nachdem man uns zu dem Kriege, dem wir widerstrebten, gezwungen hat, müssen wir dahin streben, für unsere Verteidigung gegen den n ä c h s t e n Angriff der Franzosen bessere Bürgschaft als die ihres Wohlwollens zu gewinnen b‘‘.
Die Garantien, welche man nach dem Jahre 1815 gegen dieselben französischen Gelüste und für den europäischen Frieden in der Heiligen Allianz und anderen in europäischen Interesse getroffenen Einrichtungen gesucht hat, haben im Laufe der Zeit ihre Wirksamkeit und Bedeutung verloren, so daß Deutschland allein sich schließlich Frankreichs hat erwehren müssen, nur auf seine eigene Kraft und seine eigenen Hilfsmittel angewiesen. c‘ Eine solche Anstrengung wie die heutige darf der deutschen Nation nicht dauernd von neuem angesonnen werden; und wir sind daher gezwungen, materielle Bürgschaften und die Sicherheit Deutschlands gegen künftige Angriffe zu erstreben, Bürgschaften, zugleich für den europäischen Frieden, der von Deutschland eine Störung nicht zu befürchten hat c‘‘. Diese Bürgschaften haben wir nicht von einer vorrübergehenden Regierung Frankreichs, sondern von der französischen Nation zu fordern, welche gezeigt hat, daß sie j e d e r Herrschaft in den Krieg gegen uns zu folgen bereit ist, d‘ wie die Reihe der seit Jahrhunderten von Frankreich gegen Deutschland geführten Angriffskriege unwiderleglich dartut.
Wir können deshalb unsre Forderungen für den Frieden lediglich darauf richten, Frankreich den nächsten Angriff auf die deutsche und namentlich die bisher schutzlose süddeutsche Grenze dadurch zu erschweren, daß wir die Grenze und damit den Ausgangspunkt französischer Angriffe weiter zurückverlegen und die Festungen, mit denen Frankreich uns bedroht, als defensive Bollwerke in die Gewalt Deutschlands zu bringen suchen.
Ew. Pp. Wollen sich, wenn Sie befragt werden, in diesem Sinne aussprechen. d‘‘
a‘ Anfang, eigenhändiger Zusatz Bismarcks
a‘‘ Ende des eigenhändigen Zusatzes
b‘ Beginn eigenhändiger Korrekturen Bismarcks
b‘‘ Ende der eigenhändigen Korrekturen
c‘ Durch eine Anzahl eigenhändiger Korrekturen und Zusätzen Bismarcks, teils im ersten Konzept, teils im Reinkonzept.
c‘‘ Ende der Korrekturen und Zusätze
d‘ Eigenhändige Ergänzung Bismarcks im ersten Konzept Abekens
d‘‘ Ende der Eigenhändigen Ergänzung
Bismarck, Otto von: Werke in Auswahl, Acht Bände, Jahrhundertausgabe zum 23. September 1862, Rein, Gustav Adolf u.a. (hrsg.), Band 4, „Die Reichsgründung“, unveränderter reprographischer Nachdruck, Darmstadt, 2001, ursprünglich erschienen Darmstadt, 1968, S. 533-535.
Ist zwar nich ausschließlich auf Bismarcks alleinigem Mist, sondern lediglich unter seiner Mitwirkung gewachsen und sicherlich auch nicht völlig unkritisch zu sehen, lässt aber für mich doch darauf schließen, dass man auf preußischer Seite Revanche Frankreichs auch ohne Annexionen fürchtete.
Der Gedanke, dass es in Frankreichs Interesse sein musste wenigstens den Status von 1870 wieder herzustellen und die süddeutschen Gebiete wieder heraus zu lösen und unter österreichischer Protektion haben zu wollen, liegt ja durchaus nahe.
Insofern sicherlich Spekulatius ob die Annexion selbst notwendig oder bereits die Vereinigung mit den süddeutschen Staaten hinreichend war um in Frankreich Revanchegelüste zu wecken.
Richtig und das geht ja noch bis in das späte Kaiserreich (Zabernaffäre) hinein.Die Nichtbeteiligung der Bevölkerung an der Annektion geht ja über die Entscheidung zur Annektion weit hinaus, was ja auch die deutschsprachige Bevölkerung in der großen Ablehnung Deutschlands bestärkte (der Kulturkampf kam zusätzlich hinzu). Das Nachlassen der Ablehnung nach Bismarcks Tod zeigt, wo Bismarck eher keine Stärken hatte (vgl. Strangthema), auch wenn er natürlich nicht für alle Probleme verantwortlich war. Vieles haben andere Politiker genauso gesehen.
Nicht unbedingt nur bei den Muttersprachlern. Die politische Diskriminierung Elsass-Lothringens dadurch als "Reichsland" von den internen Entscheidungsfindungsprozessen der innerdeutschen Politik weitgehend ausgeschlossen zu sein, war sicherlich auch nicht dazu angetan im deutssprachigen städtischen Bürgertum besondere Begeisterung hervor zu rufen.Bei den französischen Muttersprachlern haben sich die Probleme nicht einfach ausgewachsen, hier blieben gegenseitiges Misstrauen und damit auch Revanchegelüste.
Stellt sich auf der anderen Seite aber auch die Frage, in wie weit das zusammen zu halten gewesen wäre. Galizien halte ich eigentlich auf Grund der starken polnischen Bevölkerung im Westen in Anbetracht der russischen Polen-Politik für keinen, für russlands Einfluss besonders anfälligen Kandidaten. Ob aber Böhmen, wo die Spannungen ja auch vor dem Weltkrieg schon ganz erheblich waren auf Dauer in einem cisleithanischen Verband verblieben wäre, halte ich für fraglich und die Probleme mit Italien wegen der südwestlichen Peripherie hätte das auch kaum gelöst.Mit Österreich meinte ich Cisleithanien, d.h. Böhmen wäre nicht so schnell russischem Einfluss unterworfen gewesen. Galizien hingegen wohl schon eher. Aber da verlassen wir wohl den Einflussbereich Bismarckscher Politik...
In einem Szenario des Zerfalls der Donaumonarchie würde ich da eigentlich eher die Tendenz weiteren Zerfalls mit entsprechender Sogwirkung sehen wollen, ist da kontrafaktisch aber ohnehin eine rein akademische Diskussion (die ich nichts destoauch ohne weiteres weiterführen würde, dann allerdings um den Faden nicht zu strapazieren per PN).