Wie unterscheidet sich also der Hochadel vom "Rest" des Geburtsadel? Durch das Führen eines uralten (möglichst) Herzogtitels, der auf die Lehenszeiten des Mittelalters zurückgeht? Oder einfach nur auf den Nachweis eines vielhundertjahrealten Adelsbriefes? Oder auf bestimmte Privilegien, die nur bestimmte Familien besaßen?
Um hochadelig zu sein wäre die Würde bzw. der Rang eines Pairs sicherlich nicht hinderlich. Der königliche Geblütsadel (Prince du sang) dürfte in jedem Fall dazu gehören, mit Ausnahme der Courtenay, denen diese Anerkennung von Ludwig XIV. verwehrt wurde.
Aus dem Mittelalter dürften sich neben den Capets nur wenige Feudaldynastien in die Neuzeit gerettet haben. Mir fielen nur die Châtillon und Montmorency auf Anhieb ein. Und noch die Lévis von Mirepoix, die im Albigenserkreuzzug zu frühen Ehren gekommen waren.
Ich habe einen Artikel mit einem passenden Hinweis zum Thema gefunden:
"Ein Nichtsnutz sei ihr Sohn und durch und durch verdorben, schrieb die Gräfin Alexandrine de Talleyrand-Périgord an Ludwig XVI., er solle den missratenen Sprössling um Himmels willen nicht zum Bischof machen. Aber der König, dem das Recht der Ernennung kirchlicher Würdenträger zustand, fühlte sich im Wort bei dessen Vater, der gerade im Sterben lag und als Vertreter des uralten Hochadels vom Monarchen als "Vetter" anzureden war. [1]
Der comte de Talleyrand-Périgord gehörte also zum Hochadel und hatte das Recht, vom Monarchen an seinem Todesbett besucht zu werden, einen letzten Wunsch zu äußern und wurde vom Monarchen mit "Vetter" angeredet. In der Summe also nur noch Tradition mit ein paar Vorrechten, die an die alten Lehensverbindungen erinnert:
"Der erste Graf von Périgord und Angoul
ême, Wilgrin, wurde von Karl dem Kahlen, seinem Verwandten ernannt. Er starb 886. Seine Familie ist also mit den Karolingern verbunden ...
Adalbert Graf von Périgord stiess 990 in Tours mit seinem Lehnsherrn, hugo Capet, Graf von Paris, zusammen, der König von Frankreich geworden war - zweifellos zu frühzeitig für den streitsüchtigen Périgord. Seine Unbotmäßigkeit hatte Hugo Capets Aufmerksamkeit erregt, und er fragte: "Wer hat dich zum Grafen gemacht?", worauf Adalbert schlagfertig erwiderte - das Wort ist berühmt geworden -:"Wer hat dich zum König gemacht?" Hugo Capet hielt es nicht für angebracht, einem so gefährlichen Gevatter zu antworten." [2]
Mit der Revolution und während der napoleonischen Zeit ist zwar Schluss mit den Traditionen des Hochadels, mit Ludwig XVIII. kommen sie zurück:
Talleyrand schildert in seinen Memoiren seine erste Begegnung mit dem König in Compiègne 1814:
"" Ich bin sehr erfreut, Sie hier zu sehen; unsere beiderseitigen Familien sind von gleichem Alter, aber meine Vorfahren haben es geschickter anzufangen gewusst als die Ihrigen. Wäre das Umgekehrte der Fall, so würden Sie jetzt zu mir sagen: Nehmen Sie sich einen Stuhl, setzen Sie sich zu mir und lassen Sie uns von unseren Angelegenheiten reden!" Heute aber sage ich: "Setzen Sie sich, lieber Talleyrand, und lassen Sie uns zusammen plaudern!"" [3]
Wir finden im Briefwechsel mit dem König die Anrede: "Mein Vetter" und trotz des Makels des "entlaufenden Bischofs" wurde er dennoch Großkammerherr des Monarchen ernannt.
Mit dem Bürgerkönig Louis Philippe verschwinden dann wohl die Traditionen des Hochadels entgültig. Hier findet sich im Briefwechsel des Königs und seinem Botschafter in London die Anrede: "Mein lieber Fürst". Louis Philippe besuchte Talleyrand auch an seinem Totenbett, ich denke aber, das lag nicht an den Traditionen sondern war eher dem Wirken des Fürsten zur Errichtung des Bürgerkönigtums geschuldet.
Grüße
excideuil
[1] Pötzel, Norbert F.: Im Namen der Vernunft, in: Der Spiegel Geschichte Nr. 1/2010, Seite 70
[2]
Orieux, Jean: „Talleyrand – Die unverstandene Sphinx“, Societäts-Verlag, Frankfurt, 1972, Seiten 13-14
[3] Talleyrand: „Memoiren des Fürsten Talleyrand“, herausgegeben mit einer Vorrede und Anmerkungen von Herzog de Broglie, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Köln und Leipzig, 1891-1893, Bd. 2, Seite 121