Anton Wilhelm Amo

Bisher ging man in der Forschung davon aus, dass es nach dem Prinzip der free-soil keine Sklaverei in den Niederlanden gegeben habe, das werde jedoch, u.a. wegen dieses Plakaats zunehmend in Frage gestellt.
Das halte ich für eher abwegig, weil free-soil in den Vereinigten Staaten ja nur deswegen möglich war, weil der Außenhandel mit Sklaven bereits verboten war und weil es auf Ebene der nördlichen Bundesstaaten Gesetze gab, die Sklaverei und Sklavenhandel verboten.

Wenn es solche Gesetze aber in den Niederlanden gegeben hätte, hätte die Folge sein müssen, dass die niederländischen Handelskompanien mit Sitz im Mutterland ja selbst überhaupt nicht mit Sklaven hätten handeln können, bzw. dürfen, da sie ja in einem Rechtsraum aggiert hätten, der dem Verbot der Sklaverei durch nationales oder provinziales Gesetz unterfallen wäre.

Ich frage mich bloß, wie mit solcher Absolutheit betitelt werden kann: "Sklave ist falsch".
Naja, wenn man andersherum, mit der selben Absolutheit Amo als Sklaven betrachten konnte, obwohl man das anscheinend nicht nachweisen kann, würde ich meinen, dass man das durchaus als Teil der Kontroverse betrachten kann.
Rein prozessual, hilft eine gewagte Gegenthese natürlich erstmal mehr dabei eine Debatte anzustoßen, als eine vorsichtigere Argumentation.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass er aus einer Familie von Sklavenhändlern stammte und in die Niederlande geschickt wurde, ist sein weiterer Weg nach Braunschweig nicht klar. War das in Absprache mit seiner Familie?

Halte ich jedenfalls für denkbar. Wenn die Familie in irgendeiner Weise eine Ausbildung in Europa anstrebte, dürften die Niederlande der erste logische Anlaufort gewesen sein, weil es dahin durch die Handelskomapnien die Verkehrsverbindung gab, aber das muss natürlich nicht unbedingt der Zielort gewesen sein.

Für ein Arrangement in irgendeiner Form spricht für mich, dass Amo wohl gleichzeitig in Diensten des Wolfenbütteler Herzogs stand und die Universität besuchte:

"In den braunschweigischen Kammerrechnungen von 1716/17 und 1720/21 (eigenhändig unterschriebene Quittung für Besoldung und Kostgeld vom 23. April 1720) wird Amo in Wolfenbüttel aufgeführt.[12] Im braunschweigisch-wolfenbüttelerischen Hofkalender (einer Art Adressbuch) wird „Anthon Wilhelm Amo, der Mohr, Log(is) aufm Schloß“ 1721 unter den „Hertzogl. Laqveyen“ und 1725 als „Mohr, Anthon Wilhelm, bey Ihro Durchl. dem regierenden Hertzog Cammer-Bediente“ genannt.[13]

In der Matrikel und anderen Unterlagen der braunschweigischen Landesuniversität in Helmstedt, an der er sein Universitätsstudium begonnen haben soll,[11] ist Amo nicht nachweisbar.[14][12] Ein Zeugnis der philosophischen Fakultät in Wittenberg erwähnt, dass er vor Aufnahme seiner Studien Latein gelernt hatte. Im Juni 1727 schrieb Amo sich jedoch zunächst an der hallischen Universität für Philosophie ein und belegte in diesem Zusammenhang offenbar auch rechtswissenschaftliche Kollegien. Noch am 3. Juli 1729 bezeichnete er sich als „Student beider Rechte und der Phylosophie (sic!) sowie herzoglicher Bibliothekar und Hofsekretär“.[15] "



Hier stellt sich für micht die Frage, warum hätte der Herzog einen Lakaien/Kammerdiener/Bilbiothekar/Sekretär (also alles Tätigkeiten, die normalerweise Anwesenheit erfordern) an Universitäten, zum Teil noch im Ausland schicken, oder das erlauben sollen?

Natürlich wäre, wenn Amo selbst ein Sklave gewesen wäre, ein Ankauf durch den Wolfenbütteler Herzog oder ein anderweitiges Zufallen an diesen und eine Aufnahme in das Hofpersonal grundsätzlich denkbar, Nachfrage nach irgendwie exotischen präsentablen Figuren, zwecks Prachtentfaltung gab es an den absolutistischen Höfen natürlich durchaus und nachdem gerade die Verwandtschaft aus der braunschewigisch-lüneburgischen Linie die englische Krone erlangen konnte, wird dahin bei der Wolfenbütteler Linie der Welfen möglichersweise nochmal besonderer Ehrgeiz vorhanden gewesen sein um von der Verwandtschaft nicht hoffnungslos abgehängt zu werden.

Aber wenn es um praktische Tätigkeiten und prestigereiches Hofzeremoniell gegangen wäre, sollte man meinen, es wäre Wert darauf gelegt worden Amo am Hof zu behalten um ihn zur Verfügung zu haben.

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Was noch für ein Arrangement sprechen könnte (aber das ist jetzt völlig ins Kraut geschossen und nur spinnerte Überlegung von meiner Seite) ist der sich andeutende Thronwechsel in Großbritannien zu den Hannoveranern.

Durch die dynastische Verbindung von Großbritannien und Braunschweig-Lüneburg konnte ja in Braunschweig ggf. darauf spekuliert werden, dass damit Händler aus dem niedersächsischen Raum ggf. in die britischen Handelsnetzwerke einsteigen könnten und dass, wenn sich die Lüneburger Verwandtschaft für die Möglichkeiten von Händlern aus ihrem eigenen Herzogtum verwenden sollte*, man sich da vielleicht drannhängen und einklinken könnte.
Als relativ kleiner Staat ohne Seezugang, hatte das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel natürlich wenig Möglichkeiten sich selbst überseeische Netzwerke aufzubauen und stellte von dem her auf für niemanden Konkurrenz dar, aber natürlich konnte Interesse bestehen als Investor aufzutreten und aus den Handelsnetzwerken anderer Profite zu ziehen.

Das der englische Thron an die Braunschweigisch-Lüneburgischen Welfen gehen würde, deutete sich ja schon seit längerer Zeit vor dem Thronwechsel 1714 an, spätestens um 1700 herum, als der einzige Überlebende Sohn von Queen Anne, William im Alter von 11 Jahren starb, während die Königin ansonsten eine Reihe von Fehl- und Todgeburten hatte oder die Kinder gesundheitlich so wenig robust waren, dass sie bereits früh verstarben. Mit dem Act of Settlement 1701 wurde de facto der Nachfolgeanspruch der Hannoveraner für den Fall geregelt, dass keine überlebenden Nachkommen von Queen Anne mehr vorhanden sein würden.

Wenn in diesem Zusammenhang in Braunschweig bei den Wolfenbüttelern darauf spekuliert worden wäre auf dem Ticket der Verwandtschaft mit dem kommenden britischen Monarchen verstärkt in die englischen Handelsnetzwerke einzusteigen, hätte es durchaus Sinn ergeben zu versuchen sich schonmal nach Handelspartnern vor Ort z.B. in Afrika umzusehen und sich in die Abläufe dort einzuarbeiten.
In dem Fall hätte sich ein Arrangement mit bedeutenden Familien aus Westafrika, wenn solche an Ausbildung für ihren Nachwuchs interessiert waren und im Gegenzug für den Handel interessante Beziehungen und Informationen bieten konnten, durchaus angeboten.

*Was für einen britischen Monarchen, der zeitgleich Hannoveraner Kurfürst war sinnvoll erscheinen musste, weil Erhöhung der Braunschweigisch-Lüneburgischen Einkünfte aus Handel und Steuereinnahmen potentiell in die königlichen Kassen fließen konnten, ohne dass das englische Parlament über die Zivilliste auf diesen Teil der königlichen Einnahmen Einfluss nehmen konnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das halte ich für eher abwegig, weil free-soil in den Vereinigten Staaten ja nur deswegen möglich war, weil der Außenhandel mit Sklaven bereits verboten war und weil es auf Ebene der nördlichen Bundesstaaten Gesetze gab, die Sklaverei und Sklavenhandel verboten.

Wenn es solche Gesetze aber in den Niederlanden gegeben hätte, hätte die Folge sein müssen, dass die niederländischen Handelskompanien mit Sitz im Mutterland ja selbst überhaupt nicht mit Sklaven hätten handeln können, bzw. dürfen, da sie ja in einem Rechtsraum aggiert hätten, der dem Verbot der Sklaverei durch nationales oder provinziales Gesetz unterfallen wäre.
Free soil (wer den Boden betritt, ist frei) galt nur für den in Europa liegenden Boden der Niederlande und wurde seit 1581 und vor 1776 allen Sklaven gewährt, die zusammen mit ihren Besitzern oder mit deren Erlaubnis alleine in die Niederlande einreisten. Entflohenen Sklaven innerhalb der Gerichtsbarkeit der Niederlande, dazu gehörten die Kolonien, wurde die Freiheit meistens nicht gewährt, wenn deren holländische Besitzer auf Diebstahl klagten. Sie wurden in die Kolonien zurück geschickt. Solche seltenen Gerichtsfälle beschäftigten die Gerichte und die Öffentlichkeit ab etwa 1730.

Das Gesetz von 1776 schränkte weiter ein, dass für kurze Besuche bis 6 Monate, ein Sklave eines holländischen Besitzers aus einer holländischen Kolonie in den Niederlanden nur dann automatisch frei wurde, wenn der Besitzer damit einverstanden war. Danach musste der Besitzer mit dem Sklaven wieder abreisen, sonst war der Sklave frei.

Für entflohene Sklaven von Besitzern aus anderen Ländern scheint das free soil Prinzip in den Niederlanden uneingeschränkt gegolten zu haben, allerdings nur solange sie sich auf europäisch-niederländischem Boden aufhielten.

Mir ist noch nicht klar, ob die niederländischen Stützpunkte in Westafrika als Kolonien der Niederlande betrachtet wurden. Da Amo vor 1776 in die Niederlande kam, wäre er aber in jedem Fall bei Ankunft frei gewesen, falls er Sklave in Besitz des Sergeanten Bodel gewesen war.

Ein englischer Artikel über entsprechende Gerichtsfälle:
 
Free soil (wer den Boden betritt, ist frei) galt nur für den in Europa liegenden Boden der Niederlande und wurde seit 1581 und vor 1776 allen Sklaven gewährt, die zusammen mit ihren Besitzern oder mit deren Erlaubnis alleine in die Niederlande einreisten. Entflohenen Sklaven innerhalb der Gerichtsbarkeit der Niederlande, dazu gehörten die Kolonien, wurde die Freiheit meistens nicht gewährt, wenn deren holländische Besitzer auf Diebstahl klagten. Sie wurden in die Kolonien zurück geschickt. Solche seltenen Gerichtsfälle beschäftigten die Gerichte und die Öffentlichkeit ab etwa 1730.
Wie gesagt, daraus ergibt sich das Problem, dass die Grundlage eigentlich ein offizielles Gesetz hätte sein müssen, dass die Sklaverei verboten haben müsste.
Demgegenüber hätten sich dann aber die Handelskompanien, die mit Sklaven handelten permanent schuldig gemacht, weil sie ihren Sitz eben in den Niederländischen Provinzen hatten und von dort aggierten, also von niederländischem Boden aus mit Sklaven handelten und welche besaßen.

Das geht nicht zusammen.

Es mag sein, dass es irgendwelche schwer fassbaren gewohnheitsrechtlichen Gebräuche gab, die Sklaverei nicht duldeten aber das entspricht ja nicht dem "free soil"-Modell in den USA das auf dezidierter gesetzlicher Ächtung und Verbot von Sklaverei und Sklavenhandel in den entsprechenden Bundesstaaten beruhte.

So etwas wie den afrikanischen Sklavenhandel geschäftsmäßig zu betreiben wäre vor dem Hintergrund der Gesetzgebung, sagen wird, in New York, Boston oder Philladelphia im frühen 19. Jahrhundert nicht möglich gewesen ohne sich in ganz massive konflikte mit dem Gesetz zu begeben, selbst wenn die Sklaven nie den Boden des entsprechenden Bundesstaates betreten haben würden.
 
Komischerweise schreibt da der Hochschullehrer Thomas Sandkühler, Halle sei keine preußische Universität gewesen.

Wenn man spitzfindig sein will, könnte man sagen: Formal war es eine Universität des Herzogtums Magdeburg. Der Herzog von Magdeburg war allerdings auch gleichzeitig Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen. Preußische Provinz wurde das Territorium erst 1815.
 
Komischerweise schreibt da der Hochschullehrer Thomas Sandkühler, Halle sei keine preußische Universität gewesen.

Das hat er so nicht geschrieben.
Geschrieben steht da:


"Die Behauptung der Aktivisten gegen die „M-Straße“, es bestehe ein örtlicher Bezug zur Lebensgeschichte Amos, ist schlechterdings unzutreffend. Der Afrikaner war nach heutigem Kenntnisstand nie in Berlin. Die Universitäten Halle und Wittenberg, an denen er lehrte, gehörten nicht zu Preußen, was den Urhebern des Umbenennungsbeschlusses entgangen sein dürfte."

Formal ist das durchaus richtig, weil das Herzogtum Magdeburg nur in Personalunion, nicht in Realunion mit Brandenburg-Preußen verbunden war.

Realiter geht es ja aber in dem Satz weniger um die Zugehörigkeit der Unisverität, sondern daraum, dass sich Amo selbst wohl nie in Berlin aufgehalten hat und ein (negativer/negativ gelesener) Bezug auf seine Person bei der früheren Straßenbenennung daher unwahrscheinlich erschiene.

Sehe gerade, hier war Sepiola bereits schneller.

Was mich an dem Artikel allerdings etwas stört, ist das Labeln der These Amo sei als Sklave nach Europa gekommen, als "SED-These".

Es mag richtig sein, dass es da keine wirklich stichhaltigen Belege dafür gibt und sich da unschönerweise Mythenbildung entwickelt hat. Es mag auch sein, dass das politische Klima in der DDR zur Entstehung dieser These beigetragen hat und dass sie aus politischen Gründen gepusht wurde.

Aber "SED-These" impliziert diese These sei allein aus politischer Motivation, nicht etwa aus Missverständnissen und Fehlinterpretationen heraus zustande gekommen.
Das wiederrum geht mir entschieden zu weit, wenn es sich nicht belegen lässt.
 
Wenn man spitzfindig sein will, könnte man sagen: Formal war es eine Universität des Herzogtums Magdeburg. Der Herzog von Magdeburg war allerdings auch gleichzeitig Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen. Preußische Provinz wurde das Territorium erst 1815.
Ok, dann gehörte, wenn man besonders spitzfindig sein will, auch Berlin nicht zu Preußen, sondern zum Kurfürstentum Brandenburg.
 
Ok, dann gehörte, wenn man besonders spitzfindig sein will, auch Berlin nicht zu Preußen, sondern zum Kurfürstentum Brandenburg.
Es geht doch abseits der Spitzfindigkeiten aus dem Artikel klar hervor, dass es um den wahrscheinlich nichtvorhandenen und jedenfalls nicht rekonstruierbaren örtlichen Bezug zwischen Amo und Berlin geht.

Was die Spitzfindigkeit angeht:

Es ist für die Periode von 1701-1772 ohnehin etwas kompliziert, eine sinnvolle Benennung für das Hohenzollern'sche Länderkonglomerat zu finden.

Wie genau nennt man dass ganze, wenn der Markgraf von Brandenburg als Kurfürst des Römisch-Deutschen Reiches, sich im herzoglichen Preußen "König" nennt?

Realiter wurden die Mark Brandenburg, inklusive der Altmark und der Neumark, mit Hinterpommern und dem herzoglichen Preußen in dieser Zeit bereits als Realunion geführt.
Die Macht der alten Landstände hier war bereits weitgehend gebrochen, zentrale Verwaltung aufgebaut und zusammengeführt, was sich beim übrigen, erst kürzlich hinzugekommenen Streubesitz des Hohenzollernschen Länderkonglomerats wohl zum Teil noch anders verhielt.

Von der Rechtsfiktion her vor dem Hintergrund des Heiligen Römischen Reiches und der Reichsverfassung musste allerdings angenommen werden, dass die Kurmark und damit verbunden der Kurfürstentitel gar nicht in einem anderen Staatsgebilde aufgehen könnte, weil dass sonst das Funktionieren des Kurfüstenkollegs und die Reichsverfassung tangiert hätte, da die Kurwürde einmal an die Markgrafschaft Brandenburg als rechtliche Enthität nicht an ein anders Subjekt gebunden war.

Ähnliche Problematik mit dem Herzogtum Preußen. Dadurch, dass sich die Hohenzollern in der genannten Periode nur in Preußen "König", bzw. "könig in Preußen" nennen durften, musste von der Rechtsfiktion her auch das herzogliche Preußen als eigenständig betrachtet werden. Was nicht unbedingt die realen Machtverhältnisse widerspiegelt.

Man kann diese Konstruktion vulgo "Preußen" nennen um das ganze zu vereinfachen. Hin und wieder findet man die Bezeichnung "Preußische Staaten" für dieses Konstrukt.
Diese Begriffe zielen dann aber in der Regel vor allem auf das ostelbische von den Hohenzollern beherrschte Gebiet im engeren Sinne ab, dass in Regierung und Verwaltung als Entwicklung aus dem 17. Jahrhundert bereits einigermaßen vereinheitlicht war.
Zu diesem würde man Berlin dazuzählen, das Herzogtum Magdeburg mit Halle möglicherweise nicht unbedingt, wie auch den Hohenzollern'schen Streubesitz im Westen.
 
Ich vermute ja eher, dass Herr Sandkühler bei Halle nicht spitzfindig war, sondern einfach nicht nachgedacht hat, was mein Misstrauen erweckt. Übrigens konnte ich heute Vormittag noch den Text der Berliner Zeitung lesen, jetzt ist er hinter einer Bezahlschranke.
 
eschaut, wie sich die Worthäufigkeit von Mohr und Neger mit der Zeit veränderte, das Ergebnis habe ich aber nicht mehr im Kopf.
mohr.png
 
Welche Daten sind denn da in die Kurven mit eingeflossen?

Sponaten würde mir da auffallen dass die zunehmende Verwendung von "Neger" im 18. Jahrhundert so ungefähr mit dem Zeitabschnitt zusammenfällt, in dem Französisch (im Französischen wäre der Begriff ja "Nègre") das Lateinische als lingua franca des Adels und der Verwaltung ablöst.

Wenn viel Verwaltungsschriftgut und Schriftverkehr der Sozialen Oberschichten analysiert wurde, mag die Verschiebung möglicherweise ein Nebenprodukt der Affinität zur französischen Sprache und daran angelehnte Begriffe darstellen.
Eine Assoziation des Begriffs mit dem Französischen und die zunehmende nationalistische Deutschtümelei könnte dann durchaus auch den massiven Rückgang der Verwendung zwischen den 1870er Jahren und dem 1. Weltkrieg erklären.

Eine andere mögliche Erklärung für den Rückgang könnte gegeben sein, wenn sich die Untersuchung vor allem auf Verwaltungsschriftgut stützt und der Sprachgebrauch bei den deutschen Kolonialverwaltungen zunehmend ein anderer wurde. Auch das könnte das Absinken erklären.

Da wäre es sehr interessant zu wissen, welche Daten da zu Grunde liegen.
 

DTA-Gesamt+DWDS-Kernkorpus (1600–1999)​

"Dieses DTA-Kernkorpus umfasst etwa 1500 Titel aus dem Zeitraum von ca. 1600 bis 1900, die aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Sprache bzw. der jeweiligen Genres und wissenschaftlichen Disziplinen ausgewählt wurden (weitere Informationen zur Textauswahl). Unter anderem aufgrund des sprachgeschichtlichen Fokus des DTA und um den historischen Sprachstand möglichst genau abzubilden, wurden dabei als Vorlage für die Digitalisierung in der Regel die historischen Erstausgaben ausgewählt (Auswahl der Exemplare für die Digitalisierung)."
Das dwds-Korpus besteht aus Texten des 20. Jahrhunderts.
Wie schon mal gesagt denke ich, dass der Begriff Neger aus dem kolonialen Kontext Eingang in die deutsche Sprache fand und deshalb die klar abwertende Bedeutung trug, die beim Mohr fehlt.
 
Wie schon mal gesagt denke ich, dass der Begriff Neger aus dem kolonialen Kontext Eingang in die deutsche Sprache fand und deshalb die klar abwertende Bedeutung trug, die beim Mohr fehlt.
Das Problem ist, dass dafür der Zeitraum eigentlich der Falsche ist.

Der Beginn der Kolonisation und des transatlantischen Sklavenhandels liegen ja mehr im 16. und 17. Jahrhundert, dafür ist es eigentlich zu spät und für die 2. Welle des Kolonialismus und den "run" auf Afrika ist es wiederrum deutlich zu früh.
 
Im 16. und 17. Jahrhundert hat man halt in Deutschland noch nicht so viel von Übersee mitbekommen.
Das könnte man natürlich auch prüfen, indem man sich den Kontext der Worte anschaut.
 
Im 16. und 17. Jahrhundert hat man halt in Deutschland noch nicht so viel von Übersee mitbekommen.
Das könnte man natürlich auch prüfen, indem man sich den Kontext der Worte anschaut.
Im 17. Jahrhundert hatte Brandenburg-Preußen bereits angefangen den Versuch zu unternehmen selbst Kolonialmacht zu werden. Die gescheiterte Welser-Kolonie in Venezuela geht auf das 16. Jahrhundert zurück.
Die Fugger ins Augsburg sind wohl selbst bereits im 16. Jahrhundert als Finanzier in den portugiesischen Sklavenhandel eingestiegen sein.

Kolumbus landete im Herbst 1492 erstmals in Amerika. Die Waldseemüller-Karte, die Amerika als eigenen Kontinent zwar recht verzehrt abbildet, aber immerhin schon Grundrisse des Karibischen Meeres und von Kuba und Hispanola erkennen lässt, stammt von 1507.
Das heißt relativ detaillierte Beschreibungen von den spanischen Entdeckungsreisen hatten es bereits am Übergang vom 15- zum 16. Jahrhundert in einer Zeit von wenigen Jahren in die Oberrhein-Region geschafft.

Und selbstredend hatte Nordwestdeutschland auch in dieser Zeit traditionell enge Handelsverbindungen und regelmäßigen Austausch mit den Spanischen Niederlanden, den Vereinigten Provinzen und den britischen Inseln.
Die niederländischen, brabanter und flämischen Städte, auf denen kolonialwaren und Informationen umgeschlagen, hin und wieder auch Finanziers und Kreditgeber gesucht wurden, waren per Schiff von den größeren Städten des Rheinlands und der Norddeutschen Küste lediglich einige Tagesreisen entfernt.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir die Vorstellung, man haben von "Übersee" und von dem, was die europäischen Reiche dort veranstalteten und wie sie Dinge bezeichneten, vor dem 18. Jahrhundert noch nicht so viel gewusst wenig wahrscheinlich.
 
Vor diesem Hintergrund erscheint mir die Vorstellung, man haben von "Übersee" und von dem, was die europäischen Reiche dort veranstalteten und wie sie Dinge bezeichneten, vor dem 18. Jahrhundert noch nicht so viel gewusst wenig wahrscheinlich.
Sicher hat man prinzipiell davon gewusst, aber es war für die ganz überwiegende Mehrheit der Leute, auch aus dem Adel, halt noch nicht so präsent. Vorgänge wie die Reformation, Bauernkriege, Glaubenskriege und schließlich der Dreißigjährige Krieg waren für die meisten Leute erst mal wichtiger als irgendwelche Ereignisse in Übersee.
 
Sicher hat man prinzipiell davon gewusst, aber es war für die ganz überwiegende Mehrheit der Leute, auch aus dem Adel, halt noch nicht so präsent. Vorgänge wie die Reformation, Bauernkriege, Glaubenskriege und schließlich der Dreißigjährige Krieg waren für die meisten Leute erst mal wichtiger als irgendwelche Ereignisse in Übersee.
Also die Reformation und die Bauernkriege lagen, wenn man die obere Grafik zum Maßstab nimmt 200 Jahre zurück, als der Begriff "Neger" anscheinend anfing gebräuchlicher zu werden.
Und auch der 30-Jährige Krieg war da schon 50-70 Jahre her.

Wenn du annimmst nach 1700, seien die überseeischen Verhältnisse für, sagen wir mal mindestens die sozialen Oberschichten (die Anderen hinterließen ja relativ selten umfangreiche Schriftzeugnisse) im deutschsprachigen Raum deutlich präsenter gewesen als vorher, könntest du darlegen, worin deiner Meinung nach diese neue Präsenz bestand?

Und warum die früher nicht vorhanden war?
Die Reformation, der Bauernkrieg und der 30-Jährige Krieg mögen Ereignisse sein die die Zeitgenossen tief bewegten und vielleicht zeitweise von anderen Themen ablenkten*, aber zwischen diesen Ereignissen liegen dann auch wieder knapp 100 Jahre, es wäre also Zeit gewesen sich zu interessieren.
Und wenn wir die Waldseemüller-Karte zum Maßstab nehmen und damit davon ausgehen, dass Informationen über Amerika bereits Anfang des 16. Jahrhunderts, als der Buchdruck noch in den Kinderschuhen streckte, bereits im Verlauf weniger Jahre halb Europa durchqueren konnten, dürfte dass hundert Jahre später mit der Verbesserung und Expansion des Druckereiwesens nochmal schneller und im größeren Umfang der Fall gewesen sein.
Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass sich die norddeutschen und die rheinischen Kaufleute nicht dafür interessierten, womit ihre niederländischen und auch dänischen und britischen Kollegen ihre Profite machten und ob man da vielleicht einsteigen und mitmischen könnte?

Oder woher die Waren kamen, die ihre Kollegen da auf die Märkte in Flandern, Brabant und in Amsterdam warfen, wie hoch der Ursprungspreis gewesen sein mag, wie viel Gewinn sich damit machen ließ und so weiter?




*Gab es eigentlich in den Niederlanden und in Großbritannien keine Reformation? Gab es keine in den Niederlanden keine existenzbedrohende 80-Jährige Auseinandersetzung mit der Spanischen Krone um die eigene Unabhängigkeit, und keine Seekriege mit England, die Aufmerksamkeit auf sich zogen?
Gab es eigentlich keinen Englischen Bürgerkrieg, der auf den britischen Inseln alles durcheinander warf und keine Auseinandersetzungen mit den Jakobiten?

Warum hat das die Briten und die Niederländer nicht nur nicht davon abgehalten sich für Übersee zu interessieren, sondern da auch gleich im großen Stil ihre Imperien aufzubauen?
 
Es geht darum, wann ein gängiges Wort (Mohr) durch ein anderes (Neger) zum großen Teil verdrängt wird, wobei die Bedeutung der Wörter sehr ähnlich ist, aber unterschiedliche Konnotationen mitschwingen. Für so einen Sprachwandel reicht es nicht aus, dass man in Deutschland weiß, es gibt überseeische Kolonien, in denen dunkelhäutige Menschen versklavt werden, sondern das muss für die eigene Weltsicht schon eine Bedeutung haben.
Beispielsweise weil sich viele Leute ab und zu Zucker und Kaffee leisten können und eine Ahnung davon haben, wo die Produkte herkommen. Oder weil viele Leute Robinson Crusoe lesen (deutsche Erstveröffentichung 1720).
Wie gesagt könnte man die Sache wohl leicht klären, indem man sich frühe Beispiele der Verwendung des N-Worts anschaut.
 
Es geht darum, wann ein gängiges Wort (Mohr) durch ein anderes (Neger) zum großen Teil verdrängt wird, wobei die Bedeutung der Wörter sehr ähnlich ist, aber unterschiedliche Konnotationen mitschwingen. Für so einen Sprachwandel reicht es nicht aus, dass man in Deutschland weiß, es gibt überseeische Kolonien, in denen dunkelhäutige Menschen versklavt werden, sondern das muss für die eigene Weltsicht schon eine Bedeutung haben.
Jetzt wirfst du zwei Dinge zusammen, die nicht zwangsläufig zusammen gehören, nämlich der Übergang zur Nutzung andere Begrifflichkeiten und die von der konnotation von "Mohr" abweichende Konnotation des Begriffs "Neger".

Wenn man sich anschaut, wann der biologische bzw. der massive Hautfarbenrassismus, der mit der negativen Konnotation von "Neger" zusammenhängt anfängt, da ist man eigentlich mehr oder weniger im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert.

Und ich würde sagen, dass kann man durchaus an Personen wie Amo oder der Rechtslage von Afroamerikanern in den britischen Kolonien und den werdenden Vereinigten Staaten festmachen.

Amo konnte in den 1730er und 1740er Jahren an Universitäten in Zentraleuropa akdademische Würden erreichen und lehren. 100 Jahre später hätte man ihm wegen seiner Hautfarbe die geistige Eignung für Elementarbildung oder jedenfalls alles darüber Hinausgehende abgesprochen und die Vorstellung dass jemand wie er "weiße" Europäer unterrichten könnte für absurd und widernatürlich erklärt.

Schauen wir in die frühen Vereinigten Staaten rüber:

Da waren die entsprechenden Begrifflichkeiten wie ohne Zweifel am Ende des 18. Jahrhunderts im gewöhnlichen Sprachgebrauch vorhanden.
Interessanterweise sah die Gesellschaft der frühen Vereinigten Staaten aber durchaus so aus, dass Afroamerikaner, wenn sie frei waren durchaus volle Bürgerrechte beistzen konnten und dass sie, wenn sie es schafften die damals noch existierenden Besitzqualifikationen zu erfüllen, auch wählen durften (was den "weißen" Unterschichten damals noch verwehrt wurde).
Das kippte irgendwann grob zwischen der Wende zum 19. Jahrhundert und den 1820er Jahren.

Ich würde hier davon ausgehen, dass sich die Begriffsübernahme und die Bedeutungsverschiebung in zwei Schritten vollzogen und dass der Begriff "Neger", als er aufkam noch keine rassistisch konnotierte Abwertung darstellte, sondern sich diese Bedeutung erst irgendwann zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts zulegte.

"Neger" kann durchaus im frühen 18. Jahrhundert bedeutungsmäßig weitgehend Synonym mit "Mohr" gewesen und einfach aus Prestigegründen in Anlehnung an das Französische in den deutschen Sprachgebrauch eingwandert sein und sich seine von "Mohr" abweichende rassistisch-abwertende Konnotation knapp 100 Jahre später zugelegt haben.
 
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