thanepower
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Teil 3:
Die personelle Kontinuität aus der 68er-Revolte schlug sich in den siebziger Jahren zunächst in der unterschiedlichen Organisationsformen der Neuen sozialen Bewegung nieder. Stellt sich darüber hinaus die Frage, in welchem Umfang die Betonung bestimmter ideologischer Positionen als Wertorientierung einen Eingang in der Bevölkerung gefunden haben. Und es wäre auch zu klären, in welchem Umfang neue Formen der unkonventionellen politischen Partizipation ihren Weg in die politische Kultur der Bundesrepublik gefunden haben.
In einem Beitrag von 1977 konstatierten Hildebrandt und Dalton, dass in Abgrenzung zu der „alten Politik“, basierend auf den „alten politischen Konfliktlinien“ , eine „neue Politik“ zu erkennen sei, die neue Themen auf die politische Agenda gesetzt hat und nicht mehr durch die traditionellen politischen Parteien repräsentiert wird.
Im Prinzip folgen sie dabei der These von Inglehart, der eine „Silent Revolution“ (1977) propagiert hatte, die die Ausbildung von „post-materialistischen“ Werten thematisiert. Diese sind sogenannten „materialistischen“ Werten kontrastiert. Zu den postmaterialistischen Werten zählen u.a. Forderungen nach Mitbestimmung am Arbeitsplatz, eine weniger unpersönliche Gesellschaft, Ideen zählen mehr als Geld, mehr politische Mitbestimmung und freie Rede (Inglehart, 1979a, S. 287). Die materialistischen Werte beinhalten eher eine Priorisierung von Sicherheitsbedürfnissen und materiellen Wohlstand.
Für das Jahr 1998 berichtet Thome, dass vor allem in der jüngsten Altersgruppe (unter 35) mittlerweile ca 25 Prozent europaweit als „Postmaterialisten“ anzusprechen sind und somit die „Neue Politik“ eine sozialstrukturelle Verankerung gefunden hat (Thome, S. 403)
Die These von Hildebrandt und Dalton zur Relevanz der „Neuen Politik“ findet bereits in den Ergebnissen von Kaase und Klingemann eine gewisse Evidenz. Sie konstatieren, dass die „Neue Linke“ sich den postmaterialistischen Werten verpflichtet fühlt und deutlich gegen die „Alte Linke“ – also im engeren Sinne die Sozialdemokratie – positioniert ist, die sich eher den traditionellen materialistischen Werten verpflichtet fühlte.
Die unterschiedlichen Wertvorstellungen und die unterschiedlichen Milieus der alten und der neuen Linken haben sich mit der Gründung der „Grünen“ manifest niedergeschlagen und die Grünen sind durch die wertemässige Verankerung in den postmaterialistischen Milieus zu einer etablierten Größe geworden (vgl Häusler und noch deutlicher Stifel)
Das Mobilisierungsniveau bei zentralen Protesten bzw. Demonstrationen im Zuge der Nachrüstungsdebatte etc. hat im Vergleich zu den 68er Unruhen noch einmal sich verstärkt, so die Zahlen von Hutter und Teune (vgl. Link, bes. S. 9). Dieses ist aber auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Bereitschaft zur unkonventionellen politischen Partizipation stark mit der Betonung von postmaterialistischen Werten verbunden ist (vgl. die Beiträge in Barnes und Kaase und auch die Bände von Infratest).
Abschließend soll mit Frei (S. 233) ein Resümee gezogen werden: „….dass die gesellschaftliche Verbreitung und politische Durchsetzung insbesondere der sozialmoralischen Werte [meine Anm. vgl. Wertewandel] und Normen von „68“ in den zurückliegenden Jahrzehnten weit vorangekommen ist: nämlich bis tief in das diesem Wandel einstmals ablehnend gegenüberstehende bürgerliche Milieu hinein.“
https://www.bpb.de/apuz/138272/protest-und-beteiligung
Mittlerweile liegen umfangreiche neuere Studien vor, die im transnationalen Sinne die globalen Netzwerke von „68“ untersucht haben (vgl. z.B. Klimke und andere). Ein beachtlicher Publikationsschwerpunkt – z.B. Fahlenbach: Protest Cultures - liegt dabei im Berghahn-Verlag vor. Ähnlich sind viele neuere Untersuchungen vorhanden, die die Mobilisierungsbedingungen von sozialen Bewegungen thematisieren (vgl. z.B. Porta: The Oxford Handbook of Social Movement).
Literatur: Wertewandel, Politischer Protest, politische Kultur die Grünen:
Barnes, Samuel Henry; Kaase, Max (Hg.) (1979): Political action. Mass participation in five western democracies. Beverly Hills, London: Sage Publications.
Frei, Norbert (2017): 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag
Häusler, Alexander (2018): Bündnis 90 / Die Grünen (Grüne). In: Frank Decker und Viola Neu (Hg.): Handbuch der deutschen Parteien. Wiesbaden: Springer VS, S. 203–225.
Hildebrandt, Kai; Dalton, Russel J. (1977): Die neue Politik. In: Max Kaase (Hg.): Wahlsoziologie heute. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1976. Politische Vierteljahresschrift 18 (2/3). Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 230–256.
Hutter, Sven; Teune, Simon (2012): Politik auf der Straße. Deutschlands Protestprofil im Wandel. In: APuZ: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (25-26), S. 9–17.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1978): Politischer Protest in der Sozialwissenschaftlichen Literatur. Stuttgart: Kohlhammer.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1980): Politischer Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur sozialempirischen Untersuchung des Extremismus. 2 Bände. Stuttgart: Kohlhammer.
Inglehart, Ronald (1977): The silent revolution. Changing values and political styles among Western publics. Princeton, New Jersey: Princeton University Press.
Inglehart, Ronald (1979a): Wertwandel in den westlichen Gesellschaften: Politische Konsequenzen von materialistischen und postmaterialistischen Prioritäten. In: Helmut Klages und Peter Kmieciak (Hg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. 3. Aufl. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 279–316.
Inglehart, Ronald (1979b): Wertwandel und politisches Verhalten. In: Joachim Matthes (Hg.): Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages Berlin 1979. Frankfurt: Campus, S. 505–533.
Kaase, Max (1979): Legitimationskrise in weslichen demokratischen Industriegesellschaften: Mythos oder Realität? In: Helmut Klages und Peter Kmieciak (Hg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. 3. Aufl. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 328–350.
Kaase, Max; Klingemann, Hans Dieter (1979): Sozialstruktur, Wertorientierung und Parteiensystem: Zur Problem der Interessenvermittlung in westlichen Demokratien. In: Joachim Matthes (Hg.): Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages Berlin 1979. Frankfurt: Campus.
Stifel, Andreas (2018): Vom erfolgreichen Scheitern einer Bewegung. Bündnis 90/Die Grünen als politische Partei und soziokulturelles Phänomen. Wiesbaden: Springer VS.
Thome, Helmut (2005): Wertewandel in Europa. In: Hans Joas und Klaus Wiegandt (Hg.): Die kulturellen Werte Europas]. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl.
Die personelle Kontinuität aus der 68er-Revolte schlug sich in den siebziger Jahren zunächst in der unterschiedlichen Organisationsformen der Neuen sozialen Bewegung nieder. Stellt sich darüber hinaus die Frage, in welchem Umfang die Betonung bestimmter ideologischer Positionen als Wertorientierung einen Eingang in der Bevölkerung gefunden haben. Und es wäre auch zu klären, in welchem Umfang neue Formen der unkonventionellen politischen Partizipation ihren Weg in die politische Kultur der Bundesrepublik gefunden haben.
In einem Beitrag von 1977 konstatierten Hildebrandt und Dalton, dass in Abgrenzung zu der „alten Politik“, basierend auf den „alten politischen Konfliktlinien“ , eine „neue Politik“ zu erkennen sei, die neue Themen auf die politische Agenda gesetzt hat und nicht mehr durch die traditionellen politischen Parteien repräsentiert wird.
Im Prinzip folgen sie dabei der These von Inglehart, der eine „Silent Revolution“ (1977) propagiert hatte, die die Ausbildung von „post-materialistischen“ Werten thematisiert. Diese sind sogenannten „materialistischen“ Werten kontrastiert. Zu den postmaterialistischen Werten zählen u.a. Forderungen nach Mitbestimmung am Arbeitsplatz, eine weniger unpersönliche Gesellschaft, Ideen zählen mehr als Geld, mehr politische Mitbestimmung und freie Rede (Inglehart, 1979a, S. 287). Die materialistischen Werte beinhalten eher eine Priorisierung von Sicherheitsbedürfnissen und materiellen Wohlstand.
Für das Jahr 1998 berichtet Thome, dass vor allem in der jüngsten Altersgruppe (unter 35) mittlerweile ca 25 Prozent europaweit als „Postmaterialisten“ anzusprechen sind und somit die „Neue Politik“ eine sozialstrukturelle Verankerung gefunden hat (Thome, S. 403)
Die These von Hildebrandt und Dalton zur Relevanz der „Neuen Politik“ findet bereits in den Ergebnissen von Kaase und Klingemann eine gewisse Evidenz. Sie konstatieren, dass die „Neue Linke“ sich den postmaterialistischen Werten verpflichtet fühlt und deutlich gegen die „Alte Linke“ – also im engeren Sinne die Sozialdemokratie – positioniert ist, die sich eher den traditionellen materialistischen Werten verpflichtet fühlte.
Die unterschiedlichen Wertvorstellungen und die unterschiedlichen Milieus der alten und der neuen Linken haben sich mit der Gründung der „Grünen“ manifest niedergeschlagen und die Grünen sind durch die wertemässige Verankerung in den postmaterialistischen Milieus zu einer etablierten Größe geworden (vgl Häusler und noch deutlicher Stifel)
Das Mobilisierungsniveau bei zentralen Protesten bzw. Demonstrationen im Zuge der Nachrüstungsdebatte etc. hat im Vergleich zu den 68er Unruhen noch einmal sich verstärkt, so die Zahlen von Hutter und Teune (vgl. Link, bes. S. 9). Dieses ist aber auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Bereitschaft zur unkonventionellen politischen Partizipation stark mit der Betonung von postmaterialistischen Werten verbunden ist (vgl. die Beiträge in Barnes und Kaase und auch die Bände von Infratest).
Abschließend soll mit Frei (S. 233) ein Resümee gezogen werden: „….dass die gesellschaftliche Verbreitung und politische Durchsetzung insbesondere der sozialmoralischen Werte [meine Anm. vgl. Wertewandel] und Normen von „68“ in den zurückliegenden Jahrzehnten weit vorangekommen ist: nämlich bis tief in das diesem Wandel einstmals ablehnend gegenüberstehende bürgerliche Milieu hinein.“
https://www.bpb.de/apuz/138272/protest-und-beteiligung
Mittlerweile liegen umfangreiche neuere Studien vor, die im transnationalen Sinne die globalen Netzwerke von „68“ untersucht haben (vgl. z.B. Klimke und andere). Ein beachtlicher Publikationsschwerpunkt – z.B. Fahlenbach: Protest Cultures - liegt dabei im Berghahn-Verlag vor. Ähnlich sind viele neuere Untersuchungen vorhanden, die die Mobilisierungsbedingungen von sozialen Bewegungen thematisieren (vgl. z.B. Porta: The Oxford Handbook of Social Movement).
Literatur: Wertewandel, Politischer Protest, politische Kultur die Grünen:
Barnes, Samuel Henry; Kaase, Max (Hg.) (1979): Political action. Mass participation in five western democracies. Beverly Hills, London: Sage Publications.
Frei, Norbert (2017): 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag
Häusler, Alexander (2018): Bündnis 90 / Die Grünen (Grüne). In: Frank Decker und Viola Neu (Hg.): Handbuch der deutschen Parteien. Wiesbaden: Springer VS, S. 203–225.
Hildebrandt, Kai; Dalton, Russel J. (1977): Die neue Politik. In: Max Kaase (Hg.): Wahlsoziologie heute. Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1976. Politische Vierteljahresschrift 18 (2/3). Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 230–256.
Hutter, Sven; Teune, Simon (2012): Politik auf der Straße. Deutschlands Protestprofil im Wandel. In: APuZ: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (25-26), S. 9–17.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1978): Politischer Protest in der Sozialwissenschaftlichen Literatur. Stuttgart: Kohlhammer.
Infratest Wirtschaftsforschung GmbH (1980): Politischer Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur sozialempirischen Untersuchung des Extremismus. 2 Bände. Stuttgart: Kohlhammer.
Inglehart, Ronald (1977): The silent revolution. Changing values and political styles among Western publics. Princeton, New Jersey: Princeton University Press.
Inglehart, Ronald (1979a): Wertwandel in den westlichen Gesellschaften: Politische Konsequenzen von materialistischen und postmaterialistischen Prioritäten. In: Helmut Klages und Peter Kmieciak (Hg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. 3. Aufl. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 279–316.
Inglehart, Ronald (1979b): Wertwandel und politisches Verhalten. In: Joachim Matthes (Hg.): Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages Berlin 1979. Frankfurt: Campus, S. 505–533.
Kaase, Max (1979): Legitimationskrise in weslichen demokratischen Industriegesellschaften: Mythos oder Realität? In: Helmut Klages und Peter Kmieciak (Hg.): Wertwandel und gesellschaftlicher Wandel. 3. Aufl. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 328–350.
Kaase, Max; Klingemann, Hans Dieter (1979): Sozialstruktur, Wertorientierung und Parteiensystem: Zur Problem der Interessenvermittlung in westlichen Demokratien. In: Joachim Matthes (Hg.): Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages Berlin 1979. Frankfurt: Campus.
Stifel, Andreas (2018): Vom erfolgreichen Scheitern einer Bewegung. Bündnis 90/Die Grünen als politische Partei und soziokulturelles Phänomen. Wiesbaden: Springer VS.
Thome, Helmut (2005): Wertewandel in Europa. In: Hans Joas und Klaus Wiegandt (Hg.): Die kulturellen Werte Europas]. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl.