Meine Frage hat einen Hintergrund, den ich gerne später erläutern möchte, jetzt aber aus Gründen der Ergebnisoffenheit erst mal noch nicht erwähne: Welche Gründe gab es für die Auswahl des Lagers Dachau?
Dachau war ja das ersten offizielle Konzentrationslager, es wurde im März 1933 eröffnet. Warum wurde Dachau als Standort ausgewählt?
Die Frage ist so einfach gar nicht zu beantworten, oder anders: sie hängt davon ab, was man mit der Frage der "Auswahl" verbindet.
1. ausschließlich die Lokalität zu dem Zeitpunkt
Nach dem israelische Historiker Aronson (in seiner Dissertation) geht das auf den Vorschlag des Innenministers Wagner an den Justizminister Frank (der spätere "Polen-Frank") zurück, weil die Gefängnisse in München in Folge der Massenverhaftungen, Abrechnung und Beseitigung insbesondere der KPD-Opposition zu klein wurden. Die Version Kogons, basierend auf dem Memoirenschreiber Orb in Zürich 1945, der Standort gehe auf Himmler und Heydrich zurück, verweist Aronson ins Reich der Legende.
Aus Sicht des eskalierenden Säuberungen in München war der Standort günstig mit Eisenbahnanbindung, nicht zu weit entfernt, dennoch außerhalb, und die freien Baulichkeiten der ehemaligen Fabeik waren "zweckmäßig" und erschienen groß genug für den Zweck (die Gefangenenzahlen des Systems Eicke standen da noch nicht im Fokus)
2. Standortwahl im Kontext "Übernahme durch die SS"
Formal erst mit Ende Mai 1933 ging das bestehende Lager in den Dienstbereich der SS über. Erstausgabe und Standortführung unterstanden der Schutzpolizei München (SS nach Göring eingesetzt als "Hilfspolizei), wenngleich die SS bereits im März 1933 eintraf.
3. Warum der Standort für die Gewalteskalation und das "System Eicke"
Die Frühphase des Lager bis zum Eintreffen Eicke im Juni 1933 kann man wenig unterscheiden von politischen Morden im Ruhrgebiet, Hamburg, oder in Berlin in dortigen Lagern oder Gefängnissen.
Die SS "der ersten Stunde" war im Schnitt rund 26 Jahre alt, "Generation des Unbedingten" mit Geburtsjahren 1900/10 und den Kindheitserfahrungen von Krieg und Inflation. Sie wurde gemischt aus den SS-Standarten Augsburg, München, Groß-München, Landsberg, etc.(zunächst rd. 200 zusammengefasst aus Gruppe Süd der SS Bayern mit rd. 2000 Mann), mit bürgerlichem und Arbeiterschichten-Hintergrund. Diese Mischung "garantierte" politische Morde und Abrechnung mit den politischen Gegnern. Was hier geschah, stand "bis Eicke" vorwiegend im Kontext der bayerischen Abrechnung mit Gegnern der NSDAP sowie Gewalt gegen vorwiegend Münchener Juden.
Sodann ist unterscheiden: Dachaus Rolle in der Münchner und bayerischen Wahrnehmung im Kontext mit den Bürgerkriegsgeschichten. diese Sonderrolle in der Wahrnehmung bestand in den dortigen Kämpfen, sozusagen strategischer Standort im Zugang nach München, der Munitionsfabrik und der Geldnotendruckerei. Das war in der Münchener Wahrnehmung verwurzelt, hat aber mit den profanen Gründen der Standortwahl nichts zu tun: Dachau im Kontext der Wahrnehmung der Räterepublik, als "Basis der Roten Garden". Das ist ein Aspekt, der hinzu trat, aber nicht entscheidend für die reine Standortwahl war (siehe oben).
Schließlich steht diese Situation in Dachau im Kontext des Personals:
Die Frühphase bis zur Angabe der Zuständigkeit der Polizei umfasst 264 SS-Mitglieder, von denen aus den Polizeiakten ein robustes "sample" von 192 trotz Aktenvernichtung der SS erhalten geblieben ist. Mit dem System Eicke gab es schnelles Wachstum:
"By October 1933 there were nearly 400 guards in Dachau, 764 in June 1935, and over 1,000 by the beginning of 1936. With the outbreak of war in September 1939, SS personnel records registered no fewer than 3,179 guards posted at the camp. "
Ebenso stiegen 1933/35 die Gefangenenzahlen rasant an.
Etliche der rd 250 der Frühphase - vor dem System Eicke - machten Karriere im Lagersystem der SS.
Dillon: Dachau and the SS - A Schooling in Violence, 2015
Deschner, Heydrich - Biograpie eines Reichsprotektors, 1977
Gerwarth: Reinhard Heydrich - Biographie, 2011
Longerich: Heinrich Himmler, 2008
Bei der Frage, "warum Dachau", kann man also mehrere Aspekte betrachten. Bis hin zum "Gewalt-Laboratorium", wie es dann speziell unter Eicke installiert wurde (vgl. Dillon).