Dagobert I. und der Massenmord an Bulgaren in Bayern

Ich zitiere hier nur aus Pohl, der erwähnt, dass viele Forscher das Massaker für eine Legende halten, er erwähnt Reindel, Schlesinger und Kahl.
Er hält es aber für durchaus denkbar, auch wenn die Zahlen sicherlich übertrieben seien.
 
Hier zeigt sich, dass Bajuwaren und Awaren relativ nah miteinander verwandt waren. Die Bajuwaren, die ca. 631 die bulgarischen Flüchtlinge erst aufnahmen und dann niedermetzelten, hatten vielleicht selbst eine bulgarische Großmutter. So fremd können sich Bulgaren und Bajuwaren nicht gewesen sein.
Eine bulgarische Großmutter macht noch keinen Bulgaren. Und wie "freiwillig" die bulgarische Großmutter den bajuwarischen Großvater eigentlich geheiratet hat bzw. an ihn verheiratet wurde, ist auch noch einmal eine andere Frage.
Irgendwelche Zusammengehörigkeitsgefühle oder Tötungshemmungen muss so eine Verwandtschaft nicht erzeugen.

Ich zitiere hier nur aus Pohl, der erwähnt, dass viele Forscher das Massaker für eine Legende halten, er erwähnt Reindel, Schlesinger und Kahl.
Er hält es aber für durchaus denkbar, auch wenn die Zahlen sicherlich übertrieben seien.
Diese "Legende" wäre dann allerdings in einem zeitlichen Abstand von vermutlich nur etwa 30 Jahren aufgeschrieben worden, und "Fredegar" wäre somit vermutlich sogar Zeitgenosse des (gar nicht stattgefundenen) Ereignisses gewesen.
 
Diese "Legende" wäre dann allerdings in einem zeitlichen Abstand von vermutlich nur etwa 30 Jahren aufgeschrieben worden, und "Fredegar" wäre somit vermutlich sogar Zeitgenosse des (gar nicht stattgefundenen) Ereignisses gewesen.

Nach Walter Pohls Ansicht "passt das Schaustück durchaus in die politische Welt um 630".
Er bringt auch den Namen des Anführers der Überlebenden (Alciocus) durchaus in Verbindung mit Alzeco, der um 660 ein bulgarisches Kontingent in Italien ansiedelt.
 
Dass Alciocus mit Alzeco identisch ist, ist strittig. Aber selbst wenn es so wäre, inwiefern wäre das ein Indiz dafür, dass der Massenmord nicht stattgefunden hat? Und Fredegars Glaubwürdigkeit würde ich erst anzweifeln, wenn es andere Berichte in der Chronik gäbe, die nachweislich falsch sind. Ist das der Fall?
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine Identität von Alciocus und Alzeco ist eher unwahrscheinlich, da wohl etwa 30 Jahre dazwischen liegen. Pohl sieht den Namen eher als Titel, abgeleitet aus dem türkischen "Altioq". "Sechs Pfeile".
Aber die beiden legendhaften Erzählungen könnten miteinander verquickt worden sein. In Italien scheint zumindest wohl noch ein größeres bulgarisches Kontingent angekommen zu sein.
Es geht doch nicht darum "Fredegar" (bzw. den oder die Autoren) der "Lüge" zu bezichtigen. Die meisten Berichte aus damaliger Zeit beruhen auf Hörensagen, da ist natürlich auch das Einfließen von Legenden nicht unwahrscheinlich.
 
Eine Identität von Alciocus und Alzeco ist eher unwahrscheinlich, da wohl etwa 30 Jahre dazwischen liegen. Pohl sieht den Namen eher als Titel, abgeleitet aus dem türkischen "Altioq". "Sechs Pfeile".
Aber die beiden legendhaften Erzählungen könnten miteinander verquickt worden sein. In Italien scheint zumindest wohl noch ein größeres bulgarisches Kontingent angekommen zu sein.
Es geht doch nicht darum "Fredegar" (bzw. den oder die Autoren) der "Lüge" zu bezichtigen. Die meisten Berichte aus damaliger Zeit beruhen auf Hörensagen, da ist natürlich auch das Einfließen von Legenden nicht unwahrscheinlich.
Wenn Fredegar Zeitgenosse war, dann erscheint eine Legende als nicht glaubwürdig. Selbst wenn er 30 Jahre später gelebt hat, wird es Augenzeugen gegeben haben.

Wenn Alzecco, der Sohn des Khan Kubrat war, der zwischen 606-665 gelebt hatte, könnte dieser im Jahr 632 als junger Krieger gelebt haben. Aber das nur so nebenbei.

Wenn Pohl die Historiker Kurt Reindel (1925-2011), Ludwig Schlesinger (1838-1899) und Hans-Dietrich Kahl (1920-2016) erwähnt, dann sollten wir uns die These dieser drei genannten genauer ansehen. Ludwig Schlesinger war dann der erste von den drei Historikern, die diese aufstellte. Schlesingers Weltbild aber war "national", was ihn möglicherweise dazu verführt haben könnte, aus Nationalstolz die Schattenseiten germanischer Geschichte unter den Tisch zu kehren. Das sollte man berücksichtigen.
 
Wenn Fredegar Zeitgenosse war, dann erscheint eine Legende als nicht glaubwürdig.

Warum das ?

Nebenbei, es wird nur erwähnt, dass es es Forscher gibt, die das ganze Geschehen anzweifeln. Die Historizität ist wahrscheinlicher, nur sollte man mit Quellen wie Fredegar eben vorsichtig sein, zumal wir deren Kontext nicht kennen.
 
Warum das ?

Nebenbei, es wird nur erwähnt, dass es es Forscher gibt, die das ganze Geschehen anzweifeln. Die Historizität ist wahrscheinlicher, nur sollte man mit Quellen wie Fredegar eben vorsichtig sein, zumal wir deren Kontext nicht kennen.

Wer eine Chronik schreibt, muss damit rechnen, dass diese von Zeitgenossen gelesen wird. Was sollten die Leser davon halten, wenn sie frei erfunden ist? Eine "glaubwürdige" Legende könnte er doch nur schreiben, wenn sie im Kern wahr wäre. Aber abgesehen davon. Was wäre das Motiv für so eine Legende? Und warum wurde sie nicht ausgeschmückt, wie das sonst bei Legenden der Fall ist? Das Ganze liest sich doch wie ein knapper Bericht. Das passt irgendwie nicht. Vor allem aber. Gibt es weitere Stelle in Fredegars Chronik, die man als Legende abtun könnte? Falls nicht, kann man nicht davon ausgehen, dass der Chronist eine Legende schildern wollte.

Natürlich muss man jede Quelle kritisch betrachten. Man sollte aber bei der Untersuchung von historischen Ereignissen, auch die politische Weltanschauung von Historikern berücksichtigen.
 
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Wer eine Chronik schreibt, muss damit rechnen, dass diese von Zeitgenossen gelesen wird. Was sollten die Leser davon halten, wenn sie frei erfunden ist?

Wer redet von "frei erfunden"?

Die "Fredegar-Chronik" ist nun einmal eine Kompilation aus verschiedensten Werken der damaligen Zeit. Der Autor/ die Autoren dürften kaum in der Lage gewesen sein, den Wahrheitsgehalt ihrer Quellen zu überprüfen. Auch die Abstammung der Franken aus Troja wird erwähnt. "Fredegar" ist kein Chronist seiner Zeit, er möchte eine Weltgeschichte schreiben. Ein Sammelsurium aus Texten aus verschiedensten Abschriften, mit den üblichen Abschreibfehlern, Missinterpratationen, politisch oder religiös motivierten Einschüben, wie damals eben üblich.
Etwas besseres haben wir für diese Zeit nicht, und möglicherweise entspricht der Bulgarenbericht den Tatsachen. Oder eben auch nicht. Vielleicht wurde er übertrieben, vielleicht mit etwas anderem verwechselt, wir wissen es nicht, sind auf zusätzliche Quellen angewiesen.
 
Es gibt zu der Zeit nur sehr wenige Nachrichten aus der Region. Das Massaker an den Bulgaren ist fast schon die einzige Nachricht aus Bayern in der 1. Hälfte des 7. Jahrhundert.

Fredegar berichtet weiter, der Fürst Walluch habe die dem Massaker entkommenden Bulgaren in seiner Wendenmark aufgenommen. Der ganze Kontext fehlt. Es gibt keine Andeutungen, wo sich diese Wendenmark geografisch oder politisch befindet.
Dass der Wendenfürst die Bulgaren bereitwilligt aufnimmt, zeigt ebenso wie die spätere Aufnahmen der Bulgaren durch König Grimoald im Langobardenreich, wie gewöhnlich die Aufnahme flüchtiger Bulgaren und wie ungewöhnlich das Massaker in Bayern auch in seiner Zeit waren.
 
Eine Identität von Alciocus und Alzeco ist eher unwahrscheinlich, da wohl etwa 30 Jahre dazwischen liegen.
Die Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit Online sieht hier wohl auch keine Identität des einen mit dem anderen, sie erwähnt weder Fredegar als Quelle noch das Dagobert-Ereignis. Zur Ansiedlung in Italien:

Nach Paulus Diaconus müßten diese Ereignisse um 663 stattgefunden haben; nach Theophanes verließ A. jedoch erst nach dem Tod des Vaters vermutlich 668/69 seine bulgarische Heimat, so daß mit seiner Ankunft in Italien erst gegen Ende der Herrschaft Grimoalds, etwa 670/71 zu rechnen wäre. Die Datierungen sind jedoch recht unsicher.

Meines Erachtens ist eher die Alzeco-eigene griechische Berichterstattung für die Nichtidentität der beiden von Belang, als die 30 (oder 40) Jahre Zeitdifferenz. Das ist durchaus drin bei einer Lebensspanne eines Heerführers.
 
Wer redet von "frei erfunden"?

Die "Fredegar-Chronik" ist nun einmal eine Kompilation aus verschiedensten Werken der damaligen Zeit. Der Autor/ die Autoren dürften kaum in der Lage gewesen sein, den Wahrheitsgehalt ihrer Quellen zu überprüfen. Auch die Abstammung der Franken aus Troja wird erwähnt. "Fredegar" ist kein Chronist seiner Zeit, er möchte eine Weltgeschichte schreiben. Ein Sammelsurium aus Texten aus verschiedensten Abschriften, mit den üblichen Abschreibfehlern, Missinterpratationen, politisch oder religiös motivierten Einschüben, wie damals eben üblich.
Etwas besseres haben wir für diese Zeit nicht, und möglicherweise entspricht der Bulgarenbericht den Tatsachen. Oder eben auch nicht. Vielleicht wurde er übertrieben, vielleicht mit etwas anderem verwechselt, wir wissen es nicht, sind auf zusätzliche Quellen angewiesen.

Wieso sollte der Autor (bzw. die Autoren) nicht in der Lage sein den Wahrheitsgehalt seiner Quellen zu überprüfen? Man geht davon aus, dass die Chronik 660 geschrieben worden ist. Der Autor könnte das Ereignis erlebt haben oder wenigstens von Eltern und anderen Zeitzeugen erfahren haben. Die Befragung von mehreren Zeitzeugen wäre auf jeden Fall möglich gewesen und für mich ein Beleg dafür, dass das Ereignis stattgefunden hat, solange es kein schlüssiges Argument für eine Legende gibt. Die Zahl der Opfer kann allerdings abweichen. Vielleicht waren es weniger oder mehr gewesen.
 
Nach Paulus Diaconus müßten diese Ereignisse um 663 stattgefunden haben; nach Theophanes verließ A. jedoch erst nach dem Tod des Vaters vermutlich 668/69 seine bulgarische Heimat...

Allerdings ist der Name "Alzeco" nur bei Paulus Diaconus überliefert.
Bei Nikephoros und Theophanes bleiben die Kuvrat-Söhne Nr. 4 und 5 namenlos.
 
Legenden können schnell entstehen. Menschen erinnern sich mitunter an das, was sie glauben wollen. Denken wir an das Dritte Reich. Hier wurde von einem englischen Flugzeug auf einen Platz, den Hof eines Gutes geschossen. Dort spielten gerade Kinder. Die, die noch leben schwören bis heute, sie seien gezielt beschossen worden. Das ging aber gar nicht. Wegen des Baumbestands konnte der Flieger erst nach dem Schuss den Hof einsehen. Die Schüsse dienten der Eigensicherung, da er wohl aufklären sollte, ob da Truppen lagen. Obwohl dies keiner am Boden beurteilen konnte, sind die heute noch lebenden fest überzeugt, beschossen worden zu sein.

Das Problem ist nur: was für eine Geschichte verdeckt man mit einem Massenmord auch an Frauen und Kindern? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass Fredegar als Franke etwas festgehalten hat, was passierte, aber es dadurch verfälscht, dass er nicht die ganze Geschichte erzählt oder es ganz einfach den Tatsachen entspricht.
 
Interessant ist ja auch, dass im Zusammenhang mit Dagoberts Feldzug gegen Samo von 632 kein bajuwarisches Kontingent erwähnt wird.
 
Das Problem ist nur: was für eine Geschichte verdeckt man mit einem Massenmord auch an Frauen und Kindern? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass Fredegar als Franke etwas festgehalten hat, was passierte, aber es dadurch verfälscht, dass er nicht die ganze Geschichte erzählt oder es ganz einfach den Tatsachen entspricht.
Ich sehe eigentlich keinen Grund, die Geschichte zu bezweifeln, dafür gibt weder der Text selbst textinhärente Widersprüche noch stehen andere, glaubwürdigerere Quellen dem entgegen. Das heißt natürlich im Umkehrschluss nicht, dass die Erzählung auf jeden Fall 'wahr' ist.
 
Legenden können schnell entstehen. Menschen erinnern sich mitunter an das, was sie glauben wollen. Denken wir an das Dritte Reich. Hier wurde von einem englischen Flugzeug auf einen Platz, den Hof eines Gutes geschossen. Dort spielten gerade Kinder. Die, die noch leben schwören bis heute, sie seien gezielt beschossen worden. Das ging aber gar nicht. Wegen des Baumbestands konnte der Flieger erst nach dem Schuss den Hof einsehen. Die Schüsse dienten der Eigensicherung, da er wohl aufklären sollte, ob da Truppen lagen. Obwohl dies keiner am Boden beurteilen konnte, sind die heute noch lebenden fest überzeugt, beschossen worden zu sein.

Das Problem ist nur: was für eine Geschichte verdeckt man mit einem Massenmord auch an Frauen und Kindern? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass Fredegar als Franke etwas festgehalten hat, was passierte, aber es dadurch verfälscht, dass er nicht die ganze Geschichte erzählt oder es ganz einfach den Tatsachen entspricht.

Das ist was anderes. Wenn ein paar Augenzeugen vermuten "gezielt" beschossen worden zu sein, in Wahrheit aber die Schüsse aus anderen Gründen erfolgten, würde ich so einen Vorgang nicht als "Legende" bezeichnen, sondern als die falsche Wahrnehmung von Zeugen, die unter Panik gestanden haben. Solche Vorgänge findet man auch häufig im Strafprozess oder bei der Beschreibung von Verkehrsunfällen. Des weiteren betraf der Vorgang einen relativ kleinen Personenkreis. Ein Mord an mindestens 9000 Menschen aber werden schon erheblich mehr Menschen mitbekommen haben. Allein die Zahl der Täter müsste aus mehreren hundert, wahrscheinlicher ein paar tausend Mann bestanden haben. Diese Leute werden natürlich alle ihre eigene Wahrnehmung gehabt haben, aber dürften im Kern der Aussage übereinstimmen, dass die Morde geschahen. Vielleicht gibt es auch nicht mehr Berichte über die Morde, weil die fränkische Führungsschicht kein Interesse daran hatte, dass hierüber geschrieben wurde. Vielleicht tat der Autor der Fredegar Chronik etwas sehr mutiges mit seinem Bericht , wagte es aber nicht die Motive zu nennen um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Vielleicht hätte er sonst sein Leben riskiert? Er erwähnt, dass der König auf den Rat seiner Berater hörte. Deren Namen hat er aber nicht genannt. Vielleicht hatte das seinen Grund.
 
Vielleicht gibt es auch nicht mehr Berichte über die Morde, weil die fränkische Führungsschicht kein Interesse daran hatte, dass hierüber geschrieben wurde. Vielleicht tat der Autor der Fredegar Chronik etwas sehr mutiges mit seinem Bericht , wagte es aber nicht die Motive zu nennen um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Vielleicht hätte er sonst sein Leben riskiert? Er erwähnt, dass der König auf den Rat seiner Berater hörte. Deren Namen hat er aber nicht genannt. Vielleicht hatte das seinen Grund.
Alles very unlikely. Du könntest solche Thesen leicht überprüfen, in dem du mal einige Seiten vor- und zurückblätterst: Wie häufig werden sekundäre Personen und im Speziellen Berater überhaupt namentlich genannt? Dass "Fredegar" "Angst" gehabt hätte, ist angesichts des Gesamttextes und der Lesefähigkeit des Adels im 7. Jhdt. sowie der antizipierten Leserschaft kaum zu befürchten.
 
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Franken (genauso wenig wie andere Völker dieser Welt) nicht zimperlich mit dem Leben anderer Menschen umgegangen sind. Mord und Totschlag war vielen (den meisten oder sogar allen?) völlig normal, ja selbstverständlich. Darum könnte es durchaus sein, dass Fredegar selbst die Morde an so vielen Menschen an sich egal war und er sie lediglich berichten wollte, weil es sich eben so zugetragen hatte. Er wollte schließlich Weltgeschichte schreiben.
 
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