timotheus
Aktives Mitglied
Hallo miteinander,
aufgrund verschiedener Gründe brennt es mir seit einigen Monaten unter den Nägeln, dieses Thema aufzumachen. Zum einen hat dieses Thema im Rahmen meiner Freizeitbeschäftigung Living History inzwischen einen ihm gebührenden Teil eingenommen (warum, erkläre ich gleich), und zum anderen möchte ich hier ein Thema schaffen, auf welches bei entsprechenden Diskussionen verwiesen bzw. wo das eine oder andere nachgelesen werden kann.
Das Pferd im europäischen Mittelalter
Es wäre auch wert gewesen, ihm ein eigenes Thema unter "Alltag im Mittelalter" zu widmen, denn es spielte eine wesentliche Rolle in der mittelalterlichen Gesellschaft. Natürlich fällt jedem bzw. jeder sofort das ritterliche Streitroß ein oder aber die weit über das Mittelalter hinausreichende Verwendung als Last- und Arbeitstier, doch dies sind lediglich zwei Pole von sehr weitgefächerten Funktionen, welche das Pferd erfüllte.
Es mag daher kaum überraschen, daß es sowohl zeitgenössische Literatur als auch eine Vielzahl amtlicher Dokumente des Mittelalters sich zu Pferden äußern und dies den Verfassern auch offensichtlich Vergnügen bereitet.
Bereits aus jenen Dokumenten des Mittelalters lassen sich Listen über Typen und Pferdearten ableiten, ebenso aber auch bezüglich Gangarten, Farben, Zuchtbriefe, Verkauf und Nutzen zu verschiedenen Zeiten.
Eine bedeutende Quelle stellt die Beschreibung zum Londoner Pferdemarkt von William Fitz Stephen um 1170 dar, der als Sekretär und Biograph von Thomas Becket bekannt ist. William Fitz Stephen beschreibt darin u.a. verschiedene Pferdetypen, die zum Verkauf ausgestellt bzw. angeboten wurden...
1. gradarii oder amblers
Dies sind Paßgänger, d.h., diese Pferde bewegen sich in einer leichten gangart, bei welcher zuerst beide Beine der linken Seite und danach beide Beine der rechten Seite vorwärts gesetzt werden.
Heutzutage wirkt dies natürlich befremdlich, zumal es in der modernen Reitschule als faul und fehlerhaft gilt - sprich: ein Pferd mit dieser Gangart gilt heute als "verzogen".
Pferde, deren Gangart so herabgesetzt war, daß sie im Paßgang (Kamele gehen übrigens auch so) gingen, galten damals als ideal für unerfahrene Reiter, welche komfortabel eine lange Wegstrecke zurücklegen wollten, denn diese Pferde verlagten kein hohes Maß an Reitkunst.
Anm.: Es gibt nicht wenige Bildquellen, welche Reiter auf genau solchen Pferden zeigen - z.B. Jäger auf Pferd im Queen Mary Psalter (14. Jh.) oder Wife of Bath in Canterbury Tales (15. Jh.)
2. Pferde für Landjunker, die grob, aber schnell gehen
(Die originale Umschreibung in pathetischem Vulgärlatein muß wohl noch umständlicher sein...)
Damit sind Pferde gemeint, die im Trab gehen; mit ihnen lassen sich jegliche Wegstrecken in einem moderat-schnellen Tempo zurücklegen. Natürlich erfordern sie vom Reiter, daß dieser im Reiten durchaus geübt ist.
3. colts
Damit sind schlicht und einfach (Hengst-)Fohlen bzw. Jungpferde gemeint, die noch nicht an Zaumzeug und Reiter gewöhnt worden sind.
4. summarii oder sumpters
Dies sind Lastpferde oder auch Packpferde, welche sich laut Quelle durch stämmige, aber sehr bewegliche Beine auszeichnen.
5. dextrarii oder destriers
Und da haben wir sie nun auch, die teuren Streitpferde der Ritterschaft - beschrieben mit Worten wie staturae honestae bzw. noble size. Was man damals unter solcher Statur verstand bzw. wie wir uns dies vorstellen müssen, folgt im nächsten Beitrag...
Abgesehen davon handelte es sich bei ihnen stets um Hengste.
6. mares
Das sind reine Arbeitspferde, welche vor Pflug, Egge, Schlitten und Wagen/Fuhrwerk/Karren eingesetzt werden; offenbar wurden sie auf solchen Märkten gemeinsam mit den Rindern ausgestellt.
Es waren wohl oftmals Stuten, manche von ihnen trächtig, andere mit Fohlen zur Seite.
Daß sie von William gesondert erwähnt werden, ist insofern bemerkenswert, da im Hochmittelalter die Pferde gerade erst begannen, den Ochsen als Transporttier Konkurrenz zu machen!
Literatur John Clark (Hrsg.; Museum of London) The Medieval Horse And Its Equipment (nur in Englisch verfügbar)
Anm.: Da ich das Buch gerade lese, wenn ich etwas Zeit dafür finde, möchte ich vorerst auf diesen und den folgenden Beitrag beschränken...
In diesem Sinne
Timo
aufgrund verschiedener Gründe brennt es mir seit einigen Monaten unter den Nägeln, dieses Thema aufzumachen. Zum einen hat dieses Thema im Rahmen meiner Freizeitbeschäftigung Living History inzwischen einen ihm gebührenden Teil eingenommen (warum, erkläre ich gleich), und zum anderen möchte ich hier ein Thema schaffen, auf welches bei entsprechenden Diskussionen verwiesen bzw. wo das eine oder andere nachgelesen werden kann.
Das Pferd im europäischen Mittelalter
Es wäre auch wert gewesen, ihm ein eigenes Thema unter "Alltag im Mittelalter" zu widmen, denn es spielte eine wesentliche Rolle in der mittelalterlichen Gesellschaft. Natürlich fällt jedem bzw. jeder sofort das ritterliche Streitroß ein oder aber die weit über das Mittelalter hinausreichende Verwendung als Last- und Arbeitstier, doch dies sind lediglich zwei Pole von sehr weitgefächerten Funktionen, welche das Pferd erfüllte.
Es mag daher kaum überraschen, daß es sowohl zeitgenössische Literatur als auch eine Vielzahl amtlicher Dokumente des Mittelalters sich zu Pferden äußern und dies den Verfassern auch offensichtlich Vergnügen bereitet.
Bereits aus jenen Dokumenten des Mittelalters lassen sich Listen über Typen und Pferdearten ableiten, ebenso aber auch bezüglich Gangarten, Farben, Zuchtbriefe, Verkauf und Nutzen zu verschiedenen Zeiten.
Eine bedeutende Quelle stellt die Beschreibung zum Londoner Pferdemarkt von William Fitz Stephen um 1170 dar, der als Sekretär und Biograph von Thomas Becket bekannt ist. William Fitz Stephen beschreibt darin u.a. verschiedene Pferdetypen, die zum Verkauf ausgestellt bzw. angeboten wurden...
1. gradarii oder amblers
Dies sind Paßgänger, d.h., diese Pferde bewegen sich in einer leichten gangart, bei welcher zuerst beide Beine der linken Seite und danach beide Beine der rechten Seite vorwärts gesetzt werden.
Heutzutage wirkt dies natürlich befremdlich, zumal es in der modernen Reitschule als faul und fehlerhaft gilt - sprich: ein Pferd mit dieser Gangart gilt heute als "verzogen".
Pferde, deren Gangart so herabgesetzt war, daß sie im Paßgang (Kamele gehen übrigens auch so) gingen, galten damals als ideal für unerfahrene Reiter, welche komfortabel eine lange Wegstrecke zurücklegen wollten, denn diese Pferde verlagten kein hohes Maß an Reitkunst.
Anm.: Es gibt nicht wenige Bildquellen, welche Reiter auf genau solchen Pferden zeigen - z.B. Jäger auf Pferd im Queen Mary Psalter (14. Jh.) oder Wife of Bath in Canterbury Tales (15. Jh.)
2. Pferde für Landjunker, die grob, aber schnell gehen
(Die originale Umschreibung in pathetischem Vulgärlatein muß wohl noch umständlicher sein...)
Damit sind Pferde gemeint, die im Trab gehen; mit ihnen lassen sich jegliche Wegstrecken in einem moderat-schnellen Tempo zurücklegen. Natürlich erfordern sie vom Reiter, daß dieser im Reiten durchaus geübt ist.
3. colts
Damit sind schlicht und einfach (Hengst-)Fohlen bzw. Jungpferde gemeint, die noch nicht an Zaumzeug und Reiter gewöhnt worden sind.
4. summarii oder sumpters
Dies sind Lastpferde oder auch Packpferde, welche sich laut Quelle durch stämmige, aber sehr bewegliche Beine auszeichnen.
5. dextrarii oder destriers
Und da haben wir sie nun auch, die teuren Streitpferde der Ritterschaft - beschrieben mit Worten wie staturae honestae bzw. noble size. Was man damals unter solcher Statur verstand bzw. wie wir uns dies vorstellen müssen, folgt im nächsten Beitrag...
Abgesehen davon handelte es sich bei ihnen stets um Hengste.
6. mares
Das sind reine Arbeitspferde, welche vor Pflug, Egge, Schlitten und Wagen/Fuhrwerk/Karren eingesetzt werden; offenbar wurden sie auf solchen Märkten gemeinsam mit den Rindern ausgestellt.
Es waren wohl oftmals Stuten, manche von ihnen trächtig, andere mit Fohlen zur Seite.
Daß sie von William gesondert erwähnt werden, ist insofern bemerkenswert, da im Hochmittelalter die Pferde gerade erst begannen, den Ochsen als Transporttier Konkurrenz zu machen!
Literatur John Clark (Hrsg.; Museum of London) The Medieval Horse And Its Equipment (nur in Englisch verfügbar)
Anm.: Da ich das Buch gerade lese, wenn ich etwas Zeit dafür finde, möchte ich vorerst auf diesen und den folgenden Beitrag beschränken...
In diesem Sinne
Timo