Datierung und Anlass des Varuszuges

2. Keine militärischen Kommandos/Aktionen (wie fast ständig bei Tacitus oder Paterculus), das Verbrennen der Wagen ist Blödsinn! Wie will man sonst die zahlreichen Verwundeten transportieren?

Wobei man da Cassius Dio zu Gute halten muss, dass er schreibt "die meisten der Wagen", nicht alle. Was auch immer man von der Darstellung im Gesamten halten mag.

Mir ist erinnerlich, dass Dio irgendwo am Anfang seiner Historia sich allgemein über völlig falsche und unzureichende Vorlagen, die sich auch teils widersprechen, beklagt, lieg ich da falsch?
Nein, da liegst du richtig. Ob das nun speziell die Varusschlacht betrifft, ist eine andere Frage.

Wieso findet Germanicus nur im Lager bzw. davor auf dem Campus - den Ünglücksstätten - die Gebeine der Toten, wie Tacitus berichtet? Dieser schreibt auch von Bäumen und in der Nähe liegenden Hainen, nur Moore sind grad nicht dabei im Saltus, wie denn auch?
Wörtlich findet Germanicus die Knochen "nur" auf dem "Feld": medio campi albentia ossa
 
Wie genau ist eigentlich die Datierung in Kalkriese? Herbst ist ziemlich grob...auch für eine Pollenanalyse.
 
Ist es nicht so, dass Paterculus an keinem Befehlshaber ein gutes Haar gelassen hat, ganz im Gegensatz zum angehimmelten Tiberius?
Nein. Z. B. lobt er in Zusammenhang mit dem Pannonischen Aufstand ausdrücklich Messalinus (2,112), der eine feindliche Übermacht, die ihn bereits eingeschlossen hatte, in die Flucht schlug und dafür die ornamenta triumphalia erhielt, oder Vibius Postumus (2,116).

Eher schließe ich hier auf Jungen im jugendlichen Alter und deren Tätigkeit als Helfer (Viehtreiber u.ä.?), die dann mit den Leichtbewaffneten und der sonstigen Dienerschaft (therapeia bedeutet nicht sowas wie "medizinischer Dienst/Sanitäter"?- Ich weiß, moderner Begriff...) aufgezählt werden.
Das wäre zumindest eine Bedeutungsverengung: therapeia bedeutet generell "Dienerschaft" oder (das) "Dienen". Das dazu gehörige Verb therapeuein bedeutet ebenfalls generell "dienen". Beide Ausdrücke können zwar auch mit der Pflege von Verwundeten zu tun haben, aber eben nicht speziell.

Um zu dem von Dir gewünschten Ergebnis (dass Cassius Dio nicht Kinder, Frauen und Dienerschaft aufzählt, sondern Sklaven/Viehtreiber, Leichtbewaffnete und den Sanitätsdienst) gelangen zu können, musst Du also:
1) die "gynaikes" zu einem Abschreibfehler (für gymnetes) erklären,
2) die Bedeutung von therapeia verengen,
3) die paides als Sklaven oder allenfalls Viehtreiber interpretieren.
Das heißt dem Text schon ein bisschen viel Gewalt antun.

1. Kein Datum oder Vergleichbares (wie oft bei Tacitus, Paterculus)
Genaue Datumsangaben findet man zu Schlachten in antiken Quellen eher selten, und zur Varusschlacht schon gar nicht. Cassius Dio datiert die Varusschlacht ins Konsulat von Quintus Sulpicius und Gaius Sabinus (9 n. Chr.), wenngleich er die Konsuln schon ein paar Kapitel weiter früher nennt. Aber es ist klar, dass alles, was er bis zur nächsten Konsulnnennung erzählt, in deren Konsulat fällt. Tagesangaben findet man bei antiken Autoren fast nie. Florus nennt nicht einmal annähernd das Jahr.

das Verbrennen der Wagen ist Blödsinn! Wie will man sonst die zahlreichen Verwundeten transportieren?
Zu diesem Zeitpunkt wird es nur noch darum gegangen sein, sich selbst irgendwie zu retten.

Keinerlei Ortsangabe, nicht mal den Saltus (wie nebenbei Tacitus) nennt er!
Den nennt der von Dir so geschätzte Florus auch nicht, Velleius ebensowenig.

Weglassen von bedeutenden Ereignissen (Flucht der Reiterei, Taten der beiden - noch lebenden - Lagerpräfekten)
Auch das findet sich bei Florus ebensowenig.

MIr ist erinnerlich, dass Dio irgendwo am Anfang seiner Historia sich allgemein über völlig falsche und unzureichende Vorlagen, die sich auch teils widersprechen, beklagt, lieg ich da falsch?
Siehe hier: http://www.geschichtsforum.de/f28/k...ht-zweifelhaft-22738/index206.html#post739462
 
Datum der Varusschlacht

Dies ist im Forum mehrfach thematisiert worden. Auf die Schnelle habe ich keinen eigenen Thread dafür gefunden.

Wir haben schon des Öfteren diskutiert, dass es keinen Hinweis auf das Datum der Schlacht gibt. Dennoch taucht immer wieder der September auf.

Auf der Suche danach, wo ich das Jahr 13 für den Triumph des Tiberius herhabe, habe ich seit langem Walter Böckmann, Als die Adle sanken - Arminius, Marbod und die Legionen des Varus, Bergisch-Gladbach 1984 in die Hand genommen. Ein populärwissenschaftliches Buch und eines der ersten, die ich in jungen Jahren zum Thema gelesen habe.

Dort findet sich die Kapitelüberschrift "Die Schlacht am 9.9.9."

Auf S. 117 findet sich: "Der Tod des Varus ereignete sich, wie manche Autoren wissen wollen, am 11. September, und somit kann man den Beginn der dreitägigen Varusschlacht auf den 9.9.9 n. Chr. ansetzen, ein leicht zu merkendes Datum."

Leider nennt er dazu weder Quellen noch Literatur.

Aber es dürfte die Verbreitung des Septembers erklären. Noch 2007 gab es eine Neuauflage des verbreiteten Buches.
 
Quellen dazu gibt es auch nicht.

Wenn ich mich nicht irre, gibt Velleius II 117 den einzigen Hinweis zur Jahreszeit: trahebat aestiva - "er verplemperte den Sommer" (Übersetzung El Qujote).

Also kann die Schlacht frühestens im Spätsommer stattgefunden haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine weitere Spur für die Herkunft der Datumsangabe habe ich gerade auf der Seite www.asseln.de unter Geschichte gefunden. (Asseln ist ein Ortsteil von Lichtenau im Südosten des Kreis Paderborn im Soratfeld.)

Die Angabe für die Datierung lautet dort: "Nach Griebens Reiseführer "Weserberge und Teutoburger Wald" aus dem Jahre 1922".

Aktiv zu suchen, wer das verzapft hat, habe ich keine Lust. Aber vielleicht findet es sich ja irgendwann von selbst.
 
Aktiv zu suchen, wer das verzapft hat, habe ich keine Lust.

Es ist jedenfalls sehr interessant zu lesen. Die Cherusker lassen sich bis zu den Glockenbecherleuten zurückverfolgen, eine Übersetzung der Edda aus dem Jahr 1821 gibt Auskunft über eine Schlacht des Germanicus 15 n. Chr. am Fuße der Karlsschanze in der Bülheimer Heide, und es konnten auch Aufzeichnungen römischer Reisender aus der Zeit um 100 v. Chr. ausgewertet werden, aus denen hervorgeht, dass in der Gegend um Asseln "das Volk der Teutonen wohne".
 
Ja, dass ist ein Grund, warum empfohlen wird, Heimatbücher auf die Neuzeit zu beschränken, wenn kein Historiker zur Verfügung steht.

Aber es geht noch besser. Sobald ich Zeit habe, werde ich einen anderen sehr lustigen Text vorstellen, der es einst sogar in die WZ schaffte. Darin geht es am Rande um Arbalo, Aliso und Kneblinghausen, also der Lieblingsthemen einiger Mitglieder hier.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben rührige Lehrer und Pfarrer solche Texte ausgewertet und viele Heimatvereine zehren heute noch davon. Das sog. Register Sarachos, eine im 19. Jahrhundert erkannte Geschichtsfälschung des 18. Jh., die die Corveyer Traditionsnotizen kommentiert, findet sich heute noch als Quelle mancher seltsamer Aussage. Der Autor hat -ein verbreiteter Anfängerfehler- das Kasten-H einer Abschrift einige Male falsch als K gelesen. Dadurch gibt es einige Ort, deren ersterwähnter Name mit K statt H falsch angegeben werden. Das führt leider nicht nur zu lustigen Etymologien, sondern bis heute in sonst ernstzunehmenden Werken zu falschen Lokalisierungen und falschen Identifikationen von Personen. Schon nett, wenn man feststellt, dass der Herr Professor zu faul war, sich die Ausgabe der Traditionsnotizen aus der Bibliothek zu besorgen.

Dann kenne ich einen Ort, der seine Ersterwähnung ins 17. Jahrhundert verlegt, weil ältere Dokumente nicht den Anforderungen eines Juristen und Hobby-Historikers an eine Urkunde erfüllen. Eine dieser älteren Erwähnungen findet sich als notariell beglaubigte Urkunde von 1575 in den Akten des Reichskammergerichts.

Also ja, da kann man Lustiges lesen. Aber, dass das lustige Datum in dem Reiseführer steht, wenn auch nach meiner Erfahrung recht sicher nur aus zweiter Hand zitiert, braucht deshalb nicht bezweifelt zu werden.
 
Dann kenne ich einen Ort, der seine Ersterwähnung ins 17. Jahrhundert verlegt, weil ältere Dokumente nicht den Anforderungen eines Juristen und Hobby-Historikers an eine Urkunde erfüllen. Eine dieser älteren Erwähnungen findet sich als notariell beglaubigte Urkunde von 1575 in den Akten des Reichskammergerichts.

Etwas Ähnliches hatten wir auch schon einmal in einen merkwürdigen Thread:
Heinrich IV. Schenkungen - Fälschung?

Aber, dass das lustige Datum in dem Reiseführer steht, wenn auch nach meiner Erfahrung recht sicher nur aus zweiter Hand zitiert, braucht deshalb nicht bezweifelt zu werden.
Das hat auch niemand bezweifelt.

Das Datum dürfte auf den Lehrer und Pastor Eduard Schmid zurückgehen: "Bestimmung des Tags der Hermannsschlacht" (Jena 1818)

Bestimmung des Tags der Hermannsschlacht
 
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Woher weiß man eigentlich dass die Schlacht 9 und nicht 10 n. Chr. stattfand? Da gab es glaube ich mal eine Debatte, oder?
 
Die Datierung auf 9 n. Chr. ergibt sich aus dem 56. Buch des Cassius Dio, der die Schlacht unter dem Konsulat des Quintus Sulpicius (Camerinus) und des Gaius (Poppaeus) Sabinus berichtet. Die beiden amtierten als (eponyme) Konsuln 9 n. Chr.
 
Mir ist keine ernstzunehmende Debatte bekannt, die das Jahr der Varusschlacht auf 10 verlegen wollen würde.
 
Das Problem ist, dass Cassius Dios Text nur lückenhaft überliefert ist. Im 56. Buch ist ebenfalls ein Teil verloren, da die Konsuln für das Jahr 10 n. Chr. nicht genannt werden, sondern erst wieder die für das Jahr 11 n. Chr. Man könnte also mutmaßen, dass die Nennung der Konsuln für 10 vor der Schilderung der Varusschlacht ausgefallen ist. Der Text bietet dafür allerdings keine Hinweise, hingegen gibt es nach der Schilderung der Varusschlacht eindeutige Lücken.

@ El Quijote: Zumindest im 19. Jhdt. gab es die Debatte tatsächlich. Niemand geringerer als Mommsen schwankte eine Zeitlang zwischen beiden Jahren, ehe auch er sich auf 9 festlegte.
 
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E. Brotuff schreibt für das Jahr 1556, dass die Schlacht im elften Jahr nach Christi Geburt stattgefunden hat. Jedoch weiß man ja nicht so genau wann die Geburt war. Es wird zwischen 7/4 v. Chr. nach heutiger Rechnung angenommen.
 
E. Brotuff schreibt für das Jahr 1556, dass die Schlacht im elften Jahr nach Christi Geburt stattgefunden hat. Jedoch weiß man ja nicht so genau wann die Geburt war. Es wird zwischen 7/4 v. Chr. nach heutiger Rechnung angenommen.
Du kannst dir sicher sein, dass Brotuff die etablierte Zählung zugrunde gelegt hat. Schließlich datiert ja auch keine der Quellen die Varusschlacht nach Christi Geburt, die Zählung kannte selbst ein Cassius Dio noch nicht. Die heutigen Spekulationen, wann Jesus geboren sei, sind also unerheblich. Wenn Brotuff die Schlacht auf 11 datierte, dann meine er auch das 11, welches wir meinen.
 
@ELQ
das Brotuff das Jahr 11 meint bezweifelt ja auch niemand. Wieso kommt er aber auf 11 und nicht auf 9 (?). Bei anderen Historikern kommen sogar 12 oder 7 vor. Man war sich selbst in der Zeit des Humanismus nicht ganz einig, was das Datum anbelangt.
 
@ELQ
das Brotuff das Jahr 11 meint bezweifelt ja auch niemand. Wieso kommt er aber auf 11 und nicht auf 9 (?).
Das weiß ich nicht, wie er darauf kam. Ich sag ja nur, dass der tatsächliche Geburtstermin Jesu und die heutige Datierung auf die Jahre 7 - 4 v. Chr. keine Rolle für die Ermittlung des Datums der Varusschlacht spielt.
 
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