Der Begriff "Germanen" unwissenschaftlich?

Caesar hatte sowohl mit Kelten (Galliern) als auch mit Germanen relativ intensiven Kontakt. Man kann davon ausgehen, dass er gemerkt hat, dass diese nicht die gleiche Sprache sprechen und dass er jeweils andere Dolmetscher benötigte, um mit ihnen zu kommunizieren.
Caesar bemerkte, dass der germanische König Ariovist bereits die gallische/keltische Sprache erlernt hatte und kein anderer Dolmetscher benötigt wurde. Der Kontakt war aber anscheinend so oberflächlich, dass Caesar nicht mal wusste, welchem Einzelstamm Ariobist angehörte.
 
@Nikias die Römer kannten noch keine Sprachverwandtschaften, Sprachfamilien - sie ordneten ihre Nachbarn geografisch. Z.B. in der Spätantike bezeichneten sie die germanischen Goten, Gepiden, Vandalen als "skytische" Völker, weil sie aus dieser Region ins Imperium drängten.

Wir reden hier ja aber nicht über Sprachfamilien, sondern man muss davon ausgehen, dass zumindest die westgermanischen Stämme, mit denen Caesar Kontakt hatte, noch dieselbe Sprache, nur in unterschiedlichen Dialekten sprachen.

Die ostgermanischen Idiome der Goten, Gepiden und Vandalen dürften sich in der Spätantike dagegen schon deutlich von den westgermanischen Idiomen derselben Zeit unterschieden haben. Man muss auch berücksichtigen, dass es die Skyten in der Spätantike nicht mehr gab und die Menschen damals keinen direkten Vergleich zwischen der Sprache z. B. der Goten und der Skyten hatten.

Caesar hatte dagegen gleichzeitig zu Kelten als auch Germanen Kontakt.

Caesar bemerkte, dass der germanische König Ariovist bereits die gallische/keltische Sprache erlernt hatte und kein anderer Dolmetscher benötigt wurde. Der Kontakt war aber anscheinend so oberflächlich, dass Caesar nicht mal wusste, welchem Einzelstamm Ariobist angehörte.

Wenn Caesar bemerkte, dass er für Ariovist keine anderen Dolmestscher benötigte, weil dieser Gallisch gelernt hatte, war ihm aber offensichtlich immerhin klar, dass Gallisch und (West-) Germanisch unterschiedliche Sprachen waren. Und Ariovist war ja nicht der einzige Germane, mit dem Caesar Kontakt hatte.
 
Caesar bemerkte, dass der germanische König Ariovist bereits die gallische/keltische Sprache erlernt hatte und kein anderer Dolmetscher benötigt wurde. Der Kontakt war aber anscheinend so oberflächlich, dass Caesar nicht mal wusste, welchem Einzelstamm Ariobist angehörte.
Daraus geht meines Erachtens hervor, dass Caesar Ariovist den Sueben zurechnet: Duae fuerunt Ariovisti uxores, una Sueba natione, quam domo secum eduxerat, altera Norica, regis Voccionis soror, quam in Gallia duxerat a fratre missam. Es gab zwei Frauen des Ariovist, die eine Suebin, welche er von zuhause mit sich führte, die andere Norikerin,...
 
Die ostgermanischen Idiome der Goten, Gepiden und Vandalen dürften sich in der Spätantike dagegen schon deutlich von den westgermanischen Idiomen derselben Zeit unterschieden haben.
Immerhin haben wir die gotische Bibel und können deren Sprache mit den langobardischen, bayrischen, alemannischen Sprachtrümmern vergleichen: die hätten untereinander keinen Dolmetsch benötigt. D.h. sonderlich weit weg war die gemeinsame Sprache der Goten, Gepiden, Vandalen, Heruler, Skiren (laut Prokop sprachen sie alle gotisch) nicht von der Sprache der Burgunden, Alemannen, Bayern, Langobarden.
Aber das - "Sprachwissenschaft" quasi - interessierte weder die Römer noch die Byzantiner.
 
Wahrscheinlich waren die unteren Schichten von Unfreien und Bauern und Söldnern ethnisch und sprachlich ziemlich durchmischt, weil ständig Menschenraub betrieben wurde, und die jungen Männer sich dem Warlord anschlossen, der am meisten Beute machte. Da gab es vielleicht auch Slawen und Iraner oder Romanen unter germanischer Führung. Im Gegenzug sprachen die "Großen", also die Eliten oder auch Händler zunehmend eine Art germanische Lingua Franca, sofern sie sich nicht gleich auf Latein verständigten. Es gab also in einer Region nicht nur eine horizontale Differenzierung, sondern auch eine vertikale. Die Franken entstanden ja erst in den ersten Jahrhunderten nach Chr. allmählich aus ganz unterschiedlichen Stämmen.
 
Germanen sind die Einwohner des Gebiets zwischen Rhein und Weichsel vom ersten bis zum 3. Jahrhundert n. Chr., obwohl es da "ganz unterschiedliche Gesellschaften" gab, so verschieden (mit "sehr, sehr, sehr vielen Unterschieden, Frau Ludowiki), dass für den Titel der Ausstellung "DIE Germanen", also die Verwendung des bestimmten Artikels, "überhaupt nicht" gegangen wäre (Meyer).
Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich, warum das gerade jetzt geschieht. Will man sich auf diese Weise des schlechten Rufs entledigen, den sich Germanen bei ihren Nachbarvölkern erworben haben mit durch die Jahrhunderte unterschiedlich intensiv geführten Germanisierungskampagnen?

Erst neulich sagte jemand, es hätte im Gebiet des Deutschen Ordens kein Verbot gegeben, mit den unterworfenen Einheimischen in deren Sprache zu sprechen, sondern nur eine Empfehlung. Ja, so kann man sich Germanisierung schönfärben – dabei gab es seit dem Hochmittelalter auch andere Sprachverbote; kann man z.B. hier nachlesen.

Aber zum „Glück“ gibt es auch andere, die von „Slawen und Iraner oder Romanen unter germanischer Führung“ schreiben – weil Germanen zu Herrenrasse gehören und damit zum Herrschen geboren waren und sind?

Was wir sind bzw. wie wir gesehen werden, sagen uns unsere Nachbarn. Der Begriff „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation” (Sacrum Imperium Romanum Nationis Germaniae) ist keine Erfindung des 19., sondern des 15. Jahrhunderts. Wir sind spätestens seit jenem Zeitpunkt offiziell Germanen – ob wie das wollen oder nicht. Das gilt übrigens auch für Archäologen: Wenn sie z.B. Gräber aus dem Hochmittelalter im heutigen Niedersachen, Hessen oder Rheinland-Pfalz untersuchen, dann können sie ganz unbefangen von deutschen oder germanischen Gräbern sprechen; ich wüsste nicht, was dagegenspräche.
 
@Nikias die Römer kannten noch keine Sprachverwandtschaften, Sprachfamilien - sie ordneten ihre Nachbarn geografisch. Z.B. in der Spätantike bezeichneten sie die germanischen Goten, Gepiden, Vandalen als "skytische" Völker, weil sie aus dieser Region ins Imperium drängten.
Das finde ich zu allgemein. Manche antike Autoren machten sich schon eingehendere Gedanken über die Zuordnung. Ich verweise etwa auf das letzte Kapitel der "Germania", in dem Tacitus darüber sinniert, ob er die Peukiner, Venether und Fennen den Sarmaten oder Germanen zuschreiben solle. Bei den Peukinern führt er u. a. die Sprache als Argument für eine Zuordnung zu den Germanen an. Die Zuordnung der Bastarnen, zu denen die Peukiner gehörten, war in der Antike generell recht intensiv und kontrovers diskutiert. Aber obwohl sie recht disloziert, in einer ansonsten eher von Sarmaten und Dakern bewohnten Region, siedelten, setzte sich die germanische Hypothese schließlich durch.
 
Tacitus beschreibt ganz vereinzelt über Sprachverwandtschaften. Sie sind für ihn aber nicht das entscheidende Argument, wenn es darum geht irgendeinen Barbarenstamm den Kelten, Germanen, Sarmaten oder sonstigen Gruppierungen zuzuordnen.

Vereinfacht ausgedrückt funktioniert die Ethnografie bei Caesar ganz einfach. Die Barbaren werden nach dem Grad ihrer Wildheit sortiert. Zuerst beschrieb man die Gallier als die wilde Barbaren, extrem kriegerisch, großgewachsen und blond mit annähernd barbarischer Lebensweise. Caesar meint dann aber, dass die keltischen Gallier doch ein bisschen Kultur, aber die Germanen seien seien noch wilder - laut Strabon sind die Germanen die echten Kelten. Das ursprüngliche Keltenklischee (Brennus) wurde komplett auf die Germanen übertragen.
Die gallischen Belgae haben sich laut Caesar im Grad ihres Barbarentums den Germanen schon angenähert, wobei dies auch auf Vermischung zurückgeführt wird. Schlimmer als die Germanen zwischen Rhein und Weser sind für Caesar nur noch die Sueben.

gemeinsame Sprache der Goten, Gepiden, Vandalen, Heruler, Skiren (laut Prokop sprachen sie alle gotisch)
Laut Prokop waren auch die Alanen ein gotisches Volk.
Sprache spielt bei der Prokrop nicht die große Rolle. Prokop lobt vor allem die Blondheit der Alanen und grenzt sie so von den Hunnen ab.
Es gibt auch die moderne Überlegung, dass die gotische Sprache in der Völkerwanderungszeit eine Art Verkehrssprache wurde, die dann auch zur Verständigung zwischen turksprachigen, iranischsprachigen und germanischsprachigen Gruppen verwendet wurde.

Ist denn irgendwo überliefert, ob Ariovists "Muttersprache" überhaupt so viel anders war?
Schaut man sich die keltischen Lehnwörter in der deutschen Sprache an, so fällt auf, dass es sich um Vokabeln handelt die oft mit Krieg und Herrschaft zu tun haben. Das sind genau die Themen, über die sich Ariovist mit Mettelus Celer unterhalten wollte.
Wenn man annimmt, dass Ariovist eine Suebe war, spricht das schon für eine Herkunft auf dem tiefsten inneren Germaniens.
 
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Laut Prokop waren auch die Alanen ein gotisches Volk.
Ich kenne von Prokop nur die Aussage, dass Goten, Vandalen, Westgoten, und Gepiden als die größten der gotischen Völker die gleiche Sprache sprechen. Sie sähen auch gleich aus, hätten die gleichen Gesetze und die gleiche arianische Religion, und seien wohl früher ein Volk gewesen. (Zweiter Absatz des ersten Buchs über den Vandalenkrieg).
 
Ich kenne von Prokop nur die Aussage, dass Goten, Vandalen, Westgoten, und Gepiden als die größten der gotischen Völker die gleiche Sprache sprechen. Sie sähen auch gleich aus, hätten die gleichen Gesetze und die gleiche arianische Religion, und seien wohl früher ein Volk gewesen. (Zweiter Absatz des ersten Buchs über den Vandalenkrieg).
Direkt danach ergänzt Prokop, diese Völker seien früher Sarmaten, Melanchlainen und Geten genannt worden. Diese Völker sind seiner Meinung nach mit den gotischen Völkern identisch.

Melanchainen bedeutet aus dem griechischen übersetzt "Schwarzmäntel". Die Fremdbezeichnung wurde auch für die Alanen verwendet. Prokop erwähnt die Alanen nicht wortwörtlich.
Dass die Goten mit den alten Geten identisch seien, wurde in der Spätantike gemeinhin angenommen. Herodot berichtete noch über die echten Geten in der Schwarzmeerregion. In römischer Zeit waren sich schon nicht mehr aktuell. Der ähnliche Name und die ähnliche geografische Lage machen die Verwechslung leicht. Es ist aber keine Verwechslung, sondern viel mehr Absicht. Die Goten müssen ja irgendwoher kommen und eine alte Geschichte haben. Eine Bezugnahme zu den germanischen Gotones bei Tacitus ist damals niemanden eingefallen.
Diese Völker mit skythisch-iranischer oder dakischer(?) Sprache gehören für Prokop auch zu den Goten dazu.

Die gotische Sprache ist eine von vielen Eigenschaften, die Prokop einfach nur aufzählt - ohne sie zu beschreiben. Über die gotischen Schrift berichtet er nicht. Bei der Religion macht er nicht mal klar, ob es um das arianische Christentum geht oder irgendein Heidentum. Jedenfalls sollen diese "gotischen Völker" irgendwie ganz einheitlich sein. Prokop berichtete aber ausdrücklich über helle Haut, blonde Haare und großen Wuchs der gotischen Völker - wahrscheinlich weil er genau das am interessanten findet.
 
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Aber zum „Glück“ gibt es auch andere, die von „Slawen und Iraner oder Romanen unter germanischer Führung“ schreiben – weil Germanen zu Herrenrasse gehören und damit zum Herrschen geboren waren und sind?
Nein! Natürlich auch Germanen unter Römischer Führung und Germanen unter iranischer Führung und Germanen unter slawischer Führung. Aber insbesondere Germanen unter hunnischer und awarischer Führung. Auch als einzelne Söldner, Sklaven und geraubte Frauen o.ä.. Rasse ist ja kein ethnologischer Begriff. Haben sich die Engländer nicht aus gutem Grund über die deutschen "Huns" lustig gemacht, weil eigentlich zentralasiatische Horden die "Herrenrasse" waren. Die germanische Oberschicht hat wahrscheinlich eher davon geträumt römisch und zivilisiert zu sein als irgendwelche "edlen Wilden" zu sein, zu denen sie in späteren nationalistischen Diskursen stilisiert wurden.
 
Bei der Religion macht er nicht mal klar, ob es um das arianische Christentum geht oder irgendein Heidentum.
In meiner Übersetzung nennt Prokop den Arianismus.
Weiter unten heißt es, dass eine Hungersnot die Vandalen gegen die Germanen, die heute Franken hießen, getrieben habe. Das ist schon bemerkenswert.
 
In meiner Übersetzung nennt Prokop den Arianismus.
Ja, so steht das auch im Original: τῆς γὰρ Ἀρείου δόξης εἰσὶν ἅπαντες, φωνή τε αὐτοῖς ἐστι μία, Γοτθικὴ λεγομένη: - Denn sie sind alle des Glaubens Arius', und ihnen ist eine Sprache, die die Gothische genannt wird.
 
Weiter unten heißt es, dass eine Hungersnot die Vandalen gegen die Germanen, die heute Franken hießen, getrieben habe. Das ist schon bemerkenswert.
Würde ich nicht zu hoch hängen. Die Franken entstanden ja nun am Rhein, also dort, wo die römischen Provinzen Germaniae gewesen waren. Die Vandalen kamen dagegen aus dem heutigen Polen.
 
Prokopios bezieht sich hier offenbar auf den Großen Rheinübergang von 406 durch die Wandalen und Alanen, wenngleich er sich mit der Chronologie etwas vertut, weil er ihn erst nach dem Tod von Kaiser Konstantin III. und Alarich erzählt.
 
Ein verhältnismäßig tief gelegenes Flurstück (vgl. Talsohle), würde ich sagen, oder hat das in einem speziellen Dialekt eine spezielle Bedeutung?

Im Nordwesten Hessens gibt es Flurstücke wie "Auf dem Sohl". Das Gegenteil einer Senke.
Am Rothaarsteig gibt es auch einen Ort Namens Sohl (Bad Laasphe).
 
Im Nordwesten Hessens gibt es Flurstücke wie "Auf dem Sohl". Das Gegenteil einer Senke.
Am Rothaarsteig gibt es auch einen Ort Namens Sohl (Bad Laasphe).
Und auch woanders. Wenn die Erklärung "Sohle" nicht zutrifft, bleibt es bei meiner Frage: Hat das in einem speziellen Dialekt eine spezielle Bedeutung?

Welcher Dialekt käme in Frage?

Google Maps
 
Problematisch ist jedoch, dass gerade für die frühe Römische Kaiserzeit der sichere Nachweis für die germanische Sprache fehlt. Aus dieser Zeit gibt es keine Runeninschriften und nur ein paar teils kryptische Eigennamen.
Neben den kryptischen Eigennamen gibt es auch eine Reihe von einwandfrei germanischen Namen, manche davon sind heute noch in Gebrauch wie Segimundus (Sigmund) oder Chariovalda (Harald).
Veleda, die Seherin der Brukterer, trägt hingegen einen Namen, der nicht aus dem Germanischen, jedoch aus dem Keltischen zu erklären ist.

Das umfangreichste Material an Ortsnamen, darunter 94 "Städte" (poleis) aus der Magna Germania zwischen Rhein und Weichsel überliefert Ptolemaios. Die meisten davon geben Rätsel auf, zumal sich viele Fehler in die Überlieferung eingeschlichen haben. Einige sind mit einiger Sicherheit germanisch zu deuten; diese enthalten z. T. Namenbestandteile, die uns auch heute noch vertraut sind wie 'Burg' und 'Furt', insgesamt ist aber die Ausbeute an klar germanischen Namen (Asciburgium, Lupfurdum, Ascalingium, Laciburgium) recht dürftig.

Weitaus häufiger sind die keltischen Ortsnamen (oft mit den typischen Endungen -acum, -dunum) wie Mattiacum, Bibacum, Eburodunum, Carrodunum, Lugidunum, Meliodunum, Segodunum. Der auch sonst wohlbekannte Ortsname Mediolanium taucht sogar zweimal auf. Nur in der nördlichsten der vier Zonen sind die germanischen "Städtenamen" dominant.
 
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