Die Bosnische Annexionskrise von 1908/09

Bekanntermaßen hatte Aehrenthal den italienischen Außenminister Tittoni über die bevorstehende Anektion in Salzburg in formiert. Tittoni hatte keine Einwände oder auch Kompensationsforderungen geltend gemacht.

Nach vollzogener Annexion wird es "unterhaltsam". Der italienische Botschafter in London belügt mehrfach Grey und behauptet Italien sei nicht im Vorfeld der Annektion von dieser informiert wurden.

Dann urplötzlich korrigierte Tittoni seinen Kurs und behauptete einfach, von einer baldigen Annektion sei keine Rede gewesen. Tittoni Motive waren sehr durchsichtig. Er wollte einfach die Gelegenheit ausnutzen, um Italien als dritte Großmacht auf dem Balkan ins Spiel zu bringen. Die erregbare italienische Öffentlichkeit tobte auch entsprechend mal wieder gegen den Bündnispartner.
Tittoni drängte daher auf eine Konferenz der Mächte, die nicht im Sinne seines Verbündeten sein konnte. Er argumentierte gegenüber London mit der "Nichtverletzlichkeit von Verträgen, ohne die Zustimmung der Signatarmächte, will heissen der italienischen Zustimmung, die in Salzburg, da hat ihm der Berliner Vertrag nicht die Bohne interessiert, ja schon gegeben worden war. Oder auch wurde das Gewicht des Dreibundes erschütert und vermindert, da zwei der drei Partner die Stellungnahme Italiens mißachteten. Das war glatt gelogen.
Kommentar im Foreign Office u.a.: "Dies scheint an Unsinn zu streifen."

Im November 1908 äußerte gegenüber dem russischen Botschafter Murawiew, das in einem kommenden Krieg zwischen Frankreich und Deutschland Italien definitiv neutral bleiben würde. Das war also Bruch des Dreibundes und eigentlich das Ende. Auf Italien konnte künftig nicht mehr gezählt werden.

Folgerichtig wurde dann sehr bald mit den Russen das Abkommen von Racconigi abgeschlossen.
 
Im November 1908 äußerte gegenüber dem russischen Botschafter Murawiew, das in einem kommenden Krieg zwischen Frankreich und Deutschland Italien definitiv neutral bleiben würde. Das war also Bruch des Dreibundes und eigentlich das Ende. Auf Italien konnte künftig nicht mehr gezählt werden.
Pardon, wer äußerte das? Hier scheinst du einen Namen vergessen zu haben.
Da würde mich interessieren, von wem genau diese Einschätzung kam.
 
Im November 1908 äußerte gegenüber dem russischen Botschafter Murawiew, das in einem kommenden Krieg zwischen Frankreich und Deutschland Italien definitiv neutral bleiben würde.
Ist denn der weitere Kontext des Gesprächs überliefert? Namentlich wäre meine Frage: Wurde bei dem diskutierten Kriegsszeario von einer Deutschen Agression ausgegangen, oder war das eine Äußerung zum Fall eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich per se?
 
Das bedeutet, dass in diesem Sinne das Ansinnen dieses Gebiet "Kroatien" zuzuschlagen nicht unbedingt als nationales Annsinnen im kroatischen Sinne verstanden werden kann.

Ich glaube du kennst die Kommentare der Kroaten von damals nicht. Es wurde als historische Mission angesehen, die rückständigen Bosnier zu Kulturmenschen zu machen. Kulturmensch ist auch so ein wunderbares Wort aus der kuK Zeit.
 
Du kannst dir sicherlich denken, dass diejenigen die etwas publiziert haben und/oder bei der kuK Monarchie einen Leitungsposten in Armee hatten, sicherlich nicht irgendwelche Heinis vom Dorf waren.
Warum sollten "Heinis vom Dorf" im 19. Jahrhundert nichts publiziert haben?

Ein Gutteil der Großgrundbesitzer, deren Klasse nach wir vor das Offizierskorps in der Armee stellte, war landsässig. Die hatten sicherlich schonmal ne größere Stadt gesehen, mitunter aber ihren Lebensmittelpunkt im Zivilleben irgendwo in strukturschwachn Gegenden, wo es sich als Landbesitzer gut leben ließ. Und auch sonst kommen im 19. jahrhundert ja Volksdichtung, Nationalromantik etc. in Mode was auch manchen aus der einfachen Bevölkerung, ermutigt haben dürfte das eine oder andere zu publizieren, im Besonderen, wenn es ein Erlebnis war, dass sich lohnte.

Und diverse Teilnehmer des Okkupationsfeldzuges, werden diesen wahrscheinlich für ein entsprechendes Event gehalten haben. Für einen Großteil der einfachen Bevölkerung wird schon der Umstand mal ins Ausland zu kommen an sich etwas besonderes gewesen sein und hier wird man wahrscheinlich noch mit einem gwissen religiösen Eifer rechnen dürfen, immerhin ging das ganze auf Kosten des Osmanischen Reiches, und die ganze Aktion ließ sich abseits nationaler Perspektiven auch als "Befreiung" der "Christlichen Brüder" deuten.
Das wird dem einen oder anderen schon ein paar Zeilen wert gewesen sein.

Ich glaube du kennst die Kommentare der Kroaten von damals nicht. Es wurde als historische Mission angesehen, die rückständigen Bosnier zu Kulturmenschen zu machen. Kulturmensch ist auch so ein wunderbares Wort aus der kuK Zeit.
Ja, sind halt die gleichen Begrifflichkeiten, mit denen im 19. Jahrhundert so ziemlich jeder hantierte und dann wird hier noch zu brücksichtigen sein, dass die Leute in Bosnien eben auch über Jahrhunderte in einem in von europäischer Seite zunehmed als orientalisch/despotisch/babarisch betrachteten Osmanischen Reich gelebt hatten, was manches an Sentiments und Übertreibungen bedingt haben wird.

Schau dir bei Gelegenheit vielleicht einmal als Vergleich an, wie die anderen Deutschen zum Teil auf die Elsässer herabschauten, (von den Polen, Kaschuben und Masuren innerhalb der eigenen Grenzen nicht zu reden), dann siehst du, dass das so besonders bemerkenswert nicht ist.
 
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Du kannst dir sicherlich denken, dass diejenigen die etwas publiziert haben und/oder bei der kuK Monarchie einen Leitungsposten in Armee hatten, sicherlich nicht irgendwelche Heinis vom Dorf waren.
Gerade im 19. Jhdt. gab es haufenweise Dorfpriester, die sich nebenbei schriftstellerisch betätigten. Es schossen außerdem haufenweise regionale und lokale Wochen- und Monats-Zeitungen und -Zeitschriften aus dem Boden.
 
Ist denn der weitere Kontext des Gesprächs überliefert? Namentlich wäre meine Frage: Wurde bei dem diskutierten Kriegsszeario von einer Deutschen Agression ausgegangen, oder war das eine Äußerung zum Fall eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich per se?

Die Äußerung geht ja sogar noch weiter.
Auch in einem österreichisch-russischen Konflikt würde Italien derzeit neutral bleiben, dies könnte aber anders werden, wenn die Reorganisation der italienischen Armee abgeschlossen sei. (1)

Luzzati gab gegenüber den französischen Botschafter darüber Auskunft, das es keine Gemeinsamkeiten mehr mit der Monarchie gäbe und der Dreibund tot ist.

Der Gesprächsgegenstand wird nicht genannt, aber ich würde meine, das es um die Annexionskrise und deren Folgen gegangen ist.

Afflerbach, Dreibund, S.643
 
Am 10.November 1908 stellte der russische Botschafter Benckenforff Grey die Frage, wie die Engländer sich verhalten würden, wenn es zum Krieg käme und Deutschland Österreich unterstütze. Grey gab nicht die erwünschte Antwort und zog sich hinter dem Kabinett zurück und das der Druck einer Krise nicht vorhanden sei.
 
Von Interesse ist auch, das die Engländer davon Kenntnis erhielten, das Russland bereits in der Vergangenheit Österreich-Ungarn die Zusage zur Annexion der Provinzen gegeben hatte.
Grey meinte zu Recht, das dies und die Vorgänge in Buchlau nun nicht gerade die russische Position stärken.
 
Die Briten waren schlicht sittlich über den Bruch des Berliner Vertrages entrüstet.
Die Briten waren zwar nicht kriegerisch gestimmt, aber werkelten ordentlich im Hintergrund. In Konstantinopel wurde der Gedanke "eingepflanzt", das Bulgarien und Österreich-Ungarn einen kräftige finanzielle Entschädigung zu leisten hätten. Mit dem "Streik" der osmanischen Lastenträger, die sich weigerten österreichisch-ungarische Schiffe zu entladen, wurde ganz schön Druck auf Wien aufgebaut. Anfang Januar war Aehrenthal soweit, sich einer finanziellen Entschädigung nicht mehr zu verschließen.

Nur, haben sie anscheinend vollständig vergessen, was sie vor kurzem, Stichwort Entente Cordiale, selbst getan hatten. Mit der Entente wurde klar gegen das Madrider Abkommen und den Berliner Vertrag verstossen und damit gegen das Völkerrecht, gleich mehrfach, gebrochen.

Und wie es eigentlich mit einer Entschädigung für das Konstantinopel hinsichtlich Ägyptens? Man kann hier wieder einmal sehr gut sehen, wie sehr Grey und seine Freunde mit zweierlei Maß gemessen hatten.

Warum das so war, wird u.a. aus einem Telegramm Hardinges an Nicolson vom 04.01.1909 recht deutlich.

"Der König und die Königin werden in der zweiten Februarwoche nach Deutschland reisen. Es ist zu hoffen, das dies in Deutschland eine gute Wirkung haben wird.Ich vertraue jedoch darauf, das die Russen keinen Moment daran denken werden, wir beabsichtigen unsere Beziehungen zu Deutschland auf ihre Kosten zu verbessern. Zwischen uns und Deutschland gibt es keine schwebenden Fragen, mit Ausnahme derjenigen des Schiffsbaus, während unsere ganze Zukunft in Asien an die Notwendigkeit, die besten und freundlichsten Beziehungen zu Russland zu unterhalten, gebunden ist. Wir können es uns nicht leisten, unsere Entente mit Russland zu opfern - auch nicht um eines herabgesetzten Flottenprogramms willen. [...]"

Britische Dokumente, Band 5.2, S. 932
 
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Toller Beitrag, der es meines Erachtens auf den Punkt bringt. Auch Niall Ferguson hatte schon darauf hingewiesen, dass England die Einigung mit Russland nicht suchte, weil man sich so sehr mochte, sondern weil es viele Streitpunkte gab, die zu klären waren. Mit Deutschland ging man keine Übereinkunft ein, nicht, weil man eine Feindschaft sah, sondern weil es letztlich keine großen Reibungspunkte gab. Ein Abkommen mit Deutschland war nicht notwendig. Das ist ja die Tragik, dass diese beiden Länder dann später Krieg gegeneinander führten.
 
Eben, das kann man genauso über die Haldane Mission sagen, es wurde gar keine Übereinkunft mit den Deutschen gesucht.

Die einzige Möglichkeit gab es unter Jospeh Chamberlain, da wäre Deutschland dann aber zum Festlanddegen der Briten gegen die Russen geworden. Die hatte Bülow damals gewollt.
 
Nicht einmal dort so wirklich. Chamberlain selbst wollte durchaus, aber sein Premier Lord Salisbury zierte sich und verwiese auf Schwierigkeiten mit dem Unterhaus und dem Parlament. Die Briten wollten auch "nur" ein Abkommen mit Deutschland, keinesfalls mit Österreich-Ungarn. Aber genau dies wünschte Deutschland. Davon einmal abgesehen, war für Bülow ein Bündnis mit Russland wichtiger.
 
Anfang Januar 1909 unterbreitete Aehrenthal dann den geforderten finanziellen Vorschlag als Entschädigung für den Verlust der beiden Provinzen. Die Osmanen fragten dann tatsächlich in London an, ob die Briten das Angebot genehmigen.
 
Zitat aus einem Memo von Sir Charles Hardinge an Sir Edward Grey vom 11.Februar 1909. Das Memo gibt ein Gespräch zwischen Bülow und Hardinge wieder.

„Ich sagte Fürst Bülow, Sir Edward Grey habe Kenntnis gehabt von dem versöhnlichen Ratschlag, welchem Deutschland in einem Augenblick, wo die Verhandlungen zwischen Österreich und der Türkei in eine vollkommene impasse geraten zu sein schienen, in Zusammenhang mit der Zahlung einer Geldentschädigung an Wien erteilt habe, und ich wäre ermächtigt, ihm zu sagen, das Seiner Majestät Regierung den mäßigenden Einfluss, welchen Deutschland in einem ziemlich kritischen Augenblick der Balkanangelegenheiten ausgeübt habe, hoch einschätze.
 
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