Die DDR - Warum hat den Menschen in der DDR das Leben nicht gefallen?

Unfreiheit, Entmündigung, Einengung der Wissenschaft und des Fortschritts sowie der Individualität, unverrückbare staatliche Planvorgaben. Staatliche oder polizeiliche Repressalien gegen Euch könnt ihr nicht rechtlich klären oder begegnen, die Rechtsanwälte (Verteidiger) studieren alle in der einzigen Jura-"Partei-Universität". Man war als Bürger gegen Staat und Willkür rechtlos. Die Rechtlosigkeit drückte sich in den vielen "Eingaben" an den Staatsrat aus. Der dann meistens kurzerhand für den Petitenten entschied. Wie kann man diese Eingabenpolitik in einem Staat noch nennen? Genau, der Untertan findet kein Recht und schreibt eine Bitte an seine Obrigkeit.
Stellt Euch vor, Ihr müsstest heute einen Monat so leben. Ihr wünscht euch nach einer Woche Demokratie zurück.
Aber gehören nicht Petitionen/Eingaben zur Demokratie auch dazu? Wir hatten da mal eine Darstellung zur Französischen Republik im Französischbuch, worauf der Weg einer Eingabe heute in Frankreich über die verschiedenen Ebenen bis in die Nationalversammlung abgebildet war.

Das Geschmäckle ist eben, dass es im Prinzip nur eine Partei gab (die Blcokparteien gehörten ja nur irgendwie dazu). Das heißt es gab nur eine Linie und die "Eingaben" scheinen mir eine Art Suggerierung gewesen zu sein, dass man noch neben der begrüßten Involvierung in die Politik über den Parteieintritt einen zweiten Weg hätte.

Schau ich mir "Spur der Steine" an, sehe ich doch ganz klar, was vielen nicht passte. Auch wenn der Regisseur einmal einen Protagonisten über die BRD sagen lässt (habe den O-Ton nicht mehr genau im Gedächtnis): "Hier alles Scheiße, da alles Scheiße.":D
Aber im Grunde wird da doch die extreme Durchdringung des Privatlebens sehr gut gezeigt. Das heißt, man mischte sich sogar in Dein Privatleben, wenn das gar moralisch nicht einwandfrei war.
Ist natürlich erstaunlich, dass es dennoch (und gerade von überzeugten Sozialisten) so viele regimekritische Filme gab.
 
Aber gehören nicht Petitionen/Eingaben zur Demokratie auch dazu?

Natürlich; jedoch gilt hierbei, daß Petition nicht immer gleich Petition ist (zumal bei Betrachtung verschiedener Gesellschaften), denn es macht durchaus einen Unterschied, ob ich mit einer Eingabe o.ä. mein Recht einklagen kann - und dabei zudem noch einen Rechtsanspruch habe, daß meinem Anliegen entsprechend nachgegangen wird - oder ob es sich dabei wegen fehlenden individuellen Klagerechts um einen Akt handelt, bei welchem ich mich quasi als "Bittsteller an die Obrigkeit" gegen Willkür wehre.
Dazu ist sogar der Überblick Petition ? Wikipedia einigermaßen brauchbar, und zudem brachte Joachim Gauck diesen Aspekt sehr anschaulich auf den Punkt:
Politische Menschen werden sich anders erinnern schrieb:
In unserer Blog-Diskussion wird dagegen die Möglichkeit von Eingaben als Rechtsmittel angeführt. Was halten Sie davon?

Die DDR hat in späteren Jahren eine Tendenz zur Verrechtlichung entwickelt. Mit Hilfe des Eingabewesens sollten Verbesserungen erzielt werden. Dazu gab es Vorschriften für staatliche Stellen, wie diese Eingaben zu behandeln waren. Bei diesem Ersatzrecht handelte es sich aber um etwas sehr Merkwürdiges, das uns doch sehr an die Rolle von Feudalherren in vormodernen Gesellschaften erinnert: Man klagt nicht sein Recht ein, sondern bittet den Herrscher, von oben regulierend einzugreifen. So gingen beim Staatsratsvorsitzenden sehr viele Eingaben ein, einige wurden auch positiv entschieden. Aber der Ansatz ist so merkwürdig, dass im Grunde der Bürger bei "Hofe" vorstellig wird und auf die Gnade dessen hofft, der regiert. Wer unten ist, hofft auf Huld und Gnade des Herren. Das sind Dinge, die sich überhaupt nicht vereinbaren lassen mit einer demokratischen Vorstellung von Recht. Deshalb, zusammenfassend, bezeichne ich die DDR eher als Unrechtsstaat.
Von "Politische Menschen werden sich anders erinnern" - NeubrandenBlog
 
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Aber gehören nicht Petitionen/Eingaben zur Demokratie auch dazu?
Eigentlich nicht.
Petitionen sind in der modernen Demokratie eher ein Relikt, sie haben auch wenig Einfluß, führen selten zum Erfolg.

Vom Grundsatz her wird ein regelkonformes Verwaltungshandeln vorausgesetzt. Das Parlament (das die Petitionen entgegennimmt) hat überhaupt keinen Durchgriff auf die Verwaltung, kann bei verstärktem Auftreten von Petitionen höchstens schließen, daß es bei den Regeln Verbesserungsbedarf gibt.
 
(...)
Du hast als Beispiel die Kindergärten genannt. Die Vorteile für den Staat lagen auf der Hand: Mit relativ wenigen Arbeitskräften können relativ viele Hausfrauen für den Arbeitsmarkt (OK, Markt trifft es nicht so richtig...) frei geschaufelt werden. Dazu kommt die Möglichkeit der noch früheren Einbindung der Kinder in einen politisierten Alltag. Natürlich ist es für Frauen mit Ambitionen im Berufsleben eine Erleichterung, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies die Motivation für die Einrichtung war. Was aber natürlich durchaus anders in Reden (z.B. bei der Eröffnung eines Kindergartens) dargestellt wurde. (...)


... oje, jetzt beginnt alles von vorne? :rotwerd: (wir haben tagelang darüber diskutiert, solwac) ... ich hoffe nicht, ich hab keine lust mehr und verweise auf die interessante diskussion der letzten tage!

gruß!

(...)
@flitzpiepe: Ich kann Deine Position nicht nachvollziehen. Du behauptest, die DDR-Bürger hätten vor allem mehr materielle Güter analog zu denen im Westen haben wollen. Auf der anderen Seite sprichst Du aber davon, dass wegen der Subventionen der Alltag "gut" gewesen sei. Natürlich hat keiner was dagegen mehr zu bekommen und weniger zu zahlen, aber so materialistisch dürften nur sehr wenige gedacht haben. Insbesondere wenn ich mir all die Berichte ansehe, wo den meisten DDR-Bürgern die wirtschaftliche Situation der DDR doch irgendwie bekannt war. (...)

hallo solwac,

diese deine bemerkung fand ich interessant. ich habe das tatsächlich bisher immer genau andersherum gesehen. die meisten DDR-bürger waren wegen der "wirtschaftlichen misere"/mangelwirtschaft unzufrieden und wollten deshalb 1990 keine neuen "sozialistischen experimente". vielleicht wird so ein schuh draus:

das, was du beschreibst, trifft auf einen eher kleineren teil der DDR-unzufriedenen zu. die störten sich auch oder sogar vorrangig an der "geistigen enge", wie ich es nenne. kann sein. die masse der unzufriedenen (!) hat sich meiner meinung nach nicht anders als heute kaum um die politik geschert und solange sie mit den "herrschenden" nicht in konflikt geraten waren, hat sie die politik auch wenig interessiert. genauso wie heute. die masse wollte einfach besser leben. sie hat ihr leben nicht verglichen mit dem der menschen in uganda oder bolivien oder birma (wir nannten es burma), sondern mit dem leben der verwandten in westdeutschland. man hat es ja noch dazu im fernsehen tagtäglich sehen können. aus wirtschaftlicher unzufriedenheit ist dann sicherlich manchmal auch politische geworden, weil man das noch nicht mal sagen durfte, weil einem sogar noch das gegenteil in den medien erzählt wurde und weil man ja eben trotz unzufriedenheit mit der mangelwirtschaft nicht einfach nach hamburg oder köln oder münchen umziehen konnte und das gefühl haben musste, "auf der falschen seite" der elbe geboren zu sein und nun ewig in diesen mangelverhältnissen leben zu müssen. ich denke schon, das materielle überwog bei den meisten unzufriedenen. heute, wo die mangelwirtschaft beseitigt ist, haben viele auch ihr politisches interesse verloren (siehe wahlbeteiligung).

im freundeskreis diskutierten wir damals sowas. einige meinten damals schon: der sozialismus ist eine gute idee, aber er scheitert am (materiellen) egoismus der menschen.

gruß
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Etwas, was nicht richtig war, war trotzdem "gut" oder "sehr gut"?
hmm - aber was sind diese Dinge wert, wenn sie irgendwann wie ein schön gebautes Kartenhaus beim nächsten Windstoß in sich zusammen fallen?
Wir haben das Ende - den totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR nicht erlebt (jetzt fange ich auch noch an, zu unterstreichen... :S --> =) ). Was wir erlebt haben, war ja der politische Zusammenbruch der SED-Diktatur im Zuge der friedlichen Revolution der Bürger.
Nun gibt es Leute (zu denen zählst du offensichtlich auch), die heute noch meinen, man hätte diesen "Sozialismus" nur anders gestalten müssen -vielleicht sogar als "demokratischen Sozialismus", dann hätte es schon funktioniert.
Aber dann erkläre mir doch bitte einmal, @fitzpiepe, wie dieser "demokratische Sozialismus" hätte aussehen sollen! Ich möchte dabei im Besonderen die witschaftlichen Verhältnisse in solch einem Staat beleuchten, das heißt z. B.:
Wie verhält es sich mit dem "Privateigentum an Produktionsmitteln"?
Und könnte es in solch einem Staat private Unternehmen geben?
Dabei zu beachten: Arbeitslosigkeit soll ja im "Sozialismus" vermieden werden.
:grübel:


hallo,

da muss ich timotheus recht geben. da geraten wir in eine politische diskussion, denn ich würde ja eigentlich gar nicht mehr über die DDR schreiben, sondern über meine vorstellungen einer (anzustrebenden) künftigen gesellschaft. (ich tue das durchaus gern, aber in anderen foren.)

selbst wenn ich dir alles aufliste, was ich anders machen würde, als es in der DDR geschah, und dann schreibe, wie ich es mir vorstelle (wobei ich natürlich noch nicht alles detailliert beschreiben könnte, sondern nur "prinzipiell"), dann ginge das nicht auf einem DIN-A-4-Blatt bzw. mal eben so in einer meinungsäußerung in diesem forum.

wer würde denn einen 100(?)-seiten langen beitrag von mir lesen?

gruß!
 
Zuletzt bearbeitet:
... da geraten wir in eine politische diskussion, denn ich würde ja eigentlich gar nicht mehr über die DDR schreiben, sondern über meine vorstellungen einer (anzustrebenden) künftigen gesellschaft. (ich tue das durchaus, aber in anderen foren.)

Genau; so etwas ersparen wir uns hier gegenseitig, da wir in diesem Forum historische Betrachtungen und Reflexionen thematisieren wollen - und eben keine politischen Diskurse führen.

... im freundeskreis diskutierten wir damals sowas. einige meinten damals schon: der sozialismus ist eine gute idee, aber er scheitert am (materiellen) egoismus der menschen.

Das ist freilich ein Mythos, der zwar einen wichtigen Punkt aufzeigt, es sich allerdings andererseits zu einfach macht a la "Die Idee war bzw. ist gut; nur gingen die Menschen nicht richtig damit um".

Richtig ist: Egoismus und Nutzenstreben sind dem Mensch zueigen, nicht natürliche Solidarität (in diesem Zusammenhang funktionieren Egoismus und Nutzenstreben übrigens sogar als Triebfeder jeglicher Innovation) - daran hatte bereits Pierre-Joseph Proudhon (der ja als Vordenker des Anarchismus nun nicht unbedingt ein Verfechter des Kapitalismus in Reinform war - vgl. dazu Pierre-Joseph Proudhon ? Wikipedia) seine Kritik an Sozialisten und Kommunisten festgemacht.
ABER: Nicht die Menschen - oder genauer gesagt: die Individualität der Menschen (denn dazu gehören neben Egoismus und Nutzenstreben auch bspw. noch Dinge wie unterschiedliche Begabung, Produktivität und Kreativität) - waren der Grund des Scheiterns, sondern eine Anschauung, welche die Individualität der Menschen negiert(e) bzw. darauf ausgerichtet war bzw. ist, daß alle Menschen von Natur aus gleich seien. Damit war bzw. ist dann ergo auch eine deutliche Einschränkung der persönlichen Freiheit verbunden.

Und dies war an der Stelle jetzt nur einmal die Betrachtung, welche am Aspekt des Individuums selbst ausgerichtet ist. Wir sollten nämlich zudem nicht allzu leichtfertig darüber hinwegsehen, daß dabei neben der Individualität der Menschen auch noch Dinge wie Religiosität oder Geisteshaltung sowie Selbstverwirklichung und Unternehmergeist eine Rolle spielen. Der angesprochene materielle Aspekt ist übrigens ebenso - wie aus dieser Kurzdarlegung eigentlich ersichtlich werden sollte - nur eine Facette von vielen...
 
Und dies war an der Stelle jetzt nur einmal die Betrachtung, welche am Aspekt des Individuums selbst ausgerichtet ist. Wir sollten nämlich zudem nicht allzu leichtfertig darüber hinwegsehen, daß dabei neben der Individualität der Menschen auch noch Dinge wie Religiosität oder Geisteshaltung sowie Selbstverwirklichung und Unternehmergeist eine Rolle spielen. Der angesprochene materielle Aspekt ist übrigens ebenso - wie aus dieser Kurzdarlegung eigentlich ersichtlich werden sollte - nur eine Facette von vielen...

Volle Zustimmung!

1990 konnte man über Aspekte sprechen, von denen ich einen anführen möchte, der hier noch nicht erwähnt worden ist.

In den (Industrie-)Unternehmen waren viele Mitarbeiter bis hoch zu Betriebsdirektoren anzutreffen, die von der Wirtschaftsentwicklung der späten DDR zutiefst frustriert waren. Das betraf die Plan- und Mangelwirtschaft der End-80er. Über die Pläne gab es massiven Druck, die täglichen Klein-Klein-Kämpfe um Material, Zuteilungen, Genehmigungen, Zurückweisungen, logistische Probleme, Improvisationen aller Art etc. standen dagegen. Diese Form der Unzufriedenheit - man wollte es besser machen, konnte oder durfte es aber nicht - ist auch ein wichtiger Aspekt des täglichen Lebens. Man konnte damals leicht nachvollziehen, dass und wie über die Pläne und Berichte "nach oben" massiv gelogen wurde, wo es nur ging. Diese Art der Frustration war eben nicht in Zusammenhang mit materieller Versorgung zu sehen, sondern hatte für eine bedrückende Stimmung in der Tagesarbeit gesorgt.


OT: Anzufügen ist, dass Ende des Jahres 1990/1991 eine weitere Katastrophe über die Menschen hereinbrach, auf die viele nicht gefaßt waren: der Zusammenbruch eines großen Teils der alten Unternehmen, die Personalentlassungen bei denen, die weitergeführt wurden. Ich habe da Fälle gesehen, die 80-90% der alten Belegschaft umfaßten. Zwischen einer Aufbruchseuphorie (so ca. Mitte 1990, man traf hochmotivierte Mitarbeiter, durch diesen Umbruch durchzukommen) und dem Beginn dieser Entwicklungen lagen nur wenige Monate. Die Datierungen hängen natürlich an persönlichen Wahrnehmungen, zu den äußeren Bedingungen des Jahres 1990 ist hier schon einmal auf den letzten 5-Jahres-Plan im RGW verwiesen worden, der noch vorübergehend stützend wirkte.
 
hallo,

da muss ich timotheus recht geben. da geraten wir in eine politische diskussion, denn ich würde ja eigentlich gar nicht mehr über die DDR schreiben, sondern über meine vorstellungen einer (anzustrebenden) künftigen gesellschaft. (ich tue das durchaus gern, aber in anderen foren.)

selbst wenn ich dir alles aufliste, was ich anders machen würde, als es in der DDR geschah, und dann schreibe, wie ich es mir vorstelle (wobei ich natürlich noch nicht alles detailliert beschreiben könnte, sondern nur "prinzipiell"), dann ginge das nicht auf einem DIN-A-4-Blatt bzw. mal eben so in einer meinungsäußerung in diesem forum.

wer würde denn einen 100(?)-seiten langen beitrag von mir lesen?

gruß!

Na ja - eine lange Diplomarbeit sollst du hier natürlich nicht darüber schreiben...
;)

flitzpiepe;445738[B schrieb:
hallo solwac,[/b]

diese deine bemerkung fand ich interessant. ich habe das tatsächlich bisher immer genau andersherum gesehen. die meisten DDR-bürger waren wegen der "wirtschaftlichen misere"/mangelwirtschaft unzufrieden und wollten deshalb 1990 keine neuen "sozialistischen experimente". vielleicht wird so ein schuh draus:

das, was du beschreibst, trifft auf einen eher kleineren teil der DDR-unzufriedenen zu. die störten sich auch oder sogar vorrangig an der "geistigen enge", wie ich es nenne. kann sein. die masse der unzufriedenen (!) hat sich meiner meinung nach nicht anders als heute kaum um die politik geschert und solange sie mit den "herrschenden" nicht in konflikt geraten waren, hat sie die politik auch wenig interessiert. genauso wie heute. die masse wollte einfach besser leben. sie hat ihr leben nicht verglichen mit dem der menschen in uganda oder bolivien oder birma (wir nannten es burma), sondern mit dem leben der verwandten in westdeutschland. man hat es ja noch dazu im fernsehen tagtäglich sehen können. aus wirtschaftlicher unzufriedenheit ist dann sicherlich manchmal auch politische geworden, weil man das noch nicht mal sagen durfte, weil einem sogar noch das gegenteil in den medien erzählt wurde und weil man ja eben trotz unzufriedenheit mit der mangelwirtschaft nicht einfach nach hamburg oder köln oder münchen umziehen konnte und das gefühl haben musste, "auf der falschen seite" der elbe geboren zu sein und nun ewig in diesen mangelverhältnissen leben zu müssen. ich denke schon, das materielle überwog bei den meisten unzufriedenen. heute, wo die mangelwirtschaft beseitigt ist, haben viele auch ihr politisches interesse verloren (siehe wahlbeteiligung).

im freundeskreis diskutierten wir damals sowas. einige meinten damals schon: der sozialismus ist eine gute idee, aber er scheitert am (materiellen) egoismus der menschen.

gruß

Hallo @flitzpiepe,

auch wenn du den Beitrag eigentlich an @solwac geschrieben hast, möchte ich mich dazu auch gern äußern, denn was du über das politische Interesse der DDR-Bürger schreibst, ist meines Erachtens nicht richtig.

Wir haben im Gegenteil im Verwandten- und Bekanntekreis sogar sehr viel über Politik diskutiert - auch bei Feiern - und wenn nicht gerade jemand von "der Partei" mit anwesend war, waren wir uns darüber einig, daß bei uns - auf deutsch gesagt - alles Mist ist. Und selbstverständlich haben wir uns nicht mit Ländern der 3. Welt verglichen, denn wir waren ja auch Deutsche, haben eigentlich sogar mehr (stundenmäßig) und härter gearbeitet, als die Menschen im Westen (auf Grund der schlechteren Arbeitsbedingungen, besonders was Technik und Material anging) und wir wollten genauso "gut" leben, wie unsere Verwandten im Westen (in eine Kaufhalle gehen und gleich alles bekommen, was man wollte).
Natürlich wußten wir auch, daß man im Westen im Grunde ständig von Arbeitslosigkeit bedroht war, aber noch bis Ende der 70er Jahre war sie so niedrig, daß die Arbeitslosigkeit eigentlich zu vernachlässigen war. Das änderte sich im Westen erst, als Anfang der 80er Jahre die Weltwirtschaftskrise kam, die sich Mitte der 80er Jahre dann aber wieder entspannte.
Auch bei uns hatte die Weltwirtschaftskrise Auswirkungen. Das merkten wir sehr deutlich in den Kaufhallen, wo das Warenangebot knapper wurde. Aus diesem knapper werdenden Warenangebot schlossen wir, daß der Staat zunehmend Probleme bekam, die eigene Bevölkerung ausreichend zu versorgen und diese Situation verbesserte sich auch im Laufe der ganzen 80er Jahre nicht mehr, sondern spitzte sich immer mehr zu.
Das betraf auch die Produktion. Hier schlug der Ersatzteilmangel in den 80ern besonders durch. Mein Vater arbeitete als Störungselektriker im Stahlwerk Hennigsdorf und er hat immer öfter erzählt, daß er Kräne stehen lassen mußte, weil es keine Ersatzteile mehr gab und er bekam als Schichtleiter die Anweisung, daß Kabel notfalls auch geflickt werden sollten, wenn keine neuen mehr vorrätig waren, was eigentlich verboten war.
Solche Dinge (u.v.a.m.) kamen zu der Unzufriedenheit über die politischen Verhältnisse, wie z. B. fehlende Meinungs- und Reisefreiheit noch dazu.
Darüber diskutierten wir sehr viel in dieser Zeit - im Verwandten- und Bekanntenkreis und auch in der Brigade, weil wir uns große Sorgen über die wirtschaftliche Situation des Staates machten und das waren durchaus politische Diskussionen.
Wenn ich so Vergleiche ziehe von damals zu heute, dann würde ich sagen, daß wir damals viel mehr über Politik diskutiert haben, als heute.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mein Vater arbeitete als Störungselektriker im Stahlwerk Hennigsdorf und er hat immer öfter erzählt, daß er Kräne stehen lassen mußte, weil es keine Ersatzteile mehr gab und er bekam als Schichtleiter die Anweisung, daß Kabel notfalls auch geflickt werden sollten, wenn keine neuen mehr vorrätig waren, was eigentlich verboten war.

Hallo Barbarossa,

ich kann das wie oben schon dargestellt nur bestätigen.
Diese Probleme beherrschten den Alltag in den Betrieben. Neben den andauernden Ersatzteilproblemen waren es Stockungen auch im Material für die Produktion, die frustierend wirkten.

Die Kehrseite war eine mir bis dahin nicht vorstellbare Dimension von Lagerwirtschaft. Es wurde beschafft und bevorratet, was greifbar war, zT unabhängig von geeigneten Lagerflächen (was zB zusätzliche Arbeiten durch "Nachbehandlung" wegen Witterungseinflüssen etc. erforderlich machte, unglaubliche Ineffizienzen). Dieses auch kreative "Hamstern" in den Betrieben - aus nachvollziehbaren Gründen - hat dann den Mangel zusätzlich verschärft.
 
Es geht doch um ein Thema, das jeder für sich verarbeiten muss.
Ich kann auf die 100 Seiten verzichten. Ich verlasse mich da eher auf meine Erinnerungen.
Schon vergessen, wie das Thema lautete?
 
Zuletzt bearbeitet:
... oje, jetzt beginnt alles von vorne? :rotwerd: (wir haben tagelang darüber diskutiert, solwac) ... ich hoffe nicht, ich hab keine lust mehr und verweise auf die interessante diskussion der letzten tage!
Vielleicht habe ich ja Lust? ;)

Ich finde die Argumentation jedenfalls teilweise sehr blauäugig.

diese deine bemerkung fand ich interessant. ich habe das tatsächlich bisher immer genau andersherum gesehen. die meisten DDR-bürger waren wegen der "wirtschaftlichen misere"/mangelwirtschaft unzufrieden und wollten deshalb 1990 keine neuen "sozialistischen experimente". vielleicht wird so ein schuh draus:
Der Sozialismus war für einige ein erstrebenswetes Ideal. Für die große Mehrheit war es eine untaugliche Wirklichkeit. Der von manchen angedachte "dritte Weg" hätte vielleicht funktionieren können, aber wenn dann nur ohne einen überdrehten theoretischen Überbau.

im freundeskreis diskutierten wir damals sowas. einige meinten damals schon: der sozialismus ist eine gute idee, aber er scheitert am (materiellen) egoismus der menschen.
Der Sozialismus ist keine Idee, er ist ein Ideal. Er scheitert nicht am Egoismus der Meschen, er scheitert an der Menschlichkeit der Menschen.

Solwac
 
Wir haben im Gegenteil im Verwandten- und Bekanntekreis sogar sehr viel über Politik diskutiert - auch bei Feiern - und wenn nicht gerade jemand von "der Partei" mit anwesend war, waren wir uns darüber einig, daß bei uns - auf deutsch gesagt - alles Mist ist.
So habe ich das auch erlebt.
Wobei schon interessant ist, wie stark das "gute alte Zeit"-Phänomen bei manchen durchschlägt - die haben inzwischen völlig verdrängt, was ihnen damals mißfallen hat.

Auch bei uns hatte die Weltwirtschaftskrise Auswirkungen.
Natürlich hat die Krise auch Auswirkungen.
Aber der Hauptgrund für die zunehmenden Versorgungsprobleme war der schleichende Substanzverlust durch die ganze DDR-Geschichte hinweg.

Die DDR-Wirtschaft hat sehr stark von Infrastruktur und Produktionskapazitäten gelebt, die sie von ihren "kapitalistischen Vorgängern" übernommen hatte. Und überraschend wenig in Unterhalt und Reparaturen investiert - die marxistische Wirtschaftsdenke ist eben eher statisch ausgelegt und hat das Prinzip Abschreibung nie wirklich verstanden.

Und dieses Leben von der Substanz wird eben nicht nach wenigen Jahren sichtbar, sondern je nach Bereich erst nach 20-30 Jahren. Straßen, Häuser, Maschinen, Leitungen halten eine ganze Weile durch, wenn sie nicht gewartet werden - aber wenn dann die ersten Schäden auftreten und nicht ordentlich repariert werden, dann geht es rapide los mit dem Verfall.
Bis hin zum Punkt, wo man eigentlich alles wegschmeißen und neu machen müßte - jede weitere Reparatur kostet mehr als sie bringt.
 
Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, die aufgrund der heute verfügbaren DDR-Unterlagen vorgenommen wurden, lag die Wirtschaftsleistung in der DDR pro Kopf im Jahre 1990 nur bei knapp einem Drittel derjenigen in Westdeutschland, erreichte also nach fast einem halben Jahrhundert seit Kriegsende die Größenordnung eines Schwellenlandes. Das lag natürlich nicht daran, dass die Arbeitnehmer in der DDR weniger arbeitsam als ihre Kollegen im Westen gewesen wären, sondern hatte systemimmanente Gründe.

Der für die Gütererzeugung eingesetzte Kapitalstock war zu einem erheblichen Teil veraltet und verschlissen, war in nicht wenigen Produktionsbereichen nach westlichen Maßstäben praktisch nicht mehr verwendbar. Von einem "ununterbrochenen Wachstum" und einer "stetigen Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchstentwickelten Technik" - wie es Lenin einst prophezeite - konnte also keine Rede sein.

Zudem war die Verkehrsinfrastruktur der DDR weithin veraltet und völlig überlastet. Das Streckennetz der Deutschen Reichsbahn war nur zu etwa 30% zwei- oder mehrgleisig ausgebaut, nur 28% waren elektrifiziert. Ein großer Teil der Staats- und Bezirksstraßen wies erhebliche Schäden in der Fahrbahndecke auf. Das Kommunikationsnetz war ebenfalls unzureichend, veraltet und ineffizient.

Ein gravierendes Problem stellte die völlig unzureichend funktionierende Mangelwirtschaft dar. Zentrale Ursache war, dass sich das Wirtschaftsgeschehen im Rahmen einer zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnung abspielte - also einer Planwirtschaft - , die ökonomische Fehlsteuerungen bewirkte. Trotz ihrer außerordentlich starken Stellung, welche die staatliche Plankommission im Gefüge der staatlichen Einrichtungen hatte, wurde ihre Arbeit - wie Gerhard Schürer, ihr letzter Vorsitzender berichtete - häufig dadurch erheblich behindert und sie zur Aufstellung undurchfühbarer Pläne genötigt, weil subjektive Wunschvorstellungen, unrealistische politische Ziele oder einfach Besserwisserei der führenden Funktionäre dies erforderlich machte.

Im übrigen ist Zweifel angebracht, ob eine Zentralverwaltungswirtschaft überhaupt funktionieren kann, also unter realen und nicht idealtypischen Bedingungen bzw. Voraussetzungen.

All diese Faktoren zusammen bewirkten den Niedergang nicht nur der DDR-Wirtschaft, sondern derjenigen aller Ostblockstaaten mit politisch gesteuerten Planwirtschaften.

Gut nachlesen lässt sich manches davon in: Hannsjörg Buck, Gernot Gutmann, Das Scheitern der Zentralverwaltungswirtschaft - eine ökonomische Schlussbilanz der DDR im Überblick, in: Eberhard Kuhrt u.a., Am Ende des realen Sozialismus, Bd. 2, Leverkusen 1996
 
Zudem war die Verkehrsinfrastruktur der DDR weithin veraltet und völlig überlastet. Das Streckennetz der Deutschen Reichsbahn war nur zu etwa 30% zwei- oder mehrgleisig ausgebaut, nur 28% waren elektrifiziert. Ein großer Teil der Staats- und Bezirksstraßen wies erhebliche Schäden in der Fahrbahndecke auf. Das Kommunikationsnetz war ebenfalls unzureichend, veraltet und ineffizient.
Bei den hübschen Zahlen zur Bahn muss man aber auch berücksichtigen, dass es eben noch viele Klein- und Regionalbahnstrecken gab, die heute längst still gelegt worden sind, weil man sie nicht für rentabel hält. Betrachte ich selbst die Karten florierender Gegenden wie hier im Breisgau, habe ich den Eindruck, dass es hier den Kahlschlag unter den kleineren Strecken einfach schon früher gab.
 
Man muss aber auch sehen, wie die Sowjetunion die DDR ausgeblutet hat.
So wurden fast alle zweigleisigen Strecken auf einem Gleis abgebaut, als Reperationsleistung.
Ganze Betriebe wurden abgebaut nach dem Krieg.
Wie gesagt, ich will nichts schönreden, aber der westliche Teil Deutschlands musste kaum was berappen.
Das hat zwar die Startbedingungen stark beeinflusst, aber viele negative Entwicklungen der DDR-Wirtschaft sind hausgemacht - gerade in den letzten 20 Jahren.

Bei den hübschen Zahlen zur Bahn muss man aber auch berücksichtigen, dass es eben noch viele Klein- und Regionalbahnstrecken gab, die heute längst still gelegt worden sind, weil man sie nicht für rentabel hält. Betrachte ich selbst die Karten florierender Gegenden wie hier im Breisgau, habe ich den Eindruck, dass es hier den Kahlschlag unter den kleineren Strecken einfach schon früher gab.
Anfang der 60er Jahre konnte die Bundesbahn durch technische Entwicklungen und Investitionen in die Struktur (Stichwort Elektrifizierung der Hauptstrecken und Verdieselung der Nebenstrecken) den Betrieb deutlich schneller und attraktiver gestalten. Die Dampfloks waren zwar für einige Zeit noch nicht verzichtbar, ihr Ende aber absehbar. Durch die Steigerung im Komfort und der Reisegeschwindigkeit waren viele Nebenstrecken aber nicht mehr attraktiv. Auch Schienenbusse und andere Rationalisierungen konnten die Strecken nicht mehr rentabel halten, dazu kam noch ein teilweise nicht vorhandener Wille zum Erhalt. Schmalspurbahnen hatten dazu noch das Handicap erhöhter Umladekosten, auch waren etliche Trassen im Vergleich zum Straßenverkehr nicht mehr konkurrenzfähig.

Alle diese Effekte gab es auch in der DDR, aber dort war der technische Fortschritt weniger deutlich* und der Straßenverkehr eine nicht so starke Alternative.

Die Reichsbahn hat sicher eine großartige Leistung geliefert und die DDR konnte (und musste) sich darauf verlassen. Aber es gibt auch einige politische Entscheidungen, die einfach negative Folgen hatten (Beispiel Verdieselung mit Loks aus Rumänien) und ein ständiger Betrieb auf Verschleiß.

@Dieter: Das Thema Zentralverwaltungswirtschaft ist sicher ein besonders Problem. Einerseits wird der "sozialistische Wettbewerb" beschworen, andererseits gibt es für die Beteiligten keine Möglichkeit Konsequenzen aus den Erkenntnissen zu ziehen.

Solwac

* In der DDR galt bis zum Schluss eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf der Schiene, die Bundesbahn hob die Begrenzung auf 120 km/h im Jahr 1958 auf. F-Züge waren schon vorher schneller.
Dabei gab es in der DDR nicht nur einen Mangel an ausreichend schnellen Fahrzeugen, die Strecken waren einfach so stark ausgelastet, dass unterschiedlichere Geschwindigkeiten zwischen Güter- und "schnellem" Reiseverkehr keine Fahrplantrassen finden konnten. Die offizielle Begründung, aufgrund der geringen Entfernungen innerhalb der DDR würden höhere Geschwindigkeiten mehr Energie verbrauchen, aber kaum die Reisezeiten verringern, ist zwar inhaltlich nicht falsch. Aber halt eindeutig vorgeschoben. ;)
Sehr gut erkennbar ist das bei den geforderten Betriebsprogrammen der Neubauelektrolokomotiven Anfang der 60er.
 
(...)
Wir haben im Gegenteil im Verwandten- und Bekanntekreis sogar sehr viel über Politik diskutiert ...

Naja, vielleicht gehörtest du/ gehörtet ihr zu denen, denen auch das Politische (unabhängig vom Wirtschaftlichen???) wichtig war. Du kannst ja aus deinem Beispiel nicht einfach auf die Mehrheit schließen.

Wie schon in meinem Erinnerungsbeitrag geschrieben, ist ja die Mehrheit der DDR-Bürger in der Wendezeit zu Hause geblieben und hat nicht an den Demonstrationen und Kundgebungen teilgenommen - selbst wenn man die nicht gerade zuverlässigen (!) Zahlen der Zeitungsmeldungen zugrunde legt. (Es ist ja auch heute so, dass die Angaben der Veranstalter von den Angaben der Polizei u.U. erheblich voneinander abweichen.)

40.000 bei der größten Demonstration in Rostock bedeutet auch, dass rund 210.000 nicht teilnahmen; 70.000 bei der größten (?) Demo in Leipzig bedeutet auch, dass rund 430.000 nicht mitgegangen sind. Die Angaben der größten Demo in Berlin schwanken ja zwischen 500.000 und 1 Million (immerhin haben dann die einen wie die anderen mal eben so jeweils 500.000 Menschen "übersehen". wie ist das möglich?). Aber selbst wenn wir 1 Million Teilnehmern glauben, sind ja dann (Zugereiste muss man auch noch abziehen!!!) viele, wenn nicht sogar die meisten Menschen zu Hause geblieben.

Gruß!
 
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