Ethnie und Genese ?
Hallo ihr Querdenker,
nachdem ich lange danach gesucht habe, finde ich hier endlich die Diskussion, die mich unheimlich interessiert. Danke, "Peter".
Ich hoffe, dass ich euch mit diesem Beitrag alle noch einmal dazu aktivieren kann, etwas zu dem Thema zu schreiben.
Ich veranstalte seit einigen Jahren Führungen in Waldgirmes (Römisches "Forum", ca. 7km Luftlinie vom Dünsberg entfernt) und auf dem Dünsberg selbst (euer einhelliges "Ubier-Oppidum").
Der Frage, welcher Ethnie die Einheimischen in dieser Region entstammten, kann man dabei nicht ausweichen.
Wo verläuft denn genau die Grenze zwischen "Kelten" und "Germanen", räumlich und zeitlich??
Eine Sache vorweg:
Ich glaube kaum, dass "die Ethnogenese der Germanen im 6./5. Jahrhundert begann" und um die Zeitenwende abgeschlossen war. Mitnichten.
Die griechischen Autoren, die nach Ausweis der Importfunde und Befunden wie der "Heuneburg" enge Kontakte zu den Kelten unterhielten und sie häufig erwähnen, kennen kein Volk der "Germanen". Warum?
Die römischen Autoren der Frühzeit nennen übrigens auch keine Germanen, sie sprechen von Kelten auch rechts des Rheins.
Das erste Mal werden die Germanen angeblich von Poseidonios erwähnt, seine Werke sind aber verschollen und gerade diese überlieferte Stelle wage ich in Frage zu stellen (stammt aus dem zweiten Jahrhundert NACH).
Der erste sichere Autor, der die Germanen erwähnt, ist Caesar in "De bello Gallico" - einem propagandistisch geprägten Kriegstagebuch. Und an welcher Stelle?
Als Caesar in Rom gefragt wurde, warum er den Feldzug bereits am Rhein abgeschlossen hat (ich gehe davon aus, das schon Caesar bis zur Elbe vorstossen wollte/sollte), schreibt er: "Rechts des Rheins wohnen (nur) Germanen". Damit musste er sich die Mühe nicht machen, mit seinen völlig erschöpften Truppe, die bereits fünf Jahre im Krieg standen, den mächtigen Rhein zu überqueren und die jenseits lebenden Völker anzugreifen. Ich glaube, es war Caesar und auch seinen römischen Lesern völlig egal, ob diese Menschen sich selbst Kelten oder Germanen nannten.
Danach entwickelt sich der Begriff rasend schnell weiter und wird zu einem festen Namen für die Völker rechts des Rheins. Diejenigen, die im 3. Jahrhundert den Rhein überschreiten, nennen sich scheinbar Germanen oder bereits "Alamannen". Man darf nämlich eben nicht den Fehler machen, die Jastorf-Kultur einfach mit "den Germanen" gleichzusetzen.
Im engeren Bereich von Oberhessen - die nähere Umgebung von Dünsberg und Waldgirmes - ist das erste archäologisch fassbare Grab mit germanischer Keramik eine Nachbestattung als Brandschüttungsgrab in einem hallstattzeitlichen Grabhügel bei Lich-Muschenheim. Dieses Grab kann man vorsichtig zwischen 20 vor und 20 nach der Zeitenwende datieren.
Alle anderen "einheimischen" Siedlungen zeigen eben kein charakteristisches, "germanisches" Material. Die Siedlungsgebiete der Jastorfkultur beginnen zu dieser Zeit etwa auf der Höhe von Marburg - ca. 20 km vom Dünsberg entfernt.
Der Dünsberg selbst zeigt das späteste Material von allen bekannten keltischen Höhenburgen Hessens und erlebt nach dem Niedergang des Heidetränk-Oppidums noch einmal einen gewaltigen Aufschwung in der Besiedlung, hierzu zählen auch Münzproduktion und andere Handwerke.
(S. Diss. Schulze-Forster, Marburg).
Zwei Fragen beantwortet Doktor Schulze-Forster allerdings nicht: Welche ethnische Zuweisung das Material aus der letzten Phase des Dünsbergs (D2, ca. 50 - 0 v. Chr.) aufweist und wann genau der Dünsberg endet.
Für die römische Siedlung von Waldgirmes haben wir ein dendrochronologisch sicheres Anfangsdatum von 4 v. Chr., die Siedlung muss allerdings schon einige Zeit bestanden haben (Vorgängerbauten) und kann wohl frühestens von Drusus 12 v. Chr. gegründet worden sein.
Der Dünsberg ist in Spuck-Reichweite von Waldgirmes, es ist völlig ausgeschlossen, dass die Römer diese prächtige Stadtgründung in der Nähe eines von gegnerischen Truppen besetzten Zentrums angelegt haben - ob Germanen oder Kelten. Das Ende des Dünsbergs muss also mit dem Anfang von Waldgirmes in einem Zusammenhang stehen. Und das Gebiet kann nicht unbesiedelt gewesen sein, da sonst die Einrichtung eines "Marktplatzes" wohl kaum Sinn machen würde. Wo wären dann die Kunden?
Ausserdem deuten Funde von Schleuderbleien vom Dünsberg auf Kampfhandlungen mit römischer Beteiligung hin - gegen die verbündeten Ubier?
Der Dünsberg muss nicht zwingend das Oppidum der Ubier gewesen sein, das Ende von 39 v. Chr. (Umsiedlung nach Köln unter Statthalterschaft von Tiberius) wäre von hier betrachtet einfach zu früh. Es gab aber auch eine zweite Statthalterschaft im Jahre 20 v., das würde schon besser passen. Offensichtlich sind aber nicht alle abgewandert, gegen irgendwen müssen die Römer gekämpft haben und irgendwer muss eingekauft haben.
Zu welchem Stamm gehörten diejenigen nun? Auf meinen Führungen, zu denen ich euch alle gerne einlade, komme ich am Schluss mit dem Begriff "Kelto-Germanen". Dieser Begriff wird nach all dem wirklich von jedem als "unbefriedigend" empfunden, ist aber die aktuell korrekte, archäologische Bezeichnung.
Aber das Material vom Dünsberg entstammt geschlossen der Latene-Kultur, eine große "Einwanderung" von Germanen kann ich auch nicht zeigen.
Vielleicht werden wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen: "Finis Germanorum", meiner Meinung nach hat in dieser Region in dieser Zeit niemand gelebt, der sich selbst als "Germane" bezeichnet hätte.
Wer immer diesen Text bis hierhin gelesen hat: Danke für die göttergleiche Geduld mit dem langen Text, ich musste mir nach eurer Diskussion einfach mal Luft machen. Für Antworten bin ich dankbar.
Dennis