Die Unterwerfungstheorie

ketzer97

Aktives Mitglied
Auf der Suche nach Konzepten, die die Entstehung von Herrschaft erklären, bin ich über die sogenannte Unterwerfungstheorie gestolpert. Ich hatte schon vorher ein bisschen überlegt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass Staaten entweder aus einer Win-Win-Situation für sowohl Herrschende als auch Beherrschte oder aus einfacher Gewaltausübung entstanden sein müssen.

Nun sagt die Unterwerfungstheorie aus, dass alle Landwirtschaft betreibende Menschheit aus Hirten und Bauern besteht (oder bestand). Kriegerische Hirten raubten die eher friedlichen Bauern aus und nahmen ihnen alles weg, bis sie kapierten, dass sie viel mehr abzweigen können, wenn sie ihre Opfer am Leben lassen und sich von deren Überschüssen ernähren, die sie ab und zu einkassieren. Später dann beginnen die Bauern, den Hirten ihr Hab und Gut mehr oder weniger freiwillig zu überlassen und werden fast automatisch zu den Schutzbefohlenen der Hirten, da diese ja von den Bauern leben. So entsteht ein Steuersystem und die Hirten werden zu Herrschern.

Eine interessante Theorie, und offensichtlich sogar relativ einhellig anerkannt. Aber irgendwie erschien sie mir zu speziell, und ich stelle mir jetzt folgende Fragen:

1. Was gibt es für konkrete Beispiele für Bauern unterjochende Hirtenvölker? Mir sind spontan nur die Hyksos für Ägypten eingefallen, die aber auch (soweit ich weiß) keine straffere Organisation auffuhren als die vorherigen Machthaber aus der Volksmitte.

2. Wieso können sich die Bauern nicht gegen die Hirten wehren? Warum sind die Hirten tendenziell kriegslüsterner?

3. Und wie lässt sich mit dieser Theorie die Entstehung von Staatlichkeit in Zivilisationen erklären, die keine Invasionen durchleben? Gibt es ab einer bestimmten Größenordnung überhaupt noch "Hirten-" oder "Bauernvölker", wenn doch eine höherentwickelte Wirtschaft mit Arbeitsteilung existiert? Was hat diese Theorie mit dem Herrschaftsaufbau in solchen Kulturen wie dem römischen Reich oder dem feudalen Mittelalter zu tun? Wo liegt da der Bezug?

Vielen Dank schon im Voraus! :winke:

PS: Gibt es eigentlich kein Unterforum für Staatsgeschichte? Da hätte das hier nämlich deutlich besser hineingepasst.
 
Auf der Suche nach Konzepten, die die Entstehung von Herrschaft erklären, bin ich über die sogenannte Unterwerfungstheorie gestolpert. Ich hatte schon vorher ein bisschen überlegt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass Staaten entweder aus einer Win-Win-Situation für sowohl Herrschende als auch Beherrschte oder aus einfacher Gewaltausübung entstanden sein müssen.

Was meinst du mit Win-Win-Situation?

Nun sagt die Unterwerfungstheorie aus, dass alle Landwirtschaft betreibende Menschheit aus Hirten und Bauern besteht (oder bestand). Kriegerische Hirten raubten die eher friedlichen Bauern aus und nahmen ihnen alles weg, bis sie kapierten, dass sie viel mehr abzweigen können, wenn sie ihre Opfer am Leben lassen und sich von deren Überschüssen ernähren, die sie ab und zu einkassieren. Später dann beginnen die Bauern, den Hirten ihr Hab und Gut mehr oder weniger freiwillig zu überlassen und werden fast automatisch zu den Schutzbefohlenen der Hirten, da diese ja von den Bauern leben. So entsteht ein Steuersystem und die Hirten werden zu Herrschern.

Eine interessante Theorie, und offensichtlich sogar relativ einhellig anerkannt. Aber irgendwie erschien sie mir zu speziell, und ich stelle mir jetzt folgende Fragen:

Ob diese Theorie allgemein anerkannt ist, bezweifle ich.
Sie erscheint mir zu kompliziert, wenn allgemein zur Staatenbildung 2 Gruppen also Hirten und Bauern nötig gewesen wären.

Nach meinem Kenntnisstand unterstellt man nach egalitären Subsistenzgesellschaften einen steigenden Organisationsgrad über "big man" zeitweilige Anführer, zu Häuptlings(Stammes)-gesellschaften mit steigender Tendenz zur Erblichkeit bis zu Stadt- und Gebietsstaaten.
Dabei ist es mE naheliegender, dass die big man, Häuptlinge, Könige aus der jeweiligen Gruppe durch Machtakkumulation entstanden und solche Hierarchien dann erblich wurden.



1. Was gibt es für konkrete Beispiele für Bauern unterjochende Hirtenvölker? Mir sind spontan nur die Hyksos für Ägypten eingefallen, die aber auch (soweit ich weiß) keine straffere Organisation auffuhren als die vorherigen Machthaber aus der Volksmitte.

2. Wieso können sich die Bauern nicht gegen die Hirten wehren? Warum sind die Hirten tendenziell kriegslüsterner?

3. Und wie lässt sich mit dieser Theorie die Entstehung von Staatlichkeit in Zivilisationen erklären, die keine Invasionen durchleben? Gibt es ab einer bestimmten Größenordnung überhaupt noch "Hirten-" oder "Bauernvölker", wenn doch eine höherentwickelte Wirtschaft mit Arbeitsteilung existiert? Was hat diese Theorie mit dem Herrschaftsaufbau in solchen Kulturen wie dem römischen Reich oder dem feudalen Mittelalter zu tun? Wo liegt da der Bezug?
Deinen Fragen muß ich mich daher anschließen.
 
Auf der Suche nach Konzepten, die die Entstehung von Herrschaft erklären, bin ich über die sogenannte Unterwerfungstheorie gestolpert. ....

...Kriegerische Hirten raubten die eher friedlichen Bauern aus und nahmen ihnen alles weg,

Und wie erklärt diese Theorie, dass die "Hirten" sich organisierten und offensichtlich auch schon intern eine arbeitsteilige bzw. hierarchische Struktur kannten in Bezug auf ihr kriegerisches Handwerk?

Andernfalls hätten sie sich den Bauern kaum überlegen gezeigt.

Will damit nur sagen, dass hier die Entwicklung von Inter-Herrschaftsprozessen erklärt wird, ohne die ursprüngliche Form der Intra-Herrschaftsprozesse als Prämisse bzw. Voraussetzung zu hinterfragen.

In diesem Sinne kann sie nur den zweiten Schritt eines sich differenzierenden Herrschaftsgefüges erklären.

Wäre meine spontane Vermutung, ohne mich mit der Literatur beschäftigt zu haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenigstens bin ich nicht allein mit meiner Verwirrung. ;)

Mal sehen, ob es hier irgendeinen Experten für Staatsgeschichte gibt...
 
Hast du die Theorie so vorgefunden, oder sie vereinfacht? Denn es gibt in der Tat eine ganz ähnliche Theorie zum Verhältnis von Sesshaften und Nomaden, die allerdings impliziert, dass die Gesellschaftsstrukturen der Sesshaften schon ausdifferenziert sind - also kaum zur Erklärung der Entwicklung von Herrschaft geeignet sind.

Letztendlich ist es doch so: Die nomadischen Reitervölker der eurasischen Graslandzone(oder auch der Wüste, wie im Fall der Banū Hilāl) werden von den zivilisierteren (hier im Urspunge des Wortes, von civitas, zivilisiert als sesshaft, agraraisch geprägt, nicht so sehr in dem arroganten Sinne, den man dem Wort früher aufgestempelt hat) Völkern als minderwertig angesehen, der Handel zwischen beiden Zonen verläuft nur sehr schleppend, auch weil die Nomaden den agrarischen Gesellschaften nur wenig anzubieten haben. Fleisch und Milchprodukte produzieren die agrarischen Gesellschaften i.d.R. selber. Das produziert Begehrlichkeiten, die sich eine gewisse Zeit lang durch Tribute befriedigen lassen, aber eine Form der Prestigeökonomie bei den Reitervölkern auslösen. Irgendwann sind die Gefolgschaften so groß, dass die Tributleistungen nicht mehr ausreichen. Dann kommt es zum Ausbruch des schon schwelenden Konflikts, das lässt sich in der Geschichte der Interaktion der Reitervölker mit den zivilisierten (s.o.) Völkern immer wieder beobachten. Bei Skythen, Sarmaten, Goten, Hunnen, Ungarn, den vorosmanischen Türken, den Banū Hilāl, den Mongolen gegenüber der griechischen Stadtstaatenwelt, dem Perserreich, Indien, China, dem römischen und später byzantinischen Reich, gegenüber dem arabischen Kalifat, oder auch gegenüber den Ottonen.
Im Endeffekt übernehmen die Reitervölker oder Teile davon irgendwann immer die Lebensweise der sesshaften Bevölkerung, und dann gibt es, bis ein neues "Volk" die Lücke schließt, eine relative Ruhe und der Kreislauf beginnt von Neuem. Letztendlich wollen nämlich die Barbaren nicht die Reiche die sie angreifen zerstören, sondern am Reichtum und Luxus partizipieren. Das erreichen sie aber nur mittels Gewalt, da es einen Interessengegensatz der jeweiligen Reichsführungen und den Interessen der Reitervölker gibt.

Ich schrieb oben, dass die zivilisierteren Völker auf die Nomaden hinab sehen, zum einen natürlich weil es sich aus ihrer Sicht um Barbaren handelt, aber Barbaren können auch Völker auf einer gleichen oder sogar höheren Entwicklungsstufe sein (es ist schwer ohne Begriffe wie zivilisiert und Entwicklungsstufenmodelle zu operieren), etwa aus griechischer Sicht die Perser, zum anderen, weil es sich um weniger zivilisierte Völker handelt, Reitervölker eben.
Gleichzeitig gilt aber Nomaden selbst die Aufgabe des nomadischen Lebens häufig als sozialer Abstieg. Dementsprechend werde Gesandtschaften dann in Zelten empfangen, obwohl Herrscher über Palastanlagen verfügen. Es gibt also eine gewisse Diskrepanz zwischen der Ansiedlung, die als sozialer Abstieg wahrgenommen werden kann, und dem Wunsch, so zu sein, wie die angesiedelten Völker.
 
Mal sehen, ob es hier irgendeinen Experten für Staatsgeschichte gibt...

Da bin ich auch gespannt, sehe jedoch die Schwierigkeit, dass die Entstehung von hierarchisch organisierten Gesellschaften fast immer in schriftlose Zeiten fällt.
Da könnte ein Historiker für Staatsgeschichte auch nur die Ethnologie bemühen.

Und wie erklärt diese Theorie, dass die "Hirten" sich organisierten und offensichtlich auch schon intern eine arbeitsteilige bzw. hierarchische Struktur kannten in Bezug auf ihr kriegerisches Handwerk?

Andernfalls hätten sie sich den Bauern kaum überlegen gezeigt.

Will damit nur sagen, dass hier die Entwicklung von Inter-Herrschaftsprozessen erklärt wird, ohne die ursprüngliche Form der Intra-Herrschaftsprozesse als Prämisse bzw. Voraussetzung zu hinterfragen.

In diesem Sinne kann sie nur den zweiten Schritt eines sich differenzierenden Herrschaftsgefüges erklären.

Wäre meine spontane Vermutung, ohne mich mit der Literatur beschäftigt zu haben.

Im Prinzip stimme ich dir zu. Hirten könnten nur dann erfolgreich unterworfen haben, wenn sie einen zeitweiligen Vorsprung im Kriegshandwerk entwickelt hatten, also den 2. Schritt vor dem 1. = höherer Organisationsgrad getan hätten. Die Übergänge mögen aber fließen und in Einzelfällen könnte das Hirtenszenario zu einer frühen Staatsbildung beigetragen haben. Ein Beispiel fällt mir allerdings auch nicht ein.

Zur Zeit lese ich über "Befestigte Siedlungen auf Balkan, Ägäis und Westanatolien ca. 5000-2000 BC. M. Ivanova stellt darin archäologische Befunde zusammen, die etwas über Gewalt und Krieg aussagen können.

Sie stellt einen Trend von Fern- und Jagdwaffen, die eher zu gelegentlichen "hit and run"-Überfällen passen, zu speziellen Nahkampfwaffen fest, die eine gewisse Übung und Taktik erfordern. Parallel verändert sich aber auch die Besiedlungsstruktur, Verdichtung, Niemandsland, höher gelegene und befestigte Orte.
Ich möchte das Thema hier nicht vertiefen, nur damit sagen, dass die Bauerngruppen in unruhigen Zeiten Gegenmaßnahmen entwickeln mußten, die auch auf ihrer Seite einen höheren Organisationsgrad zur Folge hatten.

Nach der Unterwerfungstheorie entsteht ja zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus eine solche: Die Bauern füttern die Hirten durch, dafür sorgen diese für Schutz, Verteidigung und Administration.

Naja....nur warum sollten die Hirten dabei eine fremde Gruppe sein?
Hirtennomadismus ist aus der Landwirtschaft entstanden, durch Spezialisierung und an die unterschiedlichen Bodenverhältnisse angepaßte Nutzung.
In den Stadtstaaten Sumers und in Ägypten ist die staatliche Organisation aus gemeinsamer Vorratshaltung und der Notwendigkeit zu Gemeinschaftsarbeit bei Bewässerung etc. entstanden.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Was gibt es für konkrete Beispiele für Bauern unterjochende Hirtenvölker? Mir sind spontan nur die Hyksos für Ägypten eingefallen, die aber auch (soweit ich weiß) keine straffere Organisation auffuhren als die vorherigen Machthaber aus der Volksmitte.

2. Wieso können sich die Bauern nicht gegen die Hirten wehren? Warum sind die Hirten tendenziell kriegslüsterner?

3. Und wie lässt sich mit dieser Theorie die Entstehung von Staatlichkeit in Zivilisationen erklären, die keine Invasionen durchleben? Gibt es ab einer bestimmten Größenordnung überhaupt noch "Hirten-" oder "Bauernvölker", wenn doch eine höherentwickelte Wirtschaft mit Arbeitsteilung existiert? Was hat diese Theorie mit dem Herrschaftsaufbau in solchen Kulturen wie dem römischen Reich oder dem feudalen Mittelalter zu tun? Wo liegt da der Bezug?

Bekanntlich findet sich die Bezeichnung "Nomaden" - d.h. Hirtenvölker bzw. Wanderhirten, die mit ihren Herden umherziehen - als terminus technicus bereits bei antiken Autoren wie Herodot oder Polybios.

Der Nomadismus der Hirtenvölker ist eine sehr komplexe Lebens- und Wirtschaftsform, zu dessen Merkmalen Herdenviehzucht ohne Stallhaltung und jahreszeitlich bedingte Wanderzyklen zwischen Sommer- und Winterweiden zählen. Herdentiere sind - je nach Klima- und Vegetationszone - Schaf, Ziege, Rind, Kamel oder Yak.

Seit undenklichen Zeiten gibt es einen Antagonismus zwischen Bauern und Hirten, zwischen friedlichen Ackerbestellern und kriegerischen oder räuberisch umherziehenden Menschengruppen. Denn wenn die nomadischen Hirten nicht selbst ausreichend Bodenbau betrieben, um sich mit pflanzlicher Zusatzkost zu versorgen, so suchten sie ihren Bedarf durch Tauschhandel, erzwungene Tributleistungen unterworfener Bevölkerungsgruppen und gegebenenfalld durch Raubzüge zu decken. Außerdem tauschten sie Vieh und tierische Produkte gegen Handwerkserzeugnisse, Waffen und Luxusartikel, die sie selbst nicht herstellten.

Die Frage nach der Entstehung des Reiternomadentums konnte von der Forschung bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden, sodass man sich mit Hypothesen behelfen muss. Weder die Dreistufenlehre des Evolutionismus - Wildbeuter-Hirten-Bauern - noch die These, nach der die reiterische Nutzung des Pferdes auf die Zucht und Haltung des Rentieres zurückzuführen sei, stieß in der Forschung auf einheitliche Zustimmung. Sicher scheint nur, dass die Ausbreitung des Nomadismus in den Steppen Eurasiens eng mit der beginnenden Nutzung des Pferdes als Reittier verbunden war, während es sich beim Kamel- und Rentiernomadismus um spätere Erscheinungsformen handelt.

Ferner ist die Auffassung verbreitet, dass sich die Anfänge des Reiternomadismus aus einem frühen Steppenbauerntum auf Getreidegrundlage und mit Kleinviehhaltung herleiten. Erst die reiterische Nutzung von Pferden und Kamelen versetzte die Träger dieser Kulturen in die Lage, Steppen- und Wüstenzonen weiträumig zu durchstreifen.

Zu den ersten (bekannten) Reitern, die seit dem 8. Jh. v. Chr. in die Steppen vordrangen, zählen v.a. iranische Völker wie Saken und Skythen, die auf ihren Wanderungen bis in das Gebiet der heutigen Mongolei gelangten, wo sie auf autochthone protomongolische und alttürkische Ethnien stießen, die seit dem 5. Jh. v. Chr. ebenfalls zum Nomadentum übergingen.

Das harte Leben in der Steppe und die ständigen Auseinandersetzungen um Weideplätze und Herden stellten zusammen mit dem Verlangen nach Beute hohe Anforderungen an die Kampfbereitschaft der Reiternomaden. Begünstigt wurde die damit verbundene Expansion der Reiter durch eine überlegene Bewaffnung und Kriegführung, denen die sesshaften Völker und Ackerbauern meist nicht gewachsen waren. Entsprechend widersprüchlich gestaltete daher das Verhältnis der Reiter zu ihren sesshaften Nachbarn. Längere Friedensperioden wurden von Beutezügen unterbrochen, in denen die Reiternomaden nicht mehr durch Handel und Tribute in den Besitz der begehrten Kulturgüter und Agrarerzeugnisse gelangten, sondern zur kriegerischen Expansion übergingen.

Das Auftreten der Nomaden löste in allen Hochkulturen ein großes Echo aus und führte zur Entstehung eines relativ einheitlichen Bildes in chinesischen, vorderasiatischen, byzantinischen und abendländischen Quellen. Reiterinvasionen wurden oft von muslimischen, christlichen oder jüdischen Autoren als grausame aber gerechte Strafe Gottres für Sünden der heimgesuchten Völker empfunden.

Zu betonen wäre noch, dass die Reiternomaden die Ausbeutung sesshafter Völker keineswegs als Unrecht oder Makel empfanden, sondern ganz im Gegenteil einen reichen Beutezug als besonderen Gunsterweis der Götter betrachteten und die Bedeutung des Einzelnen um so höher schätzten, je mehr Beute er heimbrachte. Das Wertesystem und der Moralkodex waren somit von dem sesshafter Völker fundamental verschieden.

Hinsichtlich deiner ersten Frage nach Beispielen für Hirtenvölker, die Bauernkulturen unterjochten, gibt es einige Beispiele. Zu nennen wären da die Awaren, die Mongolen, eine Reihe von Turkstämmen oder die Ungarn, die nach etwa 200 Jahren ihr Hirten- und Nomadentum ablegten und zum Ackerbau übergingen. Ein anderes Beispiel wären die nomadischen Hebräer, die seit etwa 1200 v. Chr. in Palästina einfielen und die Stadtstaaten der Kanaanäer eroberten. Auch in diesem Fall gingen die Hebräer bald selbst zum Ackerbau über.
 
Um die Eingangsfrage nach der Staatenbildung von einer anderen Seite zu betrachten, möchte ich auf Amerika hinweisen.
Inka- Mayareich und weitere frühere staatsähnliche Kulturformen konnten sich völlig ohne Unterwerfung durch Hirtennomaden und Reiterkrieger bilden, da es diese mangels Hütevieh und Reittieren dort nicht gab.
 
Der Eintrag "Staatsbildung" bei Wiki und damit zusammenhängend die Unterwerfungstheorie scheint mir persönlich ein sehr schwacher Beitrag zu sein. Trotz der Literaturliste, die aber in der Argumentation kaum Verwendung findet. Diese Beiträge sind eher "Baustellen", die m.E. einer fundierten Überarbeitung bedürften.

Der theoretische Bezug zu Ethnologen/Soziologen, beispielsweise wie Levi-Strauss, Mauss oder zu Durkheim wurde zudem völlig unzureichend hergestellt, bzw. findet überhaupt nicht statt.

Und die verwendtete Literatur, die als finaler Beleg genannt wird, kann kaum als relevanter "Klassiker" zu einzelnen Thema gelten, wenn man sich die konkret verwendtete Literatur der FN ansieht.

Ebenso nicht die Arbeiten von Parsons zur Gesellschaftsbildung primitiver Gesellschaften oder auch nicht die Arbeiten von Homans zur "Gruppenforschung"...und, und ...

Deswegen ist der Einwand von rena mehr als gerechtfertig. Sofern die Unterwerfungstheorie überaupt haltbar ist, dann am ehesten vermutlich in dem Bereich der Beispiele, die von Dieter angeführt worden sind.

Aber eben nur für bestimmte Bereiche, aber kaum als universale Theorie. So mein Eindruck nach oberflächlicher Sichtung der Literatur der oben genannten Theoretiker.

Und noch eine Anmerkung: Der Unterwerfungstheorie ist eine ökonomische Kriegstheorie (vgl. Handbuch der Kriegstheorien) inhärent.

Dieses ist unter der Vorstellung einer organisierten Kriegsführung zu spezifizieren bzw. zu hinterfragen (vgl. S. 11 des Links)

http://books.google.de/books?id=Q8MHKQrFeEEC&printsec=frontcover&dq=wars+before+civilization&hl=de&sa=X&ei=hrxbT7r-JMrWsgbq2sWSDA&ved=0CDUQ6AEwAA#v=onepage&q=wars%20before%20civilization&f=false
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun, warum sind Wanderhirten kriegslüsterner?
Warum wandern sie? Weil es dauerhaft nicht genug Futter für Mensch und Vieh im Umkreis einer "festen Behausung" gibt. Also ziehen sie mit ihren Herden von Weide zu Weide. Dabei müssen sie ihre Herden gegen Nachbarn und "Raubwild" verteidigen, die Weiden für ihr Vieh erobern (Wild und andere Herden vertreiben).
Und für das vergleichsweise wenige an Besitz tun sie eben alles, auch Leute umbringen.
Die seßafte Bevölkerung besetzt jetzt Gegenden , in denen man ohne Wandern sein Auskommen hat......, warum sollte die versuchen, eine bessere Gegend zu erobern? Oder gar den unwirtlichen Lebensraum der Wanderhirten?
 
Aber müssten die Bauern durch ihre Arbeitsteilung nicht über effektivere Waffenproduktionen verfügen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Haufen Reiternomaden in Heimarbeit mehr Schwerter herstellen kann als eine Gruppe sesshafter Bauern, die organisierten Bergbau und Schmiedehandwerk betreiben.
 
Abgesehen davon, ob diese Unterwerfungstheorie so stimmt, was ja zu belegen wäre.

Man kann einmal durch die Hirtenwaffen (Pfeil und Bogen, Schleuder)mit entsprechender Übung waffentragenden Gegnern die Waffen abnehmen und zum anderen bei A einkaufen und B ausrauben , um die Beute wieder bei A gegen nützliches einzutauschen .

Die Wikinger überfielen die Franken teilweise mit fränkischen Klingen und auch die Plainsindianer erwehrten sich mit modernen Repetiergewehren amerikanischer Fertigung der USArmee, die noch mit veralteten Waffen ausgerüstet war.

Arbeitsteilige , größere Gemeinschaften sind dann ja eher selten "Beute " von Nomaden geworden. Da erfolgte die Eroberung dann ja mehr von "innen heraus". Man war diese Räubereien leid, ließ sie ins Land und die stiegen dann auf. Oder ein Nomadenherrscher okkupierte/usurpierte die Herrschaft und den beherrschten wars egal.
 
Nun, warum sind Wanderhirten kriegslüsterner?
Warum wandern sie? Weil es dauerhaft nicht genug Futter für Mensch und Vieh im Umkreis einer "festen Behausung" gibt. Also ziehen sie mit ihren Herden von Weide zu Weide. Dabei müssen sie ihre Herden gegen Nachbarn und "Raubwild" verteidigen, die Weiden für ihr Vieh erobern (Wild und andere Herden vertreiben).
Und für das vergleichsweise wenige an Besitz tun sie eben alles, auch Leute umbringen.
Die seßafte Bevölkerung besetzt jetzt Gegenden , in denen man ohne Wandern sein Auskommen hat......, warum sollte die versuchen, eine bessere Gegend zu erobern? Oder gar den unwirtlichen Lebensraum der Wanderhirten?

Ist die Kriegslüsternheit der Nomaden nicht eher ein Klischee, ein Mythos, weil man nicht klar die Unterschiede zu verschiedenen Zeiten trennt?

Ist die seßhafte Bevölkerung genauso kriegslüstern, wenn sie ihre Scholle verteidigt?

Abgesehen davon, ob diese Unterwerfungstheorie so stimmt, was ja zu belegen wäre.

Und aus diesen Klischees, Mythen und den kurzfristigen Erfolgen, der um so nachhaltiger gefürchteten Reiterkrieger hat man dann eine Unterwerfungstheorie gebastelt.


Aber müssten die Bauern durch ihre Arbeitsteilung nicht über effektivere Waffenproduktionen verfügen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Haufen Reiternomaden in Heimarbeit mehr Schwerter herstellen kann als eine Gruppe sesshafter Bauern, die organisierten Bergbau und Schmiedehandwerk betreiben.

Über unsere Vorstellungen zur Lebensweise von Hirtennomaden, Reiternomaden und Reiterkriegern sollten wir (vielleicht an anderer Stelle) weiter diskutieren, da gibt es erhebliche Unterschiede.
Können wir die Unterwerfungstheorie damit zu den Akten legen, es war deine Frage, ketzer97?
 
Um Sinn und Unsinn einer Theorie überprüfen zu können,mußman versuchen,sie zu verifizieren.Und da habe ich ,wie die meisten von Euch auch,so meine Probleme mit.
Untersuchen wir mal konkret die Fälle, in denen es zu Unterwerfungssituationen einer Bauernkultur unter ein Hirtenvolk kam.
Die Hyksos, so es sich denn bei ihnen damals tatsächlich noch um eine Hirtenkultur gehandelt hat,okkupierten Teile Unterägyptens zu einem Zeitpunkt innerer Wirren im Pharaonenreich. Möglicherweise waren sie vorher dort bereits als Söldner tätig und haben sich auf diesem Weg an die Macht geputscht .
In Mexuiko stießen die aztekischen Nomadenvölker in ein Machtvakuum vor, daß nach dem Untergang von Teotihuacan entstanden war.
Die Hunnen waren ebenfalls als römische Söldner tätig und auch hier gab es ein Machtvakuum durch das untergehende römische Imperium.Ungarn und Awaren gelang es nicht, sich gegenüber dem Reich durchzusetzen.
Bleiben die Mongolen alsSonderfall.Hier muß man m.E. zwei Phasen unterscheiden.
Nur in der ersten Phase bis zur Eroberung des Tangutenreichs und des Kinreiches haben wir eine echte Nomaden- und Hirtenkultur und auch hier haben wir innere Probleme in beiden eroberten Reichen. Die zweite Phase ist geprägt von einer Multikultigesellschaft mit unterschiedlicher Tradition.

Ich würde also sogar folgende Gegenthese zur Unterwerfungsthese entwerfen:

Beim Aufeinandertreffen von Hirten- und Bauernkulturen ist eine Hirtenkultur in der Regel auf Grund geringerem Organisationsgrad und geringerer technologischer Produktivkraft nicht in de Lage zu dominieren sondern wird assimiliert oder verdrängt..

Die Hirtenkultur wird nur dann dominieren ,wenn die Bauernkultur entweder zahlenmäßig krass unterlegen oder durch innere Krisen so geschwächt ist . daß ein internes Machtvakuum ausgenutzt werden kann. Und selbst in diesem Fall wird normalerweise die okkupierte Kultur übernommen .
 
... und auch die Plainsindianer erwehrten sich mit modernen Repetiergewehren amerikanischer Fertigung der USArmee, die noch mit veralteten Waffen ausgerüstet war.

Das ist in der hier dargestellten Form nicht richtig. (Ich glaube auch kaum, daß dir das vor drei Jahren ein Cheyenne erklärt hat.)
 
zwar OT,aber trotzdem eine kurze Anmerkung dazu aus dem Führer zur Schlacht am Little Big Horn ,den ich dorten vor Jahren mal erworben habe:
Die Archäologen haben das Schlachtfeld durchpflügt und dabei folgende "Indianerwaffen " gefunden:
ca. 150 Vorderlader, 60 Sharps- und Springfieldhinterlader,30 Henry- und Spencer-Repetiergewehre,12o Revolver verschiedenster Bauart.
Hochgerechnet geht man davon aus,daß ungefähr 700 Langwaffen und 300 Kurzwaffen auf indianischer Seite vorhanden waren.Angesichts der Anzahl der Krieger war die Ausrüstung mit modernen Gewehren also eher gering, aber für die 7 Kavalerie hat´s gereicht.
Die Fama von mit Reptiergewehren bewaffneten Indianerstämmen ist also eher eine Erklärungslegende als Realität.
 
Um vielleicht nochmal kurz darauf zurückzukommen, wo die Unterwerfungstheorie als geschichtstheoretisches Konstrukt herkommt - ich würde mal schwer vermuten, dass die auf Henri de Boulainvilliers zurückgeht. Und hier sehen wir dann auch, wo der Hintergedanke bei der ganzen Sache ist, nämlich geht es hier darum, retrospektiv einen alternativen nationalen Gründungsmythos für den Adel zu entwerfen, als der bereits ziemlich abgeschlagen der Bourgeoisie hinterherhechelt und sich fragt, wie es zu dieser demütigenden Lage jetzt schon wieder kommen konnte. Ist nicht mein Argument, Foucault liest Boulainvilliers so. Die Lektüre beider Herren kann ich jedem empfehlen, der sich ernsthaft für die Unterwerfungstheorie interessiert.

Wenn ich vielleicht auch ausnahmsweise einen zeitgenössischen Einwurf machen darf: in der Straße von Malakka gibt es solche ähnlichen - und gut erforschten - Verhältnisse heute, und übrigens ohne dass gleich ein Staat o.ä. dabei rauskommt. Wenn schon, eher eine Mafia. Da gibt es eine Fischerei-Industrie, die regelmäßig überfallen wird. Es gibt mittlerweile einen bestimmten Standard an Lösegeld (gerade genug, dass es sich für die Fischer trotz allem lohnt, rauszufahren) und Routineabwicklung der Übergabe usw. Piraten gehören da eigentlich schon zur Industrie. Wen's interessiert, das habe ich aus einem Artikel von Graham Gerard Ong-Webb in Peter Lehr's Anthologie "Violence at Sea".
 
Beim Aufeinandertreffen von Hirten- und Bauernkulturen ist eine Hirtenkultur in der Regel auf Grund geringerem Organisationsgrad und geringerer technologischer Produktivkraft nicht in de Lage zu dominieren sondern wird assimiliert oder verdrängt..

Dass kriegerische Hirten-, Nomaden- oder Reitervölker Land erobern, eine bäuerliche Bevölkerung unterwerfen und eine dünne Herrenschicht bilden, hat es zweifellos öfters gegeben.

So eroberte die nomadische Goldene Horde 1237/40 weite Teile Osteuropas und hatte die Oberherrschaft über die meisten altrussischen Fürstentümer. Ihre Tributleistungen trugen die Goldene Horde wirtschaftlich, daneben trieben die Khane einen schwungvollen Sklavenhandel. Erst Ende des 15. Jh. endete die Oberherrschaft der Goldenen Horde über Russland.

Die Chinesen mussten sich seit undenklichen Zeiten der Angriffe nomadischer Reitervölker aus dem Norden erwehren und bauten gegen diese Gefahr bekanntlich die Große Mauer, die zunächst vor allem gegen die Xiongnu schützen sollte - was sie nicht immer tat. Zu Beginn des 13. Jh. rückten die nomadischen Mongolen gegen China vor, eroberten 1215 Peking und anschließend weite Teile Nordchinas. Bis 1280 hatten mongolische Reiterheere ganz China besetzt.

In Europa eroberten die Hunnen ein kurlebiges Reich, das vom Rhein bis ans Schwarze Meer reichte, später unterwarfen die Ungarn die altansässige Bauernbevölkerung. Die turkstämmigen Bulgaren gründeten Mitte des 7. Jh. ihren Donaustaat und unterwarfen die bäuerliche slawische Bevölkerung. Allerdings verschmolz die turkstämmige Elite schon nach etwa 150 Jahren mit der ansässigen Bevölkerung. Ähnliche Vorgänge gab es auch in Vorderasien, wo die Amoriter - Viehnomaden - weite Teile Mesopotamiens eroberten. In zeitgenössischen Quellen wird das geschildert, wo man die Amoriter als "ein Volk, das kein Korn kennt" beschreibt. Auch hier kam es nach geraumer Zeit zu einer festen Ansiedlung der Amoriter, deren bedeutendster Repräsentant Hammurabi ist

Dies sind nur einige wenige Beispiele von vielen. Offensichtlich ist allerdings, dass die nomadische Herrschaft meist nicht sehr stabil war und die Eroberer entweder bald verschwanden oder nach einer gewissen Zeit mit der altansässigen Bevölkerung verschmolzen und ebenfalls zum Ackerbau übergingen.

Sicher wird man aber dieses Szenario nicht verallgemeinern können, denn bestimmt gibt es zahlreiche Völker, die keine Oberherrschaft von nomadischen Hirtenvölkern erlebt haben. Die so genannte "Unterwerfungstheorie" gibt also nur einen möglichen Aspekt wieder.
 
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