Selbststilisierung
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Speer arbeitete seit seiner Inhaftierung in Nürnberg und in Spandau daran, durch ebenso umfangreiche wie heimliche schriftliche Aufzeichnungen (die mit Hilfe korrupter Wachsoldaten nach draußen, zu seinem Freund
Rudolf Wolters nach
Coesfeld geschmuggelt wurden) sein durch den Nürnberger Prozess einigermaßen positives Image als
unpolitischer Technokrat und
fehlgeleiteter Idealist zu stabilisieren, und dabei alle negativen Punkte seiner Biographie (Förderung des KZ-Ausbaus, Vertreibung der Juden aus Berlin etc.) zu verschleiern. Besonders in seinen beiden überaus erfolgreichen Buchpublikationen, den
Erinnerungen von 1969 und den
Spandauer Tagebüchern von 1975 verfälscht er entscheidende Phasen seiner Tätigkeit im „Dritten Reich“ teilweise ins Gegenteil und stellt sich selbst als von den Verbrechen des Regimes kaum wissenden Fachmann hin, der „nur seine Pflicht getan“ habe.
In Speers
Erinnerungen bilden die Jahre 1933 bis 1945 den Schwerpunkt, er stellt hier ausführlich sein angebliches Verhältnis zu Hitler dar. Speer setzt sich zwar mit seiner Rolle in der NS-Zeit kritisch auseinander und bestreitet auch nicht seine grundsätzliche Mitverantwortung, verschweigt aber nach
Heinrich Schwendemann Wesentliches. An der veröffentlichten Textfassung der in den Spandauer Jahren vorbereiteten Autobiografie hatte im Auftrag von
Wolf Jobst Siedler, dem damaligen Geschäftsführer des
Ullstein Verlags,
Joachim C. Fest als
Ghostwriter mitgewirkt.
[10] Dieses Buch zementierte über lange Zeit die „Speer-Legende“ vom „Gentleman-Nazi“.
Gleichem Zweck dienten auch die
Spandauer Tagebücher, die seine Zeit im engsten NS-Führungszirkel noch einmal als Erinnerungseinsprengsel darstellen, innerhalb der Schilderung der Jahre seiner Gefangenschaft, die über weite Strecken eine billige Diffamierung der angeblichen Ticks und Idiotismen seiner Mitgefangenen (
Baldur von Schirach,
Rudolf Hess,
Karl Dönitz, Raeder, Neurath,
Walter Funk) darstellt, um ihn selber in besserem Licht dastehen zu lassen. Auch die Legende, er habe die „Neue Reichskanzlei“ in weniger als zwölf Monaten errichten lassen, wird in beiden Büchern wiederholt (und damit eine von der NS-Propaganda ersonnene Legende zur Untermauerung der angeblichen Effizienz des NS-Systems).
[11]
Von beiden Büchern wurden mehrere hunderttausend Exemplare verkauft, für die
Erinnerungen hatte Speer vom Ullstein-Verlag schon vorab einen Vorschuss von 100.000 DM erhalten.
In einem Fernseh-Interview nach seiner Freilassung 1966 behauptete Speer, nichts von der massenhaften Ermordung der Juden und anderer Minderheiten während der deutschen Besatzung gewusst zu haben. Speer war jedoch am 6. Oktober 1943 in Posen bei den Reichs- und Gauleitern und hielt dort eine Rede. Dann sprach Himmler von 17:30 bis 19:00 Uhr in der zweiten seiner „
Posener Reden“ offen über den Holocaust. Speers Einlassung, er sei zuvor abgereist und habe auch von befreundeten Teilnehmern nie etwas davon erfahren, wird von
Gitta Sereny als „schlicht unmöglich“ bezeichnet.
[12] Neu aufgefundene Dokumente legen nahe, dass Speer den Ausbau des Zwangsarbeits- und Vernichtungslagers
Auschwitz nicht nur kannte, sondern auch aktiv vorantrieb.
[13] Die Selektion der Häftlinge in Arbeitsfähige für die Rüstungsindustrie und in für die Vernichtung bestimmte Alte, Kranke und Kinder entsprach seinen Interessen. Als Rüstungsminister brauchte er Zwangsarbeiter und als
Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt hatte er für die Neugestaltung Berlins die Massendeportation der Berliner Juden betrieben. Die Recherchen und ihre Bewertung durch die Historiker sind auch auf diesen Gebieten noch nicht abgeschlossen.