ein Nachtrag
Linker schrieb:
Nur am Rande sei hier erwähnt, dass Dollfuß davon Sprach, dass man die Nazis nur abwehren könne, wenn man selbst die besseren Faschisten wäre.
Eine grundsätzliche Zeiterscheinung in ganz Europa(!) - und durch die möglichmachende Umkehr der Protagonisten infolge der Kriegsparteienstellung (vermeintlich) vergessen gemacht.
Dazu dieser Querverweis: Eben las ich im >Spiegel, dass Sir Winston Churchill Anfang-Mitte der 30er-Jahre (als er im politischen Abseits schmollend und ätzend Chamberlains Appeasement-Politik kommentierte) den faschistsichen Entwicklungen und Protagonisten in Italien, Spanien, Deutschland u. Ö. durchaus positiv gegenüberstand. Churchill, der romantische Erzreaktionär, sei durchaus kein Antifaschist gewesen. Und Siegfried Haffner (ab 1938 im Londoner Exil) schreibt: "sondern eher das Gegenteil." Vom damaligen Churchill (der 30er-Jahre) habe man sich eher vorstellen können, dass er "der größte internationale Führer des europäischen Faschismus" werden könne.
Ich möchte mich hier nicht -als tendenziös oder revanchistisch- missverstanden wissen, die Polarisierung zwischen Konservativen und Sozialisten förderte ja wiederum härtere Extreme -> viele wandelten sich zu Reaktionären und Kommunisten. Und es mag recht platt klingen, aber ist gerade unsere österr. Geschichte diesbez. nicht recht platt, d.h. meisterlich unfähig gewesen: "Wenn sich zwei streiten,..." dann freuen sich die Nazibuam.
Aber um meinen Nachtrag zu Engelbert Dollfuß nun zu bringen, ein bisschen "Kaffeehausliteratur":
Vorletztes Wochenende führte ich m/eine Münchnerin in den matschigen ersten Bezirk,- auf Lieblingswegen, die vielleicht auch nur Lieblinge wurden, weil sie aus ansichtenverliebter Gewohnheit entstanden. Der, der mich schließlich vor Engelbert Dollfuß als Basrelief zu stehen kommen ließ, war: Burgring, tête a tête vorm weißschokokitschigen Mozart in den Burggarten, den einen gewundenen Weg entlang, wo Kaiser F-J gütig steht, den Blick zu Boden, wo der erste Krokus erscheinen könnt und -trefflich- gar nichts denkt, an der Albertina vorbei in die Gasse, wo Joseph II. sich baulich und reiterlich verewigte, wo auch der Hauptset für Orson Welles >Dritten Mann war, Hofreitschule und -schließlich- die Michaelerkirche. Seit jahren liegen mir die Wiener Freunde in den Ohren, dass deren Gruft (für den Hochadel, Erzadel) jene der Kapuziner (für die Erzherzöge und -innen) in den Schatten stellt, wegen seiner feinen Durchlüftung, weswegen man sich über fürstliche Mumien erschrecken darf... Nur, die Gruft war zu. Die Kirche schmucklos und... mit einem Ruch... Marianisten... Madonnen... von katholischer "Erzigkeit"... und die schob mich in diese Seitenkapelle der Michaelerkirche:
Zuallererst nahm ich wahr, dass alle Kerzen in den drei Reihen des Kerzenständers aufgefüllt waren und brannten, genug Licht, um rechts ein Schild "zum Gedenken an die verfolgten und inhaftierten christlichen Politiker in Dachau" lesen zu können, und wie, um meinen diesbezüglichen Gedanken zuvorzukommen, entdeckte ich gegenüber der unvermeidlichen Nazarener-Madonna (Lourdesmäßig lieblich) das vielleicht wirklich einzige(!) namhafte christlichsoziale NS-Opfer als Relief: "Engelbert Dollfuß, Kanzler der Republik (!?) Österreich" + entsprechenden "zu Tode durch ... gekommen" - Text.
(vielleicht hab ich das überlesen oben, nur als Anmerkung: 1934 war die NSDAP verboten, deren Mitglieder "Illegale", in den zeitungen wurde der begriff "illegale Mordbuben" strapaziert)
So. Da stand ich nun. Mit einer Münchnerin, die wohl gerade "Dachau" bedachte und verdrängte und mit mir, der in sich Dollfuß-Erklärungsbedarf verspürte, zumal meine Begleiterin für Millionen europäischer Wien-Besucher steht, die schlichtweg keine Ahnung von diesem Mann haben. Der ein Männlein war, niedlich klein ... 146 cm (?)... Napoleon war klein, Hitler war klein/er als all seine Adlanten, naja, Goebbels war noch kleiner, aber trotz Behinderung wendiger als der kleine UND dicke Röhm....
"Niedliche" Bestien. Alle aus unterprivilegierten Verhältnissen, aus "gestörten" Familienbeziehungen" (Haffner) -und keiner kann mir jetzt erzählen, dass DIESE Männlein keinen Minderwertigkeitskomplex in sich trugen, da eben alles fehlte, ALLES: Liebe, Freundschaft, psycholog. Ansprache, pädagogische Nachsicht und herzliche Zuwendung, Loyalität, die sie rechtzeitig gesunden hätte lassen... Ihr Werdegang: ehrgeizig, emporgekommen, unverschämt, verschlagen, kompromisslos in der Bekämpfung ihrer Gegner.
Ehrlich: ich gönnte dem armen*, kleinen Dollfuß sein Andenken als Mensch in einer kerzenerleuchteten Kapelle. Doch die ganze Kapelle ist zuletzt eine eigentlich schnöde Verklärung und romantische Leugnung christlich-sozialer Schuld am Hochkommen des erschreckendsten aller Faschismen, die Europa je erleben musste, an dem die Österreicher enthusiastisch bis paralysiert teilnahmen.
Heute täglich von hunderten Touristen gesehen, am Michaelerplatz, Wiens innerstädtischer Eingang zu Habsburgs Glanz und Gloria, der Hofburg, worin die wunderbare Nationalbibliothek, der Bundespräsident und div. Firlefanz unser Land repräsentieren.
Ich glaube, ich sagte dann nur einen Satz nach München: "Von denen** ist keiner umgekommen in Dachau..., interessant, nicht?"
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* für Klaus
** bekannte christlich-soziale Politiker und Parteimitglieder der ersten Republik Österreich.