Ich beschränke mich auf die Zeitgeschichte und greife das Thema Kaliningrad auf:
Das Kaliningradgebiet (ehemals der nördliche Teils der preußischen Provinz Ostpreußen) wurde nach dem Zerfall der UdSSR eine Exklave Russlands zwischen Litauen und Polen.
Die Idee, die Schulden der ehemaligen Sowjetunion bei der Bundesrepublik Deutschland durch eine Rückgabe des Kaliningradgebietes zu begleichen, tauchte Anfang der 90er Jahre in der Presse auf. Meines Erachtens war dies lediglich eine Spekulation der Presse, ohne realen Hintergrund.
Die Idee dürfte durch die Geschichte Alaskas (Verkauf des Gebietes 1867 durch Russland an die USA) angeregt worden sein.
Betrachtet man den zeitlichen Kontext war in diese Phase für Deutschland die Wiedervereinigung das wichtigste Thema. Geprägt war die Zeit von einer starken Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland sowie einem immensen Finanzbedarf für die Infrastruktur in den Neuen Ländern. Gleichzeitig musste man, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, die Beziehungen mit den Nachbarstaaten in Osten (Polen und CSFR) neu definieren. In Deutschland befanden sich noch bedeutende Streitkräfte der ehemaligen Siegermächte des II. Weltkrieges.
Es gab zwei Möglichkeiten, diese spekulative Rückgabe des Kaliningradgebietes durchzuführen:
1. Deutschland hätte die Zivilbevölkerung des Gebietes übernommen, die bedeutende russische Garnison wäre dagegen in andere russische Gebiete verlegt worden
2. Russland hätte alle Menschen aus dem Gebiet ausgesiedelt und das Land der Bundesrepublik Deutschland besenrein überlassen
zu 1: in der deutschen Bevölkerung wäre wohl eher eine Begeisterung für eine Übernahme Mallorcas oder von Rimini zu finden gewesen als ein russisches Gebiet mit russischer Bevölkerung dem Land anzugliedern. Ich würde diese Variante als vollkommenen Unfug verwerfen
zu 2: Das Oblast Kaliningrad hat aktuell eine Einwohnerzahl von über 900.000 Menschen. Wo hätte also die neue Bevölkerung des Gebietes herkommen sollen. Spekuliert wurde, dass man die Auswanderung der Russlanddeutschen aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland in das Kaliningrader Gebiet hätte umleiten könne. Auch für diese Möglichkeit würde ich die Realisierungsmöglichkeit verneinen. Die Russlanddeutschen suchten bevorzugt Anschluss an bereits in die alte Bundesrepublik ausgewanderten Verwandten. Mit welchem Anreiz man deren Ansiedlung im Gebiet Kaliningrad hätte ermöglichen wollen, ist mir unklar. Die Russlanddeutschen hatten und (unter Beschränkungen bezüglich ihrer Deutschkenntnisse) haben einen Rechtsanspruch auf Ansiedlung in der Bundesrepublik. Deshalb wäre eine zwangsweise Umleitung politisch nicht möglich und sicherlich auch nicht gewollt gewesen. Die von bestimmten politischen Kreisen in dieser Zeit geförderte Zuwanderung von Russlanddeutschen hat lediglich die Ansiedlung von etwa 8.000 Menschen erreicht (also nicht mal 1% der heutigen Gesamtbevölkerung des Kaliningradgebietes).
Man muss darüber nachdenken, wie die Eigentumsverhältnisse in dem Gebiet nach einer Rückgabe geregelt hätten werden sollen? In den Neuen Ländern wurde ab 1990 die Regelung "Rückgabe vor Entschädigung" eingeführt. Damit wurde auch den nach Westdeutschland geflohenen Menschen ihr Immobilien- und Firmeneigentum in den fünf neuen Bundesländern und Ost-Berlin zurück gegeben. Ausgeklammert davon waren die Enteignung während der Landreform vor 1949. Die früheren Großgrundbesitzer ("Junker") erhielten ihre bedeutsamen Landgüter nicht zurück. Die im Westen lebenden Ex-Bewohner der DDR gingen - nach meiner Kenntnis - in der Mehrzahl nicht in den Osten zurück. Gleich nach Rückgabe der Immobilien wurden diese an westdeutsche Investoren oder lokale Interessenten veräußert.
Hätte man nun eine identische Regelung für das Kaliningradgebiet wählen sollen? Wie hoch wäre die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass sich jetzt Massen von Ostpreußen oder deren Nachfahren nun nach Kaliningrad und umzu aufgemacht hätten? Welcher Anreiz hätte für die Kinder einer aus Ostpreußen stammenden damaligen Gutsarbeiterfamilie bestanden, ihre neue Heimat in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen aufzugeben? Hätten die Dönhoffs oder die ganzen anderen ostpreußischen Adelsfamilien ihre früheren Landgüter zurück erhalten sollen? Damit wären diese besser gestellt worden als die Adeligen Ostdeutschlands.
Zudem ist auch die Frage interessant, ob Russland wirklich an dem oben beschriebenen Tauschgeschäft interessiert war. Das Kaliningradgebiet hat für die Russen eine wichtige emotionale Bedeutung. Nach dem Zerfall der UdSSR war es der einzige Ausweis, dass Russland eine Siegermacht des II. Weltkrieges war.
Welch inner-russischer Konflikt solch ein Tauschgeschäft ausgelöst hätte, sieht man an dem Streit um die Beutekunst, die sich auch heute noch in Russland befindet. Die Duma verweigerte sich der Rückgabe der noch in Russland befindlichen Beutekunst aus deutschem Besitz. Da wird um Bücher in deutscher Sprache aus Bremen, Gotha und Wernigerode gestritten. Ist es dann vorstellbar, dass die Duma solch einem Tauschgeschäft zugestimmt hätte?
Der damalige Bundeskanzler Kohl ist Historiker. Kohl und auch dem damaligen Außenminister Genscher muss klar gewesen sein, welche Auswirkungen einer Rückgabe des Kaliningrad-Gebietes auf die polnische Bevölkerung gehabt hätte.
Das deutsche Ostpreußen mit seiner Kultur und seinen Dialekten ist 1945 und in einer kurzen Zeit danach für immer unter gegangen. Die Sehnsucht der letzten Überlebenden der Vertreibung sowie weniger Nachfahren nach einem Ostpreußen der Vorkriegszeit ist illusionär. Daran ändern weder Umfragen noch die Phantasien einiger Journalisten etwas.