Das sehe ich nicht so. Es wurde "lediglich" ein defacto in ein dejure Zustand umgewandelt.Darüber hinaus ist Wien nicht militärisch aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgegangen und Konstantinopel wurde finanziell entschädigt. Das ist m.E. nach doch ein deutlicher Unterschied.
Ich weiß, dass du das nicht so siehst, gleichwohl kann ich deine Argumentation in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehen.
Wien hatte 1809 ganz eindeutig die günstige Situation genutzt um den Status Quo auf dem Balkan zu seinen Gunsten zu verändern, auf Kosten der Rechte des Osmanischen Reiches.
Es war ja nicht etwa ein Wunsch Konstantinopels gegeben diese Provinzen abzutreten oder zu verkaufen, sondern Wien forderte das, während eine Ablehnung dieser Forderung mit ziemlicher Sicherheit Krieg bedeutet hätte.
Angesichts des Umstands, dass durch die Österreichische Okkupation der beiden Provinzen bereits K.u.K.-Truppen auf dem Boden des Osmanischen Reiches standen, grenzt es aus meiner Sicht an Hohn darauf zu verweisen, dass Wien letztendlich nicht noch obendrein einen Krieg vom Zaun brach und um den faktischen Raub zu kaschieren dann ein Angebot vorlegte diese Provinzen de jure (zum Spottpreis) zu Kaufen, bzw. die Hohe Pforte dafür symbolisch zu entschädigen.
De facto hatte Wien damit auf Kosten des Osmanischen Reiches Grenzen verschoben und die Auseinandersetzung mit Serbien massiv befeuert.
Hatte es 1908/09 einen großen Flächenbrand in Form eines Krieges auf dem Balkan gegeben? Es waren die Serben, die unbegreiflicherweise meinten Ansprüche stellen zu können. Wir müssen aber jetzt nicht noch einmal die ganze Bosnische Krise , Ursache, Absprachen etc.etc. noch einmal durcharbeiten oder?
Ich für meinen Teil halte angesichts der Bevölkerungsstrukturen dieses Gebietes die von serbischer Seite formulierten Ansprüche für alles andere als unbegreiflich.
Der Balkanbund war ein offenes Geheimnis. Gegen wen sollten dann sonst die Feindseligkeit eröffnet werden? Die Gelegenheit für den Balkanbund Beute zu machen, die war doch u verlockend. Konstantinopel hatte alle Hände zu tun, um den italienischen Aggressor abzuwehren. Du glaubst doch nicht, das Aehrenthal an einem Angriff der Balkanstaaten auf die Monarchie dachte? Und untereinander hatten man Bündnisse vereinbart. Nach Lage der Dinge kam nur eine Angriffsrichtung, nämlich das Osmanische Reich, für eine Aggression des Balkanbundes in Frage.
Ich habe nur festgestellt, dass aus der von dir zitierten Passage nicht eindeutig hervorgeht, dass Aerenthal überhaupt konkret an eine Involvierung der Balkanstaaten dachte.
Er bekundet Bedenken wegen Uruhen (die wären aber nicht gleichbedeutend mit auswärtigen Interventionen), und Bedeken wegen potentieller Ausweitungen der Kriegshandlungen am Balkan im Allgemeinen.
Was er in der Passage nicht ausführt, ist von welcher Seite her diese Kriegshandlungen auf dem Balkan erwartete und ob er dabei an die Balkanstaaten dachte oder an einen potentiellen Invasionsversuch der Italiener im Westbalkan (mit der Gefahr, dass die Italiener, wenn sie sich in Albanien einmal festsetzen würden wahrscheinlich nur schwer zu bewegen wären, diese Position wieder aufzugeben.
Da aus Aerenthals Einlassung nicht eindeutig hervorgeht, ob er unter der Ausweitung des Krieges die Gefahr der Involvierung der Balkanstaaten meinte oder ein Imperiales Ausgreifen Italiens in Südosteuropa, bin ich nicht bereit das Nachweis für Befürchtungen wegen des Balkanbundes ohne weiteres zu akzeptieren.
Es ging um die Stabilität des Osmanischen Reiches und es Balkans, dazu sollte der Frieden erhalten werden, und die reale Gefahr, das der Balkanbund aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgeht. Sowohl Wien als auch Berlin hatten ein Interesse am Erhalt des Osmanischen Reiches. und Italien überschätzte sich gerne schon mal. Anspruch und Wirklichkeit klafften dort ziemlich auseinander. das war 1869, 1866 und auch 1898 so. Und 1911/12 war alles andere als eine Ruhmestat.
Nun, wie gesagt, dass sich ausgerechnet Wien, dass mit der weiteren Aufteilung des Osmanischen Balkans (nach 30 Jahren relativer Ruhe auf diesem Gebiet) den Anfang machte, um die Stabilität des Osmanischen Reiches sorgte, dass wird man anzweifeln dürfen.
Wien hatte kein Problem damit, wenn die Verhältnisse im Osmanischen Reich nicht zum Besten standen, Wien hatte nur etwas dagegen, wenn die aus wiener Sicht falschen Parteien davon profitierten.
Dazu gehörten Russland und die Balkanstaaten, dazu gehörte aus wiener Sicht, was Albanien betrifft aber auch Italien.
Auf eine Eingrenzung des Krieges auf Gebiete außerhalb des Balkans hinzuarbeiten, war unter diesen Uständen natürlich ein probates Mittel Rom die Realisierung potentieller Expansionsziele in Albanien zu verbauen ohne Rom damit offen vor's Schienbein treten zu müssen und angesichts der Londoner Prioritäten möglicherweise aussichtsreich um die Briten dafür einzuspannen.
Du interpretierst die Ausführung des serbischen Außenminister anders als meine Wenigkeit. Milanowitsch war der Auffassung, das Österreich-Ungarn sich "diese günstige Gelegenheit" nicht entgehen lassen würde. Serbien und Co. würden dies auch nicht tun und sich ebenfalls um das türkische Erbe "balgen". So verstehe ich Milanowitsch.
Ich sehe eigentlich nicht, was es da zu interpretieren gibt.
Milanowitsch führte ein Szenario aus, in dem er fest davon ausging, dass Wien versuchen würde aus einer Krise des Osmanischen Reichs Kapital in Albanien zu schlagen.
Er sprach weder davon unabhängig vom Wiener Verhalten losschlagen zu wollen, noch explizit davon, dass es notwendig wäre zuzuschlagen um Wien zuvor zu kommen.
Wie sich Serbien verhalten würde, wenn Wien überhaupt nichts unternehmen würde und in der Sache seine Neutralität erklärte und auf Truppenaufmärsche und Mobilisierung verzichtete, dazu sagt er in diesem Zitat nichts.
Das ist durchaus keine Ankündigung einseitiger Agression seitens der Balkanstaaten unabhängig vom Verhalten Wiens.
Du kommst ja schon wieder mit der Bosnischen Krise. Die gehört doch hier überhaupt nicht hin. Österreich-Ungarn. Lies die diplomatischen Akten, dann wirst du erkennen, das seitens Österreich-Ungarn überhaupt keine entsprechenden Absichten bestanden. Das vordringliche Interesse war ganz klar: Der Frieden auf dem Balkan sollte erhalten bleiben.
Du musst mir nicht erzählen, was in den Wiener Akten steht, dass weiß ich.
Aber du stellst dich auf einen Standpunkt, der nur dann plausibel ist, wenn du davon ausgehen möchtest, dass die serbische Regierung die Wiener Interna kannte und dafür gibt es keine Veranlassung.
Belgrad hatte beobachtet wie sich Österreich Bosnien und die Herzegowina genommen hatte.
Daraus konnte man ohne die internen Wiener und Budapester Denkeweise zu kennen schließen, dass Wien gegenüber dem Osmanischen Reich auf einen agressiven Expansionskurs umgeschwenkt sei und diesen bei nächster Gelegenheit in Albanien weiter verfolgen würden, zumal Kontrolle auch über diesen Teil der Adria den Handel der Balkanstaaten noch weiter von Österreich-Ungarn abhängig gemacht hätte (ein potentielles wirtschaftlichs Motiv wäre also auch gegeben gewesen).
Hier durchaus an weitere agressive Absichten Wiens gegenüber dem Osmanischen Reich zu glauben, war ohne die Internen Abreden in den K.u.K-Ministerien zu kennen aus Sicht Milanowitschs durchaus nicht abwegig, Verlautbaungen anderen Inhalts aus Wien für eventuelle Verschleierungstaktik zu halten, auch nicht.
Und insofern ist es durchaus glaubwürdig, dass Milanowitsch fest mit einer Österreichischen Agression rechnete und eben die Serbische Reaktion auf eine solche (aber auch nur auf eine solche Kommentierte).
Wir wissen, dass Wien sich nicht mit Annexionsabsichten betreffend Albanien trug. Aber woher sollte Milanowitsch das wissen?
Wiens Bosnienpolitik hatte nun auch nicht unbedingt dazu beigetragen, der Monarchie in Belgrad den Ruf besonderer Glaubwürdigkeit oder Vertrauenswürdigkeit einzutragen.
Milanowitsch hatte mit Sofia das Offeensivbündnis gegen das Osmanische Reich abgeschlossen.
Das bestand zu Zeitpunkt der Unterredung zwischen Milanowitsch und Paget doch überhaupt noch nicht, sofern deine Angaben korrekt sind.
Du schreibst diese Unterdung mit Paget habe einen Tag vor Beginn des italienischen Angriff stattgefunden.
Das wäre am 28. September 1911 gewesen.
Der Bündnisschluss zwischen Serbien und Bulgarien fand aber erst im März 1912 statt und das zunächst auch erstmal nur als Defensivbündnis. Die weiterentwicklung zu einem gegen das Osmanische Reich gerichteten Offensivbündniss fand erst danach statt, also fast ein halbes Jahr nach der Unterredung, sofern du das richtig ausgewiesen hast.
Zu diesem Zeitpunkt konnte Milanowitsch definitiv nichts sicheres über das Bulgarische Verhalten gegenüber Paget äußern, weil da noch kein diesbezügliche vertragliche Einigung bestand.
Ich weiß nicht ob zu diesem Zeitpunkt schon verhandelt wurde und sich Tendenzen ableiten ließen, aber Milanowitsch hatte am 28. September 1911 definitiv nichts in der Hand, was auf eine Verpflichtung Sofias hinausgelaufen wäre irgendetwas zu tun.