Ein bisschen Vorgeschichte(n) italienisch-türkischer bzw. Lybischer Krieg 1911-1912

Am 26.09.1911, der Tag des Ultimatums, war der italienische Botschafter, der Herzog von Avarna, bei Aehrenthal um diesen mitzuteilen, das Italien sich entschlossen habe, die tripolitanische Frage einer Lösung zuzuführen.

Unter anderem ist dem Tagesbericht vom 26.09.1911 dann das Folgende zu lesen: " Marquis di San Giuliano habe die meinerseits vorgebrachten Bedenken einer möglichen Rückwirkung auf dem Balkan reichlich erwogen, doch glaube der Minister, daß so eine Gefahr nicht bestehe, zumal es Italien es sich anlegen sein lassen werde, die Aktion auf das Mittelmeer zu beschränken." (1)

Hervorhebung durch mich.

(1) Bittner, Uebersberger, Die Außenpolitik Österreich-Ungarns 1908-1914, Band 3, S.354
 
Lassen wir an dieser Stelle Marokko mal Marokko sein, um beim Thema zu bleiben.

Dem italienischen Außenminister San Giuliano war absolut klar, dass das aggressive Vorgehen Italiens nicht im Sinne der Monarchie und auch nicht Deutschlands sein konnte. Warum? Wien legte größten Wert auf Ruhe und Stabilität auf dem Balkan. Berlin war ebenso Freund des Osmanischen Reiches wie Wien und hatte dort wirtschaftlich, politische und auch militärische Interessen.
Naja, von Roms Seite würde man in der Lage gewesen sein dagegen ins Feld zu führen, dass es Österreich war, dass zuletzt selbst die Veränderung des Status Quo auf dem Balkan durch die Annexion Bosniens betrieben und damit für einige Unruhe gesorgt hatte.

Sicherlich war Berlin nicht unbedingt daran gelegen, dass das Osmanische Reich in Mitleidenschaft gezogen würde, andererseits so lange nur Libyen anvisiert war, ging das nicht gegen deutsche Kerninteressen.

Auch in Rom wußte man sehr wohl, welche Folgen, eben das Aufrollen der Orientfrage auf dem Balkan, der Kolonialkrieg gegen Tripolis haben könnte. Doch man war Rom willens das Risiko einzugehen.
Aber die hatte doch bereits Wien mit der Bosnischen Annexion aufgerollt.
Man hatte dadurch zu verstehen gegeben, dass die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches aus Wiener Sicht nicht sakrosankt war, wenn es denn zum eigenen Vorteil ging.

Um zu verhindern, das Berlin und Wien sich um eine Vermittlung, also um eine friedliche Lösung bemühen, wurden die Bündnispartner erst im allerletzten Moment informiert. Erst bei Übergabe des Ultimatums an Konstantinopel wurden die Partner ins Bild gesetzt. Diese Informationspolitik im allerletzten Augenblick widersprach sowohl gegen Buchstabe als auch Geist des Dreibundvertrages.
Möglicherweise ist es auch einfach als Retour dahingehend zu verstehen, dass im Besonderen Berlin unter Bülow sein Säbelgerassel auch nicht immer unbedingt mit den Partnern abgesprochen hatte und Wien nicht daran dachte Rom wegen der Bosnischen Annexion Kompensation zuzugestehen, obwohl (dieses Thema hatten wir ja durchaus schon) Rom qua Dreibundvertrag hier möglicherweise kompensationsberechtigt gewesen wäre.

Am 29.09.1911 begann die italienisch Invasion. 35.000 Soldaten wurden in Tripolis und in der Cyrenaica gelandet. Die Türken hatten in Tripolis mal gerade 5.000 und in der Cyrenaica 2.200 Soldaten. Schon aus diesen nackten Zahlen zeigten sich die Pforte nachgiebig, und war nur nach einem Tag bereit das Land praktisch auszuliefern. Es sollte nur die nominelle Oberhoheit des Sultans erhalten bleiben. Aber der Widerstand der Türken und Einheimischen war sehr erfolgreich. An einem raschen Sieg der Italiener war nicht mehr zu denken. Die italienischen Eroberungen reduzierten sich im Westentlichen auf die Küste. Auch wirtschaftlich kam der Krieg teuer zu stehen, da der Levantehandel schmerzhafte Einbußen erlitt.

Als die Mächte sich bemühten zu vermitteln, Land faktisch für Italien aber nominelle Herrschaft des Sultans, wurde dies von Giolitti abgelehnt. Schon am 05.November 1911 meinte Italien die Annexion Tripolis und der Cyrenaica zu verkünden müssen. Nur musste das Land auch noch erobert werden.
An dieser Stelle müsste man dann allerdings zuvorderst auch über das Verhalten Konstantinopels reden.

Denn dort täuschte man sich offensichtlich ebenfalls über die Situation auf dem Balkan, ansonsten hätte man wahrscheinlich zähneknirschend die italienischen Forderungen nach den libyschen Territorien akzeptiert um den Krieg möglichst rasch zu beenden und zu verhindern, dass dem eine ausgewachsene Balkankrise folgen würde.

Auch die übrigen Großmächte, die keine weiteren Balkankrise wollen konnten, sahen die Brisanz in dieser Form offensichtlich nicht, denn sonst hätten sie ernsthaft erwogen (da niemand Italien verprellen wollte) Konstantinopel durch eine bewaffnete Demonstration zum Einlenken zu zwingen.

London wäre dazu maritim von Zypern und von Ägypten aus ohne weiteres in der Lage gewesen.

Das man meinte das moderieren zu können, statt zu versuchen diesen Konflikt mit militärischen Mitteln zu beenden, verweist darauf, dass man die Situation für so ernst nicht hielt.

"Ich sah Graf Aehrenthal heute und fand ihn wegen etwaiger Geschehnisse in Tripolis sehr bsesorgt. Er sagte mir, er denke pessimistisch über die gegenwärtige Lage. Er erklärte, die Mächte hätten die Pflicht unverzüglich ihr Äußerstes zu tun, um Rom und Konstantinopel Ruhe und Zurückhaltung anzuraten.[...] Sollte Krieg ausbrechen, meint er, daß die Mächte einen Versuch machen könnten, ihn zu lokalisieren, das heisst zu verhindern, daß auf dem Balkan Feindseligkeiten ausbrechen, oder, wie mir Graf Aehrenthal andeutete, was vorzuziehen wäre, den Krieg auf die Provinz Tripolis zu beschränken und Italien von der Ausführung feindlicher Operationen in anderen Teilen der Türkei abzuraten."
Woraus allerdings nicht hervorgeht, dass Aerenthal an eine Involvierung der Balkanstaaten dachte oder eine gemeinsame Front dieser gegen das Osmanische Reich dachte.
Der Wunsch unbedingt Kampfhandlungen auf dem Balkan vermeiden zu wollen, kann auch dahin gedeutet werden, dass möglicherweise befürchtet wurde Italien könne sich zum strategischen Nachteil Wiens in Albanien festsetzen.

Sorge um die Stabilität der Verhältnisse auf dem Balkan, ließ sich natürlich als Totschlagargument gegen jedes Fußfassen Italiens auf dem östlichen Adriaufer verwenden, bzw. um andere Mächte dazu zu bringen im Sinne einer Lokalisierung auf Rom einzuwirken, ohne dabei die eigenen Interessen der imperialen Konkurrenzvermeidung allzu offen auf den Tisch zu legen.


Am gleichen Tage hatte der britische Diplomat Paget ein Gespräch mit dem serbischen Außenminister Milanowitsch.

"Herr Milanowitsch, den ich heute Morgen aufsuchte, sagte mir, er verfolge die Entwicklung zwischen Italien und der Türkei mit einiger Besorgnis. Er hoffe sehr, die Türkei werde klug genug sein, den italienischen Forderungen zu willfahren. Ein Krieg würde für die türkischen Waffen ein unvermeidliches Unheil bedeuten mit dem Ergebnis daß es in verschiedenen Teilen der totomanischen Gebiete und nicht zum wenigsten auf dem Balkan zu Aufständen käme.
Albanien würde wieder in Anarchie gestürzt würden und in diesem Fall würde Österreich eine solch günstige Gelegenheit sicher nicht vorübergehen Klassenunter unter dem Vorwand, die Ordnung wiederherzustellen, in Albanien einmarschieren. Serbien, Bulgarien und Montenegro würden dann zum Schutz ihrer Interessen dasselbe tun und sich in eine allgemeine Balgerei um türkisches Gebiet stürzen."(2)
Hervorhebung durch mich.

Eine unmissverständliche Ansage des serbischen Außenministers.
Du blendest Milanowitschs Kondition aus, fürchte ich.

Das ist eine Aussage dahingehend, dass Serbien, Bulgarien und Mentenero keine österreichische Machtausweitung auf Kosten des Osmanischen Reiches dulden und in so einem fall einschreiten würden.

Eine eindeutige Erklärung selbst die Souveränität und territoriale Integrität des Osmanischen Reiches verletzen und sich Territorium einverleiben zu wollen, auch wenn Österreich am Ende gar nichts machte, ist das nicht.
Und angesichts des bosnischen Annexion durch Österreich ein paar Jahre vorher lässt sich auch kaum argumentieren, dass die Möglichkeeit Österreich könnte versuchen seinen Einfluss auf Kosten des Osmanischen Reiches ausbauen wollen, auch nicht als bloßes Feigenblatt für unverholene Agression deuten.

Da facto beabsichtigte Wien das nicht, was man aber ohne die Wiener Interna zu kennen nicht wissen konnte. Die Annexion Bosniens für sich betrachtet ließ sich durchaus als offensiver turn der wiener Politik auf Kosten des Osmanischen Reiches deuten.

Davon einmal abgesehen:

Milanowitsch konnte als serbischer Außenminister natürlich glaubwürdig die serbische Position vertreten.
darüber, wie sich Bulgarien tatsächlich verhalten würde (das im Gegensatz zu Serbien mit Wien keine Territorialkonflikte hatte und auch kein direkter Nachbar war, der sich deswegen hätte bedroht fühlen müssen) konnte Milanowitsch schwadronieren, aber konnte er auch irgendeine sichere Gewähr dafür vorweisen?
Von Griechenland ist hier nicht die Rede.

Also dass hier eine orchestrierte Aktion des Balkanbundes gegen das Osmanische Reich angekündigt worden wäre, noch dazu unabhängig vom Verhalten Wiens, dass sehe ich hier beim besten Willen nicht.

Unmissverständlich angekündigt war, dass Serbien einen Griff Österreichs nach Albanien nicht dulden und in diese Fall bewaffnet intervenieren würde, und dass Montenegro und Bulgarien mitziehenn würden, was im Fall Montenegros, das selbst Interesse an den entsprechenden Gebieten hatte plausibel ist und im Hinblick auf Bulgarien höchst fraglich, da bei der geographischen Lage kaum zu erwarten Stand, dass Österreich in einen Raum expandieren würde, der Bulgariens Kerninteressen entsprach und es somit für Bulgarien anders als für die anderen Beiden keinen Grund gegeben hätte.
 
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assen wir an dieser Stelle Marokko mal Marokko sein, um beim Thema zu bleiben.
Können wir gerne machen. @andreassolar meinte ja Marokko bemühen zu müssen.

aja, von Roms Seite würde man in der Lage gewesen sein dagegen ins Feld zu führen, dass es Österreich war, dass zuletzt selbst die Veränderung des Status Quo auf dem Balkan durch die Annexion Bosniens betrieben und damit für einige Unruhe gesorgt hatte.
Das sehe ich nicht so. Es wurde "lediglich" ein defacto in ein dejure Zustand umgewandelt.Darüber hinaus ist Wien nicht militärisch aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgegangen und Konstantinopel wurde finanziell entschädigt. Das ist m.E. nach doch ein deutlicher Unterschied.

Italien hatte den Eindruck, eben durch das französische Agieren in Marokko, in Tripolis "zu spät zu kommen" und wurde u.a., deshalb aktiv.

Aber die hatte doch bereits Wien mit der Bosnischen Annexion aufgerollt.
Man hatte dadurch zu verstehen gegeben, dass die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches aus Wiener Sicht nicht sakrosankt war, wenn es denn zum eigenen Vorteil ging.

Hatte es 1908/09 einen großen Flächenbrand in Form eines Krieges auf dem Balkan gegeben? Es waren die Serben, die unbegreiflicherweise meinten Ansprüche stellen zu können. Wir müssen aber jetzt nicht noch einmal die ganze Bosnische Krise , Ursache, Absprachen etc.etc. noch einmal durcharbeiten oder?

Woraus allerdings nicht hervorgeht, dass Aerenthal an eine Involvierung der Balkanstaaten dachte oder eine gemeinsame Front dieser gegen das Osmanische Reich dachte.
Der Wunsch unbedingt Kampfhandlungen auf dem Balkan vermeiden zu wollen, kann auch dahin gedeutet werden, dass möglicherweise befürchtet wurde Italien könne sich zum strategischen Nachteil Wiens in Albanien festsetzen.

Der Balkanbund war ein offenes Geheimnis. Gegen wen sollten dann sonst die Feindseligkeit eröffnet werden? Die Gelegenheit für den Balkanbund Beute zu machen, die war doch u verlockend. Konstantinopel hatte alle Hände zu tun, um den italienischen Aggressor abzuwehren. Du glaubst doch nicht, das Aehrenthal an einem Angriff der Balkanstaaten auf die Monarchie dachte? Und untereinander hatten man Bündnisse vereinbart. Nach Lage der Dinge kam nur eine Angriffsrichtung, nämlich das Osmanische Reich, für eine Aggression des Balkanbundes in Frage.

Sorge um die Stabilität der Verhältnisse auf dem Balkan, ließ sich natürlich als Totschlagargument gegen jedes Fußfassen Italiens auf dem östlichen Adriaufer verwenden, bzw. um andere Mächte dazu zu bringen im Sinne einer Lokalisierung auf Rom einzuwirken, ohne dabei die eigenen Interessen der imperialen Konkurrenzvermeidung allzu offen auf den Tisch zu legen.

Es ging um die Stabilität des Osmanischen Reiches und es Balkans, dazu sollte der Frieden erhalten werden, und die reale Gefahr, das der Balkanbund aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgeht. Sowohl Wien als auch Berlin hatten ein Interesse am Erhalt des Osmanischen Reiches. und Italien überschätzte sich gerne schon mal. Anspruch und Wirklichkeit klafften dort ziemlich auseinander. das war 1869, 1866 und auch 1898 so. Und 1911/12 war alles andere als eine Ruhmestat.

u blendest Milanowitschs Kondition aus, fürchte ich.

Das ist eine Aussage dahingehend, dass Serbien, Bulgarien und Mentenero keine österreichische Machtausweitung auf Kosten des Osmanischen Reiches dulden und in so einem fall einschreiten würden.

Eine eindeutige Erklärung selbst die Souveränität und territoriale Integrität des Osmanischen Reiches verletzen und sich Territorium einverleiben zu wollen, auch wenn Österreich am Ende gar nichts machte, ist das nicht.
Und angesichts des bosnischen Annexion durch Österreich ein paar Jahre vorher lässt sich auch kaum argumentieren, dass die Möglichkeeit Österreich könnte versuchen seinen Einfluss auf Kosten des Osmanischen Reiches ausbauen wollen, auch nicht als bloßes Feigenblatt für unverholene Agression deuten.

Du interpretierst die Ausführung des serbischen Außenminister anders als meine Wenigkeit. Milanowitsch war der Auffassung, das Österreich-Ungarn sich "diese günstige Gelegenheit" nicht entgehen lassen würde. Serbien und Co. würden dies auch nicht tun und sich ebenfalls um das türkische Erbe "balgen". So verstehe ich Milanowitsch.

Du kommst ja schon wieder mit der Bosnischen Krise. Die gehört doch hier überhaupt nicht hin. Österreich-Ungarn. Lies die diplomatischen Akten, dann wirst du erkennen, das seitens Österreich-Ungarn überhaupt keine entsprechenden Absichten bestanden. Das vordringliche Interesse war ganz klar: Der Frieden auf dem Balkan sollte erhalten bleiben.

Milanowitsch hatte mit Sofia das Offeensivbündnis gegen das Osmanische Reich abgeschlossen. Er wusste also genau, wovon er sprach. Natürlich konnte er nicht für die bulgarische Regierung sprechen, aber die beiden Staaten hatten entsprechende Absichten in einem offensiven Angriffsbündnis gegen das Osmanische Reich fixiert gehabt. Und Italien schuf gerade die idealen Vorraussetzungen, um dieses Abkommen in die Tat umzusetzen; was dann ja auch geschah.
 
Und mit der italienischen Zusage, die militärischen Operationen auf das Mittelmeer zu begrenzen, war es auch nicht weit her. Bereits am 01.Oktober operierte die italienische Kriegsmarine in der Adria gegen osmanische Einheiten.
Aehrenthal war sehr sauer und ließ das Rom auch wissen.

Ich weiß, ich weiß , deutsche Rechtsbrüche, Vergehen etc. sind alle viel interessanter und würden wohl auch mutmaßlich für eine andere Aufmerksamkeit sorgen.
 
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Italien hatte den Eindruck, eben durch das französische Agieren in Marokko, in Tripolis "zu spät zu kommen" und wurde u.a., deshalb aktiv.
Es war die ital. Administration oder Regierung.

'Italien' ist ein ziemlich beliebiges Kollektiv. Also, die ital. Regierungen hatten - innenpolitisch ebenso 'unter ErfolgsDruck' wie die reichsdt. - lange Jahre die damals üblichen imperialen Ambitionen u.a. auf Drängen Berlins wie Wiens bzw. aufgrund mangelnder Unterstützung zurück gestellt. Siehe Balkan, siehe Mittelmeerraum. Und die Marokkokrise II. brachte das Fass zu überlaufen. Daher die scheinbare 'Rücksichtslosigkeit', das Weitertreiben des Krieges um fast jeden Preis.

Vielleicht hilft nochmals ein Blick auf Beitrag # 3 vom Januar 2022, so kann u.a. vermieden werden, dass die Beiträge erneut wieder bei 'null' beginnen.
  • In dem Zusatzvertrag Dt. Reich-Königreich Italien vom 20. Februar 1887 werden die Ansprüche der ital. Reg. wg. Marokko und Tripolitanien anerkannt. (Q: Alfred Pribram, The secret Treaties of Austria-Hungary 1879-1914, Vol. 1 (London 1920), S. 110-115, S. 114)
  • In der britisch-italienischen Übereinkunft vom 12. Februar 1887 werden die ital. Ansprüche auf die nordafrikanischen Küstengebiete anerkannt, und speziell nochmals in 'Libyen'. (Q: Alfred Pribram, The secret Treaties, S. 96 f.)
    Die Verständigung wird wesentlich von Bismarck gefördert.
  • Dieser britisch-italien. Mittelmeerentente tritt Ende März 1887 die ÖU-Regierung bei, wiederum von Bismarck gefördert.
  • 1900, 1901 und 1902 gab es zw. franz. und ital. Reg. Absprachen/Verständigungen wg. Marokko und Libyen, wobei die ital. Seite die Ansprüche von Paris hinsichtlich Marokko nun anerkennt, Paris umgekehrt jene der ital. Reg. auf Libyen ebenfalls. Vor allem die Visconti Venosta-Barrère Übereinkunft (1901) stellte den Zusammenhang her zwischen einer 'Modifikation' der politischen oder territorialen Integrität Marokkos und einem entsprechenden Recht der ital. Regierung, entsprechend ihren Einfluss in Libyen 'weiter zu entwickeln'. Oder einfacher: Die italien. Regierung ist nur dann frei, nach Libyen zu gehen, nachdem 'Frankreich' nach Marokko gegangen ist. (Q: Timothy Childs, Italo-turkish Diplomacy and the war over Libya 1911-1912, 1990, S. 4 f.).
Was natürlich in der 2. Marokko-Krise 1911 wirksam wurde, nachdem franz. Truppen Teile Marokkos besetzt hatten.
Die Prinetti-Barrère Erklärung vom 30.6.1902 zwischen ital. und franz. Regierung stellte dann fest, dass beide Parteien unabhängig voneinander in Marokko bzw. ‚Libyen‘ tätig werden können (Q: Timothy Childs, Italo-turkish Diplomacy, S. 6 f.)

  • In einer Geheim-Erklärung vom 30. Juni 1902 anerkannte die ÖU-Regierung gegenüber der ital. Regierung die Ansprüche der italien. Reg. hinsichtlich Tripolitaniens und der Cyrenaika. (Q: Alfred Pribram, The secret Treaties, S. 233.)
  • in der Geheimübereinkunft/Notenaustausch von Racconigi am 24.10 1909 zw. russ. und italen. Regierung wurden die italien. Ansprüche auf Libyen anerkannt (Q: Timothy Childs, Italo-turkish Diplomacy, S. 10)
 
Das sehe ich nicht so. Es wurde "lediglich" ein defacto in ein dejure Zustand umgewandelt.Darüber hinaus ist Wien nicht militärisch aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgegangen und Konstantinopel wurde finanziell entschädigt. Das ist m.E. nach doch ein deutlicher Unterschied.
Ich weiß, dass du das nicht so siehst, gleichwohl kann ich deine Argumentation in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehen.

Wien hatte 1809 ganz eindeutig die günstige Situation genutzt um den Status Quo auf dem Balkan zu seinen Gunsten zu verändern, auf Kosten der Rechte des Osmanischen Reiches.

Es war ja nicht etwa ein Wunsch Konstantinopels gegeben diese Provinzen abzutreten oder zu verkaufen, sondern Wien forderte das, während eine Ablehnung dieser Forderung mit ziemlicher Sicherheit Krieg bedeutet hätte.
Angesichts des Umstands, dass durch die Österreichische Okkupation der beiden Provinzen bereits K.u.K.-Truppen auf dem Boden des Osmanischen Reiches standen, grenzt es aus meiner Sicht an Hohn darauf zu verweisen, dass Wien letztendlich nicht noch obendrein einen Krieg vom Zaun brach und um den faktischen Raub zu kaschieren dann ein Angebot vorlegte diese Provinzen de jure (zum Spottpreis) zu Kaufen, bzw. die Hohe Pforte dafür symbolisch zu entschädigen.

De facto hatte Wien damit auf Kosten des Osmanischen Reiches Grenzen verschoben und die Auseinandersetzung mit Serbien massiv befeuert.

Hatte es 1908/09 einen großen Flächenbrand in Form eines Krieges auf dem Balkan gegeben? Es waren die Serben, die unbegreiflicherweise meinten Ansprüche stellen zu können. Wir müssen aber jetzt nicht noch einmal die ganze Bosnische Krise , Ursache, Absprachen etc.etc. noch einmal durcharbeiten oder?
Ich für meinen Teil halte angesichts der Bevölkerungsstrukturen dieses Gebietes die von serbischer Seite formulierten Ansprüche für alles andere als unbegreiflich.

Der Balkanbund war ein offenes Geheimnis. Gegen wen sollten dann sonst die Feindseligkeit eröffnet werden? Die Gelegenheit für den Balkanbund Beute zu machen, die war doch u verlockend. Konstantinopel hatte alle Hände zu tun, um den italienischen Aggressor abzuwehren. Du glaubst doch nicht, das Aehrenthal an einem Angriff der Balkanstaaten auf die Monarchie dachte? Und untereinander hatten man Bündnisse vereinbart. Nach Lage der Dinge kam nur eine Angriffsrichtung, nämlich das Osmanische Reich, für eine Aggression des Balkanbundes in Frage.
Ich habe nur festgestellt, dass aus der von dir zitierten Passage nicht eindeutig hervorgeht, dass Aerenthal überhaupt konkret an eine Involvierung der Balkanstaaten dachte.

Er bekundet Bedenken wegen Uruhen (die wären aber nicht gleichbedeutend mit auswärtigen Interventionen), und Bedeken wegen potentieller Ausweitungen der Kriegshandlungen am Balkan im Allgemeinen.
Was er in der Passage nicht ausführt, ist von welcher Seite her diese Kriegshandlungen auf dem Balkan erwartete und ob er dabei an die Balkanstaaten dachte oder an einen potentiellen Invasionsversuch der Italiener im Westbalkan (mit der Gefahr, dass die Italiener, wenn sie sich in Albanien einmal festsetzen würden wahrscheinlich nur schwer zu bewegen wären, diese Position wieder aufzugeben.

Da aus Aerenthals Einlassung nicht eindeutig hervorgeht, ob er unter der Ausweitung des Krieges die Gefahr der Involvierung der Balkanstaaten meinte oder ein Imperiales Ausgreifen Italiens in Südosteuropa, bin ich nicht bereit das Nachweis für Befürchtungen wegen des Balkanbundes ohne weiteres zu akzeptieren.

Es ging um die Stabilität des Osmanischen Reiches und es Balkans, dazu sollte der Frieden erhalten werden, und die reale Gefahr, das der Balkanbund aggressiv gegen das Osmanische Reich vorgeht. Sowohl Wien als auch Berlin hatten ein Interesse am Erhalt des Osmanischen Reiches. und Italien überschätzte sich gerne schon mal. Anspruch und Wirklichkeit klafften dort ziemlich auseinander. das war 1869, 1866 und auch 1898 so. Und 1911/12 war alles andere als eine Ruhmestat.
Nun, wie gesagt, dass sich ausgerechnet Wien, dass mit der weiteren Aufteilung des Osmanischen Balkans (nach 30 Jahren relativer Ruhe auf diesem Gebiet) den Anfang machte, um die Stabilität des Osmanischen Reiches sorgte, dass wird man anzweifeln dürfen.
Wien hatte kein Problem damit, wenn die Verhältnisse im Osmanischen Reich nicht zum Besten standen, Wien hatte nur etwas dagegen, wenn die aus wiener Sicht falschen Parteien davon profitierten.

Dazu gehörten Russland und die Balkanstaaten, dazu gehörte aus wiener Sicht, was Albanien betrifft aber auch Italien.

Auf eine Eingrenzung des Krieges auf Gebiete außerhalb des Balkans hinzuarbeiten, war unter diesen Uständen natürlich ein probates Mittel Rom die Realisierung potentieller Expansionsziele in Albanien zu verbauen ohne Rom damit offen vor's Schienbein treten zu müssen und angesichts der Londoner Prioritäten möglicherweise aussichtsreich um die Briten dafür einzuspannen.

Du interpretierst die Ausführung des serbischen Außenminister anders als meine Wenigkeit. Milanowitsch war der Auffassung, das Österreich-Ungarn sich "diese günstige Gelegenheit" nicht entgehen lassen würde. Serbien und Co. würden dies auch nicht tun und sich ebenfalls um das türkische Erbe "balgen". So verstehe ich Milanowitsch.
Ich sehe eigentlich nicht, was es da zu interpretieren gibt.

Milanowitsch führte ein Szenario aus, in dem er fest davon ausging, dass Wien versuchen würde aus einer Krise des Osmanischen Reichs Kapital in Albanien zu schlagen.
Er sprach weder davon unabhängig vom Wiener Verhalten losschlagen zu wollen, noch explizit davon, dass es notwendig wäre zuzuschlagen um Wien zuvor zu kommen.

Wie sich Serbien verhalten würde, wenn Wien überhaupt nichts unternehmen würde und in der Sache seine Neutralität erklärte und auf Truppenaufmärsche und Mobilisierung verzichtete, dazu sagt er in diesem Zitat nichts.

Das ist durchaus keine Ankündigung einseitiger Agression seitens der Balkanstaaten unabhängig vom Verhalten Wiens.

Du kommst ja schon wieder mit der Bosnischen Krise. Die gehört doch hier überhaupt nicht hin. Österreich-Ungarn. Lies die diplomatischen Akten, dann wirst du erkennen, das seitens Österreich-Ungarn überhaupt keine entsprechenden Absichten bestanden. Das vordringliche Interesse war ganz klar: Der Frieden auf dem Balkan sollte erhalten bleiben.
Du musst mir nicht erzählen, was in den Wiener Akten steht, dass weiß ich.

Aber du stellst dich auf einen Standpunkt, der nur dann plausibel ist, wenn du davon ausgehen möchtest, dass die serbische Regierung die Wiener Interna kannte und dafür gibt es keine Veranlassung.

Belgrad hatte beobachtet wie sich Österreich Bosnien und die Herzegowina genommen hatte.
Daraus konnte man ohne die internen Wiener und Budapester Denkeweise zu kennen schließen, dass Wien gegenüber dem Osmanischen Reich auf einen agressiven Expansionskurs umgeschwenkt sei und diesen bei nächster Gelegenheit in Albanien weiter verfolgen würden, zumal Kontrolle auch über diesen Teil der Adria den Handel der Balkanstaaten noch weiter von Österreich-Ungarn abhängig gemacht hätte (ein potentielles wirtschaftlichs Motiv wäre also auch gegeben gewesen).

Hier durchaus an weitere agressive Absichten Wiens gegenüber dem Osmanischen Reich zu glauben, war ohne die Internen Abreden in den K.u.K-Ministerien zu kennen aus Sicht Milanowitschs durchaus nicht abwegig, Verlautbaungen anderen Inhalts aus Wien für eventuelle Verschleierungstaktik zu halten, auch nicht.
Und insofern ist es durchaus glaubwürdig, dass Milanowitsch fest mit einer Österreichischen Agression rechnete und eben die Serbische Reaktion auf eine solche (aber auch nur auf eine solche Kommentierte).
Wir wissen, dass Wien sich nicht mit Annexionsabsichten betreffend Albanien trug. Aber woher sollte Milanowitsch das wissen?
Wiens Bosnienpolitik hatte nun auch nicht unbedingt dazu beigetragen, der Monarchie in Belgrad den Ruf besonderer Glaubwürdigkeit oder Vertrauenswürdigkeit einzutragen.

Milanowitsch hatte mit Sofia das Offeensivbündnis gegen das Osmanische Reich abgeschlossen.
Das bestand zu Zeitpunkt der Unterredung zwischen Milanowitsch und Paget doch überhaupt noch nicht, sofern deine Angaben korrekt sind.

Du schreibst diese Unterdung mit Paget habe einen Tag vor Beginn des italienischen Angriff stattgefunden.
Das wäre am 28. September 1911 gewesen.

Der Bündnisschluss zwischen Serbien und Bulgarien fand aber erst im März 1912 statt und das zunächst auch erstmal nur als Defensivbündnis. Die weiterentwicklung zu einem gegen das Osmanische Reich gerichteten Offensivbündniss fand erst danach statt, also fast ein halbes Jahr nach der Unterredung, sofern du das richtig ausgewiesen hast.
Zu diesem Zeitpunkt konnte Milanowitsch definitiv nichts sicheres über das Bulgarische Verhalten gegenüber Paget äußern, weil da noch kein diesbezügliche vertragliche Einigung bestand.

Ich weiß nicht ob zu diesem Zeitpunkt schon verhandelt wurde und sich Tendenzen ableiten ließen, aber Milanowitsch hatte am 28. September 1911 definitiv nichts in der Hand, was auf eine Verpflichtung Sofias hinausgelaufen wäre irgendetwas zu tun.
 
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Wien hatte 1809 ganz eindeutig die günstige Situation genutzt um den Status Quo auf dem Balkan zu seinen Gunsten zu verändern, auf Kosten der Rechte des Osmanischen Reiches.

1809??:eek:
In der Tat, ich habe da eine andere Sicht der Dinge. Defacto waren die beiden Provinzen schon seit 1878 unter der Kontrolle Österreichs.

Du ersetzt aktuell in der Diskussion die Marokkokrise Teil 2 durch die bosnische Annexionskrise? Dabei wolltest du doch beim Thema bleiben. Derzeit ist das Bemühen um den Vorgängen von 1908/09 nur ein weiterer Whataboutism.
Ansonsten rege ich an, bitte einfach beim Thema zu bleiben und für die bosnische Krise einen separaten Faden zu eröffnen, in dem wir uns dann über das Thema austauschen können.;)

e facto hatte Wien damit auf Kosten des Osmanischen Reiches Grenzen verschoben und die Auseinandersetzung mit Serbien massiv befeuert.

Wenn überhaupt dejure; de facto waren sie das schon seit 1878. Die Österreicher hatten die beiden Provinzen seit 1878 unterirrer Verwaltung und die Serben begehrten fremden Besitz. Sie meinten ernsthaft eine Kompensation fordern zu können. Auf welcher Grundlage eigentlich? Das kleine Serben forderte seit 1908/09 die Großmacht Österreich-Ungarn immer wieder heraus und das ging nur mit russischer Unterstützung. Dazu ließ sich sehr viel ausführen, aber wenn du Bedarf hast, dann bitte einen separaten Faden.

ch für meinen Teil halte angesichts der Bevölkerungsstrukturen dieses Gebietes die von serbischer Seite formulierten Ansprüche für alles andere als unbegreiflich.

Es war kein serbisches Territorium! Dein Argument würde ja vielen Grenzrevisionen Tür und Tor öffnen. Und du bist immer noch bei 1908/09.

Du musst mir nicht erzählen, was in den Wiener Akten steht, dass weiß ich.

Tatsächlich? Hast du die Aktensammlung bei dir zu Hause stehen? Denn wenn du die Akten so gut kennst, weiß ich gar nicht, weshalb wir hier diskutieren.

Du beginnst wieder mit Wortklauberei sowohl hinsichtlich Aehrenthals als auch Milanwitsch bemühst du dich den Sinn der Worte zu deiner Interpretation zu verdrehen. Es gibt ohne Frage weitere entsprechende besorgte Äußerungen Aehrenthals; die sind den den Akten., die du ja kennst. Dort auch der Hinweis auf die Gefahren für den Balkan an Rom. Die damaligen Staatsmänner, nicht nur die Österreich-Ungarns, haben durchaus die Gefahren gesehen, du möchtest diese, so scheint es, nicht sehen.

Belgrad hatte vor allem beobachtet, das Italien einen offensiven Kolonialkrieg gestartet hatte, welcher entsprechende Kräfte des Osmanischen Reich gebunden hatte und das war ein sehr günstiger Gelegenheit Beute zu machen. Das stand im Einklang mit dem Absichten des aggressiven Angriffsvertrages zwischen Bulgarien und Serbien; an den Belgrad sich später nicht mehr halten wollte.

Hier durchaus an weitere agressive Absichten Wiens gegenüber dem Osmanischen Reich zu glauben, war ohne die Internen Abreden in den K.u.K-Ministerien zu kennen aus Sicht Milanowitschs durchaus nicht abwegig, Verlautbaungen anderen Inhalts aus Wien für eventuelle Verschleierungstaktik zu halten, auch nicht.

Das ist doch an den Haaren herbeigezogen. Das hätte Ungarn schon gar nicht zugelassen und das wussten auch die Serben. Du kennst doch die Akten des Ballhausplatzes. Da steht etwas anderes drinnen, nämlich das Interesse an dem Erhalt des Osmanischen Reiches; mit anderes Worten den Erhalt des Statu Quo auf dem Balkan. Belgrad unterstellte Wien immer alle möglichen Schlechtigkeiten.

Ich weiß nicht ob zu diesem Zeitpunkt schon verhandelt wurde und sich Tendenzen ableiten ließen, aber Milanowitsch hatte am 28. September 1911 definitiv nichts in der Hand, was auf eine Verpflichtung Sofias hinausgelaufen wäre irgendetwas zu tun.

Milanowitsch muss schon, so sollte man meinen, schon eine Unterlage für so eine weitgehende Äußerung gehabt haben.
 
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Es war die ital. Administration oder Regierung.

'Italien' ist ein ziemlich beliebiges Kollektiv. Also, die ital. Regierungen hatten - innenpolitisch ebenso 'unter ErfolgsDruck' wie die reichsdt. - lange Jahre die damals üblichen imperialen Ambitionen u.a. auf Drängen Berlins wie Wiens bzw. aufgrund mangelnder Unterstützung zurück gestellt. Siehe Balkan, siehe Mittelmeerraum. Und die Marokkokrise II. brachte das Fass zu überlaufen. Daher die scheinbare 'Rücksichtslosigkeit', das Weitertreiben des Krieges um fast jeden Preis.

Vielleicht hilft nochmals ein Blick auf Beitrag # 3 vom Januar 2022, so kann u.a. vermieden werden, dass die Beiträge erneut wieder bei 'null' beginnen.

@andreassolar

Du bist noch so manche Stellungnahme und Antwort schuldig. Ich verweise daher hier zum x-ten Male auf #324 und #342 in dem Faden Poincaré in Petersburg. Ebenso ist auch nichts von dir zu ‚364, #365 und #366 in den Faden zur Liman-Krise gekommen.

Stattdessen meinst du hier und im Faden Moderatorenentscheidungen den Versuch starten zu müssen, mich durch Belehrung und eine unglaubliche Unterstellung provozieren zu wollen.
 
@Shinigami

Hier noch ein paar authentische Stimmen, die die Gefahr für den Balkan sahen.

Aus einen Schreiben des k.u.k. Botschafters Mensdorff an Aehrenthal Ende September 1911 geht unmissverständlich hervor, das die britische Regierung Unruhen auf dem Balkan befürchtet.

Sehr deutlich wurde Aehrenthal in einem Schreiben an den Legationsrat Ambrozy in Rom.Er führt unter anderem aus:
„[…] Von Standpunkt unseres Interesses an der Erhaltung des Status Quo am Balkan müsse ich aber der Erwartung Ausdruck geben, Italien werde bei der Durchführung der Aktion alles vermeiden, was ein Übergreifen des Konfliktes auf dem Balkan zur weiteren Folge haben könnte und den Umstand nicht außer Acht zu lassen, das die Entstehung des Dreibundes vornehmlich auf dem Wunsch nach Erhaltung des Status Quo am Balkan zurückzuführen sei. […]“.

Noch eine Stimme aus Petersburg.

Der Legationsrat Szilassy berichtet Ende September, das der russische Ministerpräsident Kokowzow „den Konflikt als höchst bedauerlich und gefährlich für den Frieden auf Balkan“ halte.

Da du die österreichisch-ungarischen Akten ja kennst, ist dir das ja bekannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
@andreassolar

Mal so kurz am Rande:

Die Rücksichtslosigkeit war nicht nur scheinbar; sie war tatsächlich gegeben. In deinen Ausführungen fehlt der wichtige Hinweis, das Italien aufgrund des französischen Vorgehens in Marokko Sorge hatte "zu spät zu kommen." Das war das Motiv Ende September aggressiv vorzugehen.

Ich kann nicht nicht entsinnen, das ich behauptet hätte. das Italien seine "Ansprüche" nicht rundherum, ja man muss anerkennen, umsichtig abgesicherter den Großmächten hätte. Dies wurde von mir nicht in Frage gestellt.

Ich glaube aber nicht, das auch nur eine der Großmächte dabei im Auge hatte, das Italien ohne Rücksicht auf dem Frieden, hier eben der Balkan, dabei einen Flächenbrand auslösen könne, um nun endlich, endlich Tripolis und die Cyrenaica zu okkupieren.

Aber wie schon ausgeführt: Beziehe du erst einmal Stellung zu den offenen Fragen, bevor du dich an neuen Schauplätzen austobst und hinterlasse in den Fäden nicht offene Baustellen. Und unterlasse dabei Provokationen in Form von unzutreffenden Unterstellungen und deine Belehrungen, die darfst du gerne für dich behalten.
 
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von denen erneut keine explizit auf die Gefahr einer Involvierung der Balkanstaaten abstellt.
Wer sollte denn sonst auf dem Balkan aggressiv werden, wenn nicht die Balkanstaaten? Die Großmächte? Wohl kaum.
Du möchtest es halt einfach nicht sehen oder verstehen. Schau doch in die Akten, die du doch kennst. Die Gefahr wird klipp und klar benannt.
Das Osmanische Reich hatte ebenfalls kein Interesse an einer militärischen Aggression. Wien wollte den Staus Quo erhalten. Ich kann hier wahrscheinlich noch hundert weitere Beispiele nennen, du würdest diese aus irgendwelchen Gründen nicht anerkennen; deshalb schenke ich mir das jetzt, was eigentlich schade ist.
 
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Du ersetzt aktuell in der Diskussion die Marokkokrise Teil 2 durch die bosnische Annexionskrise? Dabei wolltest du doch beim Thema bleiben. Derzeit ist das Bemühen um den Vorgängen von 1908/09 nur ein weiterer Whataboutism.
Nein, wenn ich dir zu erklären versuche, wo ich bei deinen Bewertungsmaßsstäben Probleme sehe, ist das sicherlich kein Whataboutism.

Wenn überhaupt dejure; de facto waren sie das schon seit 1878. Die Österreicher hatten die beiden Provinzen seit 1878 unterirrer Verwaltung und die Serben begehrten fremden Besitz. Sie meinten ernsthaft eine Kompensation fordern zu können. Auf welcher Grundlage eigentlich? Das kleine Serben forderte seit 1908/09 die Großmacht Österreich-Ungarn immer wieder heraus und das ging nur mit russischer Unterstützung. Dazu ließ sich sehr viel ausführen, aber wenn du Bedarf hast, dann bitte einen separaten Faden.
Die Provinzen ghörten de jure, wie de facto zum Osmanischen Reich, dass Österreich sie gemäß dem Abkommen von 1878 besetzen und verwalten durfte ändert nichts daran.

Was Kompensationn angeht, warst nicht du derjenige, der meinte mir an anderer Stelle erläutern zu müssen, dass Kompensationsforderungen etwas vollkommen gängiges gewesen wären?
Für Serbien war dass dann aber nicht legitim? Was genau ist hier dein Argument? Das die Großmächte allein das moralische Recht gehabt hätten sich als Räuber zu gerieren und dass es demgegenüber bei Serbien aber amoralisch gewesen wäre, weil Serbien keine Großmacht war?

Es war kein serbisches Territorium! Dein Argument würde ja vielen Grenzrevisionen Tür und Tor öffnen. Und du bist immer noch bei 1908/09.
Es war auch kein Österreichisches Territorium.
Es war Territorium des Osmanischen Reiches, dass die Pforte nur deswegen abtrat, weil andernfalls Krieg mit der Donaumonarchie drohte, dem sie aus dem Weg gehen wollte.

Ich stelle dem gegenüber nur fest, dass wegen der Bevölkerungsstruktur die Ansprüche, die Serbien erhob, mir durchaus nicht unverständlich erscheinen.

Das heißt nicht, dass ich ich Gewaltanwendug deswegen gutheißen würde.
Du wiederrum müsstest mir allerdings erklären, warum es deiner Meinung nach legitim ist, dass Österreich gegenüber dem Osmanischen Reich de facto erpresserische Forderungen stellte (mit der Implikation eines Krieges im Fall einer Ablehnung durch die in Bosnien anwesenden K.u.K.-Truppen), entsprechende Versuche Belgrads Österreich in Ähnlicher Weise zu behandeln um auch bedacht zu werden aber nicht?

Man kann sich ja ohne weiteres darauf einigen, dass gewaltsames Verschieben von Grenzen und der Versuch Seitens Serbien illegitim war, aber dann war das auch die Annexion Bosniens durch Österreich.

Und an der Stelle habe ich ein ganz massives Problem mit deinem Euphemismus, nachdem Österreich sich ja eigentlich nicht agressiv verhalten, sondern lediglich "einen de facto-Zustand in einen de jure-Zustand" umgewandelt habe.
Das verzerrt in meinen Augen die Umstände.

Du beginnst wieder mit Wortklauberei sowohl hinsichtlich Aehrenthals als auch Milanwitsch bemühst du dich den Sinn der Worte zu deiner Interpretation zu verdrehen.
Nein, du hattest behauptet, die potentielle Agressivität der Balkanstaaten gegenüber dem Osmanischen Reich, wären in internationalen diplomatischen Kreisen grundsätzlich als dringende Gefahr betrachtet worden.

Bisher hast du aber keine Belegstelle dafür liefern können, dass verbreitete Angest vor einer Involvierung der Balkanstaaten (unabhängig vom Handeln Wiens) bestanden hätte.
Lediglich erwähnt wurden Befürchtungen wegen Unruhen am Balkan, aber Unruhen sind nicht gleich Krieg, bzw. Ausdehnung des Krieges auf den Balkan, wobei aber nirgendwo darauf abgestellt wird durch wen und angesichts des Umstands, dass aus italienischer Sicht eine Invasion Albaniens durchaus naheliegend gewesen wäre, darf man durchaus infragestellen, ob sich diese Befürchtung auf ein potentielles Handeln der Balkanstaaten bezog.

Wenn allgemeine Angst vor einer Allianz der Balkanstaaten und einem gemeinsamen Angriff dieser auf das Osmanische Reich bestand, sollte es ja nicht schwierig sein, ein paar Belege dafür zu finden, die das auch ganz unmissverständlich zu benennen.
Sollte das nicht der Fall sein, sehe ich deine Einschätzung, dass allgemein in Europa mit so etwas gerechnet wurde und dass dementsprechend auch Rom, als es gegen das Osmanische Reich losschlug, das auf dem Schirm haben musste, als fehlerhaft an und damit dann natürlich auch die Anwürfte, die du Rom in dieser Hinsicht machst.

Das ist doch an den Haaren herbeigezogen.
Pardon, nein, dass ist nicht an den Haaren herbei gezogen.
Du kannst nicht ohne weiters voraussetzen, dass Außenstehende die Wiener Interna kannten und entsprechend danach handeln konnten.


Milanowitsch muss schon, so sollte man meinen, schon eine Unterlage für so eine weitgehende Äußerung gehabt haben.
Und darf man erfahren, wer dieser anonyme "man" ist?

Ich halte die Äußerung für typisches, substanzloeses Imponiergehabe. Soll in politischen Kreisen durchaus schonmal vorkommen.
Ein Abkommen mit Bulgarien auf das sich Belgrad stützen konnte, bestand damit jedenfalls nicht.
 
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Wer sollte denn sonst auf dem Balkan aggressiv werden, wenn nicht die Balkanstaaten?
Wie bereits angemerkt Italien.

Wenn es zu einem Krieg zwischen Italien und dem Osmanischen Reich kam, war es zu erwarten, dass Italien früher oder später versuchen würde Albanien zu besetzen, weil dieses Gebiet für Rom aus bekannten Gründen interessant war.

Das hätte einer territorialen Ausdehnung des ursprünglich in Afrika begonnenen Krieges in den Balkan hinein entsprochen, aber ohne zwangsläufig die Balkanstaaten zu involvieren.

Und da Wien eine italienische Herrschaft über Albanien aus strategischen Gründen nicht wollen konnte, hatte Aerenthal ein ebensogutes, wenn nicht besseres Motiv italienische Aktivitäten auf dem Balkan zu befürchten, als solche der Balkanstaaten.

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Von Seiten der Westmächte, (im Besonderen Großbritannien) die keine eigenen Interessen in der Adria hatten, aber an den Meerengen, wäre Italienischer Einfluss in Albanien kein substanzielles Problem gewesen, durchaus aber aber wegen der Meerengen-Problematik ein Aggieren der Balkanstaaten.

Was also wäre von Österreichischer Seite her das Mittel der Wahl gewesen, London gegen potentielles Ausgreifen Italiens nach Albanien einzuspannen, obwohl das nicht den Londoner Prioritäten entsprach?
Natürlich argumentativ zu versuchen die Problematiken Italien und Balkanstaaten miteinander zu verbinden (gleich ob man letzteres für realistisch hielt oder nicht), in dem man allgemeine Gefahr für die Stabilität des Balkanns an die Wand malt ohne darin konkreter zu werden und darauf zu hoffen, dass man das in London möglicherweise für plausibel hält und sich von Wien als Handlanger gegen Rom einspannen lässt.

Und genau solche Äußerungen liegen hier vor.

Ich kann nicht belegen, dass die von mir skizzierte Überlegung die zutreffende Intention hinter Aerenthals Ausführungen gewesen ist, aber es ist grundsätzlich nicht weniger plausibel als die von dir unterstellte Intention, die damit alles andere als eindeutig erscheint.
 
Für Serbien war dass dann aber nicht legitim?

Das ist wohl schon lächerlich. Erstens wofür? Zweitens ein Kleinstaat stellt im Zeitalter des imperialismus gegenüber einer Großmacht den Anspruch auf Kompensation. Ernsthaft jetzt?

Nein, wenn ich dir zu erklären versuche, wo ich bei deinen Bewertungsmaßsstäben Probleme sehe, ist das sicherlich kein Whataboutism.
Doch. Bleibe einfach einmal beim Thema und schweife nicht immer ab. Nicht mehr, nicht weniger. Wenn du das Bedürfnis hast über die Annexionskrise zu diskutieren, dann mache einen entsprechenden Faden auf. Warum tust du es eigentlich nicht einfach? Kann eigentlich nicht zu viel gewünscht sein.

Artikel 25 des Berliner Vertrages:
Die Provinzen Bosnien und Herzegowina werden von Österreich-Ungarn besetzt und verwaltet werden.

Später wurden schon mit den Russen Absprachen getroffen, die beiden Provinzen endgültig zu annektieren.

Serbien hatte null Ansprüche. Österreich-Ungarn besaß defacto die Provinzen schon; auch wenn dies Belgrad nicht passte.

Du wiederrum müsstest mir allerdings erklären, warum es deiner Meinung nach legitim ist, dass Österreich gegenüber dem Osmanischen Reich de facto erpresserische Forderungen stellte (mit der Implikation eines Krieges im Fall einer Ablehnung durch die in Bosnien anwesenden K.u.K.-Truppen), entsprechende Versuche Belgrads Österreich in Ähnlicher Weise zu behandeln um auch bedacht zu werden aber nicht?
Ist hier nacht das Thema!!!

Wie bereits angemerkt Italien.

Wenn es zu einem Krieg zwischen Italien und dem Osmanischen Reich kam, war es zu erwarten, dass Italien früher oder später versuchen würde Albanien zu besetzen, weil dieses Gebiet für Rom aus bekannten Gründen interessant war.

Vor so einen Schritt hatte Aehrenthal die Italiener eindringlich gewarnt. Rom erhielt so einige Mahnungen und Warnungen von den Großmächten.

Und wenn, das wäre ja wohl auch klar, das die Staaten des Balaknbundes dann ganz bestimmt nicht mehr die Füße still halten würden. Der Balkanbund war kein Geheimnis.
isher hast du aber keine Belegstelle dafür liefern können, dass verbreitete Angest vor einer Involvierung der Balkanstaaten (unabhängig vom Handeln Wiens) bestanden hätte.

Ich habe die Akten des österreichisch-ungarischen Außenministeriums benannt. Du hast bisher für deine These keine einzige Quelle benannt. Ich nennen hier dann noch eine weitere Quelle.
Ich zitiere den italienischen Außenminister: Er wisse, "das Österreich wirklich nur die Erhaltung und Ruhe und den Frieden im Balkan und namentlich in Albanien anstreben." Nachzulesen in der GP. Und das aus dem Munde von San Giuliano. Das wird auch dem anderen Großmächten bekanntgewesen sein. Ergo kamen nur die Staaten des Balkanbundes in Frage.

Der deutsche Botschafter Marschall führte aus. "Die Türkei könne nicht längere Zeit hindurchmit einer europäischen Großmacht in Kriegszustand sein, ohne das fast naturgemäß der Balkan und Albanien in Brand gerieten." Ebenfalls nachlesbar in der GP, Band 30.

Noch ein kurzes Zitat aus den serbischen Akten:
Der serbische Gesandte Popowitsch berichtete im Dezember aus Petersburg über ein Gespräch mit Sasonow:
Der österreichisch-ungarische Botschafter habe Sasonow versichert, das Wien aufrichtig die Erhaltung des Status Quo wünsche. Sasonow befürchtete für den kommenden Frühling Unruhen in Albanien und die Intrigen von Montenegro. Er glaube aber nicht, das Österreich-Ungarn diese Ereignisse hervorrufen werde, denn das wäre das Ende des Dreibundes, die Erschütterung des ganzen politischen Systems in Europa und würde ein Konflikt mit Italien bedeuten.

Wenn es zu einem Krieg zwischen Italien und dem Osmanischen Reich kam, war es zu erwarten, dass Italien früher oder später versuchen würde Albanien zu besetzen, weil dieses Gebiet für Rom aus bekannten Gründen interessant war.

Nein, das war viel zu gefährlich. Das hätte möglicherweise Krieg mit Österreich-Ungarn bedeutet. Ich glaube nicht, das die Italiener dermaßen verrückt gewesen wären. Der Dreibund wäre im Eimer und der ganze Balkan wäre in Brand gesetzt.

Das hätte einer territorialen Ausdehnung des ursprünglich in Afrika begonnenen Krieges in den Balkan hinein entsprochen, aber ohne zwangsläufig die Balkanstaaten zu involvieren.

Das ist zwar richtig, aber eben ein vollkommenes unrealistisches Szenario.

Ich kann nicht belegen, dass die von mir skizzierte Überlegung die zutreffende Intention hinter Aerenthals Ausführungen gewesen ist, aber es ist grundsätzlich nicht weniger plausibel als die von dir unterstellte Intention, die damit alles andere als eindeutig erscheint.

Ich teile diese Einschätzung aus bekannten Gründen nicht.
 
Interessant ist auch, das der italienische Außenminister San Giuliano zu Beginn des Krieges versichert hatte, er könne sich durchaus auch eine faktische Inbesitznahme des Gebietes vorstellen, die dem englischen Vorgehen in Ägypten, den französischen in Tunis oder auch den Verhältnissen in Bosnien vor der Annexion entsprochen hätte.
Als die Mächte dieses Gedanken aufgriffen, war es der italienische Regierungschef Giolitti der diese Idee verwarf und Sani Giuliano ablehnen ließ.(1)

Sie Edward Grey bezeichnete das italienische Vorgehen "als noch nicht dagewesene Friedensstörung und Aggression." (2) Der italienische Botschafter beschwerte sich dann auch doch tatsächlich übe die britische Presse, was hat er eigentlich erwartet?, bei Grey und dieser klärte ihm auf, das ohne die Freundschaft für Italien wäre diese (die Presseberichterstattung Anmerkung von mir) noch viel feindseliger; die italienische Aktion sei "a Great Shock" für die englische Öffentlichkeit gewesen." (3)

Der publizierte Unwillen in Deutschland war erheblich. Das ging so weit, das die Auflösung des Dreibundes verlangt wurde. Die Frankfurter Zeitung sprach am 29.September von einem offenen Raubzug, den Italien angetreten hat, eine Gewalttat mitten im Frieden, gegen die das ganze zivilisierte Europa einmütig protestieren müßte. Die SPD Zeitung der Vorwärts wurde noch deutlicher und sprach vom "Wahnsinn" und "der italienischen Verbrecherbande." Das Berliner Tageblatt von Italiens "Sprache der Brutalität." Die scharfe Beobachterin Baronin Spitzemberg notierte in ihrem Tagebuch im Kontext mit dem Annektionsdekret von der "tollsten Räuberei größeren Stils, die die moderne Geschichte kennt." (4)

Als die Osmanen begannen die Meerengen zu sperren, übrigens vollkommen legal, war die internationale Reaktion negativ. Die italienische Kriegführung in der Ägäis brachte nun die gesamte internationale Öffentlichkeit gegen sich auf.

Österreich war von Anfang an bemüht den Krieg zumindest zu lokalisieren (Nordafrika). Gründe sind bekannt; Frieden und Stabilität auf dem Balkan. Italienische Kriegsschiffe hatten, ganz entgegen den italienischen Zusicherungen, osmanische Torpedoboote in albanischen Häfen versenkt. Aehrenthal seine Reaktion fiel scharf aus. Die Italiener verdächtigten Aehrenthal sogar, diese würde türkische Kriegshandlungen begünstigen. (5)

Aus sachlich verständlichen Gründen, ich habe diese schon genannt, war Österreich-Ungarn die Macht, die der italienischen Kriegführung 1911/12 den größten Widerstand entgegensetzte. Die Italiener forderten die Vermittlung seitens Berlins. Das war für Berlin ziemlich unangenehm. San Giuliano versprach das Blaue von Himmel herunter, von einer neuen Ära des Bündnisses, die durch besondere italienische Zuverlässigkeit geprägt sein werde usw. usw. Hat nicht lange vorgehalten. Tatsächlich verwendete sich Berlin dann für Rom bei dem Nachfolger Aehrenthals, dieser war zwischenzeitlich gestorben. Berchtold gab nach und stimmte schließlich zu, das die Italiener ihre Operationen aussehen konnten. (6)

Auch in Frankreich war man alles andere als begeistert. Poincaré war überzeugter Nationalist und gegenüber Italien viel schärfer auftrat als sein Amtsvorgänger. Die französische Öffentlichkeit unterschied sich kaum von der englischen oder deutschen. Es hätte nicht viel bedurft, das sich dieser Unwille auf die Regierung, die ohnehin nach rechts rückte, ausgewirkt hätte. Die Osmanen hatten in Marseille ein Büro eröffnet, in dem Lieferungen von Kriegsmaterial organisiert wurden. Das passt den Italienern nacht und auf hoher See stoppten sie französische Schiffe zwecks Durchsuchung. Es wurde dann auch bei Gelegenheit ein türkisches Flugzeug samt Pilot und ein paar türkische Soldaten gefunden. Nun wurden die Franzosen aber böse und Poincaré hielt im französischen Parlament eine drohende Rede in Richtung Italien. In Italien fühlte man sich beleidigt. Jedenfalls wurden die Türken in Richtung Marseille freigelassen. Der internationale Gerichtshof verknackte später Italien zur Zahlung von Entschädigungen.

Als die Staaten den Balkanbundes losschlugen befreiten sie Italien im Prinzip aus einer großen Verlegenheit, indem sie das Osmanische Reich zwangen, sich dieser, diesmal lebensgefährlichen, Bedrohung zu stellen.



(1) Salvatorelli, Triplice, S.404
(2) Österreich-Ungarns Außenpolitik, Band III, Nr.2698 (kennst du ja)
(3) Salvatorelli, Tripolice, S.403 und Britische Dokumente Band IX/1 Nr. 256, 264
(4) Spitzemberg, S.537
(5) GP Band 30/1, Nr. 10874
(6) Österreich-Ungarns Außenpolitik, Band IV, Nr.3408 (kennst du ja) und Tagesbericht Bertholds vom 06.04.1912
 
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Ich frage mich, weshalb man in Rom so kurzsichtig und der Meinung gewesen war, durch Tripolitanien und die Cyrenaika einen Spaziergang durchführen und weitestgehend ohne militärisches Gefechte auskommen zu können. Ganz offenkundig war man der sehr irrigen Meinung, die einheimische Bevölkerung würde die Italiener als neue Herrn des Landes begrüßen oder zumindest einfach hinnehmen. Und die türkische Armee hatte man wohl sträflich unterschätzt und seine eigene militärische Leistungsfähigkeit hoffnungslos überschätzt.
War denn in Italien nicht bekannt, dass das (bröckelnde, gezauste) osmanische Reich seit den 70er Jahren kontinuierlich mit jeweils moderner (auch schwerer) Artillerie (von Krupp) ausgestattet wurde? Mag sein, dass das osmanische Herr noch nicht so viel "drauf hatte" wie nach der Militärmission (Liman von Sanders), aber starke Artillerie ist auch in den Händen von Dreiviertelprofis (statt Vollprofis) ein enormer Risikofaktor.
 
Was die Italiener überhaupt nicht erwartet hatten, war der überaus heftige Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Italien wurde eben nicht, wie erwartet, als "Befreier" begrüßt.
 
War denn in Italien nicht bekannt, dass das (bröckelnde, gezauste) osmanische Reich seit den 70er Jahren kontinuierlich mit jeweils moderner (auch schwerer) Artillerie (von Krupp) ausgestattet wurde? Mag sein, dass das osmanische Herr noch nicht so viel "drauf hatte" wie nach der Militärmission (Liman von Sanders), aber starke Artillerie ist auch in den Händen von Dreiviertelprofis (statt Vollprofis) ein enormer Risikofaktor.
Die Italiener dürften vor allem darauf gesetzt haben, dass das Osmanische Reich Schwierigkeiten haben würde, überhaupt in größeren Maße Truppen nach Libyen zu entsenden und dort versorgen zu können.

Ägypten war ja bereits in britischer Hand und sofern Großbritannien mitspielte und dem Osmanischen Reich den Transport durch dieses Gebiet verweigerte, blieb da nur noch der Seeweg und zur See ware die Italiener überlegen.

Was die Italiener überhaupt nicht erwartet hatten, war der überaus heftige Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Italien wurde eben nicht, wie erwartet, als "Befreier" begrüßt.
Richtig, zumal Libyen ja ein riesiges Hinterland hatte, in dass sich vor allem kleine berittene Truppen immer wieder gut zurückziehen konnten und die libysche Wüste, wo die Italiener die Wasserstellen nicht kannten, war natürlich ideal um verfolgenden italienischen Truppen immer wieder zu entgehen.

Im Übrigen schafften es die Italiener auch nie in diese Kolonie wirklich Ruhe hinein zu bringen, auch nach dem 1. Weltkrieg nicht.
 
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