Ich fürchte, hier gleiten wir in den tagespolitischen Bereich ab (nicht erwünscht in diesem Forum), aber das möchte ich nicht so stehen lassen, denn m.E. liegt euer Lehrer da falsch.
Gerade in diesem Jahr gab es bei der extremen Rechten zwei Ereignisse, die zeigten, welch wichtiges Politikfeld die Holocaust-Leugnung nach wie vor darstellt:
- das eine war die Holocaust-Konferenz in Teheran, eine einseitig antiisraelische Veranstaltung, mit Holocaust-Leugnern und Antisemiten aus der ganzen Welt.
- in Deutschland der Prozess gegen Ernst Zündel, einen der weltweit bedeutendsten Holocaust-Leugner. Interessant war die Verteidigung Zündels; sein Rechtsanwalt verwendete bei den Beweisanträgen zahlreiche Argumente, die direkt der Propaganda des Dritten Reiches entsprangen.
- Dazu sei noch an die "Bombenholocaust"-Rede der NPD im sächsischen Landtag erinnert, die den Holocaust verharmloste, indem sie den Begriff auf die Bombardierungen deutscher Städte erinnert.
Dies alles zeigt, dass Holocaustleugnung nach wie vor sehr wichtig für die nationalistische Rechte ist.
Es gibt aber noch ein anderes bedeutsames Argumentationsmuster: Rechstextreme sprechen häufig von einem "Schuldkult"; der Holocaust habe gewissermaßen den Rang einer Staatsreligion oder zumindest einer Art öffentlichen Bekenntnisses. Dieser Kult diene dazu, Deutschland gewissermaßen ideologisch zu unterdrücken.
Hier werden die Geschehnisse während des Holocaust nicht direkt geleugnet, aber es wird behauptet, der Holocaust sei nur aus niederen und politisch motivierten Punkten aufgearbeitet worden. Gleichzeitig wird so versucht, die Gedenkkultur gegenüber den Opfern zu unterbinden; und indirekt steht auch der Vorwurf, die Juden würden an der Erinnerungskultur "verdienen".
Meine Informationen beziehe ich aus dem Internet. Solche Aussagen habe ich auch erlebt - aber nur sehr selten und immer nur von einzelnen Personen. Das wäre auch politisch nicht nützlich; die meisten Rechtsextremen versuchen eher den Holocaust zu leugnen oder von ihm abzulenken, damit die nationalsozialistische Ideologie gewissermaßen "reingewaschen" wird.
Die Relativierung des Holocaust, indem man umständlich und unterschwellig versucht, die Opfer zu Tätern zu machen, geht allerdings weit ins konservativ bürgerliche Lager, und fällt von Zeit zu Zeit auf, dann nämlich, wenn irgendeinem Hinterbänkler der Quassel ungefiltert ausläuft. So z. B. bei der überaus peinlichen Rede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger in den 80er Jahren. 2005 sorgte der hessische CDU Mann Hohmann für Aufsehen, als er in einer Rede darauf verwies, daß es unmöglich sei, von den Deutschen länger als "Tätervolk" zu sprechen, niemand rede von den Juden als Tätervolk, obwohl zahlreiche Juden Mitglieder der Tscheka (Vorgängerin des KGB) gewesen seien und an Greueln beteiligt waren.
Mochte Jenninger tatsächlich nicht so recht gewußt haben, was er von sich gab, so wissen rechte Populisten meist ziemlich genau, was sie sagen. Die Holocaustleugnung war Ende der 70er Anfang der 80er ein Zugpferd der Neonazis. Erich Kühnen sorgte mit Eselsmasken für Aufsehen und Schildern mit der Aufschrift "Ich Esel glaube noch, daß in deutschen KZs Juden vergast wurden". Kühnen hatte großen Erfolg in den Medien, er begriff, daß man erst bekannt werden muß, um beliebt zu werden. Doch mittlerweile gehen die Neonazis argumentativ geschickter vor. Sie leugnen in der Diskussion nicht direkt den Holocaust, sondern verweisen darauf, "daß endlich Schluß sein muß", suggerieren eine Beeinflußung durch "die Juden" und verweisen auf Menschenrechtsverletzungen und Greuel des Staates Israel. Unter sich wird der Holocaust natürlich nicht geleugnet, denn 6 Millionen Juden, und 14 Millionen Slawen, Untermenschen, Asoziale, Zigeuner, Schwule beseitigt zu haben, ist schließlich auch eine Leistung. Es waren aber leider viel zu wenige.
In Diskussionen sind manche Neonazis mitunter sogar recht eloquent, durchaus nicht dumm und keineswegs zu unterschätzen. Sie wirken sogar manchmal ganz sympathisch, machen stilistische Anleihen bei den Autonomen, sind frech und reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Manche Kommunalpolitiker sehen alt aus, wenn die NPD plötzlich für ein Kinderheim spendet, wenn sie Jugendliche umwerben, "etwas für die Jugend tun".
Das ist übrigens ein Pfund, mit dem Rechte seit den 60ern wuchern konnten. Die Wiking Jugend und unzählige Ableger knüpften an die HJ an. Und für Propagandazwecke ist sie als "saubere" NS Organisation geeigneter, denn sie wurde nicht wie die SS als "verbrecherische Organisation" eingestuft. Sie sagen, daß die Nazis etwas für die Jugend getan hätten, die Leute von der Straße geholt hätten, Kameradschaft gepflegt hätten. Die Jugend sei damals noch "echt begeistert" gewesen.
Sicher, die haben nicht gesagt, daß sie Stalingrad und Auschwitz veranstalten und die Deutschen trotzdem begeisert sein müssen. Sie hatten ja auch Erfolge, ohne Zweifel. Aber was war das denn für ein Reich? War das etwa ein bürgerlicher Rechtsstaat? Presse, Rede-, Versammlungs-, Vereins- und Meinungsfreiheit wurden aufgehoben. Bereits 1933 wurden in "wilden Konzentrationslagern" einige hundert Menschen ermordet. Kulturell sank Deutschland, das in der Weimarer Zeit Hochniveau hatte auf ganz erbärmliches Niveau herab. Thomas Mann, Kurt Tucholsky, Hermann Hesse, Lion Feuchtwanger, Billy Wilder, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Anna Seghers, Carl Zuckmayer und viele andere mußten das Land verlassen. Die blieben wie Wilhelm Feuchtwanger, Carl Orff, Erich Kästner, Gustav Gründgens waren zu Konzessionen und gelegentlich Kollaboration gezwungen. Es hagelte Berufsverbote, Nacht- und Nebelerlasse und Sondermeldungen. Im Führerstaat herrschte unglaubliches Chaos, ein fast perverses Drohnendasein, das im Krieg fast surrealistische Blüten der Drückebergerei trieb. Die Führungsschicht vom Führer Adolf Hitler über seinen "treuen Heinreich" Himmler über Göring bis hinab zum kleinen Rottenführer war durch und durch korrupt. In Sachen Sexualität und Drogen herrschte eine unglaubliche Doppelmoral. Du mußt mal in die Auschwitz online Doku reinschauen, die Ursi reingestellt hat. Da erzählt ein SS Mann, daß die Disziplin in Auschwitz unter aller Sau war. Das ging soweit, daß sich die SS Wachen besoffen ins Bett legten und das Licht ausschossen. Privat wurde unglaublich viel geraubt und geplündert. Niklas Frank, der Sohn des "Generalgouverneurs" spielte mit einem diamantbesetzten Schwert, wie er schreibt.
Gut, vielleicht gibt es immer noch Leute, die behaupten, daß man in Hitlers Reich gut leben konnte, wenn man kein Zigeuner, Jude, Freidenker, überzeugter Christ, Zeuge Jehowas, Kommunist, Untermensch, Homosexueller war, wem bürgerliche Grundrechte nichts bedeuteten und wer kulturell einen schlichteren Geschmack hatte. Aber der "deutsche Blick", der Satz "Halts Maul, sonst kommst du nach Dachau", das alles war schon in den "guten Nazijahren" angelegt. Es hat Hunderte, ja Tausende von Deutschen gegeben, die eine ironische Bemerkung, einen harmlosen Witz, eine kritische Bemerkung im Freundeskreis mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben bezahlt haben. Es wurden Menschen hingerichtet, weil sie heimlich Radio gehört oder verbotene Bücher gelesen haben.
Und die Jugend? Was haben sie für die Jugend getan? Sicher, reiten, segelfliegen, Fahrten machen, Lagerfeuerromantik mag vielfach tatsächlich "schön" gewesen sein. Aber haben sie den Jugendlichen etwa beigebracht, selbstständig zu denken, haben sie ihnen wirkliche Tugenden beigebracht wie Toleranz, Mitgefühl, Kritikfähigkeit, Eigenverantwortung? Es war Manipulation gemäß den Zielen des Systems. Flink wie Windhunde, hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder" "Jugend muß wagen", Jugend von Jugend geführt", das sind doch alles dumme Phrasen. Hitler hat ja ganz offen gesagt was er von der Jugend erwartete, daß er sie in die HJ, in die SA, in den Arbeitsdienst übernehmen wolle und die Wehrmacht das zur Weiterbehandlung übernehme, "was dann noch an Standesbewußtsein und Klassendünkel vorhanden ist". Hitler schloß dann diese frappierende Rede mit den Worten "... und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben lang..."
"Es gab zur Nazizeit keine Verbrechen", ist natürlich totaler Blödsinn, selbst wenn man dabei die Verbrechen abzieht, die die deutsche Regierung selbst verübte. Das tat sie von Anfang an, wenn man nur an die Morde in den wilden Konzentrationslagern oder den viehischen Mord an Hitlers Duzfreund Ernst Röhm, an Kurt von Schleicher und seine Frau, Ritter von Kahr, Gregor Strasser und andere denkt. Es wurde natürlich nicht über Verbrechen und Kriminalität berichtet, denn die "Berufsverbrecher" saßen ja im KZ, wo die übelsten Subjekte als Kapos oft ein feines Leben hatten. Typen wie Oskar Dirlewanger schätzten offenbar die übelsten Typen als ihresgleichen, so daß die SS Division Dirlewanger im Grunde nichts anderes war, als eine Mordbrennerbande.
Wenn man sich Hitlers Reich, den Lebensstil seiner Würdenträger, die unglaubliche Korruption und Vetternwirtschaft, die erzwungene Provinzialität und Seichtigkeit der Kultur, die völlige Rechtlosigkeit und Behördenwillkür ansieht, dann erscheinen auch die "guten Nazijahre" weit weniger glanzvoll, als es Neonazis heute wahrhaben wollen.