Erkenne dich selbst

Ich habe noch einen Beleg aus erster Hand gefunden, sogar besser als Pausanias: Plutarch, der selbst Priester in Delphi war, gab die Inschrift im 2. Kap. seiner Schrift "Über das E in Delphi" auch mit γνῶθι σαυτόν wieder.
 
Danke insoweit für die interessanten Erläuterungen.

Zwei ergänzende Fragen, von denen ich nich weiß, ob sie sich beantworten lassen:

- wenn ich das richtig verstanden habe, wird von der Inschrift ab dem 5. Jhdt BC geschrieben (so auch in einer Delphi-Monographie). Zwischenzeitlich ist der Apollon-Tempel durch Steinschlag und Erdbeben zerstört worden. Ist die Inschrift demnach an beiden Tempel"versionen" angebracht gewesen?

- welches ist denn der spätest datierte Bericht, der die Inschrift noch als vorhanden ansieht? Etwa in 4 Jhdt AD, als die Funktion als Pilgerstätte noch vorhanden war?
 
Auch eine Frage. Ich meine gelesen zu haben, dass einmal ein Besucher Delphis im Hellenismus bis weit Richtung Indien nach Ai Khanoum gereist ist und dort an einem Gebäude die Sprüche der 7 Weisen hinterlassen hat. Wäre damit irgendwo ins 3./2. Jh. v. Chr. oder so zu datieren.

Der Inschriftenblock sieht so aus:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/39/KineasInscriptionSharp.jpg

Allerdings kann ich die fragliche Inschrift da nicht wirklich finden.
 
Ich dachte, es wären da auch Kopien der Inschriften gefunden worden. Ich war mir über die Lage des Ortes nicht ganz sicher, deswegen "Richtung Indien"...
 
Zwei ergänzende Fragen, von denen ich nich weiß, ob sie sich beantworten lassen:

- wenn ich das richtig verstanden habe, wird von der Inschrift ab dem 5. Jhdt BC geschrieben (so auch in einer Delphi-Monographie). Zwischenzeitlich ist der Apollon-Tempel durch Steinschlag und Erdbeben zerstört worden. Ist die Inschrift demnach an beiden Tempel"versionen" angebracht gewesen?

- welches ist denn der spätest datierte Bericht, der die Inschrift noch als vorhanden ansieht? Etwa in 4 Jhdt AD, als die Funktion als Pilgerstätte noch vorhanden war?
Es gab drei Tempel-Versionen: Der erste Tempel brannte im 6. Jhdt. v. Chr. ab, der zweite wurde 373 v. Chr. bei einem Erdbeben zerstört.
Auf der dritten Version muss die Inschrift jedenfalls vorhanden gewesen sein, da der Zeitzeuge Plutarch sie für seine Zeit erwähnt.
Auf der zweiten Version muss sie auch vorhanden gewesen sein, da sie in Zusammenhang mit Sokrates in Werken Platons, die vor der Zerstörung entstanden sein dürften, erwähnt wird.
Bei der ersten Version wird es schwierig: Die meisten antiken Autoren, auch Pausanias, schrieben die Verfasserschaft der Inschrift einem der "Sieben Weisen" zu, die noch in die Zeit des ersten Tempels fielen, aber darauf würde ich nicht viel geben (zumal auch keinerlei Einigkeit bestand, welcher der Sieben - deren Nennungen auch variierten - es war). Einen handfesten zeitgenössischen Beleg, dass bereits der erste Tempel die Inschrift trug, gibt es wohl keinen.

Deine zweite Frage kann ich nicht beantworten.
Grundsätzlich lässt sich vielen Erwähnungen der Inschrift nicht entnehmen, ob der Autor sie noch als zu seiner Zeit bestehend annahm (und falls ja, ob er sie selbst gesehen hat). Bei Pausanias (2. Jhdt. n. Chr.), der Delphi selbst besuchte, wird das anzunehmen sein. Porphyrios hingegen, ein Philosoph des 3. Jhdts. n. Chr., erwähnt die Inschrift zwar, macht aber sonst keine Angaben dazu. Das andere Problem ist, dass der Spruch selbst häufig ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den Tempel zitiert wird. Dazu, was die späteste Erwähnung der Inschrift selbst ist, habe ich nichts gefunden.
 
Ich bin ja kein Philologe, deswegen stellt sich mir folgende Frage: Die von Ravenik aufgeführten Texte antiker Autoren kennen wir ja alle nur aus mittelalterlichen Abschriften. Kann es sein, daß während des wiederholten Kopiervorganges die Veränderungen in der griechischen Sprache zum Verschleifen des "e" beigetragen haben?
 
Keine Ahnung, glaube ich aber nicht.

Erstens wäre es schon sehr unwahrscheinlich, dass in allen Quellen, in denen die Inschrift zitiert wurde, das "e" erst im Laufe der Spätantike oder des Mittelalters von Abschreibern verschliffen worden wäre. Ansonsten wurden die Texte ja auch nicht an das sich verändernde Griechisch angepasst, denn andernfalls hätten wir heute fast alle Texte aus der Antike nur mehr in Mittelgriechisch vorliegen.
Zweitens gehe ich davon aus, dass (indirekt) nachprüfbar ist, ob derartige Verschleifungen bereits in der Antike vorhanden waren, nämlich bei Versen: Da bei Versen die Zahl der Silben eine Rolle spielt und bei Verschleifungen meist eine Silbe wegfällt, müssten Verse in den uns vorliegenden Handschriften "hinken", wenn sie ursprünglich mit einer Silbe mehr geschrieben worden wären und sie erst im Mittelalter ausgefallen wäre. (Umgekehrt hätte wohl kein halbwegs kompetenter Abschreiber eine Silbe ausfallen lassen, wenn er dadurch das Versmaß ruiniert.) Ich nehme an, dass Philologen das längst aufgefallen wäre. Somit wird es die Verschleifungen schon in der Antike gegeben haben. Die Delphi-Inschrift wird zwar, soweit ich das feststellen konnte, in keinem in Versen gehaltenen Text zitiert, aber da es die Verschleifungen grundsätzlich offenbar schon in der Antike gab, sehe ich keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht tatsächlich auch verschliffen gewesen sein sollte.
 
Das mit dem Versmaß ist ein sehr guter Gedanke. Über die anderen Aspekte habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, war mir aber nicht sicher.
 
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