Es waldet im waldigen Wald, oder nicht?

Die Argumente und Indizien für die zunehmende Entwaldung wirken allesamt plausibel. Kommt das Bevölkerungswachstum (Wärmeperioden etc) hinzu, dann umso mehr. Und sehr interessant ist die zunehmende Sparsamkeit im Holzverbrauch wie von @El Quijote beschrieben.
Fürs Mittelalter und Hochmittelalter könnte das aber mit dem Jagdprivileg des Adels kollidieren: wo hätten die edlen Rittersleut' denn ihren Rehbraten und ihr Hirschragout erhaschen sollen ohne Waldgebiete?
 
Eigentlich ist das ein eigenes Thema: Landschaftswahrnehmung. Sei es in den Wandmalereien Pompejis, in römischen Kriegsberichten, oder in gotischen Marienbildern wie hin zur neuzeitlich-realistischen Landschaftsbetrachtung Dürers.
Hinsichtlich der versuchten Kontrolle des freien Germaniens: vielleicht war es nicht so dass das Gebiet militärisch nicht beherrschbar gewesen wäre, aber es war militärisch nicht wirtschaftlich beherrschbar: zu locker besiedelt, und riesige Entfernungen. Es gab keine Siedlungskerne die aus Sicht der Römer eine wirtschaftliche Eigendynamik entwickelt hätten.
Also die "Unwirtlichkeit" Germaniens eher als "wirtschaftliche Unwirtlichkeit".
Die Feldzüge des Germanicus waren vielleicht wirtschaftlich und militärisch verhängnisvollere Siege als die Niederlagen des Varus.
 
Kürzlich war ich auf dem Rhinsberg (Höhenbefestigung Rhinsberg – Wikipedia ), der sich etwa 200m aus der Landschaft erhebt. Darauf befand sich eine spätbronzezeitliche Wallburg.
Abgesehen davon, dass der Rhinsberg auch sonst historisch gesehen sehr interessant ist, mir der Wall völlig überdimensioniert vorkam und sich mir sein Zweck nicht ganz erschloss, machte mich bei der Lektüre von Der Rhinsberg bei Eglisau, Kanton Zürich : eine spätbronzezeitliche Höhenbefestigung
diese Stelle stutzig:

Zu klären wäre daher einerseits, ob Schutz überhaupt erforderlich war, und andererseits, ob sich eine auf Repräsentation ausgerichtete Bevölkerungsgruppe nachweisen lässt. Vor der Diskussion solcher allgemein gehaltener Konzepte ist im Einzelfall vordringlich die Frage zu beantworten, ob im Zusammenhang mit dem Wallbau das ganze Plateau oder doch grosse Teile davon gerodet wurden. Bei einer auf Repräsentation abzielenden Anlage wäre dies wohl zu erwarten, bei einer Fluchtburg hingegen keinesfalls.

Heute befindet sich diese Anlage in dichtem Wald und wurde bisher als Refugium bzw. Fliehburg betrachtet. Die neueren archäologischen Untersuchungen (publ. 2005) ergaben, dass das Hochplateau zur Zeit der Benutzung vermutlich gerodet war.

Gibt es zu dieser Frage bei Fliehburgen in Germanien für die Römerzeit allgemeine Erkenntnisse? Im Wald versteckt oder sichtbar? Befindet man sich mit Fliehburg als Begriff sowieso auf dem Holzweg?
 
Wie sieht es denn mit Innenbebauung aus? Eine repräsentative Anlage würde ja erwarten lassen, dass es sich um eine Akropolis handelt, eine "Oberstadt". Also mit Bebauung.
Eine Fliehburg dagegen würde letztlich ja nur als temporärer Schutz dienen, hier gäbe es keine Innenbebaung, da sie i.d.R. nicht bewohnt wäre. Die Schnippenburg im Wiehengebirge scheint ein Handelsplatz gewesen zu sein, jedenfalls sieht man sie wohl mehrheitlich nicht mehr als Fliehburg.

Die Arbeiten von Carl Schuchhardt bedürfen wohl insgesamt einer Revision.
 
Gab es ein nachweisbares Konzept von im Wald versteckten Burgen, insbesondere in Germanien?
Sinn einer Burg - als künstlichem Gelände - ist, dass der Verteidiger einen Geländevorteil hat, dass er im Idealfall den Angreifer von oben herab bekämpfen kann und über Deckung verfügt, wohingegen der Angreifer letzteres - Deckung - eben nach Möglichkeit nicht hat und sich dementsprechend auch nicht unbemerkt annähern kann. Daher wäre mir die Frage gar nicht gekommen.
 
Im unmittelbaren Vorfeld einer Höhenburg ist das roden eines nicht allzu breiten Geländestreifens sinnvoll (zum bestreichen der Mauer, Übersicht) - wenn allerdings jenseits eines solchen Streifens Wald vorhanden ist, hindert dieser die Angreifer daran, weitreichende Katapulte aufzustellen (der Wald ist halt voller Bäume, da sind die im Weg) Die Annäherung an Höhenburgen muss für mitgeschleppte Belagerungsmaschinen auf den vorhandenen Zuwegen geschehen: diese waren oftmals vorbereitet (Hindernisse, Sichtschneisen etc)
((freilich kann man das nicht stur generalisieren: da hängt im jeweiligen Fall viel vom Gelände ab. Eine Höhenburg hoch oben auf einem Felssporn musste sich über Belagerungsmaschinen nicht viele Gedanken machen, z.B. der Königstein im Muttelalter)

(später, im Festungsbau, musste das Vorfeld sehr weit frei sein, die Festungsanlagen selber aber waren zur Tarnung bepflanzt und teils "bewaldet")
 
Zuletzt bearbeitet:
(1)Aber doch sicher nicht vor der zweiten Hälfte des 19. Jhdts., oder?
(2)Kommt das vor oder nach dem Vatelalter?
(1) auch vorher schon. Bei Hartwig Neumann (Festungsbaukunst oder so ähnlich) finden sich Quellen zur "Festungsgärtnerei" ab spätestens dem 18.Jh. (welche Gehölze etc auf Wallschrägen anzupflanzen und wie zu nutzen seien)
(2) del Fehrelteufer ist ein Rump ;)
 
Bleibt noch zu diskutieren, ob man ein solches Höhen-Refugium durch Wald abgedeckt von weitem unsichtbar machen konnte, vor dem Wall dann aber doch eine Lichtung war. Auf einem Hochplateau, wie dem Rhinsberg, scheint es mir möglich gleichzeitig Versteck und Verteidigung zu haben. Allerdings geht dann doch bis auf den Wall viel vom Höhenvorteil verloren. Vielleicht gab es gerade bei Fliehburgen noch andere Verteidigungs- oder Verzögerungstaktiken unter Einbezug des Waldes. Die Nervier mit ihren Hecken sollen angeblich gegen Caesar da auch eine besondere Taktik gehabt haben.
 
@Naresuan wir sind ein wenig (mittelalterliche Burgen und Höhenburgen) und sogar noch weiter (meine Erwähnung der neuzeitlichen Festungen) abgeschweift vom Wald Germaniens zur Römerzeit. Sorry.
Zu den Verteidigungsstrategien von antiken Flieh-/Fluchtburgen (kelt. & german.) kann ich nichts beitragen, da kenne ich mich nicht aus.
Der Limes soll einen entwaldeten Streifen gehabt haben (setzt zum roden Wald voraus), ebenso war das Vorfeld röm. Kastell und Brückenköpfe gelichtet - hier dürfte der Grund in Sichtsignalen und Vorfeldüberwachung liegen.
 
Im unmittelbaren Vorfeld einer Höhenburg ist das roden eines nicht allzu breiten Geländestreifens sinnvoll
Die Büraburg fällt mir als Höhenburg ein. Heute liegt das Areal im Wald und ist aus der Ferne kaum sichtbar. Es scheint dort immer wieder Befestigungen gegeben zu haben. Ab 680 ist eine fränkische Berfestigung belegbar, die später auch kurzzeitig als Bischofssitz diente. An besonders gefährdeten Stellen legten die Franken Spitzgräben an. Solche Gräben wird man eher nicht im Wald angelegt haben. Allein um eine gute Sicht auf das Edertal, die Ederfurt beim heutigen Fritzlar und die damalige Siedlung Alt-Geismar unter dem Büraberg zu haben, musste man entweder Türme bis über die Baumwipfel bauen oder aber Teile des Waldes roden. Ohne vernünftige Sicht auf das Umland erscheint mir eine 8 Hektar große Anlage jedenfalls nicht so sinnvoll.
 
Vielleicht gab es gerade bei Fliehburgen noch andere Verteidigungs- oder Verzögerungstaktiken unter Einbezug des Waldes. Die Nervier mit ihren Hecken sollen angeblich gegen Caesar da auch eine besondere Taktik gehabt haben.
Im Falle der Nervier soll deren Heckenstrategie laut Caesar allerdings weniger auf die Verteidigung eines bestimmten Ortes sondern ihr Gebiet als Ganzes ausgerichtet gewesen sein. Im konkreten Fall scheint v.a. eine Einschränkung der überlegenen römischen Reiterei beabsichtigt gewesen zu sein, am von den Nerviern gewählten Ort der voraussichtlichen Schlacht: Schlacht an der Sambre (57 v. Chr.) – Wikipedia

"Da die Nervier nicht in der Lage waren, eine Reiterei einzusetzen, bis heute kümmern sie sich nicht darum; ihre ganze Schlagkraft liegt bei den Fußtruppen, hatten sie von alters her eine Methode entwickelt, die Reiterei ihrer Grenznachbarn abzuwehren, wenn sie bei ihnen eingefallen waren, um Beute zu machen: Sie schnitten junge Bäume ein und bogen sie. Zwischen ihre zahlreichen in die Breite wachsenden Zweige pflanzten sie Brombeer- und Dornbüsche und stellten so einen Schutzwall her, der an die Stelle einer Mauer trat und undurchdringlich war, ja sogar jede Sicht versperrte."
(Übersetzung: De bello Gallico 2,17 )
 
Zuletzt bearbeitet:
@Naresuan wir sind ein wenig (mittelalterliche Burgen und Höhenburgen) und sogar noch weiter (meine Erwähnung der neuzeitlichen Festungen) abgeschweift vom Wald Germaniens zur Römerzeit. Sorry.
Zu den Verteidigungsstrategien von antiken Flieh-/Fluchtburgen (kelt. & german.) kann ich nichts beitragen, da kenne ich mich nicht aus.
Der Limes soll einen entwaldeten Streifen gehabt haben (setzt zum roden Wald voraus), ebenso war das Vorfeld röm. Kastell und Brückenköpfe gelichtet - hier dürfte der Grund in Sichtsignalen und Vorfeldüberwachung liegen.

Da die Abschweifung bei der Bronzezeitdiskussion begann, habe ich das bewusst vom leidigen Römer-Germanen-Komplex getrennt und dachte, wir führen eine Diskussion allgemeinerer und übergreifenderer Natur.

Wallhecken wurden auch in SpätMA und FNZ genutzt. Sogenannte Landwehren, die den Bauern in der Umgebung einer Stadt die Möglichkeit gaben, möglichst in die Stadt zu fliehen, wenn ein feindliches Heer sich näherte. Ein Bauer, der sein Gehöft an der Landwehr hatte, musste auch für deren Bepflanzung sorgen. Zumindest im Flachland waren das üblicherweise Wallgrabensysteme, wobei die Wälle mit Hainbuchen und Vogelbeere, Rosengewächsen o.ä. bepflanzt waren. Ich frage mich auch immer wieder, ob die Kakteen im Mittelmeerraum nicht auch deshalb so verbreitet sind, weil sie nicht nur schmackhafte Früchte bieten, sonder weil sie sich auch als Annäherungshindernis eigneten. Sie wären aber erst nach 1520 eingeführt worden.
 
@Ugh Valencia (rein "theoretisch") wenn einer ursprünglich bewaldeten Höhe eine "Tonsur" frisiert wird, dann hat man von oben einen weiten Blick, ohne dass die komplette Höhe entwaldet werden muss.

Nicht allzu weit entfernt von Fritzlar bin ich mal durch eine Höhen- oder Fluchtburg gewandert (ja...beim geocachen), die Büraburg war das aber nicht, sondern die "Altenburg" bzw. "grüne Platte" bei Niedenstein, Habichtswald. Soll eine chattische Burg / Wallanlage gewesen sein, um 50 vor Chr. wohl aufgegeben. Die gesamte Anlage muss sehr weitläufig gewesen sein. Ob und wie sehr sie be- oder entwaldet war, weiß ich nicht
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Ich frage mich auch immer wieder, ob die Kakteen im Mittelmeerraum nicht auch deshalb so verbreitet sind, weil sie nicht nur schmackhafte Früchte bieten, sonder weil sie sich auch als Annäherungshindernis eigneten. Sie wären aber erst nach 1520 eingeführt worden.
Der Stechginster - eine Plage! - auf den Kanalinseln erfreute sich bei der Küstenverteidigung großer Beliebtheit im Festungsbau dort! Hänge mit diesem Zeug waren quasi undurchdringlich. Man soll das Zeug peu a peu absichtlich gepflanzt haben.
Die Agaven auf Mallorca, Madeira, Kanaren: hatte man die nicht als Futterpflanzen eingeführt?
 
und dachte, wir führen eine Diskussion allgemeinerer und übergreifenderer Natur.
meinerseits sehr gerne: dann sind Burgen und Festungen u.U. keine argen Abschweifungen mehr.

Wir haben ja in der Diskussion wiss. Argumente (aus botan.-histor. Fachliteratur), welche zu belegen scheinen, dass heute hierzulande mehr Wald als in früheren Jahrhunderten vorhanden seie. (Mich Laien hat das sehr erstaunt und bislang noch nicht überzeugt)
Mir stellen sich drei Fragen:
1. Wo jagte der Edelmann (Jagdprivileg des Adels) seinen Rehbraten, Hirschragout, Wildschweinsteak, wenn es damals weniger Wald als heute gegeben haben soll?
2. Holz als Bau- & Brennmaterial musste infolge steigender Bevölkerungsdichte in zunehmend größeren Mengen auf Lager gewesen sein: wie soll das im 18.-19.Jh. funktioniert haben, wenn es da weniger Wald als heute gegeben haben soll.
3. (irgendwie aktuell) Wald/Wälder gelten als Wasserspeicher und Temperaturregler - wo sind die verheerenden Hochwasser früherer Epochen, die angeblich waldärmer waren?
 
Das "soll" ist sehr zutreffend. Wir wissen nicht, ob um 50 v.Chr tatsächlich Chatten in Nordhessen lebten.

Die Datierungen muss man auch hinterfragen. Unglaublich viele Ringwallanlagen werden auf bis 50 v. Chr. datiert,
häufig auf sehr dünner Grundlage.
Aktuelle Forschung gibt es kaum, etwa beim Heidetränk-Ooppidum ist die letzte wissenschaftliche Untersuchung rund 100 Jahre her, viele andere wurden überhaupt nur von Heimatforschern und Hobbyarchäologen untersucht.
 
1. Wo jagte der Edelmann (Jagdprivileg des Adels) seinen Rehbraten, Hirschragout, Wildschweinsteak, wenn es damals weniger Wald als heute gegeben haben soll?
Diese Viecher lieben Parklandschaften. Ab und zu mal ein Bachlauf, um den herum Bäume und Büsche stehen, aber ansonsten Flächen, wo man grasen bzw. als Wildschwein durchwutzen kann. Jagdschlösser haben doch auch 8mmer Schneisen.
Zumindest das sähe ich daher nicht als das große Problem an.
 
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