@Daglargibi: Es gibt eine Reihe von problematischen Aussagen, bei denen man nicht genau beurteilen kann, ob es inhaltliche oder eher sprachliche Gründe hat.
Ein Aspekt erscheint mir jedoch besonders relevant.
Heute wird etwas falsch angesehen die Gründungstheorie die Republik Türkei, sie war nicht .... stark nationalistisch, sondern stark sunnitisch islamistisch geprägt
Das Auflösen des Osmanischen Reichs bedeutete nicht das Ende seiner Strukturen und es bedeutete noch weniger, dass die Normen und Vorstellungen, die durch Sozialisation seiner Mitglieder / Bewohner im Osmanischen Reich aufgebaut worden sind, mit seinem Ende auch abgeschafft worden sind. Sie lebten natürlich fort und bildeten auch weiter einen Teil des Bezugsrahmens für die Bewertung von "Ereignissen" (Politik, Gesellschaft, Kultur etc.)
Insofern ist es richtig, auf den Fortbestand islamischer Traditionsbestände in einer "säkularisierten" Türkei hinzuweisen. Es war eher ein "Nebeneinander" modernistischer Vorstellungen im Rahmen des "Kemalismus" und tradierter Sichtweisen.
In diesem Sinne faßt Quartaert es folgendermaßen zusammen:
"In sum, the Ottoman legacy, both in the lands the empire once occupied and beyond, is mixed. For some, it remains an object variously of opposition, derision, scorn, and even hatred while others along the spectrum view the Ottoman past as irrelevant for their present. Admirers of the Ottoman legacy, however, are divided. They disagree over whether the Ottoman entity they seek to emulate is a secular, nationalist, or Islamist state and society. In these pages, I have argued that the Ottoman legacy is of a political and social system offering non-national, multi-religious and multi-ethnic forms of organization for a world increasingly divided by nationality, religious belief and ethnicity." (Pos. 4141)
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Republik_T%C3%BCrkei
https://de.wikipedia.org/wiki/Kemalismus
Und das ist für mich persönlich im Moment das eigentlich spannende und überraschende. Wenn man sich mit der Geschichte von Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich beschäftigt, dann wird deutlich, wie "offen" und tolerant diese Staaten in vielen Fragen eigentlich waren und wie stark sie in der Lage waren, die soziale und kulturelle Heterogenität zu integrieren, über die sie geherrscht haben.
Dass sie letztlich an dieser Aufgabe gescheitert sind, liegt weniger an der eigenen Unfähigkeit, sondern an dem massiven Druck zur zentral gesteuerten Modernisierung, um den militärischen Anforderungen an die "Neuzeit" gerecht zu werden.
Da bekommt die Frage - und ich folge da der Sicht von Quartaert - , welche staatlichen Strukturen eigentlich die "moderneren" waren bzw. sind, eine neue Perspektive. Und möglicherweise kann unsere Zukunft eher aus den historischen Traditionsbeständen von Österreich-Ungarn oder dem Osmanischen Reich lernen, wie aus einem seit 1990 zunehmend radikalisierten Neo-Nationalismus beispielsweise der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten.