Es gibt Historiker, die auch seine Nachfolger, zumindest einige, als Kayzer-i Rum bezeichnen aber es gibt keine zuverlässigen Quellen.
Tatsache ist, dass der türkische Herrscher osmanischer Sultan und nicht römischer Imperator war.
Die Definition, nämlich deine, des Erbe der Oströmer beruht insofern nur auf Spekulation, wie wir nicht genau genug wissen, wie weit das byzantinische Reich schon zur Zeit seiner Eroberung turkisiert war.
Das kulturelle Erbe des Byzantinischen Reichs liegt offen vor uns und ist von unzähligen Kunsthistorikern beschrieben worden. Im "Museum für byzantinische Kunst" in Berlin lässt sich das alles besichtigen.
Mit der Turkisierung und Islamisierung Kleinasiens hat das nur insofern zu tun, als diese Kunst einen raschen Tod starb - sieht man einmal von der religiösen Kunst ab, die besonders in den griechisch-orthodoxen Ländern Europa fortlebte.
So ist auch die Religion als Grundlage für deine Definition nicht ausreicht.
Wie du in einem meiner obigen Beiträge nachlesen kannst, ist die Religion lediglich ein teil der alten byzantinischen Identität. Hinzu kommtt eine ganz spezielle byzantinische Literatur, Malerei, Mosaikkunst, Bildhauerei, Schmuck- und Metallverarbeitung oder Musik, ganz abgesehen von speziellen Ausformungen des römischen Rechts - "Corpus iuris civilis" Kaiser Justinians - oder der Lebensart der griechischen Byzantiner.
Festzustellen ist, dass das Osmanische Reich zu Zeiten von Fatih kulturell europäisch ausgerichtet war, nicht gen Osten.
Das mag - wenn überhaupt - nur auf eine winzige Schicht der Elite zutreffen. Nicht aber auf die große Schar der turkstämmigen Reiterkrieger und Halbnomaden, die die anatolische Hochfläche durchzogen, oder die zahlreichen
Ghazi, die türkisch-muslimischen Glaubenskrieger an den Reichsgrenzen, mit denen die Sultane während des gesamten 14.-16. Jh. Auseinandersetzungen hatten. Da gab es keine "europäische Ausrichtung".
Ganz abgesehen davon blickten die osmanischen Herrscher keineswegs nur nach Europa, sondern sehr intensiv nach Osten, wo sie ständig mit dem persischen Safawidenreich zu kämpfen hatten und im Lauf der Zeit ganz Vorderasien und Nordafrika eroberten.
Einen Vergleich mit der spekulativen Entwicklung der Byzantiner, wenn sie nicht erobert worden wären, ist wie gesagt, reine Spekulation.
Von einer solchen spekulativen Geschichte halte ich wenig. Es ist völlig ungewiss, wie sich das Byzantinische Reich ohne die türkische Eroberung entwickelt hätte.
In der Tat war das Osmanische Reich das islamische Land, das den europäischen am meisten ähnelte. Ich sage nicht, sehr ähnelte, das war er nicht aber das ähnlichste.
Man darf nicht vergessen, dass das Osmanische Reich aufgrund seiner gewaltigen Expansion die europäischen Staaten existenziell bedrohte. Die Eroberung des gesamten Balkans und der zweimalige Vorstoß nach Wien 1529 und 1683 zeigen deutlich, dass die Osmanen bis ins 17. Jh. (!) noch Pläne hatten, die Habsburger Monarchie zu überwätigen und wer weiß, wie weit sie vorgestoßen wären, wenn das gelungen wäre.
Dennoch zog das Osmanische Reich in der abendländischen Diplomatie seine Fäden und schmiedete später Bündnisse und Allianzen sowohl mit Frankreich als auch der Donaumonarchie.
Darüber hinaus war Mehmet II. ein Mensch der Renaissance und war beeinflusst von europäischen Schriften. Kurzum, wenn man eine Momentaufnahme der zweiten Hälfte des 15. Jh. macht, ist Mehmet der Kayzer-i Rum, sowohl territorial als auch kulturell.
Dass Kultur und Wissenschaft unter Mehmet II. eine Blüte erlebten, ist völlig unbestritten. Er war sowohl auf miliärischem als auch schöngeistigem Gebiet eine eindrucksvolle Persönlichkeit und schuf die Fundamente, auf denen das Osmanische Reich noch Jahrhunderte ruhte. Interessant finde ich die Tatsache, dass er trotz des muslimischen Bilderverbots einen Porträtmaler aus Venedig anforderte, der sein Konterfei malen sollte.
Gentile Bellini übernahm diese Aufgabe und schmückte die privaten Gemächer des Sultans mit gegenständlichen (!) Bildern.
Diese Begebenheit zeigt sehr deutlich eine vielseitige und wissbegierige Persönlichkeit, die über den dogmatischen Tellerrand hinaussah. Und man muss Mehmet II. eine tolerante Haltung einräumen, denn an der Behandlung der christlichen Bevölkerung könnte sich mancher spanische Herrscher im Hinblick auf dortige Juden und Araber ein Beispiel nehmen.