Und an diesem Punkt ergibt sich auch eine Erklärung, warum Cixi sich überhaupt auf die Bewegung der Boxer, als Druckmittel, eingelassen hatte.
Ein paar Punkte, die die zentralen politischen Ideen der imperialen Mächte, die Mißverständnisse und das - oben bereits angesprochene - Kalkül der Kaiserin Dowager Cixi beleuchten sollen
Mit der Niederlage im Sino-Japanischen Krieg (1895) und der Besetzung von Tsingtau (1897) veränderte sich insgesamt die Einschätzung der globalen Bedeutung von China (vgl.Silbey). Auch ausgelöst und dynamisiert durch die Arbeiten von Mahan und der zunehmenden globalen Rivalität der Großmächte um Märkte und um Konzessionen („Platz an der Sonne“ etc.). Und nicht zuletzt auch um besonders gute Flottenstützpunkte, die die notwendige Infrastrukturelle Voraussetzung der imperialen Ambitionen waren (vgl. Bickers).
In die auch ein Tirpitz intensiv eingebunden war. Ein Thema, das innerhalb der Marine zu heftigen Kontroversen über die entsprechende Marinerüstung führte und die Alternativen zwischen dem Bau von „Linienschiffen“ oder „Kreuzern“ betraf.
Die Strategie der westlichen Großmächte für China faßt Hobson wohl zutreffend in den Begriff der „Imperial Christianity“ zusammen und kennzeichnete die enge Verzahnung politischer, wirtschaftlicher und religiöser Ziele. (Hobson, S. 157). Ähnlich wie der „Kranke Mann am Bosporus“ wurde es zunehmend als legitimes Objekt westlichen Imperialismus angesehen und die Interessen an China fokussierten sich zunehmend auf ein „Splitting up the Melone“.
Mit dieser zunehmenden Rolle von China im Mächtegleichgewicht der imperialen Mächte änderte sich auch das Verhältnis in den westlichen Hauptstädten zu dem diplomatischen Personal in Peking. Die bisherigen Chinakenner verloren ihren Wert, da in den Hauptstädten ihnen unterstellt wurde, sie wurden die globalen Spielregeln des Imperialismus nicht ausreichend beherrschen.
Der Austausch des Personals in Peking wurde durch ein „Reinrotieren“ von Diplomaten aus Afrika vorgenommen. Mit ihrem Wissen über den „Scramble for Africa“ wurde die Logik der Großmachtrivalität auch auf China projiziert und zu einem „Scramble for China“, im Rahmen des „Great Games“ zwischen den Großmächten (vgl. Xiang, vgl. Chap.2, The Barbarians out of Control ). Mit diesem neuen diplomatischen Personal, das auch seine Überheblichkeit gegenüber anderen Völkern – in diesem Fall den Chinesen - als „Bürde des weißen Mannes“ mit sich brachten, erwuchsen eine Reihe von Problemen, die aus Fehleinschätzungen resultierten.
Das neue diplomatische Personal interessierte sich nicht für die Probleme von China und entwickelte somit auch keine Sensorik, die die Entwicklung durch die Naturkatastrophen Ende der neunziger Jahre vor allem in Shantung korrekt wahrnahmen.
Neben der sachlich nicht korrekten Beurteilung der chinesischen Innenpolitik durch die westlichen Diplomaten, trat ein zusätzliches Problem der Kommunikation zwischen den Diplomaten und den jeweiligen Hauptstädten auf. In einer Reihe von Punkten, seit dem Coup von Kaiserin Cixi gegen ihren Neffen, den reformorientierten Kaiser Guangxu, verschärfte sich die Konfrontation zwischen dem westlichen diplomatischen Korps mit der nun wieder überwiegend traditionalistisch bzw. konfuzianistisch agierenden chinesischen Führung unter der Manchu - Kaiserin Dowager Cixi. (vgl. Fenby, S. 56 ff)
https://de.wikipedia.org/wiki/Hundert-Tage-Reform
Wobei sich zunehmend eine revisionistische Sicht durchsetzt, wie Rowe formuliert, die differenziert die kontinuierliche Modernisierung von China bereits unter Cixi betont. Eine Einschätzung, die man am erfolgreichen Wirken eines Hart für den Aufbau eines modernen Steuerwesens in China verdeutlichen kann. Und ein Hart, der wohl beste europäische China-Experte seiner Zeit, die Chinesen in jeder Beziehung hoch geschätzt hatte. Und damit in einem deutlichen Gegensatz zu der Beurteilung der Chinesen durch viele andere „Westler“ stand, der eher sozialdarwinistisch bzw. auch rassistisch ausgerichtet war.
Vor diesem politischen und sozialen Hintergrund eskalierte der Konflikt zwischen der Kaiserin Cixi bzw. dem Hof und den europäischen Botschaftern in Peking. Gerüchte um 1899, die Großmächte wollten militärisch die Kaiserin stürzen und den reform- und westlich orientierten Guangxu wieder einsetzen, verschärften diese Situation und das gegenseitige Mißtrauen.
Es ist dabei zu betonen, dass die westlichen Diplomaten den Konflikt vorangetrieben haben, ohne ausreichend durch ihre Regierungen dazu legitimiert worden zu sein. Es gab in keinem Land eine Planung, die auf einen von außen initierten Militärputsch hinauslief. Und es gab auch keine Planungen des Hofs, in irgendeiner Form „Ausländer“ zu töten oder zu deportieren.
Die militärische Schwäche von China wurde durch die Führung in den Jahrzehnten zuvor dadurch versucht auszugleichen, dass die „Barbaren“ durch die „Barbaren“ in einem Gleichgewicht gehalten werden. Diese Strategie funktionierte noch einmal erfolgreich, als es aus chinesischer Sicht galt, weiterführende Annektionen chinesischen Territoriums durch die Japaner in der Folge des verlorenen Sino-Japanischen Krieges zu unterbinden.
Noch bis zur Besetzung von Tsingtau wachten die Goßmächte noch über das „Gleichgewicht“ der Mächte, aber es wurde durch eine zunehmend aggressive Landnahme nach dem Juye-Zwischenfall 1897 – vor allem auch durch das Deutsche Reich – auf ein neues Niveau gestellt. Und das aggressive Vorgehen der deutschen Kolonialverwaltung wurde zustimmend durch die anderen Kolonialmächte zur Kenntnis genommen und als Legitimation für das eigene zunehmend aggressive Vorgehen benutzt. Das gilt auch für die Christianisierungsstrategie vor allem durch die katholische Kirche, die nach 1897 ebenfalls deutlich intensiver und aggressiver wurde und deutlichere Steigerungsquoten an Konvertiten aufwies.
Von Esherick und Cohen wird in diesem Zusammenhange betont, dass jenseits der Frage einer direkten militärischen Intervention durch Großmächte aus dem Bereich der kolonialen Erwerbungen – Häfen - auf chinesischen Territoriums, die Wirkungen auf die innere Stabilität Chinas zunehmend negativ waren.
Die Anwesenheit der imperialen Mächte wirkte sich nach 1897 destabilisierend auf die Innenpolitik aus. Vor allem die chinesische Jurisdiktion und die Exekutivgewalt wurde vor allem in Shantung zunehmend durch das Wirken der katholischen Missionare in Zusammenarbeit mit deutschen Stellen bzw. dem Botschafter in Peking erodiert. Es entstand eine Art hegemonialer Supervision der chinesischen Entscheidungsträger in den Provinzen, deren Entscheidungen jederzeit im Sinne der Kolonialmächte bzw. der Missionare modifiziert werden konnte.
Die nach 1897 in Shantung einsetzende direkte und aggressive – und nicht legale - Suche nach Lagerstätten für Kohle etc. durch Prospektoren verschärfte die Spannung zwischen den chinesischen Provinzorganen und der kolonialen – deutschen - Besatzungsmacht.
Da die traditionelle Kontrolle der „Barbaren“ durch die „Barbaren“ nach 1897 offensichtlich gescheitert war, standen der Kaiserin Cixi bei der Ausbreitung der Boxer-Bewegung in den folgenden Jahren eigentlich keine Alternativen zur Verfügung. Diese Bewegung war, wie Hart es bereits Jahre vorher prognostiziert hatte und einen Aufstand der 20 Millionen gegen die Kolonialmächte vorhergesagt hatte, eine der wenigen politischen Instrumente, den Einfluss der Großmächte in China zu begrenzen oder zu neutralisieren.
Und diese Chance nutzte sie und versuchte die schlecht koordinierte Rebellion für ihre innen- und außenpolitischen Zwecke zu nutzen. Aufgrund der Budgetkürzungen war sie weder in der Lage die Naturkatastrophen wirksam zu bekämpfen, noch standen ihr ausreichende Kräfte zur Repression der Bewegung zur Verfügung, da eine umfangreiche Demobilisierung stattgefunden hatte.
Allerdings reichte ihre politische Macht innerhalb des politischen Systems auch nicht mehr aus, die entscheidenden Provinzgouverneure nach der Erklären des Krieges gegen die eindringenden westlichen Truppen auf ihre Seite zu ziehen.
Mit der Konsequenz, dass der westlichen Expedition zur Befreiung des Botschaftsviertels, ein nur sehr begrenzter militärischer Widerstand von Seiten der chinesischen Armeen bzw. Milizen aus den betroffenen Provinzen entgegengestellt wurde.
Sir Robert S. Hart:
http://s3.amazonaws.com/academia.edu.documents/45509269/1be08b02-ab7b-45b9-bfc5-e680e859fef7.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAIWOWYYGZ2Y53UL3A&Expires=1496157216&Signature=46S0Ckt9a1ny0CnOIghJ3%2FoWWGc%3D&response-content-disposition=inline%3B%20filename%3DPolitics_Power_and_the_Chinese_Maritime.pdf
Brendon; Juliet (2016): Sir Robert Hart. The romance of a great career, told by his niece juliet bredon. [S.l.]: FORGOTTEN BOOKS.
Bickers, Robert A. (2011): The scramble for China. Foreign devils in the Qing empire, 1832 - 1914. London: Allen Lane.
Fenby, Jonathan (2009): The Penguin history of modern China. The fall and rise of a great power, 1850-2009. London: Penguin.
Hart, Robert S. (2013): These from the land of sinim. essays on the chinese question. Hardpress Ltd.
Hobson, J. A. (1902): Imperialism. A study. New York: J. Pott & Company.
Rowe, William T. (2009): China's last empire. The great Qing. First Harvard University Press Cambridge, Massachusetts: The Belknap Press of Harvard University Press
Silbey, David J. (2012): The Boxer Rebellion and the Great Game in China. New York: Hill and Wang.
Xiang, Lanxin (2015): Origins of the boxer war. A multinational study. London: Routledge.