Dabei ist der Gedanke, dass England über das Meer besiegbar sein könnte interessant. Bislang war nach Lage der Historiker nach Trafalgar Schluss mit maritimen Ambitionen Frankreichs. Und der Grundgedanke des o.g. Buches, dass Napoléon es über das Meer versuchen wollte, klingt so absurd nicht.
England war definitv über das Meer besiegbar. N. A. M. Rodger zählt (ich meine in "Command of the Ocean") bummelig 13 erfolgreiche Landungen feindlicher Streitkräfte in England bzw. Großbritannien NACH 1066 (der angeblich letzten erfolgreichen Invasion). Most prominently
The Glorious Revolution, in der eine feindliche niederländische Flotte gegen den nominellen Widerstand der Flotte James II. den Usurpator William of Orange mit seinem Heer in der Torbay absetzte.
Noch im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg übte eine franco-spanische Flotte einen ganzen Sommer lang die Seeherrschaft im Kanal aus. Und noch die Irland-Expedition Hoches war bereits locker an der Royal Navy vorbei und nur das übliche Schietwetter hat die britische Herrschaft in Irland gerettet.
Nach Trafalgar haben die Franzosen in Venedig, entlang der ganzen Adriaküste besonders in der Schelde enorme Anstrengungen unternommen, eine neue Flotte zu bauen. Dieses Flottenbauprogramm haben die Briten durchaus ernst und als Bedrohung wahr-genommen.
Und auch die Brest-Flotte, die nicht ganz klein war, war nach 1805 noch vorhanden und wurde erst in 1809 in den Basque Roads (= Charentemündung) dezimiert.
Einer der Gründe für den Überfall auf Kopenhagen 1807 (im tiefsten Frieden) mit Beschlagnahme der dänischen Flotte war es, zu verhindern, dass diese nicht ganz unerhebliche Seestreitmacht wenige Segeltage von Yarmouth entfernt den Franzosen in die Hände fiel.
Insbesondere das französische Seeoffizierkorps hatte sich nach dem Aderlass des Terreur re-professionalisiert und die herbe britische Schlappe in der Schlacht von Grand Port (Mauritius) von 1810 zeigt, dass die Franzosen immer noch bzw. wieder ordentlich zutreten konnten.
Das Hauptproblem für eine Invasion Großbritanniens lag m. E. für die Franzosen in der weiträumigen Verteilung ihrer Seestreitkräfte. Ein Großteil der Invasionsflotte musst durch von Briten kontrolliertes Gebiet anmarschieren, in von den Briten bedrohten Küstenabschnitten Invasionstruppen an Land nehmen und durch den von den Briten und dem englischen Mistwetter beherrschten Kanal kommen und dort für eine Landung und die Nachversorgung auch verbleiben! Man darf nicht vergessen, dass für den Transport einer schlagkräftigen Armee mit Train, Kavallerei, Belagerungszug etc. pp. erheblicher Transportraum erforderlich war, zusammen mit einer ausreichenden Anzahl von einsatzfähigen Besatzungen. 1000 Fahrzeuge mit je mindestens 20 Seeleuten + Bedeckung durch Kriegsschiffe forderte eine Anzahl von Seeleuten, die das von Napoleon kontrollierte Europe nur schwerlich aufbringen konnte.
Zum Vergleich: In 1809 starteten die Briten die Walcheren-Expedition, u. a. mit dem Ziel, den französischen Schiffbau in der Schelde zu schwächen und die dort vorhandenen Fahrzeuge wegzunehmen oder zu zerstören.
Um das ca. 40000 Mann starke Expeditionskorps überzusetzen, benötigte man nach dieser Quelle 35 Linienschiffe und 202 kleinere Schiffe und Boote der Marine.
The United Service Journal and Naval and Military Magazine - Google Books
gemäss der deutschsprachigen Wikipedia waren sogar 245 Kriegsschiffe und -fahrzeuge und ca. 400 Transportschiffe beteiligt - das ist ne Menge Holz (und mehr).
Walcheren-Expedition ? Wikipedia
Eine mindestens vergleichbare bis größere Zahl an Schiffen hätten die Franzosen für eine Invasion in England und für mindestens die nächsten zwei bis drei Monate zur Versorgung der gelandeten Truppen im Kanal einsetzen können müssen - gegen den Widerstand und mit den Verlusten durch die Royal Navy. Eine wirkliche Invasionsstreitmacht hätte m. E. mindestens doppelt so stark sein müssen wie die britische Walcheren-Expedition. Ob die napoleonischen Flotten diesen Kraftakt hätten stemmen können, wage ich eher zu bezweifeln.
Ich schließe mit dem berühmten Zitat des Earl St. Vincent: "Ich sage nicht, dass sie nicht kommen. Ich sage nur, dass sie nicht über See kommen."
John Jervis, 1st Earl of St Vincent - Wikipedia, the free encyclopedia
Ganz am Ende erlaube ich mir den Hinweis auf den Gedankenaustausch zwischen einem gewissen Robert Fulton und Napoleon, der zum großen Glück der Engländer in einem weiteren berühmten Zitat - diesmal des großen kleinen Kaiser-Caporals - endete: "Mein Herr, Sie wollen ein Schiff gegen Wind und Strom fahren lassen, indem Sie unter Deck ein Freudenfeuer entfachen? Verzeihen Sie mir, aber ich habe keine Zeit für solchen Unfug ..."
Napoleon I: To Robert Fulton: What, sir, would you make a ship sail against the wind and currents by lighting a bonfire under her deck? I pray you excuse me, I have no time to listen to such nonsense.