Nach dem kleinen Exkurs über Probleme mit der Moderation (die sich jetzt hoffentlich wie angekündigt lösen) wird es Zeit mal wieder zur Phantomzeit zurückzukehren. Da ist mir aufgefallen, dass obwohl ich mir gestern die Finger wund geschrieben und entsprechende Texte aus dem Zeitensprünge-Bulletin exzerpiert habe, weiterhin von "alles recht nichtssagend" (Tannhaeuser) bis "inhaltsleere Beiträge" (Hyokkose) die Rede ist.
Solche Kommentare könnten entmutigen, wenn darin nicht deutlich würde, dass an die Lehrbuchchronologie ganz andere Maßstäbe gelegt werden als an die Illigsche These. Z. B. ist es für Tannhaeuser kein oder kein großes Problem, dass die in althochdeutsch geschriebene "Evangelienharmonie" des Otfrid von Weißenburg über 150 Jahre einsam in der Geschichte steht, bevor sie von Mittelhochdeutschen Texten 'abgelöst' wird.
Ein solches Vakuum ist laut Illig nicht nur bei der deutschen, sondern auch der englischen, französischen und arabischen Sprache zu beobachten und müsste eigentlich reichen, die üblicherweise gelehrte und anerkannte Sprachentwicklung zu falsifizieren, die solche Jahrhundert-Löcher nicht kennt bzw. theoretisch verarbeiten kann.
Noch ein weiteres Beispiel: Otfrid diskutiert auf Latein ausführlich die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass es bisher keine fränkische Schriftsprache und Orthographie gebe. Der von mir zitierte Zeitensprünge-Autor Henkel weißt daran anknüpfend darauf hin, dass Notker III. von St. Gallen seltsamerweise mehr als 100 Jahre später vor dem selben Problem wie Otfrid steht, Otfried offenbar nicht kennt, - obwohl ihm doch Otfrids Widmungsexemplar an Bischof Salomon von Konstanz zugänglich sein müsste - und ganz neue Rechtschreibregeln festlegt! Auch diese Anomalie ist für Tannhaeuser nur offenbar nur eine Randnotiz, die ihm in seiner Erwiderung auf meinen Beitrag nicht einmal der Erwähnung wert ist.
Kurz: Die sich aus der Lehrbuchchronologie ergebenden z. T. heftigen Anomalien werden geduldet, während man hier im Forum sehr ungeduldig wird, wenn die Illigsche These nicht gleich alle Fragen, die sich aus ihr ergeben, bis ins Detail beantworten kann.
Ähnlich bei den Münzen: Als die byzantinischen Kaiser- oder Mitkaiser-Münzen den einzelnen Herschern zu geordnet wurden, waren zweifellos die Herrscherlisten schon da, das heißt, man hat selbstverständlich und völlig legitim versucht, auch denjenigen Herrschern Münzen zuzuordnen, die nach Illig phantomzeitlich waren.
Illig ist nun selbstverständlich in der Pflicht nicht nur an Architektur, Fundleere etc., sondern auch an den Münzen zu zeigen, dass diese entweder falsch zugeordnet oder im Einzelfall auch gefälscht sind. Die falsche Zuordung wird dadurch erleichert, dass auf den wenigsten (oder gar keiner Münze) Datumsangaben stehen und einige Kaisernamen auch außerphantomzeitlich vorkommen. Auch die ein oder andere Fälschung (z. B. für den Sammlermarkt)wäre möglich (und ist auch in anderen Fällen nachgewiesen, natürlich nicht nur bei phantomzeitlichen Münzen).
Wenn Illig und seine Mitkombattanten im derzeitigen Stadium der Ausformulierung der These nicht auf jede Münze eine befriedigende Antwort geben können, so ist das erst einmal für ein neue, ca. 15 Jahre These nicht ungewöhnlich und kein Grund die These gleich für verrückt zu erklären. Die Standardchronolgie ist bekanntlich mehrere 100 Jahre alt und muss immer noch (wie nicht nur von Illig gezeigt, sondern auch innerwissenschaftlich akzeptiert), mit einer großen Zahl gravierender offener Fragen und Anomalien leben. Kein Schulwissenschaftler käme deshalb auf die Ideen die Standardchronologie in den Abgrund zu stürzen.
In diesem Sinne wünschte ich mir, dass hier im Forum einfach offener und unbefangener über offene chronologische Fragen diskutiert wird und nicht jedes offene Detail zum Anlass genommen wird, die Illigsche These als ein Abstrusum zu bezeichnen; denn legte man den gleichen Maßstab an die Standardchronogie sähe es um ihr legitimes Fortbestehen auch nicht gut aus....