Gens, exercitus, Sprache(n) ?

Bei den überlieferten gotischen Sprachzeugnissen handelt es sich im wesentlichen um Bibelübersetzungen. Die hier genannten Lehnwörter stammen eher nicht aus dem biblischen Kontext, können also kaum mit den überlieferten gotischen Texten verbunden werden.

Als spätere Nachfolger der Sueben in Mitteleuropa gelten Alamannen, Schwaben und ferner Bajuwaren, also jene Stämme, die später althochdeutsche Dialekte sprachen. Schriftliche Überlieferung aus späterer Zeit gibt es massenhaft - auch über Landwirtschaft und abendländische Tierwelt.

Die hier genannten Lehnwörter im Galizischen und Portugiesischen haben die Althochdeutsche Lautverschiebung nicht vollzogen.
Ich sehe keinen Automatismus, dass die iberischen Sueben eine ähnliche sprachliche Lautverschiebung gemacht wie die Namensvettern in Süddeutschland. Das Beispiel der Sachsen und Angeln auf in Britannien und auf dem Festland beweist das genau Gegenteil - nämlich das getrennte Stammescluster gleichen Namens und ursprünglich gleiche Herkunft sprachlich getrennte Wege gehen können.

Spekulationen darüber, ob sich die iberischen Sueben mit den Vandalen oder Westgoten problemlos verständigen, sind müßig. Die Menschen damals hatten offensichtlich keine Problem mit Leuten zusammenzuarbeiten, die eine ganze andere Sprache sprachen, etwa mit den iranischen Alanen. Sprachunterschiede zwischen Sueben und Goten fallen dagegen sicherlich nicht ins Gewicht. Verständigungsprobleme zwischen germanischen Völker sind so weit nicht überliefert. Aus den Quellen ist auch nichts von Verständigungsprobleme der Stämme untereinander bekannt, auch kein Gegensatz von West- und Ostgermanen. Über eine eigene Sprache der Westgoten im Frankenreich ist so auch nichts bekannt. Vielmehr scheint es so, dass die Ausdifferenzierung der germanischen Einzelsprachen und der deutschen Dialekte erst nach der Völkerwanderungszeit erfolgte und keineswegs vor Stammesgrenzen halt machte und die frühmittelalterlichen Franken, Sachsen keine einheitlichen Stammesdialekte hatten, daher auch altniederfränkisch, althochfränkisch, altenglisch, altsächsisch. Gemeinfränkisch, gemeinsächsisch, gemeinalamannisch usw. gab es nicht, besser ist nicht überliefert.

Du denkst hier an eine Art lingua franca diverser german. Barbarengruppen - wenn Prokops Mitteilung (im Gotenkrieg) stimmt, dann war gotisch eine solche lingua franca bei etlichen Kriegergruppen (Heruler, Goten, Gepiden, Vandalen) aber wohl nicht bei allen. Wie dem auch sei: es bleibt immer noch unklar, wie und warum z.B. bei Tante
Wenn Prokop von gotischen Völkern und einer gotischen Sprache spricht, begünstigt er natürlich die Abgrenzung einer ostgermanischen Gruppe. Prokop unterscheidet aber nicht die Westgermanen von den Ostgermanen, sondern die gotischen Skythen (Geten) von den anderen Skythen in Osteuropa. Die Stämme am Rhein interessieren ihn gar nicht. Anders als z. B. die Hunnen usw. hätten Gepiden, Goten, Vandalen helle Haut, blondes Haar und eben eine gotische Sprache. Warum er die Alanen zu den Goten zählt, bleibt sein Geheimnis, zeigt aber vielleicht, dass er nur oberfläche Kenntnisse hatte. Schubladen aufmachen war in der Gegend auch ganz einfach, da die Gegensätze zwischen den Völkern im Südosten, die teilweise aus Nordosteuropa, teilweise aus Asien eingewandert waren, sehr groß war.
Dass Franken, Alamannen, Sueben usw. von Procop nicht zu den Goten gezählt werden ist natürlich glasklar; sie haben einfach gar nichts mit Südosteuropa, dem Land der Skythen, Geten, Goten usw. zu tun.

Ich glaube übrigens nicht, dass diese Unterscheidung von Ost- und Westgermanen so eine starke Bedeutung hatte, wie sie in der Sprachwissenschaft traditionell behauptet wird. Die Sprachen der Germanen in Südeuropa nahmen natürlich eine andere Entwicklung, vor allem aber starben sie aus. Stark ostgermanisch beeinflusste Stämme in Mitteleuropa wie die Thüringer oder Burgunden nahmen aber später offenbar keineswegs eine Sonderstellung im fränkischen Reich ein.
 
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Bei den überlieferten gotischen Sprachzeugnissen handelt es sich im wesentlichen um Bibelübersetzungen. Die hier genannten Lehnwörter stammen eher nicht aus dem biblischen Kontext, können also kaum mit den überlieferten gotischen Texten verbunden werden.

Jedoch ist das Lexikon einer Sprache i.d.R. größer als der schriftlich überlieferte Teil.

Die hier genannten Lehnwörter im Galizischen und Portugiesischen haben die Althochdeutsche Lautverschiebung nicht vollzogen.
Natürlich nicht.


Ich sehe keinen Automatismus, dass die iberischen Sueben eine ähnliche sprachliche Lautverschiebung gemacht wie die Namensvettern in Süddeutschland.
Natürlich nicht.


Vielmehr scheint es so, dass die Ausdifferenzierung der germanischen Einzelsprachen und der deutschen Dialekte erst nach der Völkerwanderungszeit erfolgte und keineswegs vor Stammesgrenzen halt machte und die frühmittelalterlichen Franken, Sachsen keine einheitlichen Stammesdialekte hatten, daher auch altniederfränkisch, althochfränkisch, altenglisch, altsächsisch. Gemeinfränkisch, gemeinsächsisch, gemeinalamannisch usw. gab es nicht, besser ist nicht überliefert.

Ich würde schon einen Unterschied zwischen dem elbgermanischen Suebisch und dem ostgermanischen Gotisch unterstellen, schließlich waren die beiden Sprachen über mehrere Jahrhunderte getrennt. Das heißt nicht, dass sich ihre Sprecher nicht verständigen konnten.
 
Ich würde schon einen Unterschied zwischen dem elbgermanischen Suebisch und dem ostgermanischen Gotisch unterstellen, schließlich waren die beiden Sprachen über mehrere Jahrhunderte getrennt.
Die Trennung war aber eigentlich nur eine kurze Episode, max. 3 Jahrhunderte.

In der Germania des Tacitus sind die Gotonen im Ostseeraum angesiedelt. Im 1. Jahrhundert scheint dieser Stamm mit den Markomannen zu interagieren und stark von ihm beeinflusst zu. Goten und Elbgermanen sind also zu der Zeit keineswegs getrennt oder isoliert.

Erst im 3. Jahrhundert tauchen die Goten in der Schwarzmeerregion auf. Bereits aus dem 4. Jahrhundert stammt Wulfilas Bibelübersetzung, also die Überlieferung der Sprache.

Bei Vandalen und Sueben ist die Sache ziemlich verwirrend. Die angeblich ostgermanischen Vandalen kommen aus dem inneren Germanien (Suebia) vor und dringen nach Süden in den Donau-Raum vor und treffen dort auch die bereits sarmatisch beeinflussten Elbgermanen. Erst siedelten die Vandalen nördlichen der Elbgermanen in Schlesien, später südlich in Pannonien, so oder so bleiben sie direkte Nachbarn der in Böhmen ansässigen Elbgermanen.
Bereits 406 (oder so) überqueren Sueben, Vandalen und Alanen den Rhein und die Elbgermanen und die räumliche Trennung von West- und Ostgermanen scheint endgültig aufgehoben.

Die Markomannen und Quaden in Böhmen, als mutmaßliche Vorläufer der iberischen Sueben, sind auch keinesfalls isoliert, sondern befinden sich ebenfalls wie die späteren Ostgermanen an der Grenze zu den osteuropäischen Reitervölkern wie Jazygen, Sarmaten usw.
 
Verständige dich mal mit einem Deutschen, der 1715 in der Blüte seiner Jahre stand. Das wird dir schwerfallen, zumindest würdet ihr beide irritiert sein.
Beide Stämme (Sueben und Goten) werden einen lateinischen Lehnwortschatz gehabt haben - aber haben sie auch die gleichen Worte entlehnt? Die Goten werden auch einen griechischen, skythisch-sarmatischen und hunnischen Lehnwortschatz gehabt haben - der zumindest wird den Sueben abgegangen sein. Aber wenn wir uns mit einem Deutschen von 1715 verständigen ganz ohne Lehnwortschatz, selbst dann wird die Verständigung kompliziert.
Wortbedeutungen verschieben sich teilweise recht fix. Beispiel billig: 1815 bedeutet es noch 'gerecht', 1950 bedeutete es 'preiswert', 2000 bedeutete es 'Schrott'. Weniger als 200 Jahre für einen zweimaligen Bedeutungswechsel. Nun sind unsere Zeiten sicherlich durch Massenkommunikationsmedien sprachlich dynamischer. Um 1960 lehrte man die Schüler im Deutschunterricht noch wortspielerisch, dass Deutsch eine würde-lose Sprache sei, darauf würde heute kein Deutschlehrer mehr kommen. Der würde-Konjunktiv ist völlig normal. Um 1900(?*) sagte man noch Der Hund ball - sag das heute mal im Angesicht eines Pegideros, der haut dir in seiner abendländischen Zivilisiertheit die Fresse ein.


*Bis wann genau man das sagte, weiß ich um ehrlich zu sein nicht genau. Jedenfalls war bellen mal ein starkes Verb. So ähnlich wie backen, das ja sowohl stark als auch schwach konjugiert werden kann:
backen - buk - gebacken
backen - backte - gebackt
 
Auf dieser Karte ist das Reich der Sueben zu sehen:

visigodos.jpg

Auf dieser animierten Karte das Vordringen der nordspanischen romanischen Dialekte im Zuge der "Reconquista" in Richtung Süden (ich hoffe die Animation funzt) zu sehen, bzw. auch die bis heute andauernde Entwicklung mit der allmählich fortschreitenden Dominierung der spanischen Sprachen durch das Kastilische.

260px-Llengues_iberia.gif
Dass auf beiden Karten das fragliche Gebiet hellblau markiert ist, ist natürlich ein Zufall, aber ein gelungener.

lawerka/laverca
findet sich nur in dem hellblau markierten Bereich. Es ist ein germanisches Lehnwort. Das Ursprungsgebiet dieses Dialekts ist Galicien/Nordportugal, also genau das Kerngebiet der Sueben. In den übrigen iberoromanischen Sprachen hat sich für die Lerche das lateinische Wort (alauda) fortgesetzt: span. alondra, astur. calandra (woher auch immer das /k/ kommt), cat. alosa, frz. (natürl. nicht iberoroman.) alouette. Im Portugiesischen existiert es im Übrigen als Doublette: laverca neben calandra/calhandra.

Die Annahme, das laverca aus dem Suebischen entlehnt wurde, ist also mehr als berechtigt. Ob das Wort im Gotischen existierte, darüber ist damit nichts ausgesagt.


Noch ein Nachtrag zum vorherigen Beitrag, bzgl. der Vandalen: Diese kamen aus dem Gebiet des heutigen Polen, wie die Goten ursprünglich auch. Sie werden also, bevor die Goten in Richtung des Schwarzen Meeres zogen im Dialektkontinuum zwischen den Elbgermanen und den Ostseegermanen gelegen haben. Im Stammesnamen der Silingen steckt das Wort Schlesien.
 
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Ich glaube übrigens nicht, dass diese Unterscheidung von Ost- und Westgermanen so eine starke Bedeutung hatte, wie sie in der Sprachwissenschaft traditionell behauptet wird. Die Sprachen der Germanen in Südeuropa nahmen natürlich eine andere Entwicklung, vor allem aber starben sie aus. Stark ostgermanisch beeinflusste Stämme in Mitteleuropa wie die Thüringer oder Burgunden nahmen aber später offenbar keineswegs eine Sonderstellung im fränkischen Reich ein.

Es ist ja eine gern diskutierte Frage, wie gut sich germanische Stämme untereinande verständigen konnten: suebische Elbgermanen mit Vandalen, Goten mit Langobarden oder Chatten mit Markomannen. Die Trennung der west-, ost- und nordgermanischen Sprachen vom Gemeingermanischen soll nach Erkenntnissen der Sprachwissenschaft bis spätestens im 1. Jh. n. Chr. erfolgt sein. Ich könnte mir also denken, dass es zwischen diesen Sprachzweigen etwa 400 Jahre später große Verständigungsprobleme gab, innerhalb dieser Sprachzweige jedoch weniger. Das würde bedeuten, dass sich z.B. westgermanische Langobarden, Markomannen, Sachsen oder Franken relativ gut untereinander verständigen konnten, während ostgermanische Goten, Vandalen oder Burgunder mit dieser Gruppe Verständigungsprobleme hatten.

In der Realität der Völkerwanderung spielte das eine geringe Rolle. Als etwa 120 000 Langobarden im 6. Jh. in Italien einfielen und dort ihr Reich gründeten, befanden sich unter ihnen sächsische, herulische, gepidische und andere ethnische Stammessplitter. Auch andere Stämme der Völkerwanderung waren bunt gemischt, wobei ein Traditionskern das "Firmenschild" bestimmte. Wie sich diese Gruppen untereinander im einzelnen verständigten, lässt sich nur vermuten.
 
Noch ein Nachtrag zum vorherigen Beitrag, bzgl. der Vandalen: Diese kamen aus dem Gebiet des heutigen Polen, wie die Goten ursprünglich auch. Sie werden also, bevor die Goten in Richtung des Schwarzen Meeres zogen im Dialektkontinuum zwischen den Elbgermanen und den Ostseegermanen gelegen haben. Im Stammesnamen der Silingen steckt das Wort Schlesien.
Es ist im Grunde ganz einfache Geografie. Schlesien grenzt im Westen an Brandenburg (Semnonen, Sueben) und im Süden an Böhmen (Markomannen, Quaden). Vandalen und Sueben waren erst getrennt von einander, als die Vandalen Spanien verließen. Davor waren sie mehrere Jahrhunderte lang benachbarte Stämme mit enger Verflechtung.
Man könnte deswegen eine sprachliche Nähe von Sueben und Vandalen vermuten oder natürlich auch, dass die Vandalen einen germanischen Schwarzmeerdialekt sprachen.


El Quijote schrieb:
Was nun das Westgotische angeht, so handelt es sich um eine ostgermanische Sprache, die keinen Anteil an der Bildung des Hochdeutschen hatte.
So einfach ist das nicht auszuschließen. Folgt man Grahn-Hoek geht der Name der Thüringer auf die westgotischen Terwinger zurück. Die archäologische Fundlage in Thüringen ist vielfach gotisch (oder hunnisch?) beeinflusst bzw. es gibt in der Kunst und den Bestattungssitten Hinweise auf Einflüsse aus dem Schwarzmeergebiet.


Ich könnte mir also denken, dass es zwischen diesen Sprachzweigen etwa 400 Jahre später große Verständigungsprobleme gab, innerhalb dieser Sprachzweige jedoch weniger. Das würde bedeuten, dass sich z.B. westgermanische Langobarden, Markomannen, Sachsen oder Franken relativ gut untereinander verständigen konnten, während ostgermanische Goten, Vandalen oder Burgunder mit dieser Gruppe Verständigungsprobleme hatten.
Das ist wirkliche eine nette Idee, aber tatsächlich gibt es solche Verständigungsprobleme heute vor allem innerhalb des gleichen Zweiges.
Altsächsisch und altniederfränkisch bilden sprachlich zusammen eine Gruppe, niederländisch und plattdeutsch auch in der Neuzeit nochein Sprachkontinuum. Niederfränkisch und Oberfränkisch sind verschieden. Franken und Sachsen wurden als unterschiedliche Stämme verstanden. Die Lautverschiebung verlief aber nicht entlang der Stammesgrenze. Die nördliche Franken konnten sich problemlos mit den Sachsen verständigen, mit den eigenen Stammesgenossen im Süden wird es schwieriger. Auch ohne Abwanderung oder ethnische Neubildung entstanden massive Verständigungsprobleme.
Gleichzeitig haben die Friesen (seit der Kaiserzeit in der gleichen Region, also norddeutsch-niederländische Nordseeküste) wieder eine ganz andere germanische Sprache und es gibt sehr große Verständigungsprobleme, dabei waren Franken, Sachsen und Friesen doch niemals räumlich voneinander getrennt, sondern stets benachbart. Mit Abwanderung und Trennung kann man das Phänomen nicht erklären.
Andererseits bildeten Altsächsisch und Altenglisch mit Frühmittelalter im frühen Mittelalter noch ein Dialektkontinuum, dabei begann die Einwanderung der Sachsen in Britannien bereits in im 3. und 4. Jahrhundert. Erst unter Einfluss der Normannen veränderte sich das Englische stärker. Die angelsächsischen Mönche rund um Bonifatius hatten im Karolingerreich noch keine Verständigungsprobleme.
 
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Man könnte deswegen eine sprachliche Nähe von Sueben und Vandalen vermuten oder natürlich auch, dass die Vandalen einen germanischen Schwarzmeerdialekt sprachen.

Wer sprach denn von Schwarzmeerdialekt? Ich sprach von "im Dialektkontinuum zwischen den Elbgermanen und den Ostseegermanen".
 
Tatsächlich hatte ich Ostgermanen gelesen. Neologismen einführen ist immer schwierig, obwohl eine Unterscheidung von Ostsee- und Schwarzmeergermanen wahrscheinlich mehr Sinn ergibt als die herkömliche Gliederung. :winke:

Politisch und militärische geteite gentes
Zu beachten ist, dass es in der Völkerwanderungszeit zwar diverse gentes gibt, diese aber keine einheitliche politische Führung haben. Die ethnische Gliederung ist von der politischen und militärischen zu unterscheiden. Dies betrifft quasi alle bekannten Stämme. Viele Stämme hatte mehrere Könige und Reiche gleichzeitig, im Extremfall wie bei Sueben, Goten und Sachsen sogar in völlig unterschiedlichen Teilen Europas. Auch die Franken und Alamannen hatte die meiste Zeit eine Vielzahl an Königen gleichzeitig.

Völkerwanderungszeitliche Warlords mit bunt gemischten Heerhaufen
Auffällig ist, dass frühe Könige bzw. Warlords nicht einmal einen ethnischen Schwerpunkt, also einen Titel wie König der Goten, Franken etc. wählten. Ich denke hier in die frühen Reichsgründungen auf dem Boden des Imperiums. Über Odoakers genaue Herkunft wird nach wie vor spekuliert. Er setzte des den letzten weströmischer Kaiser ab und wurde König von Italien. Sein Heerhaufen setzte sich aus verschiedenen Stämmen zusammen: Skiren, Heruler, Thüringer? Wie viele andere Warlords der Völkerwanderungszeit (Stilicho, Ricimer usw.) trug er den Titel des römischen Heermeister, war diffus barbarischer Abstammung und sammelte eine Gefolgschaft aus verschiedenen Stämmen um sich. Selbst echte Römer wie Syagrius oder Aetius verhielten sich kaum anders und hielten sich Gefolgschaften aus Romanen, Germanen, Hunnen, Alanen u. a. Es ist davon auszugehen, dass die Befehle und Kommandos innerhalb des römischen Heeres in Latein gegeben wurden. Latein war selbst im eigentlich griechisch-sprachigen Osten die Kriegssprache und wurde vom frühbyzantinischen Heer selbst nach Untergang des Westreiches noch gepflegt, vgl. Wikipedia.

In der Folgezeit gab es natürlich auch Könige, die sich als Stammeskönige verstanden und entsprechende Reiche gründeten, aber auch ihre Gefolgschaften waren uneinheitlich. Die Sachsen und Gepiden, die sich an der langobardischen Eroberung Italiens beteiligten sind mit das beste Beispiel. Problematisch erscheint mir, dass in solchen Heerhaufen ganz unterschiedliche Germanen zusammentreffen. Ein Teil war sicher bereits im Ansatz romanisiert oder hatte am Balkan oder im Schwarmeergebiet den dort üblichen Lebensstil angenommen, während andere Gruppe direkt aus dem kalten Germania Magna stammten.
 
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Sind die beiden Theorien, dass ein grosser Teil der Alemannen aus a) Elbsueben oder aus b) Donausueben besteht, eigentlich noch aktuell ?

Viele Stämme hatte mehrere Könige und Reiche gleichzeitig, im Extremfall wie bei Sueben, Goten und Sachsen sogar in völlig unterschiedlichen Teilen Europas. Auch die Franken und Alamannen hatte die meiste Zeit eine Vielzahl an Königen gleichzeitig.

Ich habe noch nie von einem alemannischen König gehört. Ich war eigentlich der Meinung, die hatten gar keine.
 
Sind die beiden Theorien, dass ein grosser Teil der Alemannen aus a) Elbsueben oder aus b) Donausueben besteht, eigentlich noch aktuell ?

Zumindest bei Dieter Geuenich, Geschichte der Alemannen (zweite, überarbeitete Auflage Stuttgart 2005) werden beide Theorien gewürdigt. In Geuenichs vorsichtiger Formulierung:

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Bezüge im Fundgut der frühen südwestdeutschen Gräber und Siedlungen zu dem aus den mitteldeutschen Gebieten so deutlich hervortreten, daß die Annahme gerechtfertigt erscheint, der überwiegende Teil der neuen Bevölkerung, die sich vom 3. Jahrhundert ab im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg archäologisch nachweisen läßt, habe mit dem als "elbgermanisch" bezeichneten Kulturkreis in Beziehung gestanden. Die Folgerung, große Teile der in das Gebiet östlich des Oberrheins eingedrungenen Menschen seien aus Mitteldeutschland gekommen, ist demnach gut begründet. (S. 17)

Möglicherweise hat aber das gemeinsame Vorgehen von Alemannen und Sueben, die von einem König Hunimund angeführt wurden, zu einer dauerhaften Verschmelzung dieser beiden Völker geführt. Hagen Keller hält es jedenfalls für möglich, daß "die geschwächten, aus älteren Sitzen abgedrängten Sueben aus dem Vorfeld der mittleren Donau damals in den alamannischen Verband integriert worden sind". Diese ansprechende These würde erklären, warum der Name der Sueben von diesem Zeitpunkt ab aus der Überlieferung verschwindet, während seit dem 6. Jahrhundert die Gleichsetzung von Sueben "Schwaben") und Alemannen in den Quellen üblich wird. (S. 76)
 
Ja, das wird andauernd behauptet, ist aber falsch. Noch der Sachsenspiegel belegt die Nordschwaben zwischen Altsachsen und Thüringern. Das bezieht sich natürlich nur auf die Einengung des Begriffs, nicht auf reale Wanderbewegungen und Ethnogenesen rund um die Alemannen.
 
Ja, das wird andauernd behauptet, ist aber falsch. Noch der Sachsenspiegel belegt die Nordschwaben zwischen Altsachsen und Thüringern.
Der zitierte Hagen Keller* meint hier ausdrücklich die Donausueben (Nordschwaben und Sachsenspiegel erwähnt Keller im selben Aufsatz ebenfalls, aber in anderem Zusammenhang):

Die letzten expliziten Nachrichten über 'Sueben' im Donauraum erwähnen also diese als Verbündete und Nachbarn der Alamannen. Während die Sueben danach aus der Überlieferung verschwinden, bezeichnen die folgenden Jahre einen Höhepunkt alamannischer Machtentfaltung und Expansion.


Alamannen und Sueben nach den Schriftquellen des 3. bis 7. Jahrhunderts. In: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989
 
Zumindest bei Dieter Geuenich, Geschichte der Alemannen (zweite, überarbeitete Auflage Stuttgart 2005) werden beide Theorien gewürdigt.
Erwähnenswert zu den Alemannen auch die These von Patrick Geary, welcher davon ausgeht, dass kaum Alemannen je in BaWü "eingewandert" seien, sondern schon immer dort gewesen wären bzw. dass deren Ethnogenese erst im Alemannenland stattgefunden habe (Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen. 2002)
 
Eigentlich eher unbefriedigend, da man sich dann fragen muss, wieso in einem zunächst keltisch-, später lateinisch-/romanischsprachigen Gebiet plötzlich eine germanische Sprache gesprochen wurde, ohne, dass es zu größeren (Ab- und) Zuwanderungen gekommen ist.
 
Eigentlich eher unbefriedigend, (...)
nicht nur wegen der angeführten Gründe, sondern auch weil allerhand Zerstörungen (Brandhorizonte etc) römischer Immobilien in der 2.Hälfte des 3. Jh. sich dann nicht allzu sinnvoll erklären lassen. (wenn auch möglicherweise der "Alemannensturm" nicht ganz so dramatisch war, wie man ihn früher gerne gesehen hat)
poco scherzando wenn der Geary freilich ein Sch[w]abe/Alemanne wäre, dann könnte ich verstehen, dass er seine Ahnen nicht als im 3. Jh. neig´schmeckte sehen will :D
 
Zuletzt bearbeitet:
bzw. dass deren Ethnogenese erst im Alemannenland stattgefunden habe

Zumindest diesem Teil würde ich nicht widersprechen.

Geuenich offensichtlich auch nicht, denn der zitierte Abschnitt von S. 17 geht so weiter:

Da sich aber keine einheitliche, ethnisch-spezifische "alemannische", "semnonische", "suebische" oder "elbgermanische" Bestattungs- oder Beigabensitte erkennen läßt, und zwar weder im vermuteten Herkunftsgebiet noch im neuen Siedlungsgebiet, ist die immer wieder anzutreffende Behauptung, der Stamm der Alemannen habe sich bereits vor der Völkerwanderung "im Innern Germaniens" gebildet, auch archäologisch nicht nachweisbar.
Das überkommene Bild von der Wanderung des alemannischen Volksstammes als mehr oder weniger geschlossener Einheit von der Elbe bis an den Oberrhein, sollte, da es weder von den Berichten der schriftlichen Quellen, noch von sprachwissenschaftlichen Argumenten gestützt, noch durch die archäologisch faßbaren Hinterlassenschaften begründet wird, aufgegeben werden. Stattdessen ist von einem über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden Prozeß des Eindringens von unterschiedlichen Personenverbänden in den von den Römern preisgegebenen Raum östlich des Rheins und nördlich der Donau auszugehen, der im 3. und 4. Jahrhundert eine gewisse Sogwirkung ausgeübt haben dürfte, und zwar vor allem auf die Bevölkerung der mitteldeutschen Gebiete. Weder zum Überwinden der dazwischen liegenden Entfernung, noch zum "Überrennen" des Limes bedurfte es, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, einer wie auch immer gearteten Einigung, einer politischen Einheit unter der Führung eines (Heer-)Königs oder einer einheitlichen Sprache.
 
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