Von dünnem Eis und Konstanten
@Sinn der Provinz Germania Magna
Ich denke die Meisten sind der Meinung, dass Rom bei entsprechendem Einsatzwillen, durchaus Germanien unter seine direkte Kontrolle hätte bringen können – zu welchem Preis, oder zu welchen Konditionen auch immer. Trotz des Peter Heather-Zitats über einen „Dung und Rüben“-Triumphator, glaube ich im Gegensatz zu diesem durchaus an das wirtschaftliche Potential einer Provinz „Germania Magna“. Allein das besonders
erzreiche Harzgebiet befand sich auf dem Boden dieser Provinz! Das Zitat beschrieb desto passender, was GERMANICUS bei seinem Triumphzug ohne Thusnelda den Römern denn populäreres hätte vorführen sollen…? (Dank an EQ, der die anderen populären Gefangenen aufzählt) Die römischen Kosten wurden durch den erwarteten germanischen Widerstand in die Höhe getrieben. Dazu weitere Investitionen, die ihre Zeit gebraucht hätten, ehe sie die Quellen des Reichtums zum Sprudeln gebracht hätten… Der strategische Gewinn der „inneren strategischen Linie“ dabei nicht eingerechnet. Ähnlich wie einige Autoren im aktuellen „Varusschlacht-Katalog“ finde ich das häufig zu hörende Argument: Die Römer hätten wenig von Geographie und Zuständen in Germanien gewusst, recht unglaubwürdig.
Was voraussetzen würde, dass die Römer ein Bild von der Erde gehabt hätten vergleichbar unseren modernen physischen Karten. Liest man aber Caesar oder Strabo, findet man ein eher naives geographisches Verständnis vor.
Sehen wir doch über eine Menschengeneration hinweg römische Heere und Flotten sogar „getrennt marschierende“, kombinierte Feldzüge in dieser angeblich so unbekannten Wildnis. Dabei setzen solche Operationen zu allen Zeiten exaktes Timing voraus, was wiederum nur bei entsprechender Ortskenntnis möglich ist! Als Drusus die Grundlagen der Eroberung Germaniens westlich des Rheines schuf, ließ er dort zahlreiche Kastelle anlegen, aus denen sich später so häufig Städte entwickelten: Da soll er das intuitiv, auf Basis vager Informationen getan haben?? Ich will die Römer nicht zu perfekten Planern hochstilisieren, aber eine grundlegende Vorarbeit benötigt zumindest ausreichende Informationen und die spätere Eroberung brachte weiteres Wissen. Bekanntlich waren die römischen Streitkräfte in Germanien dauernd auf Nachschub aus Gallien angewiesen. Um diese Situation zu bessern machte man gewaltige Anstrengungen im Rheingebiet, diese Nachschubwege so kurz wie irgend möglich zu halten. Dadurch wurde die Romanisierung des römischen Rheingebietes gewaltig gefördert! Auch im Umfeld römischer Militärstationierungen wurden gewöhnlich so bald als möglich eine Wirtschaftsform installiert, die deren Versorgung zu erleichtern versprach. Kein Wunder, dass gerade die Wirtschaftsformen hinter dem Limes, etwa in der exponierten Wetterau sehr leistungsfähig entwickelt wurden. Gerade hier finden sich auf Überschussproduktion optimierte
villa rusticae, obwohl es im Zuge der Eroberung einen ganz erheblichen Bevölkerungsrückgang gegeben hatte.
Im Kontext mit dem Erzreichtum des Harzes liegt der Gedanke an die Schlacht am Harzhorn so viele Menschenalter später nicht allzu weit… Vor dem Hintergrund der allgemeinen „Weltherrschaftsideologie“ Roms war die Aufgabe Germaniens als Provinz gewiss nicht endgültig gedacht, sondern eher „auf unbestimmte Zeit verschoben“. Nur vor diesem Hintergrund erschließen sich typisch Taciteische Sätze, etwa wenn er resümiert wie lange Rom schon die Germanen besiege… BB hat einen Aspekt davon treffend formuliert:
Solche Gedanken widersprechen zutiefst der römischen Arroganz gegenüber den "Barbaren".
Damit habe ich römische Möglichkeiten aufgezeigt, ob sie diese auch im vollen Umfang einzusetzen bereit waren, steht auf einem anderen Blatt! Das war eine Frage des Willens – und an dem fehlte es sichtbar bei Tiberius, als er den Operationen des Germanicus ein Ende setzte.
@Politik, oder Cato d. Ältere: (# 56)
Als Beweis seiner Loyalität zu Rom nennt Tacitus die (nicht mehr nachprüfbaren) Ereignisse der Nacht vor Aufbruch des Varus und als Tat die Auslieferung seiner „rebellischen Tochter“. Rom zu Hilfe rufen konnte jeder, auch illoyale Menschen hätten sich Hoffnung machen können, denn zu jener Zeit war Germanicus in einer Lage, bei der „meines Feindes Feind ist mein Freund“ schon ein ausreichendes Motiv sein konnte, wenn ein entsprechender Anreiz hinzukommt (Thusnelda)! Ein Fortsetzen des Arminius-Segestes-Konflikts ohne Hilfe, war ein Blick in den eigenen Untergang für Segestes (wobei ich nicht völlig ausschließen kann, dass er noch andere Optionen „hätte“ haben „können“). Dass die römische Überlieferung die Loyalität des Segestes betont, kann dagegen auch opportunistisch (meines Feindes Feind…), oder auch politisch (im Sinne eines Ausgleichs mit Segestes) motiviert sein? Einen schöneren Beweis dafür, dass Rom seine Verbündeten nicht im Stich lässt ist doch kaum denkbar, oder? Aber das sind alles nur potentielle Möglichkeiten, oder anders formuliert:
Spekulation.
Vor allem wenn man die nächsten Jahrhunderte bedenkt, in welchen Rom in seinem VORFELD sehr häufig seine Verbündeten untergehen ließ, ohne zu intervenieren. Dann freilich immer „großzügigerweise“ darauf achtete, führende Köpfe dieser Verbündeten und ihren engsten Anhang „gnädig“ in die Sicherheit des Reiches aufzunehmen. Eine Konstanz dieser Politik findet sich von Marbod und Vannius bis hin zum „Gotenrichter“ Athanarich… So ist auch Segestes mit seinem Anhang ins Reich übergesiedelt?! Eine Konstanz, die Rom zu allen Zeiten zu einem Anziehungspunkt für gescheiterte, hochrangige Persönlichkeiten aus dem Barbaricum machte. Aus dieser Konstanz heraus mag auch mancher Drang völkerwanderunszeitlicher Gruppen erklärbar sein, die dem Druck der Hunnen zu entkommen trachteten…