Heß taugte aber nicht so recht, als Hauptangeklagter. Er mimte den Spinner, als der er innerhalb der Partei ohnehin galt. An den größten Verbrechen des 3. Reichs hatte er keinen Anteil, denn 1942 war er schon Gefangener der Briten, während Göring als Befehlshaber der Luftwaffe und de fakto Wirtschaftsminister bis zu seinem Ende neben Himmler der mächtigste Mann des 3. Reichs war, und bei den Alliierten dazu als Pour le Meriteträger und Weltkriegsfliegeras über ein gewisses Renomme´ verfügte. Göring selbst spielte unter den anderen Gefangenen seinen Status als Reichsmarschall und Kriegsverbrecher Nr. 1 aus, und wurde in dieser Rolle auch akzeptiert.
Es war sozusagen Görings letzte Rolle, in der er immer wieder an amnesie litt und mit seiner Schlagfertigkeit den ankläger Jackson manchmal alt aussehen ließ. Wenn er sich auch als Opfer von Siegerjustiz präsentierte, ist seine Schuld an der Beteiligung der Ermordung und Deportation von Millionen Menschen eindeutig erwiesen worden, weshalb er durchaus nicht dazu taugt, als "guter Nazi" verherrlicht zu werden.
Trotzdem ist der "Reichsmarschall" eine schillernde Persönlichkeit und sozusagen die Traumkarriere eines Morphinisten. "Immerhin 12 Jahre gut gelebt" mit reichlich Juwelen, alte Meister und reichlich Morphium.
Sein Carinhall war eine einzige Räuberhöhle, und es ist erstaunlich, dass Hitler diese monströse Korruption durchgehen ließ, zumal sich Göring als Chef der Luftwaffe als Dilettant erwies, der dann den völlig überforderten Udet als Sündenbock antreten ließ und zuletzt seinen Piloten Kamikazeaktionen befahl. Bleibenden Einfluß hat er allerdings als Reichsforst- und Reichsjägermeister hinterlassen, und die heute in der BRD geltenden Jagd- und Tierschutzgesetze gelten seit 1934. Es haben ja viele Leute berichtet, dass ihn am Ende die Berichte von Oberforstmeister frevert über den Rothirschbestand in der Rominter Heide mehr interessierte, als die Berichte seiner Generale. Zu einem Besucher in Carinhall sagte er "gehen wir ein bisschen jagen, ´nachdem er sich zuvor überzeugt hatte, dass für die Schorfheide keine Luftwaffenwarnung vorlag.
Noch bis zum bitteren Ende, bevor er sein Anwesen in die Luft sprengte, war die Division Hermann Göring zur Sicherung von Carinhall abkommandiert. Ein Großonkel von mir war als junger Forsteleve dorthin abkommandiert. Er erzählte einmal welcher Kasernenhofdrill dort noch praktiziert wurde, während das "Großdeutsche Reich" im Chaos versank. Ein Soldat warf einmal einen schneeball nach einem Eichhörnchen worauf die gesamte Kompanie zum Strafexerzieren in voller Montur bis zum Hals in einen Teich steigen musste.