Viel an meinem herumtheroetisieren hängt wohl an der Frage, wie gut die deutsche Landwirtschaft bis 1914 oder 1933 aufgestellt war. Insbesondere östlich der Elbe. Einerseits wurden moderne Verfahren erprobt und die Ernte reichsweit gesteigert, andererseits schienen die berüchtigten Junker östlich der Elbe ihre Probleme zu haben und es schien an einigen Punkten Reformbedarf zu bestehen. ich frage mich, ob man diese ostelbischen Junker-Flächen sozusagen als "blockiert" betrachten könnte, d.h.sie wurden durch ihre Eigentümer nicht ausreichend produktiv bewirtschaftet. Oder sie wurden von Importen aus Russland in die Knie gezwungen. Hergeben wollten die Besitzer sie aber auch nicht. Alles nicht sehr hilfreich für die Volkswirtschaft oder auch die Beschäftigung vor Ort...
Der erste Punkt wäre, du müsstest dich von der Gleichung:
Ostelbischer Agrarier = Junker = rein ideologisch gesteuerter Realitätsbilinder Reformverweigerer
verabschienden.
So lange du das nicht tust und als Erklärung vorraussetzt, dass die Misere des Agrarsektors in Deutschland daran lag, dass die in Landbesitzer halt alle geistig im Mittelalter lebten und es aus diesem Grund vor die Wand gefahren wäre, wird nicht viel an Erkenntnis dabei herumkommen.
In den Umstand, dass die Strukturen im Osteen so waren, wie sie einmal waren, spielten verschiedene Dinge hinein.
Angefangen, bei teilweise sandigen Böden, die bei gleicher Bewirtschaftungsweise einfach nicht den gleichen Bodenertrag pro Hektar bringen, wie Bodensorten, die anderswo in Deutschland vorherrschten.
Außerdem wirfst du gerade betriebswirtchaftliche und volkswirtschaftliche Probleme durcheinander.
- Das Deutschland bei der Produktion von Lebensmitteln im Inland gegenüber der Nachfrage danach Fehlmengen aufwies kann man als volkswirtschaftliches Problem auffassen, wenn man das grundsätzlich für kritisch hält.
- Die wirtschaftliche Situation der Ostelbischen Grundbesitzer und Landarbeiter hingegen ist ein betriebswirtschaftliches Problem.
Betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen, müssen durchaus nicht zusammenfallen.
Das Problem der Agrarier in Ostelbien war ein Überangebot an Lebensmitteln/Agrarprodukten aus Osteuropa und Russland.
Dieses Überangebot verschwand nicht dadurch, dass sie ihre Produktionsmengen erhöhten.
Um ohne sich ohne staatliche Hilfe auf dem Markt durchzusetzen, hätten sie signifikant günstiger produzieren müssen als die Konkurrenz weiter im Osten, die aber von Natur aus teilweise besser Bodenqualitäten hatte und bei der die Lebensqualität teilweise geringer war, als in Ostelbien und damit auch der Faktor Lohnkosten.
Um ohne staatliche Schutzmechanismen konkurrenzfähig zu werden, hätten die Agrarier also extrem modernisieren müssen.
Modernisierung kostet Geld, wie also die nötigen Mittel auftreiben?
- Kredite bekommt man als marodes Unternehmen eher nicht oder jedenfalls nicht zu besonders günstigen Konditionen, Banken neigen nicht unbedingt dazu in Unternehmen zu investieren, die bereits tief in den roten Zahlen stecken.
Oder anders ausgedrückt, wenn eine Bank die Möglichkeit hat ihr Kreditkapital einer boomenden Industrieunternehmung aus dem Chemie-, Elektro- oder Montansektor zur Verfügung zu stellen, die seit Jahren positive Bilanzen und gute Wachstumsraten hat, oder in ein Ostelbisches Landgut, dass seit Jahren unrentabel ist, weiß sie, was sie tut.
Was bliebe also noch?
- Entweder versuchen die Löhne zu drücken, um dem Betrieb etwas Kapital zu verschaffen, was dann vielleicht dem Betrieb geholfen, die Situation der Landarbeiter aber verschlechtert hätte.
- Oder aber Teile des Betriebe vorrübergehend stillzulegen oder abzustoßen um anderweitig Mittel einzusparen oder zu gewinnen. Ob es einem Betrieb, der Teile seiner Produktion lahmlegt oder abstößt um andere Teile zu verbessern am Ende aber tatsächlich besser geht, ist auch nicht in Stein gemeißelt.
Es kann genau so gut sein, dass bei Reduzierung der Anbaufläche und Intensivierung des Anbaus am Ende eine ähnliche Produktionsmenge herauskommt und die Kostenerspanis minimal ist.
Diese Probleme wären nicht verschwunden, wenn der Besitzer der entsprechenden Grundstücke gewechselt oder die Güterkomplexe zerschlagen worden wären, möglicherweise wären sie durch kleine Parzellierung noch verschärft worden, weil es dann für die jeweiligen Inhaber noch schwieriger geworden wäre, die Kosten für eine Modernisierung und Anschaffung von Maschinen und Düngemitteln zu steigern.
Wir reden ja hier bei den nötigen Betriebsverbesserungen nicht über Dinge aus dem 17. oder 18. Jahhundert, wie etwa Anlage vernünftiger Drainagen, die ein fleißiger Klein- oder Mittelbauer noch selbst erledigen konnte.
Das war ja längst vorhanden. Wir reden im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert von Maßnahen, die technisch so ausgefeilt waren, dass sich das nur durch den Einsatz von Geld erledigen lässt.
Und wenn schon der Großbetrieb Probleme hat das notwendige Investitionskapital für Neuerungen bereit zu stellen, dann der Kleinbtrieb erst recht.
Zumal eine quantitative Erhöhung der Lebensmittelproduktion ohne eine Veränderung der Handels- und Zollpolitik des Deutschen Reiches zu einem Sinken der Lebensmittelpreise durch das höhere Angebot geführt hätte.
Das wäre im Sinne der Gesamtbevölkrung get gewesen, vom Standpunkt der Agrarier hätte das aber möglicherweise auch bedeutet auf den Kosten für die Investitionen sitzen zu bleiben, weil aus der Erhöhrung der Produktions- und Abgabenmengen nicht unbedingt auch Mehreinnahmen resultiert wären.
Was der Agrarsektor im Grunde benötigte, war eine protektionistische Zollpolitik um die osteuropäische Konkurrenz, was Lebensmittel angeht vom deutschen Markt künstlich zu verdrängen, dadurch die Lebensmittelpreise zu stabilisieren und zu erhöhen, um die Güter zu entschulden und Investitionskapital für Neuerungen zusammen zu bringen, idealer Weise flankiert von günstigen staatlichen Krediten für technische Verbesserungen und Maßnahmen zur Erhöhung der Produktionsmengen.
Dem standen aber verschiedene Dinge entgegen:
- Deutschlands eigentliches wirtschaftlichs Zugpferd war mittlerweile die Industrie, die auf Rohstoffimporte und ausländische Absatzmärkte zunehmend angewisen war, so dass Deutschland, wenn es eine enorm restriktive Zollpolitik und möglicherweise einen jahrelangen Zollkrieg begonnen hätte, möglicherweise das Wachstum seines Industriesektors abgewürgt hätte.
- Das galt um so mehr nach dem 1. Weltkrieg als Deutschland noch mal im besonderen Maße exportieren musste, um Reparationen und Auslandsschulden bedienen zu können.
- Das Zollregime beeinflusste natürlich auch immer das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn. Deutschland hatte am Ende des 19. Jahrhunderts damit angefangen Schutzzölle gegen russische Agrarexporte zu errichten, das Resultat war natürlich, dass St. Petersburg ziemlich sauer darüber war, dass Berlin anfing der russischen Landwirtschaft ihre Exportmärkte zu verbauen, was durchaus zur russisch-französischen Annäherung und zum französisch-russischen Bündnis vor dem 1. Weltkrieg beitrug.
- Nach dem 1. Weltkrieg setzten die Weimarer Regierungen auf Kooperation, (auch wirtschaftliche Kooperation) mit der Sowjetunion, weil man mit den Westmächten eben nach wie vor Probleme hatte ("Rapallo-Politik").
Ein einigermaßen gutes Verhältnis zur Sowjetunion zu wahren setzte allerdings vorraus in gewissem Maße für sowjetische Agrarexporte offen zu sein, während Sowjets in den 1920er Jahren anfingen ihre Landwirtschaft staatlich gesteuert zu industrialisieren, mit dem mittelfristigen Erfolg der weiteren Erhöhrung der Produktionsmengen.
- Durch die immense finanzielle Verschuldung des deutschen Staates in Form von Folgelasten des Krieges, wie Witwen- und Waisenrenten, Reparationsproblmatik, später Bedienung amerikanischer Kredite, Inlandsverschuldung durch fällige Kriegsanleihen und so weiter, so wie die notwendigkeit umfassender Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Industriesektor während der Weltwirtschaftskrise, war der Spielraum des Staates für die Bereitstellung von Modernisierungskrediten im großen Stil ebenfalls gering.
Unter diesen Umständen wäre es auch sehr modern denkenden Leuten schwer gefallen die ostelbische Landwirschaft zu modernisieren, zumal man ja nicht im luftleeeren Raum modernisiert, sondern die Konkurrenz modernisiert ja mit, so dass man vielleicht nach der Anschaffung neuer Technik, 5 oder 10 Jahre wegen überlegener Produktionsmethoden einigermaßen gute Renditen hat, dann aber wird die Konkurrenz aufgeholt haben und der Effekt allmählich verpuffen.
Das Problem war nicht so einfach zu lösen und das war durchaus weit mehr, als eine reine Einstellungsfrage.