"Herrenmenschen"- und "Lebensraum"-Ideologie in der NS-Zeit: Zusammenhang mit Verlust der dt. Kolonien?

Lässt sich folgende Theorie irgendwie erhärten: War das Deutsche Reich in gewisser Weise ein Koloss auf tönernen Füßen, wenn man sich die Landwirtschaft und Versorgung ansieht? Es gab hochmoderne Metropolen, vor allem Berlin (damals auch bekannt als "Elektro-Stadt", ging schon in die Richtung eines frühen Silicon Valley). Und auf der anderen Seite war die Versorgunglage doch immer etwas angespannt.
Eigentlich nicht.
Deutschland hatte eine sehr produktive Industrie, auch nach dem 1. Weltkrieg noch, und war grundsätzlich problmlos in der Lage Fehlmengen bei der Lebensmittelproduktion durch Import zu decken.

Das wurde nur dann problematisch, wenn aus irgendwelchen Gründen der internationale Handel nicht so funktionierte, wie er sollte. Z.B. in der Inflationszeit 1923, weil Deutschland da keine stabile Währung hatte die im Außenhandel effektiv eingsetzt werden konnte, und im Kontext der Weltwirtschaftskrise, weil die europäischen Staaten darauf alle mit wirtschaftlicher Abschottung reagierten, so dass Deutschland Problme hatte seine Industrieprodukte los zu werden.

Das führte aber durchaus nicht zu katastrophaler Unterversorgung o.ä.

Unter dem Aspekt könnte man sich auch überlegen, ob Wilhelm II und seine Regierung 1914 einfach nur in spätabsolutistischem Geist aus reiner Ehrpusseligkeit und Natiolalismus durch Belgien nach Frankreich marschierten, oder ob hintergründig auch Aspekte wie Versorgung und damit "Lebensraum" die Agenda mitbestimmten.
Verzeihung, jetzt bist du wirklich vollständig in die falsche Richtung unterwegs.

Nach 1871 hatte Preußen auch zollfreien Zugriff auf Agrarprodukte aus Baden und Bayern, das könnte auch ein Motiv gewesen sein, die Vereinigung mit diesen Ländern anzustreben. Während man sich Österreich mit seiner Almwirtschaft lieber nicht ans Bein binden wollte?
Preußen dürfte anno 1871 durchaus in der Lage gewesen sein seinn Lebensmittelbedarf mehr oder weniger selbst zu decken.

Du darfst nicht übersehen, dass sich die Bevölkerung Deutschlands zwischen 1871 und 1914 annähernd verdoppelte.
Von about 40 Millionen Menschen, auf annähernd 70 Millionen Menschen.
Den Wandel von einem Agrarstaat zu einem tatsächlichen Industriestaat im modernen Sinne, beendet Deutschland erst irgendwann zwischen der Reichsgründung und der Jahrhundertwende.
Da verändert sich sehr viel.
Unter anderem führen immer bessere Löhne auch für die Arbeiterschaft ab den 1880er und 1890er Jahren auch zu gesteigerten Konsumwünschen, die Auswirkungen auf die Import-Export-Bilanz hatten.

Wenn man eine solche Motivlage unterstellt, wäre der Vertrag von Versailles mehr gerechtfertigt. Man hätte innenpolitisch bei der Landwirtschaft über Jahrzehnte versagt. Und bevor man sich mit Gutsbesitzen östlich der Elbe anlegt, sucht man sein Heil lieber darin, seine Nachbarn zu überfallen...
Ja, sie zu unterstelln wäre allerdings kompletter Unfug.
Über die Motivlage Bismarcks und der handelnden Politiker von 1914 ist in diesem Forum wirklich genug geschrieben worden. Mit solchen Vorstellungen hatte die nichts zu tun. Bei Hitler sah das in Teilen etwas anders aus.


Kolonialismus: Diente auch dazu, Leute unterzubringen, für die im Heimatland kein Platz war.
Bevor du dich in solche Überlegungen weiter hineinsteigerst.

Mach dir vielleicht mal klar: Einige unserer Nachbarländer, wie z.B. die Niederlande, Belgien oder Großbritannien, waren, was das Verhältnis Fläche zu Einwohnerzahl angeht wesentlich dichter besiedelt als das damalige Deutschland.

Schau dir die Reisen Gebiete in Deutschlands Osten und ihre Einwohnerzahlen mal an:

In ganz Ostpreußen lebten zu beginn des 1. Weltkriegs etwa 2 Millionen Menschen.


Zum Vergleich: In London lebten damals 7 Millionen Menschen.

Es war wirklich mehr als genug Platz, um Leute unterzubringen.


Soweit mal eine Geschichtstheorie, basierend auf Agrarpolitik, bin mal gespannt, was davon haltbar ist.;)
Kann ich dir so leid es tut in einem Wort sagen: nichts.

Weil du an versschiedenen Punkten von völlig falschen Voraussetzungen ausgehst.
 
Lässt sich folgende Theorie irgendwie erhärten: War das Deutsche Reich vor 1914 in gewisser Weise ein Koloss auf tönernen Füßen, wenn man sich die Landwirtschaft und Versorgung ansieht?
Nein.

1. Für eine führende Industriemacht ist es kein existentielles Problem, wenn man nicht die alle benötigten Nahrungsmittel selbst erzeugen kann. Solange man sich nicht gerade mit seinen Nachbarn und der führenden Seemacht des Planeten im Krieg befindet, kann man fehlende Nahrungsmittel importieren.

2. Die deutsche Landwirtschaft hatte durchaus noch großes Steigerungspotential, z. B. durch verstärkte Düngung, den Einsatz von Maschinen, Flurbereinigung (wobei die aus Naturschutzsicht natürlich auch Nachteile hat), Einsatz von Pflanzenschutzmittel etc.. Wir produzieren ja heute auf deutlich kleinerer Fläche deutlich mehr Nahrungsmittel als damals im Deutschen Reich. Von 183 bis 1913 stieg die Getreideernte von 16 auf 25 Millionen Tonnen. 2023 waren es 38 Millionen Tonnen. Und das ist ohne Berücksichtigung von Körnermais, der ja heute sehr viel angebaut wird.


-Kolonialismus: Diente auch dazu, Leute unterzubringen, für die im Heimatland kein Platz war. Von England erfolgreich praktiziert (Australien, Südafrika.,..), von Wilhelm II bei seiner Forderung nach dem "Platz an der Sonne" offenbar nicht vollumfänglich überblickt...
Ich denke, das spielte bei den Überlegungen durchaus eine Rolle.

Problem: Die für Auswanderung attraktiven Gebiete waren alle schon vergeben. Wie ja auch überhaupt schon fast alle Gebiete vergeben waren, als sich das Reich unter Wilhelm II um eine aktivere Kolonialpolitik bemühte.
 
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Wir reden doch über die 1920er Jahre. Da wurden Gegenden, die bislang kaum oder nur sehr rudimentär landwirtschaftlich genutzt werden konnten, in die landwirtschaftliche Nutzung mit einbezogen. Wegen der chemischen Düngung.
So weit es meine Einlassung hinichtlich fehlender Düngemittel betrifft, bezog ich mich auf das Kaiserreich. Das hat sich sicherlich in der Weimarer Zeit etwas geändert, allrdings hohlte in den 1920er Jahren ja auch die ponische und sowjetische Konkurrenz auf, was Bodenerträge angeht, mit entsprechender Rückwirkung auf Preise.
 
2. Die deutsche Landwirtschaft hatte durchaus noch großes Steigerungspotential, z. B. durch verstärkte Düngung, den Einsatz von Maschinen, Flurbereinigung (wobei die aus Naturschutzsicht natürlich auch Nachteile hat), Einsatz von Pflanzenschutzmittel etc.. Wir produzieren ja heute auf deutlich kleinerer Fläche deutlich mehr Nahrungsmittel als damals im Deutschen Reich. Von 183 bis 1913 stieg die Getreideernte von 16 auf 25 Millionen Tonnen. 2023 waren es 38 Millionen Tonnen. Und das ist ohne Berücksichtigung von Körnermais, der ja heute sehr viel angebaut wird.
Nun ja, allerdings ist bei den Nutzpflanzen auch enorm viel züchterische Arbeit vollbracht worden. Zea-Sorten wurden verstärkt an die kürzeren Wachstumsperioden in Teilen Europas angepasst, ebenso fast alle Getreidesorten. Heute kann sogar schon Soja mit Erfolg in Mitteleuropa angebaut werden. Unsere Kulturzeit hat sich zwar grob um etwa 2 Wochen verlängert, aber der Grund ist in erster Linie züchterischer Art.

Zudem brauchen wird heute weniger Futtergetreide für Arbeitspferde. In der Mast und Milchwirtschaft dominiert der Mais in jeder Form, ergänzt durch importierte Futtermittel.
 
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UTB Band 2 750-1976 Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland

Die Bauernaussage gilt erst für einige Zeit nach der Machtergreifung und der neuen Ordnung in der Landwirtschaft.

Im einschlägigen Kapitel finde ich eine solche Aussage nicht. Entweder hast Du etwas falsch in Erinnerung oder ich habe etwas übersehen. Falls letzteres der Fall sein sollte, bitte ich um Zitat bzw. Seitenangabe.
 
Vielen Dank für eure Beiträge.

Viel an meinem herumtheroetisieren hängt wohl an der Frage, wie gut die deutsche Landwirtschaft bis 1914 oder 1933 aufgestellt war. Insbesondere östlich der Elbe. Einerseits wurden moderne Verfahren erprobt und die Ernte reichsweit gesteigert, andererseits schienen die berüchtigten Junker östlich der Elbe ihre Probleme zu haben und es schien an einigen Punkten Reformbedarf zu bestehen. ich frage mich, ob man diese ostelbischen Junker-Flächen sozusagen als "blockiert" betrachten könnte, d.h.sie wurden durch ihre Eigentümer nicht ausreichend produktiv bewirtschaftet. Oder sie wurden von Importen aus Russland in die Knie gezwungen. Hergeben wollten die Besitzer sie aber auch nicht. Alles nicht sehr hilfreich für die Volkswirtschaft oder auch die Beschäftigung vor Ort...

Problem: Die für Auswanderung attraktiven Gebiete waren alle schon vergeben. Wie ja auch überhaupt schon fast alle Gebiete vergeben waren, als sich das Reich unter Wilhelm II um eine aktivere Kolonialpolitik bemühte.
und selbst das schien ja nicht wirklich gezündet zu haben, wenn man sich die Zahlen der Kolonisten anschaut. Dementsprechend schnell waren sie ab 1914 auch von den umliegenden Mächten erobert. Könnte man also sagen, als Deutscher sein Glück in den deutschen Kolonien zu suchen, war im Vergleich zu anderen Nationen ziemlich unattraktiv (und nur etwas für Idealisten)? Hier finde ich auch im Vergleich die Einwanderungszahlen nach Elsaß-Lothringen interessant (habe den Wiki-Artikel gepostet). Anscheinend war dort (ausgerechnet in Europa) noch Platz um sich niederzulassen und ein Auskommen zu finden. In den Kolonien wurde hingegen offenbar Potenzial verschenkt, weil Wilhelm II und seine Regierungen offenbar kein richtiges Konzept hatten?
 
Viel an meinem herumtheroetisieren hängt wohl an der Frage, wie gut die deutsche Landwirtschaft bis 1914 oder 1933 aufgestellt war. Insbesondere östlich der Elbe. Einerseits wurden moderne Verfahren erprobt und die Ernte reichsweit gesteigert, andererseits schienen die berüchtigten Junker östlich der Elbe ihre Probleme zu haben und es schien an einigen Punkten Reformbedarf zu bestehen. ich frage mich, ob man diese ostelbischen Junker-Flächen sozusagen als "blockiert" betrachten könnte, d.h.sie wurden durch ihre Eigentümer nicht ausreichend produktiv bewirtschaftet. Oder sie wurden von Importen aus Russland in die Knie gezwungen. Hergeben wollten die Besitzer sie aber auch nicht. Alles nicht sehr hilfreich für die Volkswirtschaft oder auch die Beschäftigung vor Ort...
Der erste Punkt wäre, du müsstest dich von der Gleichung:

Ostelbischer Agrarier = Junker = rein ideologisch gesteuerter Realitätsbilinder Reformverweigerer

verabschienden.

So lange du das nicht tust und als Erklärung vorraussetzt, dass die Misere des Agrarsektors in Deutschland daran lag, dass die in Landbesitzer halt alle geistig im Mittelalter lebten und es aus diesem Grund vor die Wand gefahren wäre, wird nicht viel an Erkenntnis dabei herumkommen.

In den Umstand, dass die Strukturen im Osteen so waren, wie sie einmal waren, spielten verschiedene Dinge hinein.

Angefangen, bei teilweise sandigen Böden, die bei gleicher Bewirtschaftungsweise einfach nicht den gleichen Bodenertrag pro Hektar bringen, wie Bodensorten, die anderswo in Deutschland vorherrschten.


Außerdem wirfst du gerade betriebswirtchaftliche und volkswirtschaftliche Probleme durcheinander.

- Das Deutschland bei der Produktion von Lebensmitteln im Inland gegenüber der Nachfrage danach Fehlmengen aufwies kann man als volkswirtschaftliches Problem auffassen, wenn man das grundsätzlich für kritisch hält.

- Die wirtschaftliche Situation der Ostelbischen Grundbesitzer und Landarbeiter hingegen ist ein betriebswirtschaftliches Problem.

Betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen, müssen durchaus nicht zusammenfallen.

Das Problem der Agrarier in Ostelbien war ein Überangebot an Lebensmitteln/Agrarprodukten aus Osteuropa und Russland.
Dieses Überangebot verschwand nicht dadurch, dass sie ihre Produktionsmengen erhöhten.
Um ohne sich ohne staatliche Hilfe auf dem Markt durchzusetzen, hätten sie signifikant günstiger produzieren müssen als die Konkurrenz weiter im Osten, die aber von Natur aus teilweise besser Bodenqualitäten hatte und bei der die Lebensqualität teilweise geringer war, als in Ostelbien und damit auch der Faktor Lohnkosten.

Um ohne staatliche Schutzmechanismen konkurrenzfähig zu werden, hätten die Agrarier also extrem modernisieren müssen.
Modernisierung kostet Geld, wie also die nötigen Mittel auftreiben?

- Kredite bekommt man als marodes Unternehmen eher nicht oder jedenfalls nicht zu besonders günstigen Konditionen, Banken neigen nicht unbedingt dazu in Unternehmen zu investieren, die bereits tief in den roten Zahlen stecken.
Oder anders ausgedrückt, wenn eine Bank die Möglichkeit hat ihr Kreditkapital einer boomenden Industrieunternehmung aus dem Chemie-, Elektro- oder Montansektor zur Verfügung zu stellen, die seit Jahren positive Bilanzen und gute Wachstumsraten hat, oder in ein Ostelbisches Landgut, dass seit Jahren unrentabel ist, weiß sie, was sie tut.

Was bliebe also noch?

- Entweder versuchen die Löhne zu drücken, um dem Betrieb etwas Kapital zu verschaffen, was dann vielleicht dem Betrieb geholfen, die Situation der Landarbeiter aber verschlechtert hätte.

- Oder aber Teile des Betriebe vorrübergehend stillzulegen oder abzustoßen um anderweitig Mittel einzusparen oder zu gewinnen. Ob es einem Betrieb, der Teile seiner Produktion lahmlegt oder abstößt um andere Teile zu verbessern am Ende aber tatsächlich besser geht, ist auch nicht in Stein gemeißelt.
Es kann genau so gut sein, dass bei Reduzierung der Anbaufläche und Intensivierung des Anbaus am Ende eine ähnliche Produktionsmenge herauskommt und die Kostenerspanis minimal ist.


Diese Probleme wären nicht verschwunden, wenn der Besitzer der entsprechenden Grundstücke gewechselt oder die Güterkomplexe zerschlagen worden wären, möglicherweise wären sie durch kleine Parzellierung noch verschärft worden, weil es dann für die jeweiligen Inhaber noch schwieriger geworden wäre, die Kosten für eine Modernisierung und Anschaffung von Maschinen und Düngemitteln zu steigern.
Wir reden ja hier bei den nötigen Betriebsverbesserungen nicht über Dinge aus dem 17. oder 18. Jahhundert, wie etwa Anlage vernünftiger Drainagen, die ein fleißiger Klein- oder Mittelbauer noch selbst erledigen konnte.
Das war ja längst vorhanden. Wir reden im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert von Maßnahen, die technisch so ausgefeilt waren, dass sich das nur durch den Einsatz von Geld erledigen lässt.
Und wenn schon der Großbetrieb Probleme hat das notwendige Investitionskapital für Neuerungen bereit zu stellen, dann der Kleinbtrieb erst recht.

Zumal eine quantitative Erhöhung der Lebensmittelproduktion ohne eine Veränderung der Handels- und Zollpolitik des Deutschen Reiches zu einem Sinken der Lebensmittelpreise durch das höhere Angebot geführt hätte.
Das wäre im Sinne der Gesamtbevölkrung get gewesen, vom Standpunkt der Agrarier hätte das aber möglicherweise auch bedeutet auf den Kosten für die Investitionen sitzen zu bleiben, weil aus der Erhöhrung der Produktions- und Abgabenmengen nicht unbedingt auch Mehreinnahmen resultiert wären.


Was der Agrarsektor im Grunde benötigte, war eine protektionistische Zollpolitik um die osteuropäische Konkurrenz, was Lebensmittel angeht vom deutschen Markt künstlich zu verdrängen, dadurch die Lebensmittelpreise zu stabilisieren und zu erhöhen, um die Güter zu entschulden und Investitionskapital für Neuerungen zusammen zu bringen, idealer Weise flankiert von günstigen staatlichen Krediten für technische Verbesserungen und Maßnahmen zur Erhöhung der Produktionsmengen.



Dem standen aber verschiedene Dinge entgegen:


- Deutschlands eigentliches wirtschaftlichs Zugpferd war mittlerweile die Industrie, die auf Rohstoffimporte und ausländische Absatzmärkte zunehmend angewisen war, so dass Deutschland, wenn es eine enorm restriktive Zollpolitik und möglicherweise einen jahrelangen Zollkrieg begonnen hätte, möglicherweise das Wachstum seines Industriesektors abgewürgt hätte.

- Das galt um so mehr nach dem 1. Weltkrieg als Deutschland noch mal im besonderen Maße exportieren musste, um Reparationen und Auslandsschulden bedienen zu können.

- Das Zollregime beeinflusste natürlich auch immer das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn. Deutschland hatte am Ende des 19. Jahrhunderts damit angefangen Schutzzölle gegen russische Agrarexporte zu errichten, das Resultat war natürlich, dass St. Petersburg ziemlich sauer darüber war, dass Berlin anfing der russischen Landwirtschaft ihre Exportmärkte zu verbauen, was durchaus zur russisch-französischen Annäherung und zum französisch-russischen Bündnis vor dem 1. Weltkrieg beitrug.

- Nach dem 1. Weltkrieg setzten die Weimarer Regierungen auf Kooperation, (auch wirtschaftliche Kooperation) mit der Sowjetunion, weil man mit den Westmächten eben nach wie vor Probleme hatte ("Rapallo-Politik").
Ein einigermaßen gutes Verhältnis zur Sowjetunion zu wahren setzte allerdings vorraus in gewissem Maße für sowjetische Agrarexporte offen zu sein, während Sowjets in den 1920er Jahren anfingen ihre Landwirtschaft staatlich gesteuert zu industrialisieren, mit dem mittelfristigen Erfolg der weiteren Erhöhrung der Produktionsmengen.

- Durch die immense finanzielle Verschuldung des deutschen Staates in Form von Folgelasten des Krieges, wie Witwen- und Waisenrenten, Reparationsproblmatik, später Bedienung amerikanischer Kredite, Inlandsverschuldung durch fällige Kriegsanleihen und so weiter, so wie die notwendigkeit umfassender Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Industriesektor während der Weltwirtschaftskrise, war der Spielraum des Staates für die Bereitstellung von Modernisierungskrediten im großen Stil ebenfalls gering.



Unter diesen Umständen wäre es auch sehr modern denkenden Leuten schwer gefallen die ostelbische Landwirschaft zu modernisieren, zumal man ja nicht im luftleeeren Raum modernisiert, sondern die Konkurrenz modernisiert ja mit, so dass man vielleicht nach der Anschaffung neuer Technik, 5 oder 10 Jahre wegen überlegener Produktionsmethoden einigermaßen gute Renditen hat, dann aber wird die Konkurrenz aufgeholt haben und der Effekt allmählich verpuffen.

Das Problem war nicht so einfach zu lösen und das war durchaus weit mehr, als eine reine Einstellungsfrage.
 
und selbst das schien ja nicht wirklich gezündet zu haben, wenn man sich die Zahlen der Kolonisten anschaut. Dementsprechend schnell waren sie ab 1914 auch von den umliegenden Mächten erobert. Könnte man also sagen, als Deutscher sein Glück in den deutschen Kolonien zu suchen, war im Vergleich zu anderen Nationen ziemlich unattraktiv (und nur etwas für Idealisten)? Hier finde ich auch im Vergleich die Einwanderungszahlen nach Elsaß-Lothringen interessant (habe den Wiki-Artikel gepostet). Anscheinend war dort (ausgerechnet in Europa) noch Platz um sich niederzulassen und ein Auskommen zu finden. In den Kolonien wurde hingegen offenbar Potenzial verschenkt, weil Wilhelm II und seine Regierungen offenbar kein richtiges Konzept hatten?
Was heißt nicht gezündet?

Es ist ja nicht so, dass in den 1880er Jahren die Reichsregierung den Plan gefasst hätte mal irgendwo systematisch Kolonien zu erobern um da Bauern anzusiedeln.
Die deutschen Koloniegründungen in Afrika waren Inititiven von Privatleuten, hinter denen zunächst duchaus nicht der deutsche Staat stand. Und was waren keine Landwirte, sondern in der Regel Personen, die aus dem Handel kamen oder in irgendeiner Form damit verbandelt waren und sich da in irgendeiner Form Spielwiesen und Märkte erschließen wollten.

Auch Personen aus anderen Ländern zog es in der Regel nicht in Massen nach Afrika, mit Ausnahme vielleicht der Kapkolonie, da lockten allerdings seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch Bodenschätze in Form reichen Edelmetallvorkommen.


Elsass-Lothringen hat relativ wenig mit Landwirtschaft zu tun.
Die Einwanderung nach Elsass-Lothringen hat vor allem damit etwas zu tun, dass es in "Deutsch-Lothringen" recht ergiebige Eisenerzvorkommen gab.
Die waren allerdings bis in die 1880er Jahre für Produktion im größeren industriellen Maßstab nicht bruachbar, weil es sich um sogenannte "saure Erze" (d.h. Erze mit einem hohen Phosphorgehalt) handelte, die mit dem "Besser-Verfahren" nicht zu verarbeiten waren, da die chemische Zusammensetzung bei der Verarbeitung zu chemischen Raktionen führte, die einen Handelsüblichen Bessemer-Konverter ("Bessemer Birne") schnell beschädigten und nach einiger Zeit runierten.
Allerdings kam in den 1880er Jahren das sogenannte "Thomas-Verfahren" auf, dass die Verarbeitung dieser Erze ermöglichte und damit erlebte Lothringen einen Industrialisierungsschub (das kohlereiche Saargebiet lag direkt nebenan und über den Rhein war es auch nicht weit bis zu den Kohlegruben an der Ruhr).
Der größte Teil der Einwanderung nach Elsass-Lothringen hat mit der Expansion der dortigen Eisengruben und dem Aufbau entsprechender Hüttenwerke zu tun, nicht damit, dass da auf einmal Massen von Menschen auf die Idee gekommen wären Bauernhöfe gründen zu wollen.


Die Kolonien wie gesagt, waren eigentlich nie zu diesem Zweck "erworben" worden.
Das waren eher Initiativen aus dem Handelssektor und für einzelen Handelshäuser konnten sich die Kolonien finanziell durchaus zum Teil lohnen, bzw. hätten es möglicherweise gekonnt, wenn das länger Bestand gehabt hätte.

Aus Sicht des Deutschen Reiches, war das ganz Kolonialexperiment großer, kostenintensiver und vor allem Menschenverachtender Unfug. Hat aber ursächlich nichts mit der Vorstellung zu tun irgendwo Bauern ansiedeln zu wollen oder mit Lebensraum-Phantasien à la Hitler.
 
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Einen ländlich-bäuerlichen Hintergrund hatte die Nationialsozialistische Arbeiterpartei eigentlich überhaupt nicht. Erst ab 1927/28 dämmerte den Nazis, dass sie bei der bäuerlichen Landbevölkerung eventuell bessere Wahlchancen hatten als bei der städtischen Arbeiterbevölkerung.
Nun dem würde ich jetzt nicht so einfach zustimmen. Es geht doch jetzt um die Entstehung der Idee vom Lebensraum im Osten und wie er sich entwickelte. Natürlich wurde die NSDAP (im Umkreis der Thule-Gesellschaft) gegründet um das Wählerpotenzial der Linken bei den Arbeitern abzugreifen. Was ja nur überschaubar funktioniert hat. Dass man erst gegen 1927/28 auf die Idee kam, dass man vielleicht in den Dörfern mehr Chancen hat, ändert ja nichts daran, wie es sich auf die Selbstwahrnehmung der Nazis auswirkte und auf die Ideologie des Lebensraums. So kippte der 1. Mai von einem Feiertag der Arbeiter im Laufe der NS-Herrschaft stark in einen Feiertag, der Fruchtbarkeit und des bäuerlichen Brauchtums. Auch der Sonntag nach dem Michaelistag wurde als Erntedanktag zum Feiertag. Dort Zelebrierte sich NSDAP und gerade auch mit Hitler als bäuerliche Bewegung. Hitler als Stadtmensch, der den Großteil seines Lebens in Städten verbrachte Linz, Wien, München, hatte wohl selbst keinen Bezug zum Landleben. Wenn dann nur eine fernen romantischeren, wie am Obersalzberg. Das Endert aber nichts daran, dass während der NS-Herrschaft die Zustimmung in der Landbevölkerung zum Regime lange sehr hoch gewesen sein dürfte. Auch nichts, dass in der NS Theorie, gerade in Bezug zum Lebensraum die Idee des Deutsch als Volk von Wehrbauern und eine Skepsis zu den Großstädten eine große Rolle spielte.

Zu den braunen Hemden. Ja sicher war es Anfangs dem Zufall, der Gelegenheit geschuldet das man braune Hemden bekam. Aber auch da wurde dies später eben als Bekenntnis zur Erde, zum Land verkauft. Es ist ja nicht so das, dies alles Statisch war und man nicht im Laufe der Zeit versuchte eine neue Erzählung zu finden und zu verkaufen.
 
Ich glaube auch nicht, dass Hitler die Fortschritte in der Landwirtschaft große wahrnahm oder wahrnehmen wollte. Ich habe Mein Kampf nicht gelesen, aber so viel ich weiß, begründet er Notwendigkeit der Eroberung von Lebensraum, ja gerade damit, dass der technische und wissenschaftliche Fortschritt keine wirklichen tiefgreifenden Auswirkungen hätte auf die Landwirtschaft.

Ich glaube, dass sich Hitler von der Lebensraumtheorie überzeugen ließ, lag an der Hungerblockade im Ersten Weltkrieg. Dies war natürlich ein Schock und Hitler sah ja gerade auch in der schlechten Versorgungslage in der Heimatfront einen Grund warum, aus seiner Sicht es den Juden gelungen war die Bevölkerung dazu zu bringen dem Heer in den Rücken zu fallen. Wenn seine Idee des Rassenkampfes gelingen sollte, musste Deutschland ein landwirtschaftliches Hinterland haben, dass dies verunmöglichte.

Ob Deutschland, vor dem Ersten Weltkrieg, landwirtschaftlich ein Kollos auf tönernen Füßen war, will ich jetzt bestreiten. Natürlich war die Landwirtschaft auf Importe von Kunstdüngern, Schutzzölle und Preisstützen angewiesen. Aber das heißt ja nicht, dass Deutschland für damalige Verhältnisse nicht eine sehr effektive Landwirtschaft hatte. Auch heute würde die Landwirtschaft ohne Subventionen und Steuerbegünstigungen zusammen brechen. Das heißt aber nicht, dass die Landwirtschaft in Deutschland ineffizient ist. Man darf nicht vergessen, welche enormen Veränderungen mit dem Krieg einhergingen. Denn Einzug von Millionen Männern und Hunderttausenden Pferden, die auf den Äckern fehlten. Dazu kam das man nun einen Großteil des Transportwesens umstellen musste. Dazu kam auch das man vor dem Krieg nur mit einem schnellen Krieg von einigen Monaten plante. Das es nun zu dieser Katastrophe kam, hat wohl keiner gesehen und war ein großes Ah-Erlebnis.
 
Im einschlägigen Kapitel finde ich eine solche Aussage nicht. Entweder hast Du etwas falsch in Erinnerung oder ich habe etwas übersehen. Falls letzteres der Fall sein sollte, bitte ich um Zitat bzw. Seitenangabe.
Die Bauernaussage steht auch nicht dort, die habe ich irgendwann mal in einem Bericht über eine örtliche!!! Bauernschaft bei uns in der Region gelesen. Ob das korrekt ist weiß ich nicht und ob das reichsweit gilt weiß ich auch nicht.
 
Die Bauernaussage steht auch nicht dort, die habe ich irgendwann mal in einem Bericht über eine örtliche!!! Bauernschaft bei uns in der Region gelesen.
Ist das eine protestantische oder katholische Region?

Und galt dort traditionell Realteilung oder Anerbenrecht bei der Vererbung von Höfen? Im letzteren Fall änderte sich durch das Reichserbhofgesetz ja entsprechend weniger.
 
Protestantisch, eher Anerbenrecht, Realteilung gab es bei uns kaum, die Bauernschaften liegen im Artland.

Der Nordkreis von OS ist gemischt, mit einem starken Übergang der Protestanten.
 
Moin

Ich nehme meine Aussage zurück, ich habe gerade mal im Buch über Quakenbrück und die Entwicklung der NSDAP im Kreis Bersenbrück nach geschaut, dort steht genau das Gegenteilige meiner Aussage, gerade in der Bauernschaft war die Partei wohl sehr stark. Der Absatz geht allerdings nur bis kurz nach der Machtergreifung, über die Verhältnisse Ende der 30ger, Anfang der 40ger finde ich noch nichts. Ich bitte hiermit meinen Fehler zu entschuldigen.
 
Die Idee vom "Lebensraum im Osten" war bereits vor Verlust der deutschen Kolonien entstanden und natürlich schon vor der Entstehung der Nazi-Partei. Tatsächlich entstand das Ideengebilde im ausgehendem 19. Jahrhundert unter dem Einfluss des Sozialdarwinismus, Stichwort völkische Bewegung. Der Gedanke der germanischen Überlegenheit gegenüber Polen, Juden u.a. entstand zur Zeit des Hochimperialismus. Die gleichen Menschen, die sich für einen "Platz an der Sonne" machten plädierten auch dafür die polnische Bevölkerung im Deutschen Reich kleinzuhalten oder zu verdrängen. Die Lobby-Gruppe "Alldeutscher Verband" plädierte jedenfalls für beides. Die Landnahme im Osten wurde auch als "Binnenkolonisation" oder "innere Kolonisation". Prominentester Vertreter war der Soziologe Max Weber, der gegen die polnische Bevölkerung im Reich hetzte.

Erste praktische Umsetzungen Landnahme im Osten gab es bereits im 1. Weltkrieg im Ostseeraum im deutschen Besatzungsgebiet "Ober Ost". Während die einheimische baltendeutsche Minderheit begünstigt wurde, wurde die nicht-deutsche Bevölkerung durch Zwangsarbeit ausgebeutet.
 
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Die Idee vom "Lebensraum im Osten" war bereits vor Verlust der deutschen Kolonien entstanden und natürlich schon vor der Entstehung der Nazi-Partei. Tatsächlich entstand das Ideengebilde im ausgehendem 19. Jahrhundert unter dem Einfluss des Sozialdarwinismus, Stichwort völkische Bewegung. Der Gedanke der germanischen Überlegenheit gegenüber Polen, Juden u.a. entstand zur Zeit des Hochimperialismus. Die gleichen Menschen, die sich für einen "Platz an der Sonne" machten plädierten auch dafür die polnische Bevölkerung im Deutschen Reich kleinzuhalten oder zu verdrängen. Die Lobby-Gruppe "Alldeutscher Verband" plädierte jedenfalls für beides. Die Landnahme im Osten wurde auch als "Binnenkolonisation" oder "innere Kolonisation". Prominentester Vertreter war der Soziologe Max Weber, der gegen die polnische Bevölkerung im Reich hetzte.

Erste praktische Umsetzungen Landnahme im Osten gab es bereits im 1. Weltkrieg im Ostseeraum im deutschen Besatzungsgebiet "Ober Ost". Während die einheimische baltendeutsche Minderheit begünstigt wurde, wurde die nicht-deutsche Bevölkerung durch Zwangsarbeit ausgebeutet.

Da muss ich sagen, übrzugt mich die Argumentation in beiden Fällen nicht oder zumindest nicht so ganz.

Was du als "Binnenkolonisation" bezeichnest und man duchau auch so nennen kann, zielte ja weder darauf ab, Deutschlands Grenzen in Richtung Osten auszuweiten, noch darauf, die slawischsprachigen Teile der Bevölkerung der preußischen Ostgebiete in irgendeiner Weise zu vertreiben oder zu versklaven, jedenfalls nicht soweit das von Regierungsseite tatsächlich betrieben wurde.

Was man von staatlicher Seite her tatsächlich tat, war wohl der Versuch durch gezielten Aufkauf von Land und subventionierten Verkauf an deutschsprachige Personen, den deutschsprachigen Bevölkrungsanteil in den östlichen Gebieten zu erhöhen und auf diese Weise die Besitzverhältnisse in diesen Gebieten zu Gunsten der deutschsprachigen Bevölkerung zu verschieben.
Dahinter steckte die Vorstellung, durch die Ansiedlung deutschsprachiger Personen größeren Assimilationsdruck auf die slawischsprachigen Einwohner auszuüben, die polnische Nationalbwegung zu schwächen und auch generell den Anspruch, den diese auf Teile dieser Gebiete möglicherweis erheben konnte, durch einen Sprachenwandel in Teilen dieser Gebiete und Erhöhrung deer Grundloyalität zum deutschen Staate zu dikreditieren.

Das war der Versuch einer Assimilationspolitik mit der Brechstange, aber er lief weder auf Eroberungsphantasien, noch auf eine systematische Entrechtung oder teilweise Vertreibung/Vernichtung der Bevölkrung im Sinne von Hitlers "Lebensraumideen" hinaus.

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Ober-Ost ist ein bisschen komplizierter, da würde ich dir teilweise recht geben, dass das schon gewisse Parallelen/Vorstellungen vorwegnimmt, die die Nazis später hatten, aber aus einer anderen Begründung heraus, als du das siehst.

Wenn ich geneigt wäre, beim Thema 1. Weltkrieg und Kriegsziele solche Ansätze zu sehen, würde ich das nicht am Baltikum festmachen, sondern am projektierten, so genannten "Polnischen Grenzstreifen".
Denn der sollte ja explizit dazu konzipiert werden, als Auffangbecken für slawischsprachige Personen aus den Ostprovinzen des Reiches zu dienen, deren Aussiedlung, man könnte auch sagen Deportation, da die Leute wahrscheinlich nicht so unbedingt freiwillig dahin abgewandert wären, da projektiert wurde.

Beim "polnischen Grenzstreifen", sehe ich zwei von drei Kernpunkten des Lebensaum-Gedankens, nämlich die Trritoriale Expansion durch Eroberung und die Vorstellung der großangelegten Verdrängung der angestammten Bevölkerung durchaus als erfüllt an.
Und den dritten Punkt, nämlich die Entrechtung von Teilen der Bevölkerung im Osten, in diesem Fall der slawischsprachigen Bevölkerung der alten Ostprovinzen, durch eventuelle Deportation, sehe ich als etwas an, was im Falle eine deutschen militärischen Sieges jedenfalls mit einiger Wahrcheinlichkeit auch tatsächlich getan worden wäre.

Das unterscheidet sich meines Erachtens deutlich von der "Ansiedlungspolitik" vor dem Weltkrieg.


Deiner Überlegung mit dem Baltikum würde ich allerdings widersprechen.
Begründung:

- Es ist richtig, dass dort die Deutsch-Baltische Bevölkerung zunächst mal begünstigt wurde, aber das war nur folgerichtig, weil man zuverlässiges Personal für die Besatzungsverwaltung während des Krieges brauchte.
Dadurch, dass die Deutsch-Balten durch den Krieg Russlands mit Deutschland den Russen zunehmend als potentielle Verräter galten und in Russland zunehmend Anfeindungen durch die Slawophilen ausgesetzt waren, während die in diesem Fall vor allen Dingen Lettischen Bauern ohnehin in Interessengegensatz zu diesen Leuten stand, die einen Großteil der Gutsherren stellte, war davon auszugehen, dass die Deutschbalten kooperativ sein würden.
Aber weniger wegen irgendwelcher kulturellen Gemeinsamkeiten (das hinderte viele Deutschbalten durchaus nicht in der russischen Armee Krieg gegen Deutschland zu führen, ohne dass diese Leute bei Lichte betrachtet tatsächlich durch besondere Illoyalität aufgefallen wären), sondern weil sie sich alleine auf Dauer in ihrer Position gegenüber den Balten, auf Grund ihrer relativ geringen Zahl und des scharfen Interessengegensatzes zur abhängigen Landbevölkerung nicht behaupten konnten, während das Zarentum und Russland gnerell als verlässliche Stütze dieser Macht, sichtlich auf dem Rückzug war und wegzubrechen drohte.
Die deutschbaltischen Landbesitzer brauchten also neue Verbündete zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen Stellung gegenüber den Letten und Deutschland brauchte Leute, die dass Besatzungsregime während des Krieges unterstützten.

Diese Allianz lag auf der Hand.

Zwangswabreit im 1. Weltkrieg hat es natürlich gegeben und spätestens auch mit dem Brest-Litowsker Diktatfrieden auch den Versuch große Räume in Osteuropa dauerhaft wirtschaftlich an Deutschland zu binden um Zugriff auf ihre Ressourcen zu haben.

Das weist natürlich Grundüberlegungen auf, die sich später in anderer form im Konzept der Nazis widerfinden.
 
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Allerdings gibt es da auch deutliche Unterschiede, was den 1. Weltkrieg angeht:

1. Waren Maßnahmen, wie die Zwangsarbeit unter der Ägide von Ober-Ost Kriegmaßnahmen, die zwar betrieben wurden, von denen mir aber nicht bekannt wäre, dass man projektiert hätte, sie auch in Friedenszeiten anzuwenden.
Sollte ich hier irren, bitte ich um einen Beleg, dann wäre die folgende Argumentation in diesem Punkt hinfällig.
So lange sich das vor allem auf den Krieg bezieht, war Zwangsarbeit natürlich durchaus kein deutsches Spezifikum.
Im Grunde genommen auch außerhalb des Krieges nicht, wenn man die faktischen Verhältnisse in den Kolonialgebieten sämmtlicher Europäischen Mächte betrachtet.

Was die Nazis vor hatten, war insofern anders, dass sie Zwangsarbeit und Versklavung der Bevölkerung Osteeuropas nicht zum Ausnahmzustand des Krieges, sondern zum Normalzustand machen wollten, auf dem sie ihr Imperium aufzubauen gedachten.

2. Was im Ersten Weltkrieg auch anders ist, ist, dass anders als bei den Nazis noch kein eindeutiger Ost-Fokus gegeben ist.
Hitler war ja von Anfang an fanatisch darauf festgelegt Osteuropa zu erobern und durch Genozid und großangelegte Versklavung "eindeutschen" zu wollen.

Im Ersten Weltkrieg sieht es ja so aus, dass die Zielsetzung, die die Regierung Bethmann-Hollweg in 1914 mit dem "Septemberprogramm" zu Grunde gelegt hatte, eigentlich eher eine West- und Kolonialfokus hatte, während der Osten erst in größerem Maßstab in den Fokus des Interesses rückte als die Ziele im Westen militärisch zunehmend nicht realisierbar erscheinen mussten, während sich im Osten Möglichkeiten auftaten, oder es jedenfalls diesen Anschein haben konnte.

3. Zwangsarbeit, bzw. faktsiche Zwangsarbeit gab es, wenn ich recht informiert bin auch in den besetzten belgischen und nordfranzösischen Gebieten. Ist ja durchaus nicht so, dass die deutschen Besatzungsbehörden nicht deutlichen Druck dahin ausgeübt hätten die Belgische und teilweise französische Industrie in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft einzuspannen.
Von dem her weiß ich nicht, ob man an der Zwangsarbeit im Bereich von Ober-Ost unbedingt eine rassistische Herrenmeschen-Attitüde fetmachen kann, die sich spezifisch gegen Osten und spezifisch gegen Balten und Slawen gerichtet hätte.
Auch war, wenn ich mich recht erinnere durchaus nicht entschieden, Litauen und die betreffenden Teile Lettlands dezidiert im Sinne einer Eroberung in die Grenzen des Kaiserreichs einzubeziehen und da im großen Stil die Bevölkrung zu Gunsten der Ansiedlung von Deutschen zu verdrängen, oder irre ich mich da?
So weit mir bekannt, wurde auf deutscher Seite im Hinblick auf die Zukunft dieser Gebiete vor allem das Modell des "Baltischen Herzogtums", also der Vereinigung dieser Territorien unter Vorsetzung eines aus dem deutschen Reich kommenden Adelshauses, als "Herzog" der ganzen Veranstaltung diskutiert.
Darüber, dass das eine ziemliche Schnapsidee war, braucht man nicht zu diskutieren, aber wie das sehe, lief dieses Modell auf die Schaffung eines mit Deutschland verklammerten, aber administrativ getrennten Satelitenstaates hinaus, aber nicht auf einen expliziten Kolonisationsraum, der mit der NS-Lebensraum-Ideologie vergleichbar wäre.



So fehlgeleitet und zum Teil verbrecherisch das war, was da vor dem 1. Weltkrieg und über einen Großteil des Weltkriegs passierte, den ausbuchstabierten "Lebensraum-im-Osten"-Gedanken der Nazis, den sehe ich hier im Großen und Ganzen noch nicht, wobei man über den Spezialfall des "Polnischen Grenzstreifens" sicherlich reden kann, bei dem, würde ich dir, jedenfalls in sofern recht geben, dass das vieles von dem, was die Nazis mit Osteuropa vorhatten im Kleinformat vorweg nahm.

Gab es die Vorstellung aus der Krim eine deutsche Kolonie zu machen eigentlich bereits im 1. Weltkrieg? Ich meine mich gerade dunkel daran zu erinnern. Sollte das der Fall sein, müsste man sich ggf. auch da mal anschauen, inwiefern das vom angedachten Modell her bereits mit der NS-Politik vergleichbar war.
 
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Gab es die Vorstellung aus der Krim eine deutsche Kolonie zu machen eigentlich bereits im 1. Weltkrieg? Ich meine mich gerade dunkel daran zu erinnern.
Schon lange vorher und zwar auch in der Realität:
Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen gründete 1828 die anhaltinische Kolonie(sic!) Askania Nova in der taurischen Steppe - gleich nördlich der Krim. (Das einst tatarische Gebiet war erst ein paar Jahrzehnte zuvor von Russland erobert.)
 
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