Historiographie: Frauen im Nationalsozialismus

ursi

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Langezeit war das Thema Frauen im Nationalsozialismus in der Forschung und der öffentlichen Wahrnehmung umstritten. Die Rolle der Frauen wurde auf unbeteiligte Zeitgenossinnen oder Opfer reduziert, die NS-Forschung klammerte die Frauen nahezu völlig aus. Man muss aber festhalten, dass die NS-Gesellschaft, wie jede andere auch, eine Gesellschaft von Männern und Frauen war. Weshalb tat sich die Forschung so schwer die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft näher zu untersuchen? Als Begründung nannten die Historiker die angebliche Machtlosigkeit der Frauen im Dritten Reich. Sie belegten dies damit, dass Frauen zwischen 1933 und 1945 angeblich keine wichtigen politischen Funktionen ausgeübt hätten.
Erst mit dem Aufkommen der Frauenbewegung in den 1960er Jahren und der damit verbundenen historischen Frauenforschung rückte die weibliche Hälfte der Bevölkerung stärker ins Blickfeld. Den Wissenschaftlerinnen ging es zunächst darum emanzipierte Frauen in der Geschichte sichtbar zu machen, dabei blieb die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der eigenen Mutter- oder der Grossmüttergeneration weitgehend unbeachtet. Stattdessen standen weibliche NS-Opfer oder Widerstandskämpferinnen im Mittelpunkt der Forschung.
Die These hiess: Innerhalb des patriarchalen NS-Staates waren alle Frauen unterdrückte. Es tat sich ein feministisches Dilemma auf: Die eigene Theorie überwand den Status der Frauen als sekundäres Geschlecht, als Verfügungsmasse männlicher Willkür. Die Vorstellung von Frauen im NS-Deutschland erschöpften sich hauptsächlich in der Hausfrauen- und Mutterrolle; im Angesicht des harten Kriegsalltages an der Heimatfront hätten, weibliche Netzwerke das Überleben gesichert. Die politische Dimension solchen Verhaltens blieb unerwähnt.
Es entstanden Arbeiten über das Frauenbild der Nazis und zu der Ideologie wie sie in den offiziellen Verlautbarungen und Propagandamaterialien des NS-Regimes beschrieben wurden.
Gegen Ende der 1970er Jahre begann man dieses positive Frauenbild kritisch zu hinterfragen. Man fragte sich ob es nicht auch KZ-Aufseherinnen gab die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden waren? Wie sah die Unterstützung der NSDAP aus? Und welche Rolle spielte die unpolitische Hausfrau?
In den 1980er Jahren dann widmete sich eine neue Generation von Historikerinnen der NS-Vergangenheit. Bei diesen Forschungen stellte sich heraus, dass Frauen durchaus Mittäterinnen waren. Immer noch wurden aber die negativen Seiten des Frauenbildes von Teilen der Frauengeschichte bewusst ignoriert um eine möglichst bruchlose und widerspruchslose geschlechtsspezifische Identifizierung zu erreichen.

Aus diesen unterschiedlichen Lagern heraus entwickelte sich zu Beginn der 1990er Jahre ein regelrechter Historikerinnenstreit, hier prallten zwei extreme Auffassungen aufeinander:
Die Amerikanerin Claudia Koonz betonte in ihrem Buch „Mütter im Vaterland“, die aktive, bewusst, systemerhaltende Rolle von Frauen im Nationalsozialismus. Gisela Bock hingegen widersprach dem massiv und sah Frauen im Dritten Reich hauptsächlich als Opfer, denn selbst Frauen in Führungspositionen seine gezwungen gewesen, sich den patriarchalen NS-Strukturen unterzuordnen. Den Frauen wurde somit der Subjektcharakter abgesprochen. Dieser Ansatz erntete wiederum Kritik, weil er die Grenzen zwischen den weiblichen Opfern des Holocaust und den beispielsweise KZ-Aufseherinnen zu verwischen drohte.

Erst Mitte der 1990er Jahre gelang es durch weitere Forschungen einen Mittelweg zu finden. Einzelne Frauengruppen wurden nun kritisch betrachtet und untersucht. Dabei ergab sich, dass von den Frauen im NS-Staat nicht gesprochen werden konnte, sondern dass es einen Unterschied machte, aus welcher Schicht eine Frau stammte ob sie als arisch oder jüdisch galt, ob sie arbeitete oder Hausfrau war, ledig oder verheiratet, welche politische Überzeugung sie hegte.
Leider wurden die Erkenntnisse dieser Forschung fast nur in historischen Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Sammelwerken publiziert, so dass dieses neue Wissen der Allgemeinheit vorenthalten wurde und immer noch wird.
 
Gut das man darauf noch gekommen ist.:autsch: Die Männer im NS-Staat lassen sich ja auch nicht alle in eine Schublade stecken.

So ganz kann ich diese Reaktion nicht verstehen. Von Ursi wird ein interessantes Thema prägnant zusammen gefaßt und anstatt über diese unterschiedlichen Ansätze zur Analyse der Situation der Frauen im NS-System zu diskutieren, wird ein abseitiges Thema angeschnitten. :confused::confused::confused::confused:
 
So ganz kann ich diese Reaktion nicht verstehen. Von Ursi wird ein interessantes Thema prägnant zusammen gefaßt und anstatt über diese unterschiedlichen Ansätze zur Analyse der Situation der Frauen im NS-System zu diskutieren, wird ein abseitiges Thema angeschnitten. :confused::confused::confused::confused:

Sehe ich auch so.
 
So ganz kann ich diese Reaktion nicht verstehen. Von Ursi wird ein interessantes Thema prägnant zusammen gefaßt und anstatt über diese unterschiedlichen Ansätze zur Analyse der Situation der Frauen im NS-System zu diskutieren, wird ein abseitiges Thema angeschnitten. :confused::confused::confused::confused:

Thema ist interessant! Ursi hat die Forschungsgeschichte hervorragend referiert! (wofür ich ursi auf anderem Wege auch schon längst gelobt hatte). Da gibt`s gar nichts!
Meine Reaktion kann blöd rüberkommen - verstehe ich -, aber ich wollte damit nicht den "Referenten" oder das "Referierte" kritisieren, sondern lediglich zum Ausdruck bringen, dass ich die Erkenntnis, dass man beim Thema "Frauen im NS-Staat" differenzieren muss, welche sich laut ursi erst Mitte der 90er Jahre so richtig durchsetzte, begrüße (und dass ich mich wundere, dass sich diese Erkenntnis bei früheren "Forschungsgenerationen" noch nicht durchsetzen konnte.

Also, wie gesagt, ich fand ursis Beitrag super! Unklarheiten beseitigt?
 
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Erst Mitte der 1990er Jahre gelang es durch weitere Forschungen einen Mittelweg zu finden. Einzelne Frauengruppen wurden nun kritisch betrachtet und untersucht. Dabei ergab sich, dass von den Frauen im NS-Staat nicht gesprochen werden konnte, sondern dass es einen Unterschied machte, aus welcher Schicht eine Frau stammte ob sie als arisch oder jüdisch galt, ob sie arbeitete oder Hausfrau war, ledig oder verheiratet, welche politische Überzeugung sie hegte.
Leider wurden die Erkenntnisse dieser Forschung fast nur in historischen Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Sammelwerken publiziert, so dass dieses neue Wissen der Allgemeinheit vorenthalten wurde und immer noch wird.


Interessantes Thema, aber mir kommen dabei Fragen auf:

1. Kann die NS Diktatur eigentlich als gesellschaftspolitische Epoche in die Geschlechter auf gesplittet werden? Wer hat mehr Anteil an der Entstehung und dem Wirken der NS Diktatur?
2. Wenn eine gechlechterspezifische Darstellung erfolgen soll oder bisher ist, darf auch die Rolle der Kinder und der Jugend der NS Zeit nicht vernachlässigt werden.

Eine historische Aufarbeitung der Rolle der Frau in der NS Diktatur wird schwer allgemein darzulegen sein, denn viele Frauen regieren und reagieren aus dem Hintergrund, auch wenn Ihre Männer denken, sie haben die Hosen an ... :pfeif:
ich denke damals war das entsprechender als heute ...
 
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Interessantes Thema, aber mir kommen dabei Fragen auf:

1. Kann die NS Diktatur eigentlich als gesellschaftspolitische Epoche in die Geschlechter auf gesplittet werden? Wer hat mehr Anteil an der Entstehung und dem Wirken der NS Diktatur?

Das kommt natürlich auf die Forschungsfrage an. Es geht meiner Ansicht nach nicht darum wer mehr Anteil an der Entstehung der NS-Diktatur hat, sondern darum wie unterschiedlich die Diktatur wargenommen wurde. So kann man, wenn man sich mit der Denunziation beschäftigt und dabei die Akten anschaut erkennen, dass viel mehr Frauen denuziert haben. Da sollte man sich fragen, warum dies so war? Das wäre mal ein Forschungsansatz.

Erst durch Einzelforschungen, die unterschiedliche Ansätze haben, kann ein mögliches Gesamtbild entstehen.

2. Wenn eine gechlechterspezifische Darstellung erfolgen soll oder bisher ist, darf auch die Rolle der Kinder und der Jugend der NS Zeit nicht vernachlässigt werden.

Ja natürlich, wird ja auch gemacht.

Was eine historische Aufarbeitung der Rolle der Frau in der NS Diktatur wird schwer allgemein darzulegen sein, denn viele Frauen regieren und reagieren aus dem Hintergrund...

Das kommt doch auch auf die Zeit an. Während des Krieges waren die Männer an der Front und die Frauen mussten selber reagieren, das konnte nicht mehr im Hintergrund geschehen.

Die Reduzierung auf eine ganz unpolitische Frau, die nur für Haus und Familie da war, kommt zwar einigen ganz recht, ist aber ein total falsches Bild (was durchaus aus der Nazi Propaganda stammt). Es gab eben auch bei den Frauen Mitläuferinnen, Opfer, Täterinnen und solche die die Gunst der Stunde ausnnutzen. Hier kämpft die Forschung noch immer gegen ein falsches Bild und es wäre schon an der Zeit, dass man dieses Bild geraderückt.

Schauen wir uns den Widerstand an, da kennt man sicher eine Frau näher - Sophie Scholl. Das es aber auch noch viele andere gab, die sich gegen das Regime stellten, davon wurde bis vor einigen Jahren nicht so wirklich geforscht.
Oder Stauffenberg den wir alle kennen, kennt man aber auch Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg? Jetzt evt. durch die Biographie die letztes Jahr auf den Makrt kam, aber davor - kannte man sie vielleicht in den Fliegerkreisen, da sie Testflüge machte (ca. 2500 Sturzflüge mit Stuckas, Ju 87 und Ju 88).

Wie gesagt es geht eigentlich nicht so darum Männer- oder Frauengeschichte, sondern darum, dass man eben beide Seiten anschauen muss um damit ein Gesamtbild zu bekommen. Die Forschung hat dies lange versäumt.
 
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Erst durch Einzelforschungen, die unterschiedliche Ansätze haben, kann ein mögliches Gesamtbild entstehen.
erstmal Danke für die schonungslose (!) Darstellung der Forschungsgeschichte bzw. Forschungsinteressen zu diesem Thema!!

was ich mich frage:
wie repräsentativ sind die Biografien prominenter Frauen aus dieser Zeit? Also Leni Riefenstahl und Thea von Harbou als Karrierefrauen, Winifred Wagner als "deutsche" Erbwalterin, Magda Goebbels als Vorzeigegattin? (gewiss lassen sich noch weitere finden)

(ich will meine Frage nicht als tückisch aufgefasst wissen! also nichts im Sinne von "Einzelexemplare", sondern eher in die Richtung ob diese (und andere) eine Art Vorbildcharakter in der (gesteuerten) öfentliche Darstellung hatten, oder ob sie eher unter "jaja, prominent, aber mehr so a la ferner liefen" einzuordnen wären)
 
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...wenn man sich mit der Denunziation beschäftigt und dabei die Akten anschaut erkennen, dass viel mehr Frauen denuziert haben...

Ich habe niemals über dieses Thema gearbeitet, habe aber im Rahmen einer Arbeit u.a. zur Reichsfinanzreform, auch interessehalber die "Akten betreffend Denunziationen" des RFM eingesehen. Sehr viele Denunziationen, die nicht anonymisiert waren, stammten von Frauen und das waren nur Denunziationen die die Zentralbehörde (RFM) erreichten, diese Akten sollten bei den Archivalien der OFD und FÄ noch sehr viel häufiger sein.

Ein Aspekt kommt mir bei diesem Diskurs etwas zu kurz, vllt. nur gefühlt - mangels Themenkenntnis -, und zwar die ökonomische Rolle der Frau, auch schon vor Kriegsbeginn (z.B. Bäuerinnen) und selbstverständlich während des Krieges. Die Arbeit der Frauen, auch wenn tw. zwangsverpflichtet, spielte in der Kriegswirtschaft eine bedeutende Rolle.

@ursi
Klar, daß der Fokus auf den KZ-Aufseherinnen liegt, da bei ihnen der Involvierungsgrad in das Regime am deutlichsten hervortritt, aber es befanden sich sehr viel mehr Frauen im "SS-Gefolge", es gab darüber hinaus in der Wehrmacht die "Helferinnen", weibliche Angestellte bei der Polizei etc ., die haben das in der überwiegenden Mehrzahl freiwillig dort Dienst getan.

Danke für das Thema.

M. :winke:
 
Ein Aspekt kommt mir bei diesem Diskurs etwas zu kurz, vllt. nur gefühlt - mangels Themenkenntnis -, und zwar die ökonomische Rolle der Frau, auch schon vor Kriegsbeginn (z.B. Bäuerinnen) und selbstverständlich während des Krieges. Die Arbeit der Frauen, auch wenn tw. zwangsverpflichtet, spielte in der Kriegswirtschaft eine bedeutende Rolle.

Möchte auf den wirklich guten Reader von Sösemann hinweisen, in dem Gisela Bock einen lesenwerten Überblick über die Rolle der Frau im NS-System bietet (S. 188ff).

In Fortführung der Darstellung von Ursi in #1 bietet sie eine Übersichtsdarstellung der sehr unterschiedlichen Themenkreise an, die die Frauenforschung bearbeitet und geht auch dezidiert auf die zentrale Rolle im Rahmen der Wirtschaft ein.

Im weltweiten Vergleich lag die Beschäftigung von Frauen in der Wirtschaft im NS-Deutschland 1943, auf dem Höehepuntk des Krieges, bei 45 Prozent. In England lag sie bei 37 Prozent und in den USA bei 37 Prozent (Bock, S. 199).

An diesen Punkten kann man bereits sehr deutlich das Spannungsverhältnis einer NS-Ideologie erkennen, die den Frauen traditionelle Rolle im Rahmen der Familie zuordnet und den Erfordernissen eines Staates, der einen totalen Krieg führte.

Und die Frauen im NS-System, ähnlich wie die Männer, den Zielen des Systems dienten. Manche mit Begeisterung, manche mit einer neutrale Resignation und wenige mit aktivem Widerstand.

Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft: Einführung und Überblick - Google Books

Eine spannende Frage für mich wäre, welche Rolle die Frauen im "linken" Widerstand gespielt haben. Also im Bereich der Sozialdemokratie oder bei der KPD. Haben sie die milieugebundene Widerstandskultur mit getragen, sie aktiv organisiert oder tendenziell dagegen gearbeitet?
 
Eine spannende Frage für mich wäre, welche Rolle die Frauen im "linken" Widerstand gespielt haben. Also im Bereich der Sozialdemokratie oder bei der KPD. Haben sie die milieugebundene Widerstandskultur mit getragen, sie aktiv organisiert oder tendenziell dagegen gearbeitet?

Der Frauenanteil am gesamten Deutschen Widerstand lag bei ca. 15%.

Die Frauen im "linken" Widerstand haben aktiv mitgearbeitet, sei es durch schreiben von Flugblättern, verteilen der Flugblätter oder Klebezettelaktionen. Wichtig waren die Frauen für Kurierdienste oder andere Tätigkeiten die für die Organisation des Widerstandes zentral waren.
Bei der Roten Kapelle (die zwar nicht eindeutig KPD war) wurden 108 Menschen verhaftet, darunter 42 Frauen, dies entspricht einem Drittel der Gruppe.
Auch bei der Herbert Baum Gruppe, die man zum jüdischen wie auch kommunistischen Widerstand zählen kann, gab es aktive Frauen die den Widerstand unterstützten.
 
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