Halder ist das Beispiel für den (apolitischen) "Nur-Militär" im Dritten Reich, der ausschließlich in seiner Profession lebte. Welche Rolle die von ihm geschilderten Ansätze zum militärischen Widerstand tatsächlich spielten, ist wohl nur schwer nachvollziehbar. Wenn seine Schilderungen und die seiner engen Umgebung zutreffen, ist es wohl eher ein Widerstand gegen "unprofessionelle" militärische Abenteuer Hitlers gewesen, als ein politischer Widerstand gegen das NS-System (zB in der Entscheidungsphase über die Angriffsoperation gegen Frankreich).
Als der Angriff gegen Polen geplant und befohlen wurde, widmete er sich im engen militärischen Denken ausschließlich dieser Aufgabe. Bestandteil der Profession war es auch, die nachgeordnete Generalität einzustimmen, und die Stabsarbeit für die Operation planerisch zu erledigen: Hartmann/Slutsch: Franz Halder und die Kriegsvorbereitungen im Jahre 1939, VfZ 1997, S. 467. Von den ersten Exzessen und Morden der Einsatzgruppen in Polen hat er Kenntnis gehabt.
Vermutlich nur so weit "gedacht", war der Krieg für Halder damit zu Ende, erwarteten doch breite Kreise in der Generalität nach Realisierung des Groenerschen Zieles der Beseitigung Polens eine politische Lösung. Die trat indes nicht ein: weder dachten die Westmächte daran, die Okkupation hinzunehmen, noch suchte Hitler die politische Lösung (die Scheinangebote mal außen vor gelassen).
Der führenden Generalität des Jahres 1939, soweit sie Überblick hatte, kann man wohl zubilligen, dass sie einen Sieg über england und Frankreich nicht als möglich angesehen hatten. Umso größer war die Bestürzung darüber, dass Hitler nicht an eine Friedensregelung dachte, sondern schon während des Polenfeldzuges weiter gesteckte Ziele bekanntgab: die Offensive im Westen.
Nun war es die jüngere Generalität, die diese Initiative Hitlers aufgriff und planerisch verarbeitete. Es ist erneut Ausdruck von Halders militärischer Professionalität, dass er seinen (widerwillig erstellten) 08/15-Plan zum Angriff im Westen komplett aufgab, Mansteins Ideen adaptierte und in einen riskanten, aber vom rein militärischen Standpunkt aus perfektionierten Aufmarschplan goß. Hier wie in Norwegen (Narvik) zeigten sich dann die ersten massiven Eingriffe von Hitler in den Ablauf. Es folgte die militärische Niederlage Frankreichs.
Die nächste Offensive plante der Nur-Militär Halder im Fall Griechenlands. Mit ausreichend Vorlaufzeit konnte hier wenig schiefgehen, der gestaffelte Aufmarsch und die Offensivideen sollten die griechisch-britischen Truppen vom Festland werfen. Kurz vor der Realisierung der fein getakteten Operation kam die Jugoslawien-Krise quer: auch hier zeigte Halder kein Zögern und keinee Skrupel, binnen Stunden wurde improvisiert und der Aufmarsch um das Doppelte ausgedehnt. Vieles ging nun sogar leichter: so die Umgehung der Metaxas-Linie.
Als erstes lag danach dem militärischen Profi Halder das Afrika-Abenteuer völlig quer: Hitler wie das OKW und Göring zeigten sich aus Halders Sicht bar jeden logistischen Verständnisses, gingen über geographische Probleme hinweg. Mehr noch störten den Planungschef mit militärischem Tunnelblick jedoch die Folgewirkungen für den beauftragten Krieg gegen die Sowjetunion: hier sollten Halders Auffassung nach die Kräfte gebündelt werden, und die logistischen Abzüge nach Nordafrika würden "stören" (und wirkten dort nicht kriegsentscheidend).
Die Politisierung dieser anfänglich nur militärischen Planung und Inszenierung "Barbarossa" zum Vernichtungs- und Ausbeutungskrieg machte Halder kommentarlos und widerstandslos mit, obgleich zB beim Kommissarbefehl vereinzelt Bedenken wegen des eigenen Offizierskorps im Fall der Gefangennahme geöußert wurde. Auch die Bedeutung der Einsatzgruppen, die schon in Polen mordend hinter den Wehrmachtsverbänden herzogen, ist ihm nicht verborgen geblieben. Skrupel an dem geplanten Vernichtungskrieg sind jedenfalls nicht zu erkennen.
Die ersten Tage verliefen plangemäß, Erfolg versprechend und sorgten geradezu für Euphorie: Halders Prognose nach würde die Sowjetunion binnen weniger Wochen total geschlagen werden. Ein schwerer militärischer Irrtum: der Planungschef hatte die umfassende Mobilisierung unterschätzt, die Kämpfe entwickelten sich an allen drei Heeresgruppen-Fronten zu einem zähen Ringen gegen immer neue Reserven der Roten Armee, mit schweren Verlusten für die Wehrmacht.
Das Festlaufen in den August 1941 hinein sorgte für die bis dahin schwerste Krise: die Frage des weiteren Vormarsches, die Fragen betreffend Leningrad, Moskau oder Kiew. Hitler setzte sich per expliziter Anweisung in diesem wochenlangen Ringen letztlich durch: Kiew. Im Herbst, nach Abschluss der Kesselschlachten im Süden, folgte die letzte große Umfassungsschlacht der Wehrmacht: Wjasma-Brjansk. Diese größte Kesselschlacht des Krieges verlief plangemäß und erfolgreich, der weitere Vormarsch blieb allerdings im Schlamm stecken. Der geplante Blitzfeldzug, Halders Planungen waren gescheitert, allerdings schon vorwärts der Dnjepr-Düna-Linie.
Noch zwei Hinweise:
1. Bernd Wegner: Erschriebene Siege. Franz Halder, die 'Historical Division' und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Hansen/Schreiber/Wegner, Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit
Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs.
2. James A. Wood: Captive Historians - Captivated Audience, The German Military History Program 1945-1961, in: JoMH 2005, S. 123-147.
Halder, der Planungschef des deutschen Generalstabes 1939/42, erhielt übrigens 1961 nach fünfzehn Jahren weiterer Tätigkeit in seiner Profession - Bewertung mag dahingestellt sein, und ist sicher dem Kalten Krieg geschuldet - den
United States Meritorious Civilian Service Award. Begründung: " ...for a lasting contribution to the tactical and strategic thinking of the United States Armed Forces". Militärische Logik, militärischer Tunnelblick, militärische Expertise dem Wortsinn nach auf die Spitze getrieben.