Ich halte den Einfluss der Kirchen und religiösen Gemeinschaften auf die Nationalwerdung und für die Konflikte für kaum bedeutend.
Der Patriarch von Konstantinopel wurde von der osmanischen Regierung als Repräsentant der Orthodoxen Kirche und ihrer Mitglieder anerkannt und hatte daher eine enorme Bedeutung für die griechische Bevölkerung in Kleinasien und darüber hinaus für die Orthodoxie im gesamten Osmanischen Reich.
Nach dem Untergang des Byzantinischen Reichs wuchs seine Bedeutung, da die osmanische Regierung dem Patruarchen von Konstantinopel eine gewisse Autonomie für die nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften zugestand. Es handelte sich dabei um das so genannte
Millet-System, das die jeweiligen Minderheitsreligionen einem
Ethnarchen unterstellte. Dem Ethnarchen sprach die osmanische Regierung eine begrenzte Eigenverwaltung für seine Volksgruppe (
Millet) zu, die sich allein über die Religionszugehörigkeit, nicht aber über eine ethnische Zugehörigkeit definierte.
Der Patriarch von Konstantinopel genoss Kulturfreiheit, sprach Recht in kirchlichen Dingen und war Schiedsinstanz bei Streitigkeiten innerhalb seiner
Millet. Ferner war er zuständig für den Einzug der Steuern von Angehörigen seiner Religion und wurde vom Sultan zum
Ethnarchen für alle orthodoxen Christen des Osmanischen Reichs eingesetzt.
Der Patriarch von Konstantinopel hatte somit eine immense Bedeutung, insbesondere auch für die christlich-orthodoxen Griechen in Kleinasien. Er symbolisierte in seiner Person die religiöse und ethnische Einheit der griechischen Minderheit sowie ihren Fortbestand und vereinte neben religiösen auch zentrale weltliche Funktionen in seiner Hand.