Scorpio
Aktives Mitglied
Ich rede nicht von einem Christentum "als solchem", sondern von einem sinnvollen Sprachgebrauch. Die Religion der Anhänger Christi (=das Christentum) ist im 1. Jahrhundert n.Chr. in die Welt gekommen, und zwar, wie wir wissen, nicht in einer unveränderlichen, abgeschlossenen Form, aber doch als ein Phänomen, das gewisse Merkmale aufweist und gemäß denen wir es überhaupt erst als Christentum bezeichnen und von anderen Phänomenen unterscheiden. So ist es eine Tatsache, dass die Urheber dieser Religion vom Glauben beseelt waren, es gäbe einen Gott und Jesus sei nicht einfach ein "Mensch wie du und ich", sondern er sei von einer Jungfrau geboren, er habe Übermenschliches bewirkt, er sei vom Tod auferstanden, er sei der Sohn Gottes (in welcher Form auch immer) usw. Es sind diese Merkmale, die uns von "Christentum" sprechen lassen. Gehen diese Überzeugungen im Laufe der Zeit verloren, dann ist es nicht mehr sinnvoll, von Christentum im religiösen Sinn zu reden.
Angesichts der Tatsache, dass wir im Alten Testament nicht weniger als im Neuen einen "personifizierten" Gott antreffen, sehe ich nicht, worauf dieser Einwand abzielt. So oder so: Für Agnostizismus und Atheismus ist da kein Platz. Was den "Extremfall" anbelangt: Gruppen, die allein das AT anerkennen, als "christlich" zu bezeichnen, halte ich wiederum für gänzlich sinnlos, das wäre ja "Christentum ohne Christus" (Stichwort "sinnvoller Wortgebrauch").
Im Neuen Testament ist Jesus eindeutig nicht einfach "ein Mensch wie du und ich". Wer das dennoch behauptet, setzt sich explizit in Widerspruch zu den selben Texten, auf die er sich auf der anderen Seite doch wieder stützen muss, wenn er sich zum "christlichen Gott" bekennt.
Um zum eigentlichen Thema, der Historizität Jesu, zurückzukehren:
Das sehe ich nicht so. Ich denke, es gibt einen Konsens, der sich etwa so umreißen lässt: Man kann durchaus mit der Historizität Jesu rechnen. Die Entstehung des Christentums alleine spricht schon stark dafür. Letzte Sicherheit haben wir bei Jesus aufgrund der Wundergeschichten, die von seinem Leben und Wirken (und Sterben – siehe Auferstehung) nicht zu trennen sind, im Gegensatz zu anderen antiken Gestalten wie z.B. Caesar und Augustus, allerdings nicht. Mehr gibt es wohl nicht zu sagen, wenn man die methodischen Grenzen der Geschichtswissenschaft nicht überschreiten will.
Ich weiß nicht, ob es für eine Diskussion wirklich sinnvoll ist, die Definition zu diskutieren, und ich wäre zumindest vorsichtiger, mit Urteilen wie "intellektuell unredlich", wenn sich jemand aus was für Gründen auch immer sich einer Religion zugehörig fühlt, auch wenn er nicht gläubig ist.
Was die Historizität Jesus von Nazareth angeht, denke ich, dass man diese nicht nur "durchaus rechnen kann", sondern dass diese mit großer Sicherheit anzunehmen ist, was auch von den meisten Historikern nicht in Zweifel gezogen wird. Was die historischen Quellen betrifft, berichtet tatsächlich niemand außer Tacitus etwas verlässliches. Das NT berichtet dass Jesus von Gott gesandt wurde, er von den Römern hingerichtet wurde, dass er von den Toten auferstand und zum Himmel fuhr. In diesem Rahmen handelt es sich um ein Glaubensbekenntnis zu Jesus der ersten Christen. Dieses Bekenntnis kann man teilen, als uninteressierte, objektive Quellen wird man die Evangelien aber kaum bezeichnen können, denn das Bekenntnis erfolgt in einem Rahmen, der weltanschaulich im damaligen antiken Rahmen üblich war, heute aber nicht übernommen werden kann. Kurz gesagt, die Evangelien müssen überaus kritisch gelesen werden, um auch nur einigermaßen verlässliche Angaben über den Menchen Jesus machen zu können, denn die Evangelisten überliefern natürlich auch das, was ihnen theologisch besonders wichtig war. Von den 4 Evangelien kann man, was den historischen Jesus betrifft, das 4., das Johannesevangelium ziemlich vergessen, denn Jesus redet darin in langen monologischen Reden, die in dieser Form völlig untypisch für das palistäninsische Judentum waren und eher typisch hellenistisch- orientalisch waren. Die Synoptiker enthalten ebenfalls keine geschlossene historisch exakte Biographie des Lebens von Jesus.
Das Jahr von Jesus Geburt ist nicht genau bekannt. Die Geschichte von Herodes, der Jesus beseitigen will, setzt diesen, der 4 v. Chr starb, als noch lebend voraus, was wahrscheinlicher ist, als die Weihnachtsgeschichte des Lukas, der Jesus Geburt in Bethlehem miot einem Zensus in Verbindung bringt, der wie wir wissen 6/7 n. Chr. stattfand. Die Angabe von Bethlehem als Geburtsort stammt aus der judenchristlichen Dogmatik, die den Ort in Micha 5, 1- 3 als Geburtsort des Messias voraussagt. das genaue Geburtsjahr Jesu ist unbekannt und der genaue Ort der Geburt unbekannt.
Auch die Umstände der Geburt dürfen als legendär gelten. Noch Paulus (Gal, 4, 4) weiß nichts von einer Jungfrauengeburt, erst Lukas läßt Maria eine Jungfrau sein und Mathäus schmückt das Ganze aus. Von Jesu Familie weiß man wenig, Er hatte vermutlich mehrere Brüder, darunter namentlich erwähnt Jakobus und Judas und Schwestern, und Markus erwähnt, dass er sich nicht besonders gut mit ihnen verstand (Mark 1, 9-11). Am Kreuz ist seine Mutter Maria laut den Synoptikern nicht zu finden, sein Bruder Jakobus war allerdings später ein führendes Mitglied der Jerusalemer judenchristlichen Gemeinde.
Was Wunderheilungen angeht, so sagte man diese auch anderen Weisen und Magiern nach. Pythagoras und Apollonius von Tyana standen im Ruf, dazu fähig zu sein, und die Heilung eines Blinden durch Vespasian in Ägypten überliefern Tacitus (´Tac, Hist. IV 81) und Sueton (Suet, Vespasianus 7) Wunderhafte Heilungen gehören auch der außerbiblischen antiken Überlieferung an. Die Heilungen durch Jesus mag man durchaus für denkbar halten, sie werden durch ihn ebenso erfolgt sein, wie die Heilungen in den Heiligtümern des Askleipios in Epidauraus und Kos. Die Wunder, die Naturgesetze und Naturgewalten außer Kraft setzten und beherrschen, sind allerdings legendär und kaum wahrscheinlich.