Historizität Jesu von Nazareth

Der Kynismus pfiff auf jegliche formale Bildung, betrieb nie irgendwelche Akademien, hat auch nie ein philosophisches System entwickelt, das man hätte studieren können. Die frühen Kyniker haben noch nicht mal irgendwelche Schriften hinterlassen, sondern nur Anekdötchen, aus denen sich ihre Nachfolger nach Belieben bedienten.
irgendwie kann man das auch vom populären Sokrates sagen :winke: der hinterließ ebenfalls keine Schriften usw. - aber gänzlich folgenlos oder nebensächlich war sein Wirken offenbar nicht.

in der summarischen Beurteilung des Kynismus, der eine lange Geschichte von Antisthenes und Diogenes bis Kaiser Iulian aufweist, ist wohl zu widersprechen. Es genügt allein ein Blick auf das, was in Antike/Spätantike als literarischer Kynismus bezeichnet wird.

Aber ehe wir uns mit Haarspaltereien zur Philosophiegeschichte in die Haare geraten: das Haar in der Diskussionssuppe ist doch die Frage, ob der Wanderprediger Jesus - über den wir kaum was wissen, außer dass es ihn gegebenhatte - sich eventuell an griech. Philosophie angelehnt hatte oder nicht. Dazu müsste man sicher sein können, ob und welche authentisch von ihm stammenden Aussagen es gibt und diese dann mit entsprechenden griech. Überlegungen vergleichen. Und dazu gehört freilich auch die Überlegung, wie verbreitet z.B. Kynismus, Stoa etc. in der damaligen Zeit dort, wo Jesus umherzog, gewesen sein können.
 
in der summarischen Beurteilung des Kynismus, der eine lange Geschichte von Antisthenes und Diogenes bis Kaiser Iulian aufweist, ist wohl zu widersprechen. Es genügt allein ein Blick auf das, was in Antike/Spätantike als literarischer Kynismus bezeichnet wird.

Aber ehe wir uns mit Haarspaltereien zur Philosophiegeschichte in die Haare geraten:

Bleiben wir doch einfach beim Thema, dann brauchen wir keine Haarspaltereien. Wir sprechen von den urchristlichen Quellen, also vom 1. und frühen 2. Jh., da können wir uns Ausflüge in die Spätantike bis Kaiser Iulian sparen.
Für unser Thema gilt:
Da sie nie ein philosophisches Lehrgebäude entwickelt hatten, sondern sich in ihren Grundsätzen vornehmlich an der exemplarischen Lebensweise des Diogenes von Sinope und des Krates von Theben orientierten, bedeutete Kynikersein, diese beiden Autoritäten nachzuahmen. Das Fehlen eines schriftlichen Kanons brachte es mit sich, dass Epigonen die Handlungen und Verhaltensweisen der alten Kyniker oft imitierten, ohne deren Sinn zu verstehen oder zu verwirklichen. Da zudem der Kynismus durch sein Ziel der völligen Autarkie an die totale Besitzlosigkeit gebunden war und daher auch jede formale Bildung ablehnte, war er besonders geeignet, unlautere Elemente anzuziehen.
...
Da die kynische Bewegung im Gegensatz zur stoischen Schule kein schriftlich fixiertes Lehrsystem besass, konnte Epiktet für seine Darstellung des idealen Kynikers auf keine kanonischen Schriften zurückgreifen. Für die Ausarbeitung seines kynischen Leitbildes schöpfte er, sofern Diogenes und Krates als Vorbilder dienten, aus der reichen Anekdoten- und Apophthegmenüberlieferung.
Margarethe Billerbeck
Epitket
Vom Kynismus
Leiden 1978





das Haar in der Diskussionssuppe ist doch die Frage, ob der Wanderprediger Jesus - über den wir kaum was wissen, außer dass es ihn gegebenhatte - sich eventuell an griech. Philosophie angelehnt hatte oder nicht.
Die Suppe ist doch schon gegessen.
Du hast geschrieben, ich habe zustimmend zitiert:
Es muss wohl offen bleiben, ob der aramäisch predigende Jesus griechische Philosophien verarbeitet hatte.
 
Und dann ist da noch die Frage, ob gebildete Leute wie Lukas und Paulus die Lehren Jesu nach ihrem Weltbild wiedergegeben haben.

Zur griechischen Bildung muss man bedenken, dass Jesus lesen konnte, und zwar hebräisch. Er wäre sicher nicht anerkannt worden, wenn er die Thora nicht hätte auslegen können. Dass er es tat ist zudem irgendwo in den Evangelien überliefert. Eine Fremdsprache kannte er also. Das Erlernen einer zweiten Fremdsprache fällt im Allgemeinen leichter als das Erlernen der ersten Fremdsprache.

Dann war Palästina von griechischen Städten durchsetzt, viele Juden hellenisiert. Das schon erwähnte Sepphoris und Tiberias waren Nachbarstädte von Nazareth. Juden wohnten nicht in Tiberias, da die Stadt auf einem Friedhof errichtet war und als unrein galt. Es ist angenommen worden, dass in Nazareth jüdische Handwerker wohnten, die in den griechischen Städten arbeiten, aber nicht wohnen wollten. Da gehören Griechisch-Kenntnisse schnell zum Lebensunterhalt.

Dann wurden philosophische Gedanken in den Städten durch Reden vermittelt. Und die griechisch-philosophische Bildung, die das Neue Testament zeigt, ist ja auch nicht sehr tiefgehend.

Das Judentum hatte sich damals auch schon mit der griechischen Philosophie auseinandergesetzt. Also gehörte ein gewisses Wissen hierüber auch zur jüdischen religiösen Bildung, oder diese war zumindest davon beeinflusst.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine Fremdsprache kannte er also. Das Erlernen einer zweiten Fremdsprache fällt im Allgemeinen leichter als das Erlernen der ersten Fremdsprache.

*saug die Luft zweifelnd durch die Zähne ein*
Für jemanden der Aramäisch als Muttersprache spricht, ist ein Hebräisch eigentlich recht einfach zu erlernen, die Sprachen sind sehr eng miteinander verwandt, selbst innerhalb der Gruppe der semitischen Sprachen. Griechisch dagegen als indoeuropäische Sprache mit einer völlig anderen Grammatik und einem völlig anderen Wortschatz ist da schon ein anderes Kaliber - wiewohl ich durchaus glaube, dass die meisten Einwohner Judaeas und Galilaeas neben Aramäisch auch mehr oder weniger gut Griechisch sprachen.

Zum Thema Kynismus,
wir gehen hier immer davon aus, dass die Beeinflussung nur in eine Richtung gegangen sei und die ist natürlich vom Kynismus zum Christentum. Warum aber eigentlich? Warum können wir keine umgekehrte Beeinflussung annehmen? Dio Chrysostomos war mit Trajan befreundet. Trajan war mit Plinius befreundet, Plinius schrieb Trajan Briefe über die Christen mit denen er sich als Prokurator Trajans herumzuschlagen hatte. Ein interessierter Mann wie der Goldmund wird sich doch sicher mal zu den Christen Roms begeben haben und deren Predigten gelauscht, und ihm gefiel eben das Wort mit den Vögel, die nicht sähen und nicht ernten und eben doch ernährt werden und er hat es in seine Philosophie übernommen, weshalb ein christliches Wort nun im kynischen Repertoire zu finden ist.
Dies ist nur eine Behauptung von mir, nicht mehr, aber sie ist chronologisch gut begründet und hat daher m.E. dieselbe Berechtigung wie die Annahme, dass in die Evangelien ein kynisches Wort eingeflossen ist, zumal Dio Chrysostomos bei der Niederschrift der synoptischen Evangelien so ca. 25 - 30 Jahre alt gewesen ist, also sicher noch nicht den Bekanntheitsgrad hatte. ;)
 
Tja, da habe ich doch gerade in einem anderen Thread darauf hingewiesen, wie vorsichtig man mit der Annahme von Selbstverständlichkeiten sein muss, und da erwischt mich gleich El Quijote mit genau dem Problem. Nun, Jesus hatte zumindest mehr mit Sprache und Sprachen zu tun als viele Zeitgenossen. Was das nun für seine Sprachlern-Kompetenz bedeutet, ist dann eben nicht so einfach zu beantworten, wie ich dachte.
 
Der Kynismus ist ausgelagert.

Nun gilt es einen Weg zurück zur Historizität des Jesus von Nazareth zu finden.
Das Christentum sowie das NT existierten zur Zeit Christi noch nicht – eine Binsenweisheit, klar.

So lade ich ein, den Weg zum Gedankengut des historischen Jesus nochmals über das jüdische Umfeld zu versuchen. Die verschiedenen Strömungen des damaligen Judentums und deren Sichtweisen über das Verhältnis zu Gott wären dabei ebenso interessant wie die üblichen Gebete.
Das Verständnis von Tod und Auferstehung im Pharisäertum und das Vaterunser in seiner geschichtlichen Entwicklung beispielsweise scheinen mir da lohnenswert zu sein.
 
Der Kynismus ist ausgelagert.

Nun gilt es einen Weg zurück zur Historizität des Jesus von Nazareth zu finden.
Das Christentum sowie das NT existierten zur Zeit Christi noch nicht – eine Binsenweisheit, klar.

So lade ich ein, den Weg zum Gedankengut des historischen Jesus nochmals über das jüdische Umfeld zu versuchen. Die verschiedenen Strömungen des damaligen Judentums und deren Sichtweisen über das Verhältnis zu Gott wären dabei ebenso interessant wie die üblichen Gebete.
Das Verständnis von Tod und Auferstehung im Pharisäertum und das Vaterunser in seiner geschichtlichen Entwicklung beispielsweise scheinen mir da lohnenswert zu sein.

Eben, die Wendung Jesu an die Armen in der "Berglehre" denen er die seligkeit verheißt, wird tatsächlich von einigen mit kynischem Einfluss in Verbindung gebracht, mir selbst erscheint allerdings ein Bezug auf die alttestamentlichen Propheten naheliegender.

Was ist die herausragende Botschaft Jesu? Das Reich Gottes, das auch zentrale Botschaft der synoptischen Evangelien ist. Der weit überwiegende Teil der Forschung zum NT geht davon aus, dass diese Botschaft Jesu historisch ist. Die drei synoptischen Evangelien veranschaulichen den Begriff durch Heilungen, Gleichnisse, Exorzismen und setzen den Begriff als unter Juden bekannt voraus, während Texte des NT, die sich an Heidenchristen wenden, diesen Begriff selten erwähnen.
 
Die drei synoptischen Evangelien veranschaulichen den Begriff durch Heilungen, Gleichnisse, Exorzismen und setzen den Begriff als unter Juden bekannt voraus, während Texte des NT, die sich an Heidenchristen wenden, diesen Begriff selten erwähnen.

:confused:
Ich dachte immer, Markus und Lukas wenden sich an Heidenchristen?
 
:confused:
Ich dachte immer, Markus und Lukas wenden sich an Heidenchristen?

Den Heidenchristen als Adressaten erklären ja Matthäus, Markus und Lukas prophetische Verheißungen des Messias im Deutero Jesaja und im Buch Daniel, die sie bei Judenchristen voraussetzen konnten. Markus fängt an mit der Voraussage Jesajas von der Ankunft des Messias und der Bedeutung Johannes des Täufers. Mathäus und Lukas legitimieren Jesus von der Abstammung auf König David und die Patriarchen, die wundersame Geburt, die Huldigung mit königlichen Geschenken. Bei Lukas sind Maria und Elisabeth Cousinen, und wenn die Geburt des Täufers schon wundersam war, setzt Lukas noch einen drauf, um zu betonen, dass dieser und nur der der Messias ist.
 
Den Heidenchristen als Adressaten erklären ja Matthäus, Markus und Lukas prophetische Verheißungen des Messias im Deutero Jesaja und im Buch Daniel, die sie bei Judenchristen voraussetzen konnten.

Einverstanden.
Du meintest also: "... während andere Texte des NT, die sich an Heidenchristen wenden..."?
 
Aber Diskutieren ist doch so schön.:devil:

Andererseits ein wenig mehr von "sine ira et studio" (ohne Zorn & Leidenschaft) täte diesem Forum gut.:)

Mir persönlich wäre es auch lieber, wenn wir von Jesus Christus folgendes hätten:

  • Geburtsurkunde
  • Personalausweis mit Lichtbild
  • DNA-Sequenz
  • Totenschein
  • Auferstehungsschein
  • Himmelfahrtsschein
  • Bericht einer Untersuchungskommission über seine Wunder, seinen Tod, anschließende Wiederauferstehung & Himmelfahrt
Haben wir leider alles nicht. :weinen:

Als ich die Worte DNA von Jesus als Überschrift in SPON las, dachte ich mir: "Hat er also doch gelebt?":grübel:

Aber näher betrachtet, ist es mehr als spekulativ, dass wir die DNA von Jesus haben könnten.

hier der Link zum Film von Simcha Jacobovici auf SPON:

Doku-Serie "Geheimnisse der Kirche": Die Nägel von Golgatha - SPIEGEL ONLINE

Das sind allerdings keine ganz neuen Erkenntnisse (eher Spekulationen), sondern schon 2012 war in der Welt zu lesen:

Erst vor wenigen Monaten machte Jacobovici wieder von sich reden, als er zwei Nägel präsentierte, die aus dem Familiengrab des Hohenpriesters Kaiphas stammen sollen. Nach Jacobovici handelt es sich um Nägel, mit denen kein Geringerer als Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Danach hatte Kaiphas nach dessen Hinrichtung eine göttliche Erleuchtung und wurde gläubig. Seine Nachfahren legten ihm als Zeichen die beiden Nägel ins Grab.

Damals wie heute äußern wissenschaftliche Experten Skepsis, bestenfalls. Akademisch gilt Jacobovici als nicht satisfaktionsfähig . Was ihn nicht hindert, seine Thesen immer wieder zur Grundlage von sogenannten Dokumentarfilmen zu machen, die mehrfach mit dem amerikanischen TV-Preis Emmy ausgezeichnet wurden. Dafür sind seine Thesen auf jeden Fall gut.

https://www.welt.de/kultur/history/...s-Grab-Jesu-unter-einem-Mehrfamilienhaus.html
 
Hm... es werden Kreuzigungs(?)-Nägel vorgestellt, die aus dem Grab des Kajaphas stammen sollen. Wenn ich das richtig sehe, ist der Ossuar aber nicht der des Kajaphas sondern der eines Sohnes eines Kajaphas. Dass dieser Kajaphas der Hohe Priester war, ist nicht wirklich belegt. Nun will man an diesen Nägeln durch Oxidationsprozesse zu Eisen gewordenes Zedernolz gefunden haben, das angeblich von einer Kreuzigung stammt. Nun stellt sich mir die Frage: Wenn ich in einem Ossuar Kreuzigungsnägel finde, dann sollte ich doch zunächst einmal annehmen, dass das Ossuar das des Gekreuzigten ist und nicht das seines Anklägers, oder nicht? Weil das ist ja die vertretene These, dass hier der Ankläger sich als Talisman o.ä. die Kreuzigungsnägel seines berühmtesten Opfers in den Ossuar hat legen lassen. Der Frage, wie der Hohepriester Kajaphas an die Nägel von der Kreuzigung Jesu gekommen sein soll, wird zwar im Film gestellt, sie wird aber im weiteren Verlauf nicht mehr aufgegriffen und keine plausible Antwort gegeben, welche eine Wahrscheinlichkeit dafür herleiten würde, dass Kajaphas sich mit Jesus Grabnägeln bestatten ließ.
 
Hm... es werden Kreuzigungs(?)-Nägel vorgestellt, die aus dem Grab des Kajaphas stammen sollen. Wenn ich das richtig sehe, ist der Ossuar aber nicht der des Kajaphas sondern der eines Sohnes eines Kajaphas. Dass dieser Kajaphas der Hohe Priester war, ist nicht wirklich belegt. Nun will man an diesen Nägeln durch Oxidationsprozesse zu Eisen gewordenes Zedernolz gefunden haben, das angeblich von einer Kreuzigung stammt. Nun stellt sich mir die Frage: Wenn ich in einem Ossuar Kreuzigungsnägel finde, dann sollte ich doch zunächst einmal annehmen, dass das Ossuar das des Gekreuzigten ist und nicht das seines Anklägers, oder nicht? Weil das ist ja die vertretene These, dass hier der Ankläger sich als Talisman o.ä. die Kreuzigungsnägel seines berühmtesten Opfers in den Ossuar hat legen lassen. Der Frage, wie der Hohepriester Kajaphas an die Nägel von der Kreuzigung Jesu gekommen sein soll, wird zwar im Film gestellt, sie wird aber im weiteren Verlauf nicht mehr aufgegriffen und keine plausible Antwort gegeben, welche eine Wahrscheinlichkeit dafür herleiten würde, dass Kajaphas sich mit Jesus Grabnägeln bestatten ließ.

In der Tat, damit El Q. den Nagel sozusagen auf den Kopf getroffen.:winke:

Die Provenienz der Nägel ist fraglich. Natürlich könnte es sein, aber es könnte auch nicht sein...:grübel:
 
Ich habe Chans Beiträge heute Nachmittag nur flüchtig lesen können. Es war im Großen und Ganzen ein Argumentationsschema, wie es charakteristisch für Chan ist. Die übliche Datierung der Apostelgeschichte auf einen Zeitraum bis spätestens 62 wurde unter Berufung auf einen Prof. Dr. X von der Universität Dallas in Frage gestellt und die These aufgestellt, dass sie eher um die Mitte des 2. Jahrhunderts verfasst wurden. Dazu wurde der Radikalkritiker Bruno Bauer zitiert, der die Paulusbriefe für einen "Fake der Katholiken" hielt.

Vielleicht täuscht mich in einigen Punkten die Erinnerung. Das "Name and Title-Dropping" empfinde ich als nervig, weil es im wissenschaftlichen Kontext völlig unüblich ist. Oder wie El Quichote immer sagt, "es zählt die Qualität des Arguments, nicht der akademische Titel". Trotzdem bedauere ich fast die Löschung, da ich gerne argumentativ darauf eingegangen wäre. Irgendwie nötigt mir auch die Zeit und Mühe, die Chan für das verfassen von meist recht langen Beiträgen aufgewendet haben muss Respekt ab, ebenso die Beharrlichkeit, um das Wort Besessenheit zu vermeiden, mit der Chan immer wieder solche Thesen ausgräbt und mit großem Selbstvertrauen vertritt.

Die Apostelgeschichte des Lukas macht Angaben, die in vielen Punkten sehr genau sind. Auf der 1. Missionsreise in Südgalatien, Pisidien und Lykaonien wird Paulus von Sergius Paullus unterstützt. Der war mal Statthalter in Kreta et Cyrene, stammte aber wie epigraphische Quellen beweisen aus Antiochia ad Pisidien. Woher hätte ein Fälscher aus der zweiten Hälfte de 2. Jahrhunderts solche detaillierten Kenntnisse von römischen Amtsträgern haben sollen? Wenn die ApG erst im zweiten Jahrhundert und nach dem 1. jüdischen Krieg entstand, warum werden dann die Römer als relativ korrekt und als Garanten des Rechts dargestellt. Spätestens nach der neronischen Christenverfolgung und lokalen Martyrien in Kleinasien existierte doch gar kein Anlass mehr, sich von den Römern viel zu versprechen. Der 1. Jüdische Krieg war eine Zäsur, nach der sich die Wege von Christen- und Judentum endgültig trennten. Es wäre doch zu erwarten, dass ein so einschneidendes Ereignis zumindest erwähnt würde, wenn die ApG erst im 2. Jahrhundert verfasst wurde. Ein weiteres Argument sind apokalyptische Vorstellungen. Wozu hätte man diese erwähnen sollen, wenn die Vorstellung vom nahen Weltende im 2. Jahrhundert gar nicht mehr gegeben waren? Warum hätte man ein nahendes Weltende vorhersagen sollen, wenn die Texte erst im 2. Jahrhundert entstanden sind und das Weltende offensichtlich ausgeblieben war?
 
Ich habe mit den Löschungen kein Problem.

Die Apostelgeschichte des Lukas macht Angaben, die in vielen Punkten sehr genau sind. Auf der 1. Missionsreise in Südgalatien, Pisidien und Lykaonien wird Paulus von Sergius Paullus unterstützt. Der war mal Statthalter in Kreta et Cyrene, stammte aber wie epigraphische Quellen beweisen aus Antiochia ad Pisidien. Woher hätte ein Fälscher aus der zweiten Hälfte de 2. Jahrhunderts solche detaillierten Kenntnisse von römischen Amtsträgern haben sollen?

Das ist - sorry, Scorpio - ein schönes Beispiel für unkritische Rezeption. Was diesen "Sergius Paul(l)us" angeht, ist die Forschungslage längst nicht so eindeutig, wie du suggerierst.

(1) Ob es sich bei dem auf einer Inschrift in Kytheria/Zypern erwähnten "Proconsul Quintus Sergius" um einen Sergius Paulus handelt, ist ganz ungewiss und kann bestenfalls vermutet werden, da der Name "Paulus" fehlt. Auch die Datierung ist ungewiss. Als zuverlässiger Beleg für eine Existenz des in Apg 13 erwähnten Sergius Paulus kann die Inschrift nicht gelten, so viel habe ich aus der Fachliteratur eindeutig entnehmen können (auf die Nennung von Namen und Werken verzichte ich lieber...:))

(2) Auch ein Bezug zum L. Sergius Paulus in Antiochia ist völlig ungesichert, selbst wenn es sich in der zyprischen Inschrift um den Sergius Paulus der Apg handeln sollte. Dass dieser L. Sergius mit dem zyprischen Proconsul verwandt war, ist reine Spekulation.

Zu anderen deiner Argumente äußere ich mich später.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Vollständigkeit halber noch zwei Takte zu den anderen Inschriften mit angeblichem Bezug zum Proconsul in Apg 13.

Die eine befindet sich auf einem Grenzstein in Rom und benennt auf Lateinisch einen "L. Sergius Paulus". Sie kann in das Jahr 47 datiert werden, weist aber keinen Bezug zu einem angeblichen Proconsul Sergius Paulus auf Zypern auf.

Die andere Inschrift findet sich in Soli/Zypern und erwähnt auf Griechisch einen "Proconsul Paulus" (ohne "Sergius"). Das Problem ist hier, dass die Zeile mit der Datierung (1) eine spätere Hinzufügung ist, d.h. sie weicht stilistisch vom vorhergehenden Text ab, und (2) dass sie nicht zuverlässig entziffert werden kann, so dass nicht zweifelsfrei feststeht, wann dieser Proconsul sein Amt ausübte. Die Meinungen der Fachleute über die Zuordnung zum Proconsul der Apg sind aufgrund der Unleserlichkeit der Datierung geteilt, manche pro, manche contra (auf die Nennung von Namen verzichte ich auch hier...). Es sieht aber so aus, als sei das bei spekulativer Entzifferung frühestmögliche Datum immer noch zu spät, um chronologisch mit der angeblichen ersten Reise des Paulus übereinzustimmen, die konventionell mit Bezug auf die "Gallio-lnschrift" auf 51 oder 52 CE datiert wird. So oder so - die Datierung innerhalb der Inschrift ist nicht zuverlässig entzifferbar, woraus folgt, dass die Inschrift kein zuverlässiger Beleg für die Existenz des Proconsul Sergius Paulus während der angeblichen ersten Paulus-Reise ist.
 
Ich bezog mich bei den epigraphischen Quellen, die L. Sergius Paullus und Nachkommen von ihm wie seine Tochter Plancia Marcia belegen nicht auf eine zypriotische Inschrift, sondern auf Inschriften in Südanatolien, die eindeutig nicht nur die Existenz eines L. Sergius Paulus belegen, sondern auch die von mehreren Verwandten und Nachkommen, und die es sehr plausibel machen, dass die Sergier Paulliner aus Pisidien, vermutlich aus Antiochia ad Pisidiam stammten. Die Familie stammte von Kolonisten ab, die Augustus in Südgalatien ansiedelte. Sie brachten es zu einem riesigen Landbesitz und wurden recht bald danach in den Senatorenstand aufgenommen. Grundlegend sind in diesem Zusammenhang die Forschungen von Sir William Ramsey, einem wahren Pionier der Epigraphik. Ramsey fand zuerst den Grabstein, den Sergia Paullina einem Freigelassenen ihres Mannes stiftete. Geht man von Sergia Paullina in der Chronologie weiter, stößt man auf die Inschrift I, 3 , die den Senator L. Sergius Paullus ehrt. Grundsätzlich sind, wenn man auf Inschriften dieser Art stößt zwei Möglichkeiten plausibel: Entweder war er in Amtsgeschäften dort, oder Südgalatien/Pisidien war die Heimat der Sergier Paulliner. Die erste Möglichkeit kann man wohl ausschließen, denn es ist kein Statthalter dieses Namens in Galatia überliefert. Für die zweite Möglichkeit, dass Antiochia ad Pisidiam die Heimatstadt von Sergius Paullus war, spricht die eigenartige Formulierung: Der Geehrte wird ausdrücklich nicht nur als L. F. sondern zusätzlich als filius bezeichnet. Das wird dahin gedeutet, dass er sozusagen ein Sohn der Stadt war und von seinen Vorfahren her dort bekannt war. Die Forschung u.a. die Göttinger Historikerin Helga Botermann
(Chan würde vermutlich Prof. Dr. Helga Botermann schreiben, aber das ist wie gesagt nicht die korrekte wissenschaftliche Zitierweise. Wenn ein(e) Dozent(in) einen Lehrauftrag hat, verfügt er/sie in der Regel nicht nur über ein Doktorat der Philosophie, sondern auch über einen Dr. habil. In seriösen wissenschaftlichen Kreisen ist die schon von August von Kotzebue kritisierte Titelsucht als Blendwerk verpönt, und man schenkt sich bei der korrekten wissenschaftlichen Zitierweise die Titulatur, denn die hebt man sich für den Grabstein und Laudatios auf.) Aber das nur nebenbei. Aber zurück zum Thema: Man, oder in diesem Zusammenhang unter anderem Frau Botermann hält daher die Sergier Paulliner für eine der von Augustus angesiedelten Kolonistenfamilien. Sie müssen schon zu diesem Zeitpunkt begütert gewesen sein, denn schon unter Tiberius stiegen sie in den Senatorenstand auf. In den 40er Jahren ist ein L. Sergius Paullus in Rom als Kurator des Tiberufers bezeugt, d. h. in einem Amt, das wie das des Prokonsulats die vorherige Prätur voraussetzte. Ob dieser L. Sergius Paullus mit dem Statthalter von Zypern identisch ist, ist fraglich, nach den Regeln der Prosophographie ist es aber die plausibelste Deutung.

Es wäre natürlich viel schöner, wenn Lukas den vollen Namen des Mannes und seine Titulatur angegeben hätte, der in der ApG als ein "verständiger Mann" und "gottesfürchtig" beschrieben wird.
Es ist überhaupt bemerkenswert, dass Paulus als Missionar in dieses doch recht provinzielle Nest Antiochia ad Pisidiam reiste. Warum ging er nicht nach Alexandria, das eine der größten Diasporagemeinden des Imperiums hatte? Er kam zwar mal in die Gegend und hielt wohl mal in einem Ort nahe Alexandrias eine so langweilige Predigt, dass einer der Zuhörer dabei einschlief und aus dem Fenster stürzte, wenn man der ApG Glauben schenken mag. (Ich bin im Moment zu faul, um die Stelle herauszusuchen) H. Dessau, einer der bedeutendsten Epigraphiker äußerte schon 1900 die These, dass Paulus mit einem Empfehlungsschreiben von Sergius Paullus versehen wurde, der ihn auf die Idee brachte, nach Antiochia ad Pisidiam zu reisen und dass "Saulus, der auch Paulus genannt wird " (ApG) nicht nach seinem Damaskuserlebnis, sondern nach seiner 1. Missionsreise seinen Namen von Saulus in Paulus (der Kleine, der Geringe) änderte zu Ehren von L. Sergius Paullus. Paullus ist nun kein Allerweltsname wie Markus oder Niger, wenn das stimmen sollte, wäre er neben den Heroden Agrippa und dem Pharisäer Pollio einer der wenigen Juden, der sich nach einer bedeutenden römischen Gens nannte. Mitchell betont, dass es im fraglichen Zeitraum nur vier derartige Fälle gab. (Ed. Meyer in Ursprung und Anfänge des Christentums 2. Band 1922, S. 197). Für die Missionsstrategie des Paulus ergibt sich daraus die Einsicht, dass er sich vielleicht nicht primär an die "einfachen Bürger", sondern an die Notablen und die " gottesfürchtigen vornehmen Damen" die mehrfach in der ApG (13, 50) erwähnt werden. In Akomeia ließ eine solche eine Synagoge bauen, und Sergius Paullus umgab sich, bevor er Umgang mit Paulus hatte, mit einem jüdischen Magier. Geradezu irritierend ist, dass wir entgegen der communis opinio, dass der Senatorenstand bis ins 3. 4. Jahrhundert heidnisch blieb auch in den späteren Generationen der Sergii Paulli Indizien finden, dass diese tatsächlich Christen waren oder zumindest mit dem Christentum sympathisierten. (Helga Botermann, Geschichte des frühen Christentums.)

Selbstverständlich kann man dazu sagen: " Das überzeugt mich nicht", ist eh alles Humbug, oder wie @Chan in einem früheren Thread sagte "christliche Propagandaliteratur", überhaupt ist Paulus von Markion erfunden, und ich vertraue da nicht Historikern, sondern dem Theologen und Radikalkritiker Detering. Genaues weiß man sowieso nicht, und das, was man weiß, oder zu wissen glaubt, ist eh alles von den Katholiken gefälscht. Das ist legitim, um das aber als Humbug abzutun, muss man sich damit auch einmal auseinandersetzen.

Der gerne von Radikalkritikern geäußerte Vorwurf der Fälschung unterschätzt übrigens die Methoden historischer Hilfswissenschaften wie der Paläographie u. a. bzw. um es mal polemisch auszudrücken zeugt von einer geradezu rührenden Ahnungslosigkeit davon. Sicher, im Mittelalter besaßen manche Klöster Fachleute mit denen verglichen der Fälscher der Hitlertagebücher ein jämmerlicher Stümper war, und sie produzierten Urkunden die angeblich von Karl dem Großen stammten. Ein Fälscher schafft das, solange er sich konzentrieren kann, recht gut, aber die Konzentration lässt irgendwann nach, er macht Fehler, verwendet Vokabular, das im gefälschten Zeitraum ungebräuchlich war, verwendet Schrifttypen, die es in der karolingischen Minuskelschrift noch nicht gab.
Auch hier kann man es sich sehr einfach machen, wie es ein Forianer gerne tut, der sich durch pseudowissenschaftlichen Humbug und groben Unfug, pardon ich wollte natürlich sagen wissenschafts- und chronologiekritische Beiträge auszeichnet: "Ist eh alles gefälscht, nur im Elfenbeinturm lebende Historiker können das für bare Münze halten, entweder es sind alle Urkunden von Karl dem Großen echt, oder das ganze Mittelalter ist bloß erfunden, erfunden wie Hannibals Alpenüberquerung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier mal der Stammbaum der Sergii Paulli nach J. Devreker

L. Sergius Paullus Cur(ator) rip(a) et alv Tiberis, Proconsul von Cyprus 46/48

dessen Sohn hieß ebenfalls L. Sergius Paullus und war 72 und 78 Consul. Sie Tochter dieses L. Sergius Paullus war mit C. Caristanius Fronto (Co(n)sul des Jahres 90 verheiratet. sein Sohn L. Sergius Paullus filius bekleidete mehrere Ämter. Dieser hatte eine Tochter Sergia Paulina, die mit einem Cnaeus Pinarius Cornelius Severus verheiratet war, der 112 das Konsulat bekleidete und einen Sohn der ebenfalls L. Sergius Paullus hieß, dessen Sohn wiederum war L. Sergius Paullus, der 168 als Consul Ordinarius amtierte.
 
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