Ich bezog mich bei den epigraphischen Quellen, die L. Sergius Paullus und Nachkommen von ihm wie seine Tochter Plancia Marcia belegen nicht auf eine zypriotische Inschrift, sondern auf Inschriften in Südanatolien, die eindeutig nicht nur die Existenz eines L. Sergius Paulus belegen, sondern auch die von mehreren Verwandten und Nachkommen, und die es sehr plausibel machen, dass die Sergier Paulliner aus Pisidien, vermutlich aus Antiochia ad Pisidiam stammten.
Auf Ramsays Theorie habe ich mich, ohne seinen Namen zu nennen, bereits am Morgen in meinem Beitrag #1490 bezogen:
Auch ein Bezug zum L. Sergius Paulus in Antiochia ist völlig ungesichert, selbst wenn es sich in der zyprischen Inschrift um den Sergius Paulus der Apg handeln sollte. Dass dieser L. Sergius mit dem zyprischen Proconsul verwandt war, ist reine Spekulation
Ramsay macht zwei spekulative Voraussetzungen: (1) Der L. Sergius Paulus aus der Tiber-Grenzstein-Inschrift (siehe mein #1491) ist identisch mit dem (vermeintlich späteren) Prokonsul Sergius Paulus der Apg. (2) Der Lucius Sergius Paulus aus Antiochia ist ein Nachfahre des Prokonsul Sergius Paulus der Apg. Auf dieser Basis bildet er eine interessante Theorie, welche die Lücken gut ausfüllt, ohne dass die Basis dadurch gefestigt wird. Weder ist belegt, dass der römische Paulus später als Proconsul in Zypern tätig war noch dass der antiochische Paulus mit dem zypriotischen etwas zu tun hat.
Meine Intention bei all dem hast du wie auch andere User ziemlich missverstanden. Es geht mir (wie ich bereits im gelöschten Beitrag schrieb) nicht darum, kategorisch zu behaupten, dass es keine Historizität bestimmter Personen und Ereignisse in den christlichen Quellen gibt. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass eine solche Historizität weder durch archäologische noch durch textliche Indizien zweifelsfrei feststeht. Das gilt praktisch für alle relevanten Personen und Ereignisse des frühen Christentums, soweit diese dem 1. Jahrhundert zugeordnet werden. In all diesen Fällen besteht eine mehr oder weniger große Unsicherheit, die bestenfalls dazu berechtigt, von Wahrscheinlichkeit zu sprechen. Gleich aber, wieviele Wahrscheinlichkeiten man addiert, man gelangt nie zu einer Sicherheit - zumal es unmöglich ist, die einzelnen Wahrscheinlichkeiten zu quantifizieren. Es bleibt bei allem ein Rest an Unsicherheit, wie auch jetzt diskutierten Fall, weil es an ganz simplen Daten mangelt ("Proconsul Paulus" ohne "Sergius", "Proconsul Quintius Sergius" ohne "Paulus" und in der Apg, wie du selbst schreibst, "Sergius Paulus" ohne Angabe des Pränomens, sowie, nicht zu vergessen, die Unleserlichkeit der Datierungszeile der Inschrift von Soli).
Es wäre natürlich viel schöner, wenn Lukas den vollen Namen des Mannes und seine Titulatur angegeben hätte
Wenn du den Titel "Anthypatos“ (Proconsul) meinst: Der steht im griechischen Originaltext der Apg.
Wenn die ApG erst im zweiten Jahrhundert und nach dem 1. jüdischen Krieg entstand, warum werden dann die Römer als relativ korrekt und als Garanten des Rechts dargestellt. Spätestens nach der neronischen Christenverfolgung und lokalen Martyrien in Kleinasien existierte doch gar kein Anlass mehr, sich von den Römern viel zu versprechen.
Erstens ist eine neronische Christenverfolgung alles andere als historisch gesichert. Die einzige Quelle ist Tacitus (wenn die Stelle überhaupt echt ist), ohne dass dieser seine Quelle angibt. Weder Sueton noch Cassius Dio berichten davon. Auch im 1. Clemensbrief (angeblich um 100 CE) ist nichts davon zu lesen. Der erste Christ, der Nero dieser Verfolgung bezichtigte, war Sulpicius Severus im 4. Jahrhundert. Auch hier bleibt wieder ein für christliche Frühhistorie anscheinend unvermeidlicher Rest an Unsicherheit (und zwar ein ziemlich großer). Was lokale Martyrien betrifft, so geschahen diese eher selten und in der Regel ohne staatliche Initiative. Es gab also keinen zwingenden Grund, die Römer als "viel versprechende" Ansprechpartner grundsätzlich abzuschreiben.
Ein weiteres Argument sind apokalyptische Vorstellungen. Wozu hätte man diese erwähnen sollen, wenn die Vorstellung vom nahen Weltende im 2. Jahrhundert gar nicht mehr gegeben waren? Warum hätte man ein nahendes Weltende vorhersagen sollen, wenn die Texte erst im 2. Jahrhundert entstanden sind und das Weltende offensichtlich ausgeblieben war?
Wo in der Apg ist von einem "nahen" Weltende die Rede? Gerade die Apg ist bekannt dafür, dass diese Vorstellung in ihr nicht auftaucht.
L. Sergius Paullus Cur(ator) rip(a) et alv Tiberis, Proconsul von Cyprus 46/48
dessen Sohn hieß ebenfalls L. Sergius Paullus und war 72 und 78 Consul. Sie Tochter dieses L. Sergius Paullus war mit C. Caristanius Fronto (Co(n)sul des Jahres 90 verheiratet. sein Sohn L. Sergius Paullus filius bekleidete mehrere Ämter. Dieser hatte eine Tochter Sergia Paulina, die mit einem Cnaeus Pinarius Cornelius Severus verheiratet war, der 112 das Konsulat bekleidete und einen Sohn der ebenfalls L. Sergius Paullus hieß, dessen Sohn wiederum war L. Sergius Paullus, der 168 als Consul Ordinarius amtierte
Gut und schön, aber es ist nicht überliefert, dass diese Leute Christen waren, was sie als Nachfahren des Apg-Sergius-Paulus doch hätten sein müssen. Ramsay behauptet es aber (spekulativ).
Dass "L. Sergius Paullus Cur(ator) rip(a) et alv Tiberis" später "Proconsul von Cyprus 46/48" war, wie der Ausgrabungsleiter von Pessinous, J. Devreker, meint, ist total spekulativ, aber das sagte ich schon zwei Mal. Oder hat er Argumente, die mir unbekannt sind?
Jedenfalls gilt für mich, dass Ramsays Überlegungen bei gutem Willen überzeugend wirken, aufgrund unsicherer Prämissen aber eben nicht mehr als eine Theorie sind.
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