Hunnen und die kimbrische Halbinsel

Dazu habe ich eine Frage.

Heather schreibt davon (2001), dass es - gestützt auf Ammianus - keine Reichseinheit gegeben habe, sondern mindestens zwei "political units", nämlich Tervingi und Greuthungi (S.16).

Ja, das ist allgemein anerkannter Wissensstand. Dabei saßen die Tervingi nördlich der unteren Donau bis hin zum Dnjepr, ihre greutungischen Verwandten östlich davon zwischen Dnjepr und Don nördlich des Schwarzen Meers.

Aus den Tervingi wurden später die historisch bekannteren Westgoten, aus den Greutungen die Ostgoten, die - anders als die tervingischen Goten - 375 zunächst unter hunnische Oberherrschaft kamen. Die Tervingi bzw. Westgoten erzwangen sich vor den Hunnen den Übergang über die Donau ins römische Reichsgebiet und besiegten bei Adrianopel im Jahr 378 vernichtend ein römisches Heer unter dem Befehl von Kaiser Valens, das ihnen den weiteren Zugang zu den Fleischtöpfen Roms verwehren wollte.
 
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Heather schreibt davon (2001), dass es - gestützt auf Ammianus - keine Reichseinheit gegeben habe, sondern mindestens zwei "political units", nämlich Tervingi und Greuthungi (S.16).
Das stimmt ja auch so. Ermanarich beherrschte nur die Greutungen. Die Terwingen gehörten keinesfalls zu seinem Reich.
 
Dazu habe ich eine Frage.

Heather schreibt davon (2001), dass es - gestützt auf Ammianus - keine Reichseinheit gegeben habe, sondern mindestens zwei "political units", nämlich Tervingi und Greuthungi (S.16).
[*]

Gibt es denn von Heather eine weitere Publikation?
[*] The Goths in the fourth century

Es gibt noch eine ganze Reihe von Publikationen dazu.
Sein Buch über die Goten ist von 1996.
Dann das allgemeinere "Der Untergang des römischen Weltreiches" und jetzt realtiv Neu "Invasion der Barbaren", zudem noch ein paar kleinere Publikationen. Das Thema taucht natürlich immer wieder auf.

Das stimmt ja auch so. Ermanarich beherrschte nur die Greutungen. Die Terwingen gehörten keinesfalls zu seinem Reich.

Das ist ja genau der Punkt der Diskussion, ob Ermanarich alle Greutungen beherrschte, was Heather eben anzweifelt.

Gemeinsam mit den Terwingen kamen auch Greutungische Einheiten über die Donau, die aber keinen Föderatenvertrag erhielten. Die Greutungen wurden gemeinsam von Alatheus und Saphrax geführt, zogen dann nach Pannonien. Schon hier ist fraglich, ob dieser Trupp mit den Greutungen des Ermanarich identisch war, denn dann müssten sie den Weg vom Don an die Donau mit Sack und Pack äußerst schnell zurückgelegt haben.

Heather betont auch, dass sich nach dem Donauübertritt die Unterschiede zwischen Terwingen und Greutungen allmälich verwischen, die Römer meist nur noch von Goten sprechen. Erst mit Alarichs Gefolge (Visigoten) und noch später dem Gefolge der Amaler (Ostrogoten) tauchen wieder die uns geläufigen Namen auf. Ob wirklich die Ostrogoten den Greutungen und die Visgoten den Terwingen entsprechen, ist bei einigen Forschern umstritten. Diese gehen davon aus, dass auf dem Balkan quasi die Karten neu gemischt wurden, ganz neue Zusammenschlüsse entstanden.
Dieser Punkt wird des öfteren kontrovers diskutiert.
 
Gemeinsam mit den Terwingen kamen auch Greutungische Einheiten über die Donau, die aber keinen Föderatenvertrag erhielten. Die Greutungen wurden gemeinsam von Alatheus und Saphrax geführt, zogen dann nach Pannonien. Schon hier ist fraglich, ob dieser Trupp mit den Greutungen des Ermanarich identisch war, denn dann müssten sie den Weg vom Don an die Donau mit Sack und Pack äußerst schnell zurückgelegt haben.
Gemäß Ammianus Marcellinus (31, 3-4) müssen sie identisch gewesen sein.
 
Gemäß Ammianus Marcellinus (31, 3-4) müssen sie identisch gewesen sein.

Kann man so rauslesen, muss man aber nicht.
Und sich dabei Fragen, wie genau er die Geschehnisse von Rom aus kannte.

Interessant übrigens die Passage aus 3.8:

Ammianus schrieb:
Doch verbreitete sich das Gerücht bei den übrigen Gotenstämmen, daß dieses vorher noch nie gesehene Menschengeschlecht, das sich wie ein Sturmwind von hohen Bergen aus einem abgelegenen Winkel aufgemacht hatte, jeden Widerstand zerbreche und in Trümmer lege
 
Kann man so rauslesen, muss man aber nicht.
Und was liest Du heraus? Dass der Vidirich, der der Sohn des Greutungenkönigs Vithimir war, und seine Begleiter Alatheus und Saphrax aus 31,3 andere Personen als der Vidirich, Alatheus und Saphrax waren, die in 31,4 an der Donau bei den Terwingen auftauchen?

Und sich dabei Fragen, wie genau er die Geschehnisse von Rom aus kannte.
Besser als Peter Heather sie heute kennen kann.

Interessant übrigens die Passage aus 3.8:
Was hast Du daran auszusetzen? Da sind wohl in erster Linie die Terwingen gemeint, in zweiter Linie vielleicht auch die anderen mit den Goten verwandten Völker wie die Gepiden.
 
Ächts, ich wollte mich eigentlich zurücknehmen. Habe schon wieder Klagen wegen "Überlänge" bekommen :scheinheilig:

Gemäß Ammianus Marcellinus (31, 3-4) müssen sie identisch gewesen sein.

Ich sehe es genau so wie Ravenik, möchte allerdings einschränken.
Diese Gruppe dürfte zu den Greutungen des Ermanarich gehört haben. Heather schreibt im Folgenden so, als seien dies die Goten Ermanarichs "quasi komplett" gewesen. Dabei war es nur eine recht kleine Gruppe, bei der sich zusätzlich Alanen und auch hunnische Kontingente befanden. In deutschen Veröffentlichungen wird dazu gerne von der "3-Völker-Koalition" gesprochen. Ein Begriff, den Heather entrüstet weit von sich weist!

Bei Herwig Wolfram handelt es sich bei den Goten des Alatheus (Safrax/Saphrax könnte ein Alane gewesen sein?) um jene Greutungen, welche nicht bereit waren sich unter die Oberherrschaft der Hunnen zu stellen: Sprich die Masse der Greutungen/Steppengoten blieb bei den Hunnen in der Steppe...

@Stilicho "übrigen Gotenstämmen"
Siehe Unten. Übrigens waren die Terwingen doch auch Goten, ober willst du behaupten, dass Ammianus sie mit dieser Aussage nicht meinte?
Um auf Silesias Einwand zu reagieren muss weiter ausgeholt werden. Es geht ja im Moment sowieso um die Goten und daher habe ich kurz =)=):autsch::devil: diesen Sermon in den Goten/Amaler-Thread gepackt. Hat ja wirklich nichts mehr mit Hunnen, oder gar Jütland zu tun, oder?
Ich frage mich sowieso, ob nicht Teile verschoben werden sollten?

http://www.geschichtsforum.de/f35/goten-und-amaler-von-einem-traditionskern-37849/#post575095
Ab post #12 mein frisch angerührter Senf
 
Zuletzt bearbeitet:
Besser als Peter Heather sie heute kennen kann.

Ach tatsächlich? Warum forschen wir dann überhaupt, statt einfach die klassischen Autoren zu rezitieren?

Was hast Du daran auszusetzen? Da sind wohl in erster Linie die Terwingen gemeint, in zweiter Linie vielleicht auch die anderen mit den Goten verwandten Völker wie die Gepiden.

Es ist von mehreren Völkern der Goten die Rede. Warum du jetzt hier mit Gepiden ankommst, ist mir etwas schleierhaft. Möchtest du vielleicht noch Rugier oder Heruler anführen? Du schriebst doch eben noch, dass Ammianus die Völker so gut auseinander halten konnte.
 
Ach tatsächlich? Warum forschen wir dann überhaupt, statt einfach die klassischen Autoren zu rezitieren?
Wir sollen ja forschen. Aber wenn wir Quellen verwerfen, dann nur mit gutem Grund, z. B. weil die Darstellung sachlich unmöglich oder eindeutig tendenziös ist oder anderen Quellen oder dem archäologischen Befund widerspricht. Sonst können wir alle antiken Autoren in den Müll werfen und uns eine neue Antike nach eigenem Geschmack basteln.
Ammianus war ein Zeitgenosse des Ermanarich, und er hatte Zugang zu Regierungsstellen. Seine Darstellung widerspricht weder anderen Quellen noch dem archäologischen Befund. Sie ist plausibel, und Ammianus hatte auch kein Motiv, Ermanarich zu erhöhen, denn selbst in seinen schlimmsten Alpträumen wird er nicht geahnt haben, dass die Goten eines Tages Italien beherrschen würden. Dass einzige, was gegen seine Darstellung spricht, ist, dass sie nicht in Heathers Geschichtsbild passt.

Es ist von mehreren Völkern der Goten die Rede. Warum du jetzt hier mit Gepiden ankommst, ist mir etwas schleierhaft. Möchtest du vielleicht noch Rugier oder Heruler anführen? Du schriebst doch eben noch, dass Ammianus die Völker so gut auseinander halten konnte.
Konnte er ja auch. Aber in der Antike wurden auch die Gepiden zu den gotischen Nationen gezählt, siehe z. B. Procopius, Kriegsgeschichte 3,2. Trotzdem konnte auch Procopius zwischen den verschiedenen gotischen Völkerschaften unterscheiden.
 
Das passt aber nicht zu einer Herrschaftausübung in Pannonien, höchstens zu Überfällen am schwarzen Meer. Zudem waren die meisten Goten wie festgestellt bereits Reiterkrieger, oder ritten die langsamer?
Sie waren primär Nahkampfkavallerie und hatten somit wohl Probleme gegen die berittenen Bogenschützen der Hunnen und deren Taktiken (siehe z. B. die Probleme europäischer Ritterheere gegen die Mongolen), außerdem waren die Goten kein reines Reitervolk, sondern verfügten weiterhin über Infanterie.
Dazu noch ein interessantes Zitat aus Prokopios, Kriegsgeschichte 5,27. Es bezieht sich zwar auf den Krieg der Ostgoten gegen die Oströmer, die über zahlreiche berittene Bogenschützen, vor allem Hunnen, verfügten, zeigt aber trotzdem ganz gut die Probleme der Goten gegen solche Gegner:
"Es gründe sich aber der Unterschied darauf, dass fast alle Römer und die verbündeten Hunnen vortreffliche Bogenschützen wären, von den Goten aber keiner in diesem Fache sich geübt habe. Ihre Reiter sind bloß gewohnt, mit den Lanzen und den Schwertern zu fechten, die Bogenschützen aber treten zu Fuß von den Schwerbewaffneten gedeckt in den Kampf. Daher werden die Reiter, wenn der Kampf nicht in einem Handgemenge besteht, da sie kein Mittel haben, sich gegen Feinde, welche sich des Bogengeschosses bedienen, zu verteidigen, leicht, wenn sie beschossen werden, zu Grunde gerichtet, und das Fußvolk ist gar nicht imstande, einen Angriff gegen Leute zu Pferde zu unternehmen."
 
Abgesehen davon, dass neben Pohl auch andere Historiker eine große Reichsbildung der Schwarzmeergoten vertreten, muss natürlich neben den Schriftquellen auch die archäologische Fundlage betrachtet werden. Und die zeigt sehr deutlich eine gotische Dominanz im fraglichen Raum.

Zeugnisse künstlerischer Darstellung sind z.B. Schnallen, Helmverzierungen, Waffen usw. Die Wielbark-Kultur zeigt die flächige Inbesitznahme zunächst Wolhyniens und dann der Südukraine ab etwa 250 n. Chr.

Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Goten im 3./4. Jh. als dominierende Schicht in Südrussland ausbreiteten. Es kann zudem kein Zweifel daran bestehen, dass sie das in festen Formen unter gotischen Königen bzw. Fürsten taten. Fraglich ist lediglich, ob es eine straff strukturierte gotische Herrschaft in Südrussland über Alanen Sarmaten/Skythen usw. gab, oder ob es sich eher um einen lockeren Herrschaftsverband handelte. Dass es aber eine große gotische Reichsbildung gab, daran kann kein Zweifel bestehen und daran hegt auch der Historiker Peter J. Heather keinen Zweifel.

Es kann bezweifelt werden, ob man aus einer kulturellen Dominanz der gotischen Fruehkultur in der Suedukraine auf absolut regierende Koenigsgeschlechter schliessen kann. Ueblich war bis ins Mittelalter hinein das Wahlkoenigtum, nicht dass erbliche Koenigtum. Jene Thing oder altdeutsch Dingstrukturen, die man bei anderen germanischen Gruppen nachweisen kann, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei den Goten gegeben haben. Daher wird mancher sogenannter Herrscher der roemischen Quellen in Wahrheit ein Hertog, d.h., ein vom Ding oder Thing ernannter Heerfuehrer eines Krieges oder Beutezuges gewesen sein. Seine Macht ging in Friedenszeiten velohren, da die Goten sich selbst als freie Mannen mit den Thingversammlungen regierten.

Mit anderen Worten gesagt fehlt auch vielen Experten das Gespuehr dafuer, was wahrscheinliche Wahrheit und was an den Quellen roemische Projektion ist. Ein Roemer hatte bei einem obersten Heerfuehrer natuerlich einen Kaiser oder Cesaren vor Augen, nicht einen ernannten Heerfuehrer, deren Macht nur auf dem Schlachtfeld bestand und der von einer Versammlung freier Mannen gewaehlt und ausgeschickt wurde. Und so projektiert man heute froehlich Regierungsformen spaeterer Epochen in die Fruehzeit, gestuetzt auf die Projektionen roemischer Geschichtsschreibung. Das erinnert dann doch schon sehr stark an die Behauptung eines daenischen nationalistischen Historikers, es habe den Konflikt zwischen den deutschen Sachsen und den daenischen Angeln und Jueten schon zu Lebzeiten von Atila gegeben.:D
 
Man sollte aber auch nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Ebensowenig, wie man spätere Regierungsformen gedankenlos rückprojizieren sollte, sollte man automatisch davon ausgehen, dass alle germanischen Stämme die gleiche politische Ordnung hatten. (Ich weise z. B. auch darauf hin, dass es später unter den Franken zu Reichsteilungen kam, in den anderen Germanenreichen aber nicht.) Tacitus z. B. differenziert in seiner "Germania" sehr klar zwischen den verschiedenen Stämmen und schreibt z. B. über die Gotonen (Germania 44): "Die jenseits von den Lugiern wohnenden Gotonen werden von Königen beherrscht, und zwar schon etwas straffer als die übrigen Völker Germaniens, doch ohne dass schon die Linie der Freiheit überschritten würde." In Kap. 7 schreibt er auch deutlich, dass die Macht der Obrigkeiten bei den Germanen in der Regel arg beschränkt gewesen sei, um später in Kap. 44 zu betonen, dass bei den Rugiern und Lemoviern die Könige eine wesentlich stärkere Stellung hatten. Von einer simplen Projektion römischer Verhältnisse und Wunschvorstellungen auf die Germanen kann also keine Rede sein.
Was das Wahlkönigtum betrifft: In den Germanenreichen der Völkerwanderungszeit war es, sofern es überhaupt noch bestand, meist auch eher eine Formalität als echte Wahlfreiheit.
Damit will ich jetzt nicht in Abrede stellen, dass so manche der in römischen Quellen erwähnten und mitunter als "Könige" bezeichneten Anführer germanischer Einfälle ins Reich im 3. und 4. Jhdt. in Wahrheit wohl nur temporäre Anführer eines kleineren Häufleins waren; ich halte das sogar für wahrscheinlich. Aber es macht einen Unterschied, ob sich ein Haufen Krieger für einen Plünderungszug zusammentut und sich dafür einen Führer wählt, oder ob sich ein Volk irgendwo niederlässt und ein relativ großes Reich gründet, das seine Macht auch über andere Völker erstreckt. Letzteres ist ohne straffe Führung wohl kaum möglich. Ich verweise z. B. auch auf Marbod, der auch mehrere Stämme kontrollierte. Beim fränkischen Slawenherrscher Samo war es später ähnlich. Beide Reiche zerbrachen nach Wegfall des Anführers wieder.
 
Ammianus hätte sich doch lächerlich gemacht, wenn er über ein großes Gotenreich unter einem König Ermanarich geschrieben hätte, obwohl es weder noch gab. Immerhin war das ein zeitgenössisches Ereignis, und er schrieb für das Publikum seiner Zeit. Glaubst Du, den Lesern wäre nicht aufgefallen, wenn er da über ein Reich und einen König in der Nachbarschaft des Römischen Reiches schreibt, von dem noch nie jemand etwas gehört hat? [/QUOTE]

Haben sich die Spanier laecherlich gemacht, als sie aus der Neuen Welt von einem Koenig der Atzteken berichteteten, der in Wirklichkeit nur Sprecher des Regierungsrates der Atztekenrepublik war? Nein, in Spanien hat man ihnen ihre Projektion spanischer Verhaeltnisse auf die Atzteken auch in gebildeten Kreisen abgekauft. Noch heute faseln manche Historiker von einem atztekischen Adel, als sei das Atztekenreich tatsaechlich eine Kopie europaeischer oder maurischer Feudalverhaeltnisse.

Gleiches kann man fuer Ammianus annehmen. Das Publikum, fuer welches er schrieb, kannte die Barbaren in erster Linie als Krieger und Pluenderer, nicht als Traeger einer Rom vergleichbaren Kultur. Verhandlungspartner waren die jeweiligen Heefuehrer, wenn einer von ihnen wieder eine Kriegergruppe auf roemisches Gebiet fuehrte, um Beute zu machen oder Handel zu treiben. Deshalb liegt es nahe, in den Kriegshaeuptlingen vermeintliche Herrscher auch in Friedenszeiten zu erkennen und in kriegerischen Buendnissen fest gefuegte Reiche. Die wahrscheinliche Abhaengigkeit dieser Kriegsherren von thingaehnlichen Versammlungen der jeweiligen Stammesgruppe ausserhalb der Kriegszuege konnte auch weggelassen werden. Eine derartige Abhaengigkeit des roemischen Kaisers als oberster Heerfuehrer war den Roemern zur Zeit Ammianus auch in gebildeten Kreisen fremd.

Bei Dir beißt sich die Katze in den Schwanz. Waren die Hunnen nun stark genug, um die germanischen Völkerschaften unter ihrer Herrschaft zum Gehorsam zu zwingen, solange die Hunnen einig waren, oder nicht? Natürlich wurde Attila durch seine germanischen Vasallen noch stärker, aber er muss auch mit seinen Hunnen stark genug gewesen sein, um die Germanen zum Gehorsam zu zwingen. Das bedeutet aber, dass die Hunnen unter einheitlicher Führung sehr wohl für sich allein schon eine Macht gewesen sein müssen, stark genug, um z. B. ein großes Gotenreich am Schwarzen Meer zu zerschlagen.
Du meinst ja auch, in der Schlacht am Nedao hätten fast nur Germanen gegeneinander gekämpft. Wo sollen denn da die Hunnen gewesen sein? Immerhin ging es da um den Erhalt ihrer Oberherrschaft. Und da sollen die Hunnen abseits gewartet haben, und als sie sahen, dass ihre Germanen gegen die aufständischen Germanen verloren haben, haben sie sich kampflos verkrümmelt? Das ergibt doch keinen Sinn.[/QUOTE]

Solange wir hier Herrschaft nicht im germanischen Sinne der Zeit der Voelkerwanderung verstehen, sondern eine Herrschaft des Mittelalters oder noch schlimmer der Neuzeit auf die Fruehgeschichte projektieren, kommen wir da nicht weiter. Jeder einzelne Krieger war gegenueber seinem Heerfuehrer gleichwertig. Er unterstellte sich diesem nur, wenn der Heerfuehrer durch strategisches Vermoegen reiche Beute im Kriegszug zu machen versprach. Ein Adel, der Kraft seiner Geburt Vorrechte beanspruchen konnte, gab es noch nicht. Deshalb mussten die Soehne Atilas erst unter Beweis stellen, die strategische Begabung ihres Vaters geerbt zu haben, wenn sie von den Vasallen des Vaters als Heerfuehrer anerkannt werden wollten.

Die Bindung der Vasallen an den Heerfuehrer bestand darin, einen Anteil an der Kriegsbeute oder an den Tributzahlungen der Unterworfenen zu erhalten. Blieben diese aus, so bestand keinerlei Bindung mehr an diesen zentralen Heerfuehrer, seinen Hof oder seine Sippe. Deshalb bestand das sogenannte Reich der Hunnen nur solange, wie es von Atila gefuehrt wurde. Seine Soehne jedoch als Abkoemmlinge eines Koenigshauses zu verstehen, dem die Vasallen des Vaters verpflichtet seien, missversteht die Epoche und projektiert spaetere feudale Verhaeltnisse des Mittelalters in die Fruehzeit.
 
Haben sich die Spanier laecherlich gemacht, als sie aus der Neuen Welt von einem Koenig der Atzteken berichteteten, der in Wirklichkeit nur Sprecher des Regierungsrates der Atztekenrepublik war? Nein, in Spanien hat man ihnen ihre Projektion spanischer Verhaeltnisse auf die Atzteken auch in gebildeten Kreisen abgekauft. Noch heute faseln manche Historiker von einem atztekischen Adel, als sei das Atztekenreich tatsaechlich eine Kopie europaeischer oder maurischer Feudalverhaeltnisse.
Auch hier sollte man nicht über das Ziel hinausschießen! Die Aztekenherrscher amtierten auf Lebenszeit und stammten alle aus derselben Familie. Und sie waren keineswegs nur Sprecher. In Spanien andererseits regierte der König auch nicht absolut, sondern hatte noch die Cortes an seiner Seite, ohne dass er bloß deren Sprecher gewesen wäre.
Und was den Adel betrifft: Es kommt immer darauf an, was man unter "Adel" versteht. Es gab aber eine eigene Klasse von (meist) (Groß-)grundbesitzern, wenn auch mit einer gewissen sozialen Durchlässigkeit, aber die gab es in Maßen in Europa auch.

Die wahrscheinliche Abhaengigkeit dieser Kriegsherren von thingaehnlichen Versammlungen der jeweiligen Stammesgruppe ausserhalb der Kriegszuege konnte auch weggelassen werden. Eine derartige Abhaengigkeit des roemischen Kaisers als oberster Heerfuehrer war den Roemern zur Zeit Ammianus auch in gebildeten Kreisen fremd.
Eher andersherum: Eine (in der Realität schon im Prinzipat kaum bestehende) Abhängigkeit des Kaisers vom Senat war Wunschdenken vieler Gebildeter, siehe z. B. die "Historia Augusta", die wohl etwa zur Zeit des Ammianus oder noch später entstanden ist.
Außerdem behauptet ja niemand, dass die germanischen Herrscher der frühen Völkerwanderungszeit absolut regiert hätten.
 
Die Klasse der Grossgrundbesitzer ist eine Interpretation, kein Fakt. Aufwendige Grabbeigaben lassen eine solche Deutung zu, jedoch bleibt es eine Vermutung. Da die Quellenlage duenn ist und nur auf Fremdbeschreibungen basiert, ist hier fuer Projektionen auch der Historiker selbst ein grosses Einfalltor. Zweifel sind hier in jedem Fall berechtigt.;)
 
Ein Armer wird sich jedenfalls keine aufwändigen Grabbeigaben leisten können. Aber wir sollten hier nicht über die Azteken diskutieren.
 
Auch hier sollte man nicht über das Ziel hinausschießen! Die Aztekenherrscher amtierten auf Lebenszeit und stammten alle aus derselben Familie. Und sie waren keineswegs nur Sprecher. In Spanien andererseits regierte der König auch nicht absolut, sondern hatte noch die Cortes an seiner Seite, ohne dass er bloß deren Sprecher gewesen wäre.
Und was den Adel betrifft: Es kommt immer darauf an, was man unter "Adel" versteht. Es gab aber eine eigene Klasse von (meist) (Groß-)grundbesitzern, wenn auch mit einer gewissen sozialen Durchlässigkeit, aber die gab es in Maßen in Europa auch.

Die Ratssprecher der Azteken amtierten auf Lebenszeit. Es waren keine Herrscher, sie als Herrscher zu bezeichnen ist eine spanische Projektion. Sie standen einem Rat von Eldern vor, der aus Angehoerigen der 100 angesehensten Familien gebildet wurde. Daneben gab es in jedem Stadtteil, jeder Stadt und fuer jede Berufsgruppe einen Rat gewaehlter Volksvertreter und Berufsgruppenvertreter. Hier sollte man eher auf die indianische Ueberlieferung hoeren als den spanischen Projektionen aufzusitzen.


Eher andersherum: Eine (in der Realität schon im Prinzipat kaum bestehende) Abhängigkeit des Kaisers vom Senat war Wunschdenken vieler Gebildeter, siehe z. B. die "Historia Augusta", die wohl etwa zur Zeit des Ammianus oder noch später entstanden ist.
Außerdem behauptet ja niemand, dass die germanischen Herrscher der frühen Völkerwanderungszeit absolut regiert hätten.

Der Begriff Oberherrschaft legt eine Hierarchie wie in spaeteren Epochen nahe. Ebenso die Vermutung einer straffen Organisation. Und Deine Ausfuehrung bestaetigt, dass gebildete Roemer sich eine Kontrolle des Kaisers durch Beigeordnete wuenschten, aber unter einem Kaiser oder Koenig sich einen Alleinherrscher in den Zeiten des Friedens und des Krieges vorzustellen gewohnt waren. Da andererseits die Regierungsform der Barbaren nicht fortschrittlicher als die Roms sein konnte, indem die germanischen Herrscher sich die Macht mit den Thingversammlungen ihrer nichtverschuldeten und nicht versklavten freien Krieger in der Regel teilen mussten, musste dieser Aspekt der Herrschaft in den gotischen Gauen geradezu unterschlagen werden, um die Vorstellung roemischer Ueberlegenheit zu retten. ;)
 
Ein Armer wird sich jedenfalls keine aufwändigen Grabbeigaben leisten können. Aber wir sollten hier nicht über die Azteken diskutieren.

Wird er schon, wenn er von anderen aufgrund seines gesellschaftlichen Ansehens reich beschenkt wird. Schon die Vorstellung, jede Gesellschaft koenne nur aufgebaut sein wie die der europaeischen Raffkes ist eine gefaehrliche eurozentristische Projektion.
 
Man sollte aber auch nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Ebensowenig, wie man spätere Regierungsformen gedankenlos rückprojizieren sollte, sollte man automatisch davon ausgehen, dass alle germanischen Stämme die gleiche politische Ordnung hatten. (Ich weise z. B. auch darauf hin, dass es später unter den Franken zu Reichsteilungen kam, in den anderen Germanenreichen aber nicht.) Tacitus z. B. differenziert in seiner "Germania" sehr klar zwischen den verschiedenen Stämmen und schreibt z. B. über die Gotonen (Germania 44): "Die jenseits von den Lugiern wohnenden Gotonen werden von Königen beherrscht, und zwar schon etwas straffer als die übrigen Völker Germaniens, doch ohne dass schon die Linie der Freiheit überschritten würde." In Kap. 7 schreibt er auch deutlich, dass die Macht der Obrigkeiten bei den Germanen in der Regel arg beschränkt gewesen sei, um später in Kap. 44 zu betonen, dass bei den Rugiern und Lemoviern die Könige eine wesentlich stärkere Stellung hatten. Von einer simplen Projektion römischer Verhältnisse und Wunschvorstellungen auf die Germanen kann also keine Rede sein.
Was das Wahlkönigtum betrifft: In den Germanenreichen der Völkerwanderungszeit war es, sofern es überhaupt noch bestand, meist auch eher eine Formalität als echte Wahlfreiheit.
Damit will ich jetzt nicht in Abrede stellen, dass so manche der in römischen Quellen erwähnten und mitunter als "Könige" bezeichneten Anführer germanischer Einfälle ins Reich im 3. und 4. Jhdt. in Wahrheit wohl nur temporäre Anführer eines kleineren Häufleins waren; ich halte das sogar für wahrscheinlich. Aber es macht einen Unterschied, ob sich ein Haufen Krieger für einen Plünderungszug zusammentut und sich dafür einen Führer wählt, oder ob sich ein Volk irgendwo niederlässt und ein relativ großes Reich gründet, das seine Macht auch über andere Völker erstreckt. Letzteres ist ohne straffe Führung wohl kaum möglich. Ich verweise z. B. auch auf Marbod, der auch mehrere Stämme kontrollierte. Beim fränkischen Slawenherrscher Samo war es später ähnlich. Beide Reiche zerbrachen nach Wegfall des Anführers wieder.

Ich kann mich dieser Einschaetzung des Wahlkoenigtum nicht anschliessen. Die Tasache, dass das gesamte Mittelalter hindurch in Skandinavien und in Schleswig und Holstein die Koenige von ihrer Bestaetigung durch die Thingversammlungen abhaengig waren, macht es wenig wahrscheinlich, dass das Wahlkoenigtum in allen Reichen Germaniens zur Zeit der Voelkerwanderung bereits abgeschafft oder auf eine bedeutungslose Formalie reduziert war. Eher muss angenommen werden, dass die oben getroffene Aussage nicht fuer alle Siedlungsraeume der Germanen haltbar ist.

Ferner ist die Annahme eines Volkes der Sachsen, Goten etc. weitgehend eine romantische Projektion auf die Fruehzeit. Es ist kaum anzunehmen, dass sich die unter der Sammelbezeichnung Sachsen, d.h., Traeger des Sax oder Kurzschwertes zusammengefassten Gruppen je als Volk begriffen haben. Den Zuegen nach Italien, nach Spanien oder Nordafrika schlossen sich nicht nur Gruppen einer, sondern vieler sogenannter germanischer Teilgruppen an. Und bis ins 6. Jahrhundert nach Chr. laesst sich der Indikator einer von anderen germanischen Gruppen unterscheidbaren gotischen, saechsischen oder auch daenischen Volkssprache nicht feststellen.
 
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