Bei den Chronisten und Berichterstattern des Mittelalters wäre ich vorsichtig, alles, was dort steht, für bare Münze zu nehmen. Nicht nur aus Gründen der Seriösität und Parteilichkeit, sondern auch, weil es offensichtlich damals bereits so etwas wie ein "Code-System" gab, nach dem Wertungen und Ähnliches verpackt wurde. Jedenfalls ist schon auffällig, wie sehr sich die Muster in den Chroniken gleichen, was die Darstellungsmittel betrifft.
Bei Richard Löwenherz und Messina wäre wohl auch zu berücksichtigen, dass Richard den Aufenthalt nutzte, um das Wittum seiner Schwester Johanna auszahlen zu lassen, und das dürfte dem König und seinem Volk einiges gekostet haben.
Bei Marie Antoinette spricht vieles für gezielte Verleumdung oder Diffamierung.
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Was Historikerinnen und Historiker betrifft, die sind auch nur Menschen, also würde ich ihren Aussagen nur dann Gewicht geben, wenn sie für mich nachvollziehbar sind oder zumindest seriös wirken. Nur weil sie Berufshistorikerinnen und -historiker sind oder als angesehene Forscherinnen und Forscher gelten, ist für mich noch kein Grund, dass das, was sie behaupten, auch Richtigkeit oder sogar eine Deutungshoheit beanspruchen kann. (Daneben ist für wissenschaftliche Karriere leider noch immer oder schon wieder notwendig, sich dem unterzuordnen, was zurzeit im deutschen Sprachraum als richtig gilt, und mag es sich dabei um fragwürdige Ergebnisse handeln.)
Letztlich ist aber bei einem Roman, für mich jedenfalls, solange Autorinnen und Autoren sich nicht mit historischer Genauigkeit vermarkten lassen oder Deutungshoheit beanspruchen, noch immer wichtiger, dass das Ergebnis überzeugt und was dichterische Freiheit betrifft, so ist sie für mich in Ordnung, solange sie wirklich etwas für die Dramaturgie bringt und nicht nur für fragwürdige Dinge genutzt wird.
Ob die historische Königin Christina nun lesbisch war oder nicht, war für den Film selbst, ich habe ihn auch gesehen, nicht entscheidend. Entscheidend war für mich, dass es für die Geschichte, die der Film erzählt und Christinas Entwicklung durchaus glaubwürdig ist, dass sie eine Beziehung mit ihrer Hofdame hat, dass dies auch zur Fumgesetzt war.ilm-Christina passt und dass auch die Umsetzung überzeugend ist.
Um ein Beispiel zu nehmen: Die junge Tanja Kinkel hat in einem ihrer ersten Romane (vielleicht war es sogar ihr erster) Richard Löwenherz homosexuell sein lassen, obwohl sie im Nachwort meint, dass sie es (damals) jedenfalls nicht für einen Fakt gehalten hat. (Die Idee hatte sie aus "Der Löwe im Winter"). Ihre Entscheidung war allerdings für mich nachvollziehbar - Richard ist bei ihr in König Philipp verliebt, was bei ihm zu inneren Konflikten führt, nicht nur, weil er homosexuell ist, sondern weil die Figur, die er liebt, jemand ist, für den er solche Gefühle besser nicht haben sollte, nämlich der "Familienfeind". Ob historisch oder nicht, es bietet sich so jedenfalls eine spannende Konstellation an, aus der sich dramaturgisch einiges machen lässt. Das bei Kinkels Buch (ein Frühwerk) war allerdings, dass die Idee, ob nun historisch oder nicht egal, zwar durchaus Potential gehabt hätte, es der Autorin aber nicht gelang, die Beziehung der beiden überzeugend umzusetzen. So gesehen wäre es natürlich besser gewesen, wenn Kinkel das Motiv nicht genutzt hätte. Noch schlimmer hätte ich es allerdings gefunden, dass die Homosexualität dramaturgisch zur Gänze unnotwendig gewesen wäre.
Gerade bei den Dramen finde ich immer wieder bei Beziehungen faszinierend, wie viel Freiraum hier gelassen wird, weil eben nicht alles gezeigt werden kann. Eine Beziehung muss nicht einfach große Gefühle bedeuten, da gibt es so viele Nuancen.
Was für eine Geschichte über Isabella schwebt dir eigentlich vor? Geht es dir in erster Linie darum, die Liebesgeschichte zwischen Isabella und Christine zu erzählen oder geht es eher um Isabella als junge Frau zwischen gesellschaftlichen Erwartungsdruck, Familien und Selbstverwirklichung? Oder siehst du Isabella als Frau, die sich in einer für sie feindlichen Umgebung zu behaupten versucht mit Christine als einzigen Lichtblick? Oder hast du vielleicht doch eine ganz andere Idee zu Isabella?