Italien im Römischen Reich

sehe ganz ähnlich -- würdest du diesen Zustand des "Kernlands" als zersplittert bezeichnen?

wenn ja, wären dann nicht ebenso alle Provinzen heillos zersplittert? ... in diesem Fall würde ich mich desolat fragen, wie diese kulminierte allgemeine Zersplitterung so viele Jahrhunderte hatte erfolgreich zusammengehalten werden können...

Genau diese Zersplitterung war der kritische Erfolgsfaktor des römischen Reiches. Man nennt es Divide et Impera. Lokale Strukturen wurden bewusst klein gehalten auf der Ebene Stadt oder Stamm. Darüber gab es nur die zentrale Gewalt mit ihren weisungsgebundenen Ebenen.

Dieser zentralistischen Ansatz hatte aber durchaus Schwächen, die offenbar wurden als das Reich zum einen an die Grenzen antiker Kommunikation stieß und zum Anderen massiv unter Druck geriet.
 
Genau diese Zersplitterung war der kritische Erfolgsfaktor des römischen Reiches. Man nennt es Divide et Impera. Lokale Strukturen wurden bewusst klein gehalten auf der Ebene Stadt oder Stamm. Darüber gab es nur die zentrale Gewalt mit ihren weisungsgebundenen Ebenen.
müsste in diesem Sinne nicht jedes Königtum, jedes Kaiserreich etc. als "zersplittert" bezeichnet werden?
(mir kommt "zersplittert" übrigens negativ konnotiert vor)
 
Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht. Odoaker starb doch erst durch Theoderich.

Wie ich schon bemerkte, hatte ich da Einiges falsch im Ohr. Mea culpa.

Seis drum, mit Odoaker hatten wir erstmals einen Herrscher, der seinen Herrschaftsbereich wenigstens annähernd mit Italien definiert. War sein selbstgewählter Titel nicht auch Rex Italiae? Ungeachtet, daß er aus römischer Sicht nur ein Patricius war. Obwohl da wohl noch Teile Raetiens, Noricums und Dalamtiens dazugehörten.
 
sehe ganz ähnlich -- würdest du diesen Zustand des "Kernlands" als zersplittert bezeichnen?

wenn ja, wären dann nicht ebenso alle Provinzen heillos zersplittert? ... in diesem Fall würde ich mich desolat fragen, wie diese kulminierte allgemeine Zersplitterung so viele Jahrhunderte hatte erfolgreich zusammengehalten werden können...
Was verstehst Du unter "zersplittert"? Einen übergeordneten politischen Rahmen gab es für Italien nicht, Italien bestand nur aus etlichen autonomen Städten mit ihren Territorien. Der nächste übergeordnete Rahmen war erst das Gesamtreich. Insofern denke ich schon, dass man es als politisch zersplittert bezeichnen könnte.
Auch das spätmittelalterliche und neuzeitliche HRR wird wegen seiner paar hundert Territorien gerne als "zersplittert" bezeichnet, und das hatte mit dem HRR zumindest einen Rahmen speziell für diese Territorienansammlung.
Ich will mal einen Vergleich bemühen: Stell' Dir vor, es gäbe in Deutschland ein Gebiet, das zu keinem Bundesland gehört, sondern nur aus einigen dutzend oder hundert Kommunen besteht, die keinen regionalen übergeordneten Rahmen im Rahmen des Föderalismus haben, sondern direkt dem Bund unterstehen. Könnte man dieses Gebiet nicht auch als "zersplittert" bezeichnen?
"Zersplittert" bedeutet ja nicht, dass die zersplitterten Territorien völlig unabhängig sein müssen, siehe HRR, sondern nur, dass es eine große Masse autonomer kleiner Territorien ohne regionale übergeordnete Instanzen gibt.
Auch die Provinzen bestanden aus autonomen Städten mit ihren zugeordneten Gebieten, aber sie gehörten zu einer Provinz und hatten den Statthalter über sich, der für Ruhe und Ordnung sorgte und sich um die Rechtspflege kümmerte.
 
müsste in diesem Sinne nicht jedes Königtum, jedes Kaiserreich etc. als "zersplittert" bezeichnet werden?
(mir kommt "zersplittert" übrigens negativ konnotiert vor)

Königtümer waren üblicherweise kleiner und bilden denn auch hoffentlich für ihren Herrschaftsbereich eine politische Einheit. Aber selbst über das Mittelalter könnten wir hier trefflich diskutieren. Die historischen politischen Einheiten stimmen halt nur sehr selten mit den modernen überein.

Der OP hätte auch fragen können, wann es erstmals zu einer politischen Einheit Spaniens oder Griechenlands kam. Zu Römerzeiten sehe ich diese auch noch nicht.

Ich verstehe den Begriff "zersplittert" hier nicht negativ. Für den Mann auf der Straße mussten die Dinge in seinem Lebensraum, und das war die Stadt mit ihrer Region, klar geregelt sein. Der Rest war Sache Roms vom Atlantik bis zum Euphrat. Das funktionierte ja auch sehr lange recht gut.

Und auch so ein Provinzstatthalter hatte nur ein sehr eingeschränktes Aufgabengebiet: überregionale Öffentliche Ordnung, Steuererhebung und überregionale Rechtssprechung. Wobei die Finnanzen dann auch zunehmend Prokuratoren übernahmen, deren Zuständigkeitsbereich aber selten mit genau einer Provinz gleichzusetzen war.
 
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Natürlich gab es Provinzen und später Diozösen und Prafekturen, aber für die tägliche Administration des Reiches und für die politische Identität seiner Bürger waren sie weit weniger bedeutend als die beiden dominanten Ebenen Stadt (bzw. Stamm) und Reich. Und für Italien als Ganzes fehlt diese mittlere Ebene halt vollständig.
Was die politische Identität anbelangt, sehe ich das auch so. Einen "Provinzpatriotismus" scheint es nicht gegeben zu haben, sondern nur einen Stadt- oder Stammespatriotismus neben dem Zugehörigkeitsgefühl zum Reich. Aber dass die Provinzen für die tägliche Administration nicht sonderlich bedeutend gewesen seien, sehe ich nicht so. Der Statthalter war grundsätzlich erste Anlaufstelle für Probleme, die über den innerstädtischen Rahmen hinausgingen; nur in Ausnahmefällen wurde eine Gesandtschaft nach Rom geschickt. Er spielte eine wichtige Rolle in der Jurisdiktion und nahm grundsätzlich als Vertreter des Reiches die Mitbestimmungsrechte wahr, die das Reich bei der städtischen Selbstverwaltung hatte. Dazu kam natürlich noch, dass manche Statthalter ihre Kompetenzen weit überschritten.
Außerdem gab es mancherorts im provinzialen Rahmen Landtage von Städte- oder Stammesvertretern. Auch wenn ihre realpolitische Bedeutung gering war, könnte ich mir schon vorstellen, dass den Menschen viel an ihnen lag, da sie doch ein Gefühl von Mit- und Selbstbestimmung auch im überstädtischen Rahmen vermitteln konnten.
 
Ich verstehe den Begriff "zersplittert" hier nicht negativ. Für den Mann auf der Straße mussten die Dinge in seinem Lebensraum, und das war die Stadt mit ihrer Region, klar geregelt sein. Der Rest war Sache Roms vom Atlantik bis zum Euphrat. Das funktionierte ja auch sehr lange recht gut.
ok, das war für mich nicht ersichtlich
es bringt natürlich nichts, wenn wir nun diskutieren, ob "zersplittert" positiv oder negativ konnotiert ist - die Beschreibung danach halte ich für zutreffend. Interessanterweise schreibt H. Wolfram irgendwo, dass es für den Mann auf der Straße, für den durchschnittlichen römischen Bürger in der Spätantike egal war, ob gerade ein römischer General oder ein Barbarenkönig die militärisch-politische Macht inne hat bzw. dass man kaum Notiz davon nahm, Hauptsache das Leben ging wie gewohnt weiter.
 
Aber dass die Provinzen für die tägliche Administration nicht sonderlich bedeutend gewesen seien, sehe ich nicht so.

Ich sagte, daß sie keine dominante Rolle spielten, nicht daß sie bedeutungslos gewesen wären. Für den kleinen Handwerker in Lugdunum oder den Bauer in der Belgica dürfte der Statthalter dabei aber sicher weniger von Bedeutung gewesen sein als für die Magistrate und Decurionen einer Stadt.

Die Landtage sind eine interessante Sache. Da lief vielleicht mehr ab hinter den Kulissen, als die Quellen hergeben. Insbesondere wenn dann am Ende der Amtszeit dem Statthalter gehuldigt werden sollte, oder Klage eingereicht werden konnte. Aber auch diese Landtage waren nicht immer deckungsgleich mit einer Provinz. Manchmal gab es einen für mehrere Provinzen, dann wieder mehrere in einer Provinz. Und in Italien gab es den nie.

Ich befürchte, solange wir der Frage ausweichen, was eine politische Einheit begründet, bringt uns die Diskussion nicht entscheidend weiter.
 
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in diesem Fall würde ich mich desolat fragen, wie diese kulminierte allgemeine Zersplitterung so viele Jahrhunderte hatte erfolgreich zusammengehalten werden können...
Ebenso wie Agricola sehe ich sie sogar als Erfolgsfaktor. Die einzelnen Städte und Stämme waren zu schwach, um selbst zu einem Machtfaktor werden zu können, der dem Reich bedrohlich werden konnte.
Umgekehrt aber hatte ein Provinzstatthalter in seiner Provinz infolge der Autonomie seiner Städte und Stämme zu wenig Macht, um sich zu einer Art Provinzfürst, der Rom trotzen konnte, aufschwingen zu können. Wenn ein Statthalter Probleme bereiten konnte, dann nur auf Grundlage der militärischen Macht, die ihm die in seiner Provinz stationierten Truppen verliehen.
Für Rom selbst hatte die Zersplitterung den Vorteil, mit einer kostengünstigen schlanken Verwaltung auskommen zu können. Lokale Angelegenheiten ließ man von den Städten selbst regeln. Einen komplizierten übergeordneten Behördenapparat, der in die Städte hineinregierte, brauchte man nicht. Für Rom war wichtig, dass Ruhe und Ordnung gewahrt wurden und die römischen Bürger überall unbehelligt leben und ihren Geschäften nachgehen konnten, sowie dass die allfälligen Abgaben flossen. Alles andere interessierte Rom nicht.
Die Stadtbewohner wiederum konnten sich dem Gefühl hingeben, trotz der Zugehörigkeit zum römischen Machtbereich doch auch in einer Art Stadtstaat zu leben und selbst mitbestimmen zu können. Denn Mitbestimmung gab es faktisch nur auf städtischer Ebene, nicht im Reich.

Im Großen und Ganzen scheint dieses System lange gut funktioniert zu haben und auch alle Beteiligten recht zufrieden gewesen zu sein.
Erst in der Spätantike wurde es zum Problem, als die Städte immer weniger in der Lage waren, ihre Aufgaben zu erfüllen und ihre Lasten zu tragen und außerdem die städtische Selbstbestimmung immer mehr zur Farce wurde.

müsste in diesem Sinne nicht jedes Königtum, jedes Kaiserreich etc. als "zersplittert" bezeichnet werden?
(mir kommt "zersplittert" übrigens negativ konnotiert vor)
Das hängt wohl davon ab, ob das Reich aus einer Vielzahl kleiner Objekte (Städte, Grafschaften etc.) ohne oder ohne relevante übergeordnete Ebenen besteht und diese kleinen Objekte über reale Autonomie verfügen.
In diesem Sinne wird auch das späte HRR gerne als "zersplittert" bezeichnet.
In Österreich wird von manchen gerne die "Zersplitterung" in zahllose kleine und kleinste Gemeinden mit teilweise nur wenigen hundert Einwohnern beklagt (Anders als in Deutschland gibt es in Österreich zwischen Bundesland und Gemeinde nur die Bezirke als Ebene, wobei diese Bezirke allerdings reine, von oben gesteuerte Verwaltungseinheiten ohne jegliche Mitbestimmungsmöglichkeit der Bürger sind.) und die Zusammenlegung zu einigen wenigen großen Einheiten gefordert.

Interessanterweise schreibt H. Wolfram irgendwo, dass es für den Mann auf der Straße, für den durchschnittlichen römischen Bürger in der Spätantike egal war, ob gerade ein römischer General oder ein Barbarenkönig die militärisch-politische Macht inne hat bzw. dass man kaum Notiz davon nahm, Hauptsache das Leben ging wie gewohnt weiter.
Das mag sein. Aber wohl erst zu einer Zeit, als sich regionale römische Anführer auch nicht mehr viel anders benahmen als Barbarenanführer und sich ihre Truppen ohnehin auch zu einem Großteil aus Barbaren zusammensetzten. Zwischen einem Syagrius und einem Childerich wird es im Alltag tatsächlich kaum einen Unterschied gegeben haben.

Ich befürchte, solange wir der Frage ausweichen, was eine politische Einheit begründet, bringt uns die Diskussion nicht entscheidend weiter.
Was hältst Du von meinem Definitionsversuch in #30?
 
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Vom Mittelalter bis zur Neuzeit verhinderte die politische Zersplitterung Italiens in mehrere Klein- und Mittelstaaten das Wachsen einer italienischen Identität, wie das auch im deutschen Raum zur Zeit des Heiligen Römischen Reichs der Fall war. Allerdings gibt es seit dem Hohen Mittelalter den Begriff "Reichsitalien" oder besser das regnum Italicum - der Teil Italiens, der bis zur frühen Neuzeit als Teil des Heiligen Römischen Reichs galt.

Insofern gab es dort eine die kleinen italienischen Republiken und Fürstentümer überwölbende staatliche Autorität, auch wenn die im Verlauf des Mittelalters immer schattenhafter wurde. Der Kaiser beanspruchte eine Oberhoheit über Reichsitalien, nahm Standeserhöhungen vor, übte die Lehnshoheit über die Reichslehen aus und hatte noch eine Reihe weiterer Rechte.

Von einer geschlossenen Herrschaft des Reiches in Italien konnte ab dem späten Mittelalter nicht mehr die Rede sein. Es gab hier nur noch einzelne kaiserliche Rechte. Der Kurfürst von Köln führte zwar den Titel eines "Erzkanzlers durch Italien" (sacri imperii per Italiam archicancellarius), doch war das Erzamt ohne eigentliche Bedeutung, weil es keine italienische Kanzlei mehr gab. Die italienischen Reichsangelegenheiten besorgte die Reichskanzlei.

Allerdings war Italien staatlich nicht ganz so zersplittert wie das Heilige Römische Reich, wo es einige hundert relativ unabhängige Territorien gab. Den Ton in Italien bestimmten nach dem Verschwinden der zahlreichen Signorien Oberitaliens fünf Mittelstaaten: die Republik Venedig, das Herzogtum Mailand, der Kirchenstaat, die Republik (später Hzm. u. Ghzm.) Florenz und das Königreich Neanpel. Die fürstlichen Kleinstaaten Mantua, Modena, Montferrat usw., spielten keine Rolle. Savoyen-Piemont gewann erst ab der frühen Neuzeit bestimmende Kraft.

Dieses System wurde von den außeritalienischen Großmächten Spanien, Frankreich und Habsburg gründlich destabilisiert. Es kam weder zu einer politischen Einheit, geschweige denn zu einer die Bevölkerung umfassenden gesamtitalienischen Identität. Es ist erstaunlich, dass die italienische Kultur im 16. und 17. Jh. dennoch aufblühte und in ganz Europa fleißig nachgeahmt wurde. Musik, Dichtung, Naturwissenschaften und die bildende Kunst schufen Maßstäbe. Dennoch blieb Italien politisch tief gespalten und erst eine neue großbürgerlich-adlige Oberschicht des Nordens wurde im 18. Jh. Trägerin einer nationalen Bewegung.
 
Vom Mittelalter bis zur Neuzeit verhinderte die politische Zersplitterung Italiens in mehrere Klein- und Mittelstaaten das Wachsen einer italienischen Identität, wie das auch im deutschen Raum zur Zeit des Heiligen Römischen Reichs der Fall war. Allerdings gibt es seit dem Hohen Mittelalter den Begriff "Reichsitalien" oder besser das regnum Italicum - der Teil Italiens, der bis zur frühen Neuzeit als Teil des Heiligen Römischen Reichs galt.

Hm :grübel:Allen Anderen hier geht es um die Antike.
 
Allerdings gibt es seit dem Hohen Mittelalter den Begriff "Reichsitalien" oder besser das regnum Italicum - der Teil Italiens, der bis zur frühen Neuzeit als Teil des Heiligen Römischen Reichs galt.

Insofern gab es dort eine die kleinen italienischen Republiken und Fürstentümer überwölbende staatliche Autorität, auch wenn die im Verlauf des Mittelalters immer schattenhafter wurde.
Allerdings umfasste dieses mittelalterliche Königreich Italien nie die ganze Halbinsel, insofern kann man es nicht wirklich als "Italien als politische Einheit" bezeichnen. Zumindest habe ich den Threadersteller so verstanden, dass es ihm um ganz Italien ging.

Es ist erstaunlich, dass die italienische Kultur im 16. und 17. Jh. dennoch aufblühte und in ganz Europa fleißig nachgeahmt wurde. Musik, Dichtung, Naturwissenschaften und die bildende Kunst schufen Maßstäbe.
Ich halte das nicht für erstaunlich, sondern eher für eine Folge davon. Ich habe neulich schon in einem anderen Thread geschrieben, dass meiner Meinung nach in Deutschland die Kleinstaaterei die Künste begünstigte. Für Italien sehe ich das ebenso: Es gab zahlreiche Höfe, deren Herrscher sich als Mäzene betätigten, aber auch ganz praktisch schmucke Paläste und sonstige Repräsentationsgebäude haben wollten. So konnten zahlreiche Künstler gefördert werden, für die an nur einem Hof kein Platz gewesen wäre. Für Italien kommt noch hinzu, dass es sich so mancher Künstler mit seinem Fürsten oder auch seiner Republik verscherzte. Im realen Italien zog er in einen anderen Kleinstaat, wo er erneut tätig werden konnte. In einem fiktiven geeinten Italien wäre er mangels alternativem Brotgeber zur Untätigkeit verdammt gewesen.

Es kam weder zu einer politischen Einheit, geschweige denn zu einer die Bevölkerung umfassenden gesamtitalienischen Identität. [...] Dennoch blieb Italien politisch tief gespalten und erst eine neue großbürgerlich-adlige Oberschicht des Nordens wurde im 18. Jh. Trägerin einer nationalen Bewegung.
Zumindest unter Gelehrten gab es schon früher Ansätze, die Italien als Einheit sahen, wenngleich sie nicht unbedingt eine umfassende politische Einigung anstrebten.
Ich verweise auf das Schlusskapitel in Macchiavellis "Il Principe", wo er den "italienischen Geist" (spirito Italiano) beschwört, nach der Befreiung Italiens von diversen Übeln ruft und dafür auf die "italienische Tugend" (virtù Italiana) setzt.
 
Italien bildet zwar mit dem Stiefel eine natürliche Entität, ist aber politisch praktisch nie so in Erscheinung getreten. Rom und Latium bilden den Kern des römischen Reiches, das überwiegend griechische Süditalien und Sizillien und das keltische Voralpenland wurden nur langsam kulturell integriert. Da die Ländereien sehr früh vergeben waren, gab es weniger als in anderen Teilen des Reiches auch nicht den vereinheitlichenden Effekt durch angesiedelte Veteranen. Die Kelten im Norden nahmen dabei eher die lateinische Kultur an als die Griechen im Süden.
Das Ende des Westreiches brachte mit Ravenna eine gewisse Verlagerung nach Norden mit sich, der Süden hingegen verblieb noch lange unter der Herrschaft des (griech9ischen) Ostroms. Mit der Herausbildung eines doch recht großen Kirchenstaates über die gesamte Breite des Stiefels ergab sich dann die prägende Dreitteilung in Reichsitalien, Kirchenstaat und Süditalien. Kulturell standen sich die beiden nördlichen Gebiete recht nahe und entwickelten sich in der Sprache nicht zu weit auseinander.
 
Ich halte das nicht für erstaunlich, sondern eher für eine Folge davon. Ich habe neulich schon in einem anderen Thread geschrieben, dass meiner Meinung nach in Deutschland die Kleinstaaterei die Künste begünstigte. Für Italien sehe ich das ebenso: Es gab zahlreiche Höfe, deren Herrscher sich als Mäzene betätigten, aber auch ganz praktisch schmucke Paläste und sonstige Repräsentationsgebäude haben wollten. So konnten zahlreiche Künstler gefördert werden, für die an nur einem Hof kein Platz gewesen wäre. Für Italien kommt noch hinzu, dass es sich so mancher Künstler mit seinem Fürsten oder auch seiner Republik verscherzte. Im realen Italien zog er in einen anderen Kleinstaat, wo er erneut tätig werden konnte. In einem fiktiven geeinten Italien wäre er mangels alternativem Brotgeber zur Untätigkeit verdammt gewesen.
Ich glaube, das kann man als communis opinio bezeichnen. Gilt im Übrigen auch für die andalusischen Kleinkönigreiche im 11. Jahrhundert, die, bei allem politischen Zerfall nach dem Zusammenbruch des Kalifats und dem Vormarsch des Christentums (Eroberung Toledos 1085, Eroberung Valencias 1097, Belagerung Zaragozas, Demütigung Sevillas, Almerías, Granadas und Badajoz'), eine literarische Blüte erlebten. Unter den Dichtern ist Ibn 'Ammar hervorzuheben, der genau das tat, was du beschreibst: Wenn er es sich an einem Hof verscherzt hatte, zog er zum nächsten. Aber auch andere Dichter findet man an verschiedenen Höfen und Dichtkunst wurde im al-Andalus des 11. Jahrhunderts sehr gut bezahlt.
 
Italien bildet zwar mit dem Stiefel eine natürliche Entität, ist aber politisch praktisch nie so in Erscheinung getreten. Rom und Latium bilden den Kern des römischen Reiches, das überwiegend griechische Süditalien und Sizillien und das keltische Voralpenland wurden nur langsam kulturell integriert. Da die Ländereien sehr früh vergeben waren, gab es weniger als in anderen Teilen des Reiches auch nicht den vereinheitlichenden Effekt durch angesiedelte Veteranen. Die Kelten im Norden nahmen dabei eher die lateinische Kultur an als die Griechen im Süden.

Es ist gut, dass du darauf hinweist. Italien bzw. die Apenninhalbinsel war lange Zeit multiethnisch und im Verlauf der Jahrhunderte kamen immer neue Bevölkerungsgruppen oder Ethnien hinzu. Als Rom noch eine Kleinstadt war, bildeten die italischen Stämme in gewissem Sinne eine Einheit - zwar nicht politisch, aber immerhin erlaubte die italische Sprachfamilie eine Verständigung. Schon damals saßen in Unteritalien und Sizilien die Griechen, in Mittelitalien die Etrusker, in NO-Italien die Veneter und in NW-Italien die Ligurer. Diese Völker hatten alle andere Sprachen und wurden im Verlauf vieler Jahrhunderte assimiliert, d.h. sie verloren ihre eigene Identität und Sprache.

Als das Römische Reich zerfiel, errichteten die Ostgoten ihr kurzlebiges Reich, allerdings blieb die ostgotische Bevölkerung auch nach der Zerstörung des Gotenreichs in Italien. Wenig später kamen die Langobarden, die immerhin 200 Jahre Italien beherrschten und nach dem Untergang ihres Reichs 774 ebenfalls ein Bevölkerungselement der späteren Italiener wurden. Was ansonsten noch von Kelten, Albanern und anderen ethnischen Splittern blieb, weiß man nicht so genau - mal abgesehen von den Albanern, die erst im späten Mittelalter nach Süditalien flohen.

All das verschmolz im Lauf der Zeit zu einem Volk und es wäre interessant, diese Vorgänge der Assimilation mal im einzelnen zu verfolgen.
 
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Ich befürchte, solange wir der Frage ausweichen, was eine politische Einheit begründet, bringt uns die Diskussion nicht entscheidend weiter.
da stimme ich zu
wobei man die jeweilige Zeit und ihren jeweiligen Erfahrungshorizont auch nicht überfordern darf: zur politischen Willenbildung trug der einfache freie römische Büger sowohl während der späten Republik als auch während der römischen Kaiserzeit und erst recht danach herzlich wenig bei, weil er herzlich wenige bis gar keine Möglichkeiten dazu hatte.
 
Was hältst Du von meinem Definitionsversuch in #30?

Gemeinsame politische Organe für ein bestimmtes Territorium und nur Dieses?
Das wäre auch mein Verständnis.

Mit dieser Definition dürfte es aber im zentralistischen römischen Reich immer schwierig werden, irgendeine politische Einheit jenseits der Stadt zu finden.

Ägypten als verwaltungstechnischer Sonderfall käme noch relativ nahe an politische Einheit. Bis auf die Hand voll (vier?) freie griechische Städte regierte hier der Praefekt mit seinen zentralen Organen nach pharaonischem Beispiel in der Fläche bis auf Dorfebene durch. Aber sonst fällt mir keine Region ein.
 
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